Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 24.05.2022, Az.: 3 A 361/21
Abschiebungsverbot; Afghanistan
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 24.05.2022
- Aktenzeichen
- 3 A 361/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 59563
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs 5 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Angesichts der aktuellen Lage sind im Falle eines leistungsfähigen, erwachsenen Mannes ohne Unterhaltsverpflichtungen die hohen Anforderungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK regelmäßig erfüllt, wenn in seiner Person keine besonderen begünstigenden Umstände vorliegen.
2. Derartige begünstigende Umstände können dann gegeben sein, wenn der Schutzsuchende in Afghanistan über ein hinreichend tragfähiges und erreichbares familiäres oder soziales Netzwerk verfügt, er nachhaltige finanzielle oder materielle Unterstützung durch Dritte erfährt oder über ausreichendes Vermögen verfügt. Allein die Sozialisierung im heimischen Kulturkreis, das Sprechen mindestens einer der Landessprachen, eine vorhandene Arbeitserfahrung, eine besondere Durchsetzungsfähigkeit oder Belastbarkeit führen regelmäßig für sich genommen nicht dazu, dass der Betroffene im Fall der Rückkehr nach Afghanistan in der Lage sein würde, dort aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt zumindest am Rande des Existenzminimums nachhaltig zu sichern.
Tatbestand:
Der im Jahr E. geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger vom Volk der Hazara.
Der Kläger stammt aus der Provinz F. und hat nach seinen Angaben Afghanistan im Alter von zwei oder drei Jahren mit seiner Familie verlassen und ist in den Iran gezogen. Vom Iran aus ist er auf dem Landweg unter anderem über die Türkei, Griechenland und Italien im August 2020 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er hat am 20. November 2020 einen Asylantrag gestellt.
In der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im folgenden: Bundesamt) am 3. Februar 2021 gab der Kläger unter anderem an, dass seine Mutter mit seinen zwei jüngeren Brüdern und einer jüngeren Schwester weiterhin im Iran lebe. Sie arbeite in der Landwirtschaft. Ob sein Vater noch lebe, wisse er nicht. Sein Vater sei etwa im Jahr 2017 aus dem Iran nach Afghanistan abgeschoben worden und seitdem habe er keine Informationen mehr von ihm. Aus Berichten seiner Mutter, mit der er regelmäßig Kontakt habe, wisse er, dass die Familie in einem kleinen Haus in einem Dorf gelebt habe, in dem etwa 15 Familien wohnten. In diesem Dorf seien jetzt die Taliban und das Haus müsse in deren Besitz gefallen sein. In dem Dorf habe auch sein Onkel gelebt, der aber getötet wurde, was der Grund für die Ausreise der Familie in den Iran gewesen sei. Es habe Auseinandersetzungen mit den Nomaden gegeben.
Mit Bescheid vom 10. Juni 2021 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1. des Bescheides), den Antrag auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) sowie den Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ab (Ziffer 3.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4.) und forderte den Kläger zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss das Asylverfahrens auf. Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Afghanistan angedroht (Ziffer 5.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate befristet (Ziffer 6.).
Der Kläger hat am 25. Juni 2020 Klage erhoben. Er habe Afghanistan als Kleinkind verlassen und sei mit den Gegebenheiten in Afghanistan nicht vertraut, sodass er nicht in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt nachhaltig zu sichern. Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2022 hat der Kläger die Klage auf die Feststellung von Abschiebungsverboten beschränkt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG für Afghanistan festzustellen und den Bescheid vom 10. Juni 2021 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
Im Übrigen ist die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, zulässig und begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
Ihm droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen humanitären Lage in Afghanistan. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Nach der Rechtsprechung des EGMR können auch schlechte sozialwirtschaftliche und humanitäre Bedingungen im Herkunftsland, die nicht auf direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure zurückzuführen sind, sondern maßgebend auf fehlende staatliche Mittel oder fehlende staatliche Fürsorge, in ganz besonderen Ausnahmefällen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, ein Abschiebungsverbot wegen Art. 3 EMRK begründen (vgl. dazu Nds. OVG, Urt. v. 29.1.2019 - 9 LB 193/18 -, juris Rn. 45 ff.; ferner Beschl. v. 25.5.2018 - 9 LA 64/18 -, juris Rn. 6 ff. jeweils mit Verweisen auf die Rechtsprechung des EGMR). Die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist dann erreicht, wenn ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme bestehen, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.07.2019 - 1 C 45.18 -, juris Rn. 12).
