Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.04.1995, Az.: XV 470/93
Aufgewendete Rechtsanwaltskosten für die Vertretung als Nebenkläger als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG; Erwachsen von zwangsläufigen Aufwendungen aus sittlichen Gründen ; Annahme einer Zwangsläufigkeit im Sinne des § 33 Einkommensteuergesetz (EStG)
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 25.04.1995
- Aktenzeichen
- XV 470/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 17879
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1995:0425.XV470.93.0A
Rechtsgrundlagen
- § 33 Abs. 1 EStG
- § 33 Abs. 2 S. 1 EStG
Fundstelle
- EFG 1995, 717 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Aufwendungen für Nebenklage als agB
Tatbestand
Streitig ist, ob Rechtsanwaltskosten für eine Nebenklage als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) steuermindernd zu berücksichtigen sind.
Die Tochter der Kläger, die im Streitjahr 1990 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden, fiel im Jahr 1988 einem Gewaltverbrechen zum Opfer. In ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger als außergewöhnliche Belastungen u.a. Aufwendungen für ihre anwaltliche Vertretung als Nebenkläger in dem Strafprozeß wegen des an ihrer Tochter begangenen Gewaltverbrechens geltend. Das beklagte Finanzamt (FA) lehnte mit Einkommensteuerbescheid vom 1992 die Berücksichtigung der Rechtsanwaltskosten als außergewöhnliche Belastung ab, da die entsprechenden Aufwendungen dem Grunde nach nicht zwangsläufig im Sinne des § 33 EStG seien.
In dem sich hieran anschließenden Einspruchsverfahren erweiterte das beklagte FA mit Einspruchsbescheid vom ... 1993 zugunsten der Kläger den Vorläufigkeitsvermerk gem. § 165 Abgabenordnung (AO) wegen anhängiger Verfassungsbeschwerden. Im übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Kosten der Nebenklage seien den Klägern weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen noch aus sittlichen Gründen erwachsen. So sei für das Vorliegen einer sittlichen Pflicht das subjektive Gefühl, verpflichtet zu sein, nicht ausreichend. Vielmehr sei die sittliche Verpflichtung nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Sie sei gegeben, wenn die Mehrzahl der billig und gerecht denkenden Bürger die Verpflichtung anerkenne. Eine allgemein geltende sittliche Verpflichtung zur Erhebung einer Nebenklage habe für die Kläger jedoch nicht bestanden. Dies ergebe sich schon daraus, daß bei vergleichbaren Straftaten nicht jeder Betroffene von seinem Recht auf Nebenklage Gebrauch mache, sondern die Strafverfolgung allein der Staatsanwaltschaft überlasse. Zudem sei der zur Nebenklage Berechtigte nicht gezwungen, zur Durchsetzung seines Interesses an der Bestrafung des Täters als Nebenkläger aufzutreten, weil die Anklage bereits durch die Staatsanwaltschaft erhoben werde. Die Aufwendungen entstünden deshalb im Gegensatz zu denen des Privatklägers nicht zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 2 EStG.
Hiergegen richtet sich die von den Klägern form- und fristgerecht erhobene Klage. Sie sind der Ansicht, daß der von ihnen im Streitjahr an ihren Prozeßbevollmächtigten gezahlte Honorarabschlag in Höhe von ... DM zwangsläufig entstanden sei und damit die Voraussetzungen einer außergewöhnlichen Belastung im Sinne des§ 33 EStG vorlägen. Sie - die Kläger - seien trotz der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft gezwungen gewesen, dem Verfahren als Nebenkläger beizutreten, da Über die Straftat in den Wolfenbütteler Zeitungen berichtet worden sei. Eine Unterlassung des Beitritts zum Strafverfahren wäre auf gesellschaftlicher Ebene als moralisch anstößig empfunden worden. Da bekannt sei, daß Betroffene als Nebenkläger einem Verfahren beitreten könnten, werde es negativ ausgelegt, wenn dies nicht geschehe. Dies gelte um so mehr, da es sich vorliegend um eine kleinere Stadt handele, in der man nicht von der Anonymität wie in einer Großstadt ausgehen könne. Demzufolge seien die Kläger nach der Sittenordnung gezwungen gewesen, dem Verfahren beizutreten.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 1990 vom ... in der Fassung des Einspruchsbescheids vom ... die Einkommensteuer 1990 so weit herabzusetzen, wie sie sich mindert, wenn Rechtsanwaltskosten in Höhe von ... DM als weitere außergewöhnliche Belastung unter Ansatz der zumutbaren Belastung steuermindernd berücksichtigt werden.
Das beklagte FA beantragt unter Hinweis auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen ihres weiteren Vorbringens wird auf die Gerichtsakte sowie die Steuerakten der Kläger (St.-Nr.: ...) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die von den Klägern im Streitjahr aufgewendeten Rechtsanwaltskosten für ihre Vertretung als Nebenkläger in dem Strafverfahren wegen des an ihrer Tochter begangenen Gewaltverbrechens sind nicht als außergewöhnliche Belastung nach Haßgabe des§ 33 EStG einkommensmindernd zu berücksichtigen.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, daß der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Die hier streitigen Aufwendungen für die Nebenklage sind den Klägern weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen oder sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Dies ist hinsichtlich der fehlenden rechtlichen bzw. tatsächlichen Gründe zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Die Kläger waren weder aus rechtlichen Gründen noch aufgrund einer tatsächlichen Zwangslage gehalten, als Nebenkläger in dem Strafverfahren aufzutreten. Darüber hinaus bestand für sie aber auch keine entsprechende sittliche Verpflichtung, wobei es der Senat ausdrücklich dahinstehen läßt, ob die aufgrund einer Honorarvereinbarung von den Klägern gezahlten Beträge den Umständen nach als notwendig und angemessen anzusehen sind. Es kann ferner dahinstehen, ob den Klägern ggf. sämtliche oder ein Teil der Nebenklagekosten ersetzt worden sind (vgl. § 472 Abs. 1 der Strafprozeßordnung - StPO -).
Eine Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen setzt voraus, daß sich der Steuerpflichtige nach dem Urteil aller billig und gerecht denkenden Menschen zu den erbrachten Leistungen verpflichtet halten kann, weil "die Sittenordnung das Handeln erfordert" und jede Möglichkeit, die geltend gemachten Aufwendungen zu vermeiden ausgeschlossen ist. Hierzu reicht es nicht aus, daß die Leistung menschlich verständlich ist. Die sittliche Verpflichtung muß vielmehr so unabdingbar auftreten, daß sie einer Rechtspflicht gleichkommt oder zumindest ähnlich ist. Das sittliche Gebot darf nicht als innerer Zwang des Gewissens von dem Betreffenden empfunden werden, sondern müsse ähnlich dem Rechtszwang von außen her als eine Forderung oder zumindest Erwartung der Gesellschaft an den Steuerpflichtigen herantreten. Dabei muß die sittliche Verpflichtung des einzelnen von seiner Umgebung als so schwerwiegend angesehen werden, daß ihre