Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 23.08.2005, Az.: 1 B 27/05
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 23.08.2005
- Aktenzeichen
- 1 B 27/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 43120
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2005:0823.1B27.05.0A
Fundstelle
- SchuR 2007, 64 (Volltext)
Gründe
I .
Der Antragsteller erstrebt vorläufigen Rechtsschutz gegen die sofortige Vollziehbarkeit eines ihm auferlegten Amtsführungsverbotes.
Er war seit Oktober 2003 arbeitsvertraglich als Lehrer für Fachpraxis in der hauswirtschaftlichen Abteilung der BBS A. tätig. Anlässlich des Ablaufs seiner Probezeit wurde er dienstlich beurteilt und hierbei u.a. bemängelt, dass er eine "angemessene Lehrer-Schüler-Distanz" nicht erreiche (S. 4 der Beurteilung). Nachdem die Laufbahn der Lehrerinnen und Lehrer für Fachpraxis in eine solche ohne Vorbereitungsdienst und Laufbahnprüfung zum 1. August 2004 umgestaltet worden war (VO zur Änderung der Besonderen Nds. LaufbahnVO v. 20.7.2004 - Nds.GVBl. S. 254 -), erfolgte im August 2004 seine Ernennung zum Lehrer für Fachpraxis z.A. unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe.
Mit Verfügung vom 18. Mai 2005 wurden gegen ihn - nach entsprechenden Beschwerden, die bereits in die Zeit Dezember 2003/Februar 2004 zurückreichen - disziplinarrechtliche Vorermittlungen gem. § 26 NDO wegen zweideutiger und in sexueller Hinsicht unangemessener Äußerungen gegenüber Schülerinnen eingeleitet. Anschließend - mit Verfügung vom 8. August 2005 - wurde ein Verfahren gemäß § 126 Abs. 2 NDO zwecks Prüfung einer Entlassung des Antragstellers aus dem Probebeamtenverhältnis begonnen.
Dem Antragsteller wurde nach einer Anhörung vom 19. Mai 2005 mit Verfügung ebenfalls vom 19. Mai 2005 ein Amtsführungsverbot auferlegt, u.zw. deshalb, weil der gesamte Sachverhalt den Verdacht begründe, dass der Antragsteller gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb seines Dienstes verstoßen habe. Die Verfügung wurde mit der gesonderten Begründung für sofort vollziehbar erklärt, zumindest bis zur Aufklärung der vorliegenden Verdachtsmomente könne die Fortführung der Amtsgeschäfte nicht hingenommen werden, so dass sein Interesse an deren Wahrnehmung solange zurücktrete.
Gegen diese Verfügung hat der Antragsteller am 17. Juni 2005 unmittelbar Klage erhoben und gleichzeitig um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit der Begründung nachgesucht, die erforderlichen "zwingenden dienstlichen Gründe" für ein Amtsführungsverbot lägen nicht vor. Er bestreite, sich in der Weise geäußert zuhaben, wie ihm das vorgehalten werde. Jedenfalls seien es keineswegs sexistische oder zweideutige Äußerungen; sie seien auch nicht als Herabsetzung der Persönlichkeit oder als Beleidigung zu werten. Er habe somit nicht gegen seine Dienstpflichten verstoßen, so dass auch kein öffentliches Interesse an einer sofortiger Vollziehung des Verbotes bestehe.
Der Antragsteller beantragt,
die sofortige Vollziehung des Verbotes der Amtsführung aufzuheben.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Sie meint, der Sofortvollzug sei hinreichend begründet worden und der Verdacht wiederholter unsittlicher Äußerungen gegenüber Schülerinnen habe sich nach Einschätzung der Einleitungsbehörde bestätigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
1. Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist das Gericht im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht auf die Kassation der behördlichen Vollzugsanordnung beschränkt, sondern hat vielmehr - weitergehend - "eigenständig und losgelöst von der vorangegangenen behördlichen Vollzugsanordnung" die Frage zu beurteilen, ob die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage "gestaltend" wiederherzustellen ist (vgl. Finkelnburg/Jank, NJW-Schriften Bd. 12, 4. Auflage, Rdn. 855 m.w.N.). Rechtsschutz gegenüber der Vollzugsanordnung wird nur als "Reflex" dieser gestaltenden Entscheidung gewährt, für die entscheidend ist, ob sich der Sofortvollzug auf der Grundlage einer gerichtlichen, einzelfallbezogenen (Gesamt-) Beurteilung im Ergebnis als tatsächlich geboten erweist. Hierbei hat das Gericht eigenständig zu prüfen, ob nach seiner Einschätzung und Beurteilung aller nur greifbaren Umstände - auch solcher, die die Behörde nicht berücksichtigen konnte oder durfte - zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen ist.