Solche außergewöhnlichen Umstände sind im vorliegenden Einzelfall unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnismittel zur Überzeugung des Gerichts geben.
Die allgemeine humanitäre Lage in Afghanistan stellt sich wie folgt dar:
Afghanistan war bereits vor der Machtübernahme der Taliban eines der ärmsten Länder der Welt (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 22. Oktober 2021, S. 14). Die ohnehin seit Langem bestehende schlechte wirtschaftliche Situation hatte sich zunächst aufgrund der Covid-19-Pandemie erheblich verschärft (EASO, Afghanistan: Key socio-economic indicators, August 2020, S. 23, 28, 29 und 36; Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationen der Staatendokumentation: Afghanistan, Version 6, Stand: 28.1.2022, S. 159; vgl. auch Schwörer, Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Lage in Afghanistan, Gutachten an VGH Baden-Württemberg vom 30.11.2020, S. 12 ff.). Im Jahr 2021 kam es zudem zu Überschwemmungen in Herat und anderen Provinzen, außerdem gab es die zweite schwere Dürre in drei Jahren, die zu Missernten, Verfall der Viehpreise und Trinkwasserknappheit geführt haben (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation: Afghanistan, Version 6, Stand: 28.1.2022, S 157; vgl. auch EASO, Afghanistan Country focus, Country of Origin Information Report, Januar 2022, S. 65 f.).
Die hiernach bereits angespannte Wirtschaftslage steht infolge des Zusammenbruchs der afghanischen Republik vor dem vollständigen Kollaps (Auswärtiges Amt, Lagebericht Afghanistan vom 22. Oktober 2021, S. 14). Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation: Afghanistan, Version 6, Stand: 28.1.2022, S 159). Auch wenn der Grad willkürlicher Gewalt nach der Machtübernahme der Taliban mittlerweile abnehmen und sich der Zugang für humanitäre Hilfe in vielen Landesteilen verbessert haben sollte, ist das Land von einer humanitären Krise von noch nie da gewesenem Ausmaß konfrontiert (vgl. UNHCR, Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen, Februar 2022, S. 1). Die Vereinten Nationen warnen vor einer humanitären Katastrophe, falls internationale Hilfsleistungen für Afghanistan ausbleiben oder nicht implementiert werden können (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation: Afghanistan, Version 6, Stand: 28.1.2022, S 156).
Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung ist von akuter Nahrungsunsicherheit betroffen (vgl. UNHCR, Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen, Februar 2022, S. 1). Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie hätten 4 % der Befragten angegeben, dass sie in der Lage seien, ihre Familien mit den grundlegendsten Gütern zu versorgen. In Kabul hätten 80 % der Befragten angegeben, dass sie nicht in der Lage seien, ihren Haushalt zu versorgen, gefolgt von 66 % in Mazar-e Sharif und 45 % in Herat. Ebenso hätten 8 % der Befragten in Kabul angegeben, dass sie kaum in der Lage seien, ihre Familien mit grundlegenden Gütern zu versorgen, gefolgt von 24 % in Mazar-e Sharif und 42 % in Herat (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationen der Staatendokumentation: Afghanistan, Version 6, Stand: 28.1.2022, S. 156). Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) berichtete am 10. Mai 2022, dass nach wie vor ca. die Hälfte der Bevölkerung (19,7 Mio.) von Ernährungsunsicherheit bedroht ist. Nur ca. 7 % der Bevölkerung hätten täglich ausreichend Nahrung. Bis zum November 2022 sollten die Zahlen dank humanitärer Hilfe und Ernten leicht auf 18,9 Mio. zurückgehen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Briefing Notes vom 15. Mai 2022). Trotz anhaltender humanitärer Hilfe ist laut UNICEF nach wie vor jedes zweite Kind unter fünf Jahren akut unterernährt. Der Nachrichtensender Ariana News berichtet, dass zurzeit alleine in einem Kabuler Krankenhaus täglich durchschnittlich acht Kinder an Unterernährung sterben. Auch das Famine Early Warning System hat vor steigender Angewiesenheit auf humanitäre Hilfe hingewiesen. Gründe dafür sind Arbeitslosigkeit und schlechte Bedingungen für die Landwirtschaft durch ausbleibende Schneefälle vor allem in den nördlichen Provinzen (BAMF, Briefing Notes vom 14. März 2022). Die Preise für Lebensmittel und Treibstoff haben sich nach der Machtübernahme der Taliban deutlich erhöht (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation: Afghanistan, Version 6, Stand: 28.1.2022, S 160). Hinzu kommt, dass dringend benötigte humanitäre Hilfen und Entwicklungshilfe derzeit nur in beschränktem Maße geleistet werden (vgl. etwa BAMF, Briefing Notes vom 4. April 2022).
