Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 03.05.2005, Az.: 1 B 15/05
Beitragssatzung; Einmaligkeit; Ersetzung; Rückwirkung; Selbständigkeit; Stichstraße; Straßenbaubeitrag
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 03.05.2005
- Aktenzeichen
- 1 B 15/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 51004
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG - 21.11.2005 - AZ: 9 ME 178/05
Rechtsgrundlagen
- § 6 KAG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Zur Selbständigkeit einer Stichstraße, die eine Länge von (deutlich) weniger als 100 m hat und rechtwinklig abknickt.
2. Rückwirkende Ersetzung einer rechtsgültigen Satzung: Einmaligkeit des Entstehens eines Straßenbaubeitrags
Gründe
I. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks C. Landstraße D. (Flurstücke E., F., G., H., I. der Flur J. der Gemarkung K.). Das Grundstück grenzt an die C. Landstraße, die L. Straße und an die Straße M.. Von 1997 bis 2000 erneuerte und verbesserte die Antragsgegnerin die - vormals endgültig hergestellt gewesene - L. Straße in zwei Abschnitten. Dazu erneuerte sie die Fahrbahn nebst Parkstreifen, die Entwässerungseinrichtungen, die Gehwege, die Beleuchtung und die Grünanlagen. Die Straße wurde verkehrsberuhigt ausgebaut. Nicht erneuert wurde die von der L. Straße abzweigende N. Straße. Die N. Straße ist eine Strichstraße, die nach ihrem Abzweig von der L. Straße auf etwa 30 m Länge eine Breite von etwa 6 m aufweist und sodann in eine etwa 13 m tiefe und etwa 23 m breite, sich rechtwinklig nach links ausdehnende Straßenfläche mündet. Die letzte Unternehmerrechnung ist bei der Antragsgegnerin am 25.10.2001 eingegangen.
Die Antragsgegnerin errechnete die Ausbaukosten für den ersten Abschnitt auf 376.597,46 DM und für den zweiten Abschnitt auf 121.498,84 DM zuzüglich Kosten für Grünanlagen in Höhe von 18.658,41 DM und für Beleuchtung in Höhe von 52.503,12 DM. Von den Ausbaukosten des ersten Abschnitts brachte sie als hälftigen Anteil für den Kanalbau 48.957,67 DM (1/2 von 26%) und von den Ausbaukosten des zweiten Abschnitts als hälftigen Anteil 10.934,90 DM (1/2 von 18%) in Abzug. Von dem mithin auf 509.162,26 DM = 260.434,32 € bezifferten Ausbauaufwand legte sie - mit dem Beitragssatz für Anliegerstraßen - 75% auf die Anlieger um. Zur Ermittlung der Geschossfläche der - sämtlich im unbeplanten Innenbereich gelegenen - Grundstücke legte sie jeweils die durchschnittliche Geschossfläche aller im Abrechnungsgebiet gelegenen Grundstücke zu Grunde. Die Antragstellerin zog sie für ihr Grundstück C. Landstraße D. durch Bescheid vom 2.06.2004 (ohne Gewährung einer Mehrfacherschließungsvergünstigung) zu einem Straßenbaubeitrag in Höhe von 25.377,37 € heran.
Die Antragstellerin widersprach unter dem 2.07.2004 und beantragte zugleich bei der Antragsgegnerin, die Vollziehung der Straßenbaubeitragsbescheides auszusetzen. Zur Begründung machte sie im Wesentlichen geltend: Im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides sei bereits Festsetzungsverjährung eingetreten, da die Rechnungen zum größten Teil vor dem 01.01.2000 datierten. Des Weiteren sei der Beitragsersatz von 75% nicht korrekt, da das Verkehrsaufkommen nicht überwiegend durch den Anliegerverkehr, sondern vielmehr durch den Geschäftsverkehr der anliegenden Gewerbe geprägt sei. Auch sei fehlerhaft, dass das städtische Flurstück 110/146 nicht in die Verteilung mit einbezogen worden sei. Rechtswidrig sei auch, den Anliegern ausschließlich privat genutzter Grundstücke einen Beitragsnachlass von 40% zu gewähren.
Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung ab und wies den Widerspruch durch Bescheid vom 13.01.2005 zurück. Durch den Widerspruchsbescheid setzte sie den Straßenbaubeitrag auf 29.487,50 € fest. Zur Begründung der darin liegenden Erhöhung um 4.110,13 € führte sie aus: Die Erhöhung des Straßenbaubeitrages habe sich wegen einer inzwischen erfolgten Satzungsänderung ergeben. Für bebaute Grundstücke im unbeplanten Innenbereich werde die anrechenbare Geschossfläche jetzt nach der tatsächlichen Bebauung auf jedem Grundstück und nicht mehr nach dem Durchschnitt der Nutzung berechnet.
Gegen die durch den Widerspruchsbescheid vom 13.01.2005 erfolgte Erhöhung des Straßenbaubeitrages um 4.110,13 € hat die Antragstellerin am 15.02.2005 bei der erkennenden Kammer Klage erhoben, die Gegenstand des Verfahrens 1 A 125/05 ist. Mit Schreiben vom 14.3.2005 beantragte sie bei der Antragsgegnerin, die sofortige Vollziehung hinsichtlich der durch den Widerspruchsbescheid erfolgten Erhöhung des Straßenbaubeitrages anzuordnen. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 18.03.2005 ab.
Daraufhin hat die Antragstellerin am 23.03.2005 bei der erkennenden Kammer die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage beantragt. Zur Begründung macht sie geltend: Die im Widerspruchsbescheid erfolgte Verböserung um 4.110,13 € sei rechtswidrig, da sie gegen das Schlechterstellungsverbot des § 2 Abs. 2 NKAG verstoße.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihrer gegen den Straßenbaubeitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 2.06.2004 erhobenen Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, der angefochtene Bescheid sei auch in seiner durch den Widerspruchsbescheid erlangten Gestalt rechtmäßig, da nach dem Verbot des § 2 Abs. 2 NKAG nur die Gesamtheit der Beitragspflichtigen nicht schlechter gestellt werden dürfe.
Am 26.04.2005 hat der Rat der Antragsgegnerin beschlossen, dass die L. Straße ohne die N. Straße im Wege der Abschnittsbildung abzurechnen sei.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II. Der Antrag ist begründet.
Nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Bescheide, durch die öffentliche Abgaben oder Kosten festgesetzt werden, keine aufschiebende Wirkung. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann aber das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung auf Antrag ganz oder teilweise anordnen. Die Zulässigkeit eines solchen Antragbegehrens setzt nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO in der Regel voraus, dass die Behörde - wie hier durch die Antragsgegnerin auch in Bezug auf die im Widerspruchsbescheid enthaltene Verböserung geschehen - zuvor einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hat. Nach der für die behördliche Aussetzungsentscheidung maßgebenden Regelung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, die auch im gerichtlichen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO berücksichtigungsfähig ist, soll die Aussetzung bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßígkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Dass die Vollziehung für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, hat diese selbst nicht geltend gemacht und dafür liegen im Übrigen auch keine Anhaltspunkte vor. Jedoch bestehen bei der in diesem Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der durch den Widerspruchsbescheid erfolgten Erhöhung des Straßenbaubeitrages; es bestehen somit ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids insoweit, als damit ein Beitrag von mehr als 25.377,37 € festgesetzt worden ist. Ob und gegebenenfalls inwieweit ernsthafte Zweifel auch hinsichtlich der Festsetzung des Beitrages auf 25.177,37 € bestehen, bedarf keiner Erörterung, da die Beitragsfestsetzung insoweit bestandskräftig und auch nicht Gegenstand des streitgegenständlichen Rechtsschutzbegehrens ist.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Straßenbaubeitragsbescheid ist § 6 Abs. 1 NKAG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 der Straßenbaubeitragssatzung der Beklagten vom 26.11.1974, in der Fassung vom 06.06.1989 - SBS -. Gemäß § 6 Abs. 1 NKAG i.V.m. § 1 Abs. 1 SBS erhebt die Beklagte zur Deckung ihres Aufwandes für die Herstellung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung von öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen Straßenbaubeiträge von denjenigen Grundstückseigentümern, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Straßen, Wege und Plätze besondere wirtschaftliche Vorteile bietet, sofern - wie hier wegen der bereits früher unstrittig erfolgten erstmaligen Herstellung der Straße als Anbaustraße - Erschließungsbeiträge nicht erhoben werden können. Wirtschaftliche Vorteile in diesem Sinne haben in der Regel insbesondere die Eigentümer derjenigen Grundstücke, die - wie hier das Grundstück der Antragstellerin - an die ausgebaute Straße grenzen. Das Vorliegen eines die Straßenbaubeitragspflicht auslösenden Tatbestandes und das Bestehen der persönlichen und der sachlichen Beitragspflicht stellt die Antragstellerin grundsätzlich nicht (mehr) in Frage. Sie bezweifelt nur die Rechtmäßigkeit der durch den Widerspruchsbescheid erfolgten Erhöhung des Straßenbaubeitrages. Im Ergebnis sind diese Zweifel begründet.