Im vorliegenden Fall ergibt diese richterliche Bewertung und Abwägung, dass es der aufschiebenden Wirkung nicht bedarf.
Die Begründung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 3 S. 1 VwGO) erfüllt die Anforderungen, die an eine solche Begründung von Rechts wegen zu stellen sind (Finkelnburg/Jank, NJW-Schriften Bd. 12, 4. Auflage, Rdn. 752 f.).
2. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ist die erhobene Klage nicht ohne Weiteres erfolgversprechend.
2.1 Zunächst einmal ist es nicht so, dass das Amtsführungsverbot etwa deshalb gegen-standslos geworden wäre, weil bis zum Ablauf von drei Monaten gegen den Antragsteller nicht ein förmliches Disziplinarverfahren oder ein sonstiges auf Rücknahme der Ernennung oder auf Beendigung des Beamtenverhältnissses gerichtetes Verfahren eingeleitet worden ist (§ 67 Abs. 1 S. 2 NBG). Die Antragsgegnerin hat vielmehr gegen den Antragsteller - einen Probebeamten - durch Verfügung vom 8. August 2005 ein Untersuchungsverfahren gem. § 126 Abs. 2 NDO eingeleitet, das vor einer Entlassung nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 NBG (Entlassung wegen eines schweren Dienstvergehens), die von der Antragsgegnerin hier offenbar in Betracht gezogen wird, zunächst durchzuführen ist. Ein Untersuchungsführer hierfür ist bestellt worden, der zu prüfen haben wird, ob mit der nötigen Sicherheit festgestellt werden kann, dass gegen einen Lebenszeitbeamten "wenigstens auf eine Degradierung erkannt worden wäre" (Kümmel, Kommentar zum Beamtenrecht, Loseblattsammlung/Std. März 2001, § 39 Rdn. 9). Maßnahmen wie Verweis, Geldbuße und Gehaltskürzung, die gem. § 30 NDO im Wege der Disziplinarverfügung verhängt werden, reichen bei Probebeamten als Entlassungsgründe nicht aus. Insoweit bleibt abzuwarten, wie das eingeleitete Untersuchungsverfahren ausgeht.
2.2 Im Übrigen ist die gegen das Amtsführungsverbot gerichtete Klage nicht überwiegend erfolgversprechend.
Vgl. dazu VG Osnabrück, Urt. v. 24.9.2003 - 3 A 52/03 -
"Gemäß § 67 I Satz 1 NBG kann die oberste Dienstbehörde oder die von ihr bestimmte Behörde einem Beamten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung seiner Dienstgeschäfte verbieten. Von einem zwingenden dienstlichen Grund ist auszugehen, wenn die weitere Tätigkeit des Beamten in seiner bisherigen oder einer anderen amtsangemessenen Funktion die Erfüllung der Verwaltungsaufgabe, an welcher der Beamte mitwirkt, nachhaltig beeinträchtigt."
Eine derartige nachhaltige Beeinträchtigung ist in der Rechtsprechung z.B. dann anerkannt worden, wenn ein hinreichender Tatverdacht wegen vorsätzlichen Totschlags vorliegt (OVG Magdeburg, LKV 1998, 458) oder wenn Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten bestehen (vgl. OVG Lüneburg, ZBR 1990, 160) oder aber das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beamten und seiner Behörde erschüttert ist (OVG Münster, ZBR 1962, 13/14). Auch dann, wenn ein Beamter aus einer ihm anvertrauten Kasse einen Geldbetrag entnommen hat, ist ein Verbot der Amtsführung für zulässig erachtet worden (VG Stade, Beschl. v. 13.5.2004, IÖD 2004, 221). Ob letztlich genügend zwingende Gründe für ein Amtsführungsverbot gegeben sind, kann nur aufgrund der jeweils besonderen Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Entscheidend sind dabei die einschlägigen dienstlichen Gründe, die in Betracht zu ziehenden Interessen des Beamten sowie Fragen der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit.
Das Amtsführungsverbot soll nach seinem Sinn und Zweck dann ausgesprochen werden, wenn ein Beamter die ihm zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen voraussichtlich begangen hat und die Zwangsbeurlaubung darüber hinaus sachlich geboten war, um anderenfalls unausweichlich - zwingend - eintretende dienstliche Nachteile zu vermeiden. Der Dienstherr soll den Beamten vorläufig beurlauben können, um während dieser Zeit Ermittlungen anstellen und jene Maßnahmen vorbereiten zu können, die zur Behebung der aufgetretenen dienstlichen Probleme erforderlich sind. Hierbei darf das Verbot nicht außer Verhältnis zur Schwere der Dienstpflichtverletzung und dem Grad der dienstlich zu befürchtenden Nachteile stehen (so VG Weimar, LKV 1996, 419).