Seit der Übernahme durch die Taliban sei im Übrigen auch die Aufrechterhaltung der Stromversorgung ein großes Problem, da Stromrechnungen nicht bezahlt würden (EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Country focus; Stand: Januar 2022, S. 20).
Nach einem Bericht des UNDP (United Nations Development Programme) vom November 2021 hätten Banken die Vergabe neuer Kredite eingestellt und die Zahl der notleidenden Kredite habe sich im Vergleich zum Vorjahr auf 57 % nahezu verdoppelt. UNDP warne vor einem möglichen Zusammenbruch des Bankensystems innerhalb der kommenden Monate aufgrund der Unfähigkeit, Kredite zurückzuzahlen, Liquiditätsengpässen und geringeren Einlagen, da bis Ende 2021 voraussichtlich 40 % der Einlagen Afghanistans verloren gehen würden (EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Country focus; Stand: Januar 2022, S. 20).
Vor der Machtübernahme durch die Taliban war der Arbeitsmarkt durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. 80 % der afghanischen Arbeitskräfte befanden sich in „prekären Beschäftigungsverhältnissen“ mit hoher Arbeitsplatzunsicherheit und schlechten Arbeitsbedingungen. Schätzungsweise 16 % der prekär Beschäftigten waren Tagelöhner, von denen sich eine unbestimmte Zahl an belebten Straßenkreuzungen der Stadt versammelt und nach Arbeit sucht, die, wenn sie gefunden wird, ihren Familien nur ein Leben von der Hand in den Mund ermöglicht (vgl. hierzu Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationen der Staatendokumentation: Afghanistan, Version 6, Stand: 28.1.2022, S. 163 f.). Nach der Machtübernahme der Taliban wurde ein drastischer Rückgang der durchschnittlichen Zahl der Arbeitstage für Gelegenheitsarbeiter in städtischen Gebieten beobachtet: waren es im Juli 2021 noch zwei Tage pro Woche, lag diese Zahl im November 2021 bei 1,4 Arbeitstagen pro Woche (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation: Afghanistan, Version 6, Stand: 28.1.2022, S 165). Außerdem hat das Personal der Streitkräfte, vor allem des Verteidigungsministeriums, des Innenministeriums und des nationalen Sicherheitsministeriums, das auf etwa eine halbe Million Personen geschätzt wird, keine Arbeit mehr. UNDP erwartet, dass sich die Arbeitslosigkeit in den nächsten zwei Jahren fast verdoppeln wird, während die Löhne Jahr für Jahr um 8-10 % sinken werden (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation: Afghanistan, Version 6, Stand: 28.1.2022, S 165).
Derzeit ist davon auszugehen, dass Rückkehrende nur in Einzelfällen über die notwendigen sozialen und familiären Netzwerke verfügen, um die geschilderten, in Afghanistan herrschenden desolaten wirtschaftlichen Umstände abzufedern (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 22. Oktober 2021, S. 14).