Die Antragsgegnerin hat ihre Straßenbaubeitragssatzung während des Widerspruchsverfahrens durch Satzung vom 02.11.2004 unter anderem hinsichtlich des Verteilungsmaßstabes für diejenigen Grundstücke,
„die nicht in einem Bebauungsplangebiet aber ganz oder teilweise innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles im Sinne des § 34 BauGB liegen“,
dahin geändert, dass als zulässige Geschossfläche bei einer vorhandenen Bebauung des Grundstücks die tatsächlich vorhandene Geschossfläche und bei einem unbebauten Grundstück die in dem Abrechnungsgebiet durchschnittlich vorhandene Geschossfläche berücksichtigt wird. Gemäß ihrem Art. 2 tritt die Satzung rückwirkend zum 01.01.1998 in Kraft. Auf der Grundlage dieser Änderungssatzung hat die Antragsgegnerin eine Neuberechnung der Straßenbaubeiträge für die L. Straße durchgeführt und diese Berechnung hat zu der streitgegenständlichen Erhöhung des Straßenbaubeitrages geführt.
Indes konnte die Antragsgegnerin durch die Änderungssatzung vom 2.11.2004 den für das Grundstück der Antragstellerin entstandenen Beitrag trotz der zum 1.1.1998 erfolgten rückwirkenden Inkraftsetzung nicht mehr verändern und den Beitrag in der durch den Widerspruchsbescheid konkretisierten Höhe festsetzen.
Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 NKAG können Satzungen nur innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen rückwirkend erlassen werden. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 NKAG kann eine Satzung insbesondere rückwirkend erlassen werden, wenn sie ausdrücklich eine Satzung ohne Rücksicht auf deren Rechtswirksamkeit ersetzt, die eine gleiche oder gleichartige Abgabe regelte. Nach § 2 Abs. 2 Satz 3 NKAG kann die Rückwirkung bis zu dem Zeitpunkt ausgedehnt werden, zu dem die zu ersetzende Satzung in Kraft getreten war oder in Kraft treten sollte. Durch die rückwirkend erlassene Satzung darf die Gesamtheit der Abgabepflichtigen nicht ungünstiger gestellt werden als nach der ersetzten Satzung (§ 2 Abs. 2 Satz 4 NKAG).
Nach Maßgabe dieser gesetzlichen Bestimmungen kann eine den Rückwirkungszeitraum nicht überschreitende und das - auf die Gesamtheit der Abgabepflichtigen abstellende - Schlechterstellungsverbot beachtende rückwirkende Ersetzung einer Satzung insbesondere hinsichtlich einer nichtigen Satzung in Betracht kommen und mit angeordneter Rückwirkung wirksam sein. Ausdrücklich lässt es das Gesetz aber auch zu (§ 2 Abs. 2 Satz 2 NKAG), solche Satzungen zu ersetzen, deren Wirksamkeit bloß zweifelhaft ist. Hier ist jedoch eine dem Erschließungsbeitragsrecht entsprechende Besonderheit des Straßenbaubeitragsrechts zu beachten: Ist eine Straßenbaubeitragspflicht auf der Grundlage einer rechtsgültigen Satzung einmal entstanden, schließt dies aus, dass eine spätere Satzung ungeachtet einer ihr beigelegten Rückwirkung die Beitragspflicht ein weiteres Mal und gar in einer anderen Höhe entstehen lässt. Für das Erschließungsbeitragsrecht ist eine solche Einmaligkeit der Beitragsentstehung seit langem rechtlich geklärt (vgl. BVerwG, Urt. v. - 8 C 83/87 - Buchholz 406.11 § 132 BBauG Nr. 43). Nach Auffassung der erkennenden Kammer (vgl. Urteile vom 12.04.2005 - 1 A 142/04 - und - 1 A 184/04 -) gilt dieser Grundsatz auch im Straßenbaubeitragsrecht. Dem steht nicht § 2 Abs. 2 Satz 2 NKAG entgegen. Das schließt schon die Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 1 NKAG aus. Denn eine solche rückwirkende Änderung eines bereits in aller Ausprägung entstandenen Beitrags verstieße gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 und 28 GG). Lag im Zeitpunkt der Verwirklichung des Beitragstatbestandes gültiges Satzungsrecht vor und ist auf dieser Grundlage ein Beitrag in bestimmter Höhe entstanden, steht der Geltendmachung des dadurch begründeten sachlichen wie persönlichen Beitragsanspruchs eine zwischenzeitliche (rückwirkende) Änderung oder Aufhebung des Satzungsrechts also nicht entgegen. Der einmal entstandene Beitrag bleibt bestehen und er könnte - wenn dies hier nicht bereits erfolgt gewesen wäre - noch festgesetzt werden (vgl. Lohmann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Loseblatt-Ergänzungslieferung Stand März 2005, Rdnr. 893).