Beim derzeitigen Verfahrensstand ist davon auszugehen, dass der Antragsteller schon in der Vergangenheit jedenfalls "anzügliche Bemerkungen" gegenüber den von ihm zu unterrichtenden Schülerinnen gemacht hat (Protokoll der Zeugenvernehmung v. 7.07. 2005), was am 8. Dezember 2003 bereits Gegenstand eines Gesprächs mit dem Antragsteller war. Nach weiteren Beschwerden der Schulpastorin und einer Klassenlehrerin kam es zu einem weiteren Beratungsgespräch vom 9. Februar 2004, in dem u.a. der "flapsige Umgangston" und sein Verhalten gegenüber den Schülerinnen (Wortwahl und "Ansprache" der Schülerinnen), aber auch "verbal sexistische Übergriffe bis hin zu körperlichen Grenzüberschreitungen" thematisiert worden sind. Das Verhalten des Antragstellers könnte sich somit als eine Grundhaltung des Antragstellers darstellen, die sich schon 2003/2004 gezeigt hat.
Des Weiteren waren Schülerinnen auch darüber empört, dass der Antragsteller sie "immer wieder von oben bis unten angestarrt" habe, "zweideutige Bemerkungen" habe fallen lassen und der Antragsteller "die gebotenen körperliche Distanz nicht immer" eingehalten habe (Protokoll v. 19.5. 2005). Die Klasse, in welcher der Antragsteller unterrichtete, hat ihm dann sogar einen Brief mit der Aufforderung geschrieben, sein Verhalten zu unterlassen. Dabei ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die Schulformen, in denen der Antragsteller aufgrund seines Berufsfeldes eingesetzt ist, vor allem von Schülerinnen in einer Entwicklungsphase mit einem problematischen Hintergrund besucht werden (Protokoll der Zeugenvernehmung v. 19.5.2005), diese vielfach auch "schon Gewalterfahrungen gemacht" haben, sich aber im Grund genommen "noch in der Pubertät" befinden. In einer solchen Entwicklungsphase ist es überaus problematisch, wenn die Schülerinnen seitens eines Lehrers mit Äußerungen konfrontiert werden, die "in den sexuellen Bereich hineingehen" (Schulsozialarbeiterin der BBS A, Protokoll v. 19.5.2005).
Solange das Anfang August 2005 eingeleitete Untersuchungsverfahren (§ 126 Abs. 2 NDO) noch nicht abgeschlossen und damit nicht klar ist, ob sich in diesem Verfahren ggf. noch weitere, u.U. schwerere Vorwürfe herausstellen, solange erscheint das Amtsführungsverbot auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (noch) gerechtfertigt. Die an jeder Schule möglichen, vom Verhalten des Antragstellers und seiner Einstellung zu Schülerinnen ausgehenden Nachteile der aufgezeigten Art waren für die Antragsgegnerin zwingender Anlass, zur Erhaltung eines angemessenen Unterrichts und Vermeidung eines die Schülerinnen missachtenden - u.U. beleidigenden - Verhaltens ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte auszusprechen.
Das gilt auch angesichts der Schwere der bisher zu Tage getretenen Dienstpflichtverletzungen und dem Grad der dienstlichen und schulischen Nachteile, die bei einer weiteren Dienstausübung durch den Antragsteller zu befürchten sind.
Die dienstlichen Interessen hätten schließlich auch nicht ausreichend durch eine von der Antragsgegnerin in Betracht zu ziehende Abordnung des Antragstellers an eine andere Schule - ggf. in B - gewahrt werden können. Zwar hätte u.U. erwartet werden können, dass der Antragsteller sich das ausgesprochene Amtsführungsverbot zur Warnung dienen lässt, er also sein Verhalten gegenüber den ihm als Lehrer anvertrauten Schülerinnen ändert, aber angesichts des langen Zeitraums, über den sich die Verhaltensweisen des Antragstellers erstrecken, ist diese Erwartung mit sehr großen Unsicherheiten behaftet. Im Übrigen ist nicht auszuschließen, dass in dem eingeleiteten Untersuchungsverfahren noch der eine oder andere Vorwurf, ggf. auch ein die weitere Verwendung des Antragstellers ausschließender Sachverhalt festgestellt wird. Somit kam eine Abordnung an eine andere Schule mit dem Risiko einer Wiederholung der aufgezeigten Vorgänge nicht in Betracht.
3. Unter diesen Umständen erscheint der Kammer die Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung derzeit weiterhin geboten zu sein. Denn in dem Falle, dass ein Amtsverbot aus zwingenden dienstlichen Gründen gem. § 67 Abs. 1 NBG angeordnet werden kann, ist unter Berücksichtigung und Würdigung sämtlicher Einzelumstände nach wie vor auch noch eine sofortige Vollziehung des Verbotes angebracht.