Bis zum Jahr 2019 ging das erkennende Gericht noch davon aus, dass in der Regel für die Personengruppe der jungen, alleinstehenden und arbeitsfähigen männlichen afghanischen Staatsangehörigen bei einer Rückkehr in die Hauptstadt Kabul oder in eine andere größere Stadt wie Herat oder Mazar-e Sharif trotz der schwierigen humanitären Situation in aller Regel eine extreme Gefahrensituation im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung selbst dann nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit droht, wenn der Rückkehrer beruflich nicht besonders qualifiziert ist und weder über nennenswertes Vermögen noch über Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte verfügt (vgl. etwa VG Lüneburg, Urt. v. 27.02.2018 - 3 A 152/17 -, juris Rn. 43; ebenso Nds. OVG, Urt. v. 29.1.2019 - 9 LB 93/18 -, juris Rn. 55 ff.).
Dieser Maßstab kann mit Blick auf die anhaltenden Auswirkungen der im Jahr 2020 aufgetretenen Covid-19-Pandemie, insbesondere die dadurch gegebenen Erschwernisse für den Arbeitsmarkt (vgl. hierzu Urt. v. 05.02.2021 - 3 A 190/16 -, juris Rn. 53), sowie die Folgen der Unruhen nach der Machtübernahme der Taliban nach dem Abzug der internationalen Truppen und der aufgetretenen Binnenflucht nicht mehr aufrechterhalten werden.
Nach den dem Gericht vorliegenden aktuellen Erkenntnismitteln sind auch im Falle eines leistungsfähigen, erwachsenen Mannes ohne Unterhaltsverpflichtungen bei Rückkehr aus dem westlichen Ausland die hohen Anforderungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK regelmäßig erfüllt, wenn in seiner Person keine besonderen begünstigenden Umstände vorliegen. Derartige begünstigende Umstände können dann gegeben sein, wenn der Schutzsuchende in Afghanistan über ein hinreichend tragfähiges und erreichbares familiäres oder soziales Netzwerk verfügt, er nachhaltige finanzielle oder materielle Unterstützung durch Dritte erfährt oder über ausreichendes Vermögen verfügt (vgl. Hambg. OVG, Urteil vom 23.02.2022 - 1 Bf 282/20.A -, juris Rn. 38, VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 17.12.2020 - A 11 S 2042/20 -, juris Rn. 105 m. w. N.; VG München, Urt. v. 20.04.2022 - M 18 K 19.32390 -, juris). Allein die Sozialisierung im heimischen Kulturkreis, das Sprechen mindestens einer der Landessprachen, eine vorhandene Arbeitserfahrung, eine besondere Durchsetzungsfähigkeit oder Belastbarkeit führen regelmäßig für sich genommen nicht dazu, dass der Betroffene im Fall der Rückkehr nach Afghanistan in der Lage sein würde, dort aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt zumindest am Rande des Existenzminimums nachhaltig zu sichern (vgl. ebenso VG Greifswald, Urt. v. 10.03.2022 - 3 A 207020 HGW -, juris Rn. 102).
Im Fall des Klägers liegen besondere günstige Umstände unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles nicht vor. Der Kläger, der Afghanistan mit seiner Familie vor etwa 18 Jahren - im Alter von zwei oder drei Jahren - verlassen hat, verfügt nach dem Verschwinden seines Vaters nicht über ein tragfähiges und erreichbares familiäres Netzwerk in Afghanistan. Dass er von seiner im Iran lebenden Mutter, die seine drei deutlich jüngeren Geschwister versorgen muss, maßgeblich finanziell unterstützt werden könnte oder über eigenes erhebliches Vermögen verfügt, ist ebenso wenig ersichtlich. Die Ausführungen des Klägers zu diesen persönlichen Umständen sind unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens nachvollziehbar und erscheinen schlüssig.
Bei dem nationalen Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 28.07.2014 - 9 LB 2/13 -, juris Rn. 14). Ausführungen zum Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf es vorliegend nicht, da bereits ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht.
Soweit der Feststellung des Abschiebungsverbotes zugleich die Ausreiseaufforderung, die Abschiebungsandrohung (Ziffer 5. des Bescheides) und das verhängte Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer 6. des Bescheides) entgegenstehen, verletzt der angefochtene Bescheid den Kläger ebenfalls in seinen Rechten und ist daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.