Die bisherige Verteilungsregelung der Satzung ist nicht nichtig und im Übrigen auch nicht einmal rechtlich zweifelhaft.
Die (dazu in anderen Verfahren geäußerte) Ansicht der Antragsgegnerin, für die Definierung der „näheren Umgebung" gebe es eine Vielzahl von vertretbaren Möglichkeiten und deshalb sei es zweifelhaft, ob § 7 Abs. 4 der alten Fassung ihrer Straßenbaubeitragssatzung die Anforderungen an einen für die Beitragspflichtigen nachvollziehbaren und durchschaubaren Maßstab erfülle, überzeugt nicht. Der Begriff der „näheren Umgebung" i.S. dieser Satzungsregelung bezieht sich ersichtlich auf den gleichlautenden Begriff in § 34 BauGB. Welche Grundstücke in Bezug auf ein einzelnes Grundstück, für das sich die bauplanungsrechtliche Frage der Zulässigkeit eines Bauvorhabens stellt, die „nähere Umgebung" bilden, ist unter Berücksichtigung der dafür nach Maßgabe der Rechtsprechung zu beachtenden Kriterien festzustellen. Der Begriff der „näheren Umgebung" ist in der Rechtsprechung geklärt (BVerwG Urt. v. 26.05.1978 - 4 C 9/77 - BVerwGE 55, 369). Für die Bestimmung der „näheren Umgebung" eines Grundstücks bzw. eines Bauvorhabens gibt es - wie die Kasuistik der Rechtsprechung zu § 34 BBauG bzw. BauGB belegt - jeweils nur ein zutreffendes Ergebnis. Demgemäß unterliegt die satzungsmäßige Verwendung dieses Verteilungsmaßstabes auch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1979 - 4 C 23/78 - KStZ 1980, 130 und Urt. v. 29.11.1985 - 8 C 59/84 - KStZ 1986, 213). Ob die Geschossfläche bei der Beurteilung des Einfügens gemäß 34 BauGB eine entscheidende Rolle spielt, ist für die Rechtmäßigkeit des Verteilungsmaßstabes kein maßgebender Gesichtspunkt. Dass die richtige Anwendung dieses Verteilungsmaßstabes arbeitsaufwändig und schwierig ist, stellt seine Rechtmäßigkeit nicht in Frage. Die unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität zu Tage tretenden Erschwernisse ihres eigenen Ortsrechts hat die Beklagte zu tragen.
Ist mithin die Regelung des § 7 Abs. 4 der Straßenbaubeitragssatzung der Antragsgegnerin in ihrer im Zeitpunkt des Entstehens der Straßenbaubeitragspflicht geltenden Fassung maßgebend, kommt es entscheidend darauf an, ob die sachliche Straßenbaubeitragspflicht für das Grundstück in der Antragstellerin vor oder nach dem - ohne Beachtung der Rückwirkungsanordnung erfolgten - Inkrafttreten der Änderungssatzung entstanden ist. Angesichts des Umstandes, dass die Antragsgegnerin die N. Straße nicht mit ausgebaut hat und es sich bei dieser Straße um eine kurze Stichstraße handelt, erscheint es als erwägenswert, dass die N. Straße möglicherweise als rechtlich unselbstständiges Anhängsel der L. Straße anzusehen ist mit der Folge, dass die Erneuerung und Verbesserung der L. Straße erst abgeschlossen ist und eine Beitragspflicht erst zum Entstehen gebracht werden kann, wenn entweder auch die N. Straße ausgebaut bzw. erneuert worden oder eine die N. Straße ausschließende Abschnittsbildung erfolgt ist. (Zum Erfordernis einer Abschnittsbildung vgl. den zum Verfahren - 9 B 122/86 - ergangenen Beschluss des Nds. Oberverwaltungsgericht vom 11.02.1987, KStZ 1987, 151.)
Bei summarischer Beurteilung spricht Überwiegendes dafür, dass die N. Straße als eine selbstständige Straße angesehen werden muss.
Die Beurteilung, ob eine Sackgasse selbständig oder unselbständig ist, richtet sich auf der Grundlage des erschließungsbeitragsrechtlichen Anlagebegriffs grundsätzlich nach dem Gesamteindruck der zu beurteilenden Anlage. Der Begriff der öffentlichen Einrichtung im Sinne des Straßenausbaubeitragsrechts deckt sich grundsätzlich mit dem Begriff der Erschließungsanlage im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts. Eine Ausnahme gilt, wenn spezifische Grundsätze des Straßenausbaubeitragsrechts eine Abweichung vom Begriff der Anlage im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts gebieten. Dies ist etwa hinsichtlich der Beurteilung der Selbständigkeit/Unselbständigkeit einer Sackgasse dann der Fall, wenn dem Straßenzug, von dem die Sackgasse abzweigt, eine andere Verkehrsbedeutung als der Sackgasse zukommt (vgl. Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 30.01.1998 - 9 M 2815/96 - NSt-N 1998, 196). Letzteres ist hier nicht der Fall, weil sowohl die L. Straße als auch die N. Straße als Anliegerstraße zu qualifizieren ist. Da hier keine straßenbaubeitragsrechtlichen Besonderheiten eine Abweichung vom erschließungsbeitragsrechtlichen Anlagebegriff erfordern, kann demgemäß die zum Erschließungsbeitragsrecht ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die erkennende Kammer folgt, herangezogen werden. In seinem zum Verfahren - 8 C 8/97 - ergangenen Urteil vom 16.09.1998 (NVwZ 1999, 997 [BVerwG 16.09.1998 - BVerwG 8 C 8/97]) hat das Bundesverwaltungsgericht Folgendes ausgeführt:
„Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es für die Beantwortung der Frage, ob eine Verkehrsanlage erschließungsbeitragsrechtlich selbständig oder unselbständig ist, grundsätzlich auf den Gesamteindruck an, den die tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Besondere Bedeutung kommt der Ausdehnung der Anlage und ferner ihrer Beschaffenheit, der Zahl der durch sie erschlossenen Grundstücke und auch dem Maß der Abhängigkeit zwischen ihr und der Straße zu, in die sie einmündet. Das Maß der Abhängigkeit ist deshalb von erheblichem Gewicht, weil eine Verkehrsanlage ohne Verbindungsfunktion (Sackgasse bzw. Stichweg) ausschließlich auf die Straße angewiesen ist, von der sie abzweigt, und sie deswegen einer (unselbständigen) Zufahrt ähnelt, so daß der Eindruck der Unselbständigkeit häufig noch bei einer Ausdehnung erhalten bleibt, bei der eine Anlage mit Verbindungsfunktion schon den Eindruck der Selbständigkeit vermittelt. Vorbehaltlich der besonderen Umstände des Einzelfalles hat es das Bundesverwaltungsgericht als maßgebliche Regel bezeichnet, daß eine von einer Anbaustraße abzweigende befahrbare Sackgasse dann als selbständig zu qualifizieren ist, wenn sie entweder länger als 100 m ist oder vor Erreichen dieser Länge (mehr oder weniger) rechtwinklig abknickt oder sich verzweigt (Urteil vom 23. Juni 1995 - BVerwG 8 C 30.93 - Buchholz 406.11 § 127 BauGB Nr. 80 S. 18 <21>; vgl. auch Urteile vom 9. November 1984 - BVerwG 8 C 77.83 - Buchholz 406.11 § 129 BBauG Nr. 19 S. 8 <11> =BVerwGE 70, 247 <250>, vom 25. Januar 1985 - BVerwG 8 C 106.83 - Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 59 S. 78 <80>, vom 22. Mai 1992 - BVerwG 8 C 57.90 - a.a.O. S. 2 - insoweit nicht abgedruckt in BVerwGE 90, 208 - sowie zur Selbständigkeit von Privatwegen Urteile vom 2. Juli 1982 - BVerwG 8 C 28, 30 und 33.81 - Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 51 S. 58 <63> =BVerwGE 66, 69 <74> und vom 23. März 1984 - BVerwG 8 C 65.82 - Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 42 S. 19 <23>).
Im vorliegenden Fall hat die Stichstraße, an die das klägerische Grundstück angrenzt, nach den bei den Akten befindlichen Lageplänen eine Gesamtlänge von ca. 90 m, wobei sie nach etwa 30 bis 35 m rechtwinklig abknickt. Unter diesen Umständen ist vorbehaltlich des sich vor Ort für den Betrachter ergebenden Eindrucks eher von der Selbständigkeit dieses Straßenstücks auszugehen. Dabei kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß zwar die Zahl der durch die Stichstraße erschlossenen Grundstücke nicht besonders groß ist, daß aber das klägerische Grundstück für ein einzelnes Flurstück mit dem Hotel und der Vielzahl von Ferienhäusern eine besonders massive Bebauung aufweist, von der ein erheblicher Ziel- und Quellverkehr zu erwarten sein dürfte und die deswegen ebenfalls eher für die Selbständigkeit der Stichstraße sprechen wird. Zu dieser Frage wird das Berufungsgericht - sachgerechterweise aufgrund einer Ortsbesichtigung - nähere Feststellungen zu treffen haben.“
Hier liegt ohne Frage nicht der Grundtypus einer unselbstständigen Stichstraße vor. Zwar ist die N. Straße weniger als 100 Meter lang, sie knickt aber nach 30 Metern bzw. 43 Metern rechtwinklig ab und führt von dort - mit einer Breite von etwa 13 m - 17 Meter bzw. 23 Meter weiter. Dabei vermittelt die Verbreiterung der weiterführenden Straßenfläche dieser einen platzähnlichen Charakter, ohne aber der N. Straße die Einheitlichkeit zu nehmen. Wie sich bereits aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.09.1998 ergibt, führt indes das Abknicken der Strichstraße nicht zwangsläufig zu deren Selbständigkeit. Auch wenn die N. Straße mit - auf den Mittelachsen gemessenen - etwa 55 Metern Länge doch deutlich kürzer als die dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Grunde liegende Strichstraße ist, ist hier gleichermaßen von ihrer Selbstständigkeit auszugehen. Die Verbreiterung verleiht der Straße ein größeres Eigengewicht und nimmt ihr entsprechend mehr den Charakter einer bloßen Zufahrt. Auch wenn hier ebenfalls die Anzahl der durch die Strichstraße erschlossenen Grundstücke nicht besonders groß ist, fällt hier ebenfalls die massivere Bebauung durch Mehrfamilienhäuser ins Gewicht. Von der Selbständigkeit der N. Straße ist im Übrigen auch die Antragsgegnerin zunächst selbst ausgegangen, mutmaßlich zu Recht.
Ist die N. Straße mithin für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einstweilen als selbstständig anzusehen, ist der Straßenbaubeitrag nach Maßgabe der im Zeitpunkt des Eingangs der letzten Unternehmerrechnung in Kraft gewesenen Fassung der Straßenbaubeitragssatzung der Antragsgegnerin entstanden.
Dass die Antragsgegnerin ihre (ursprünglichen) Beitragsbescheide vom 2.06.2004 nicht in fehlerfreier Anwendung der seinerzeit gültigen Satzungsregelungen erlassen hat, steht außer Frage. Anstatt einheitlich für alle Grundstücke eine durchschnittliche Geschossflächenzahl zu Grunde zu legen, hätte die Antragsgegnerin die Geschossfläche eines jeden einzelnen Grundstücks an der Bebauung dessen „näherer Umgebung“ ausrichten müssen. Da die Antragsgegnerin eine richtige Berechnung nicht vorgelegt hat, geht die erkennende Kammer für das einstweilige Rechtsschutzverfahren zu Gunsten der Antragstellerin davon aus, dass der tatsächlich entstandene Straßenbaubeitrag den durch den Beitragsbescheid vom 2.06.2004 festgesetzten nicht übersteigt.
Nach alledem hat der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO Erfolg.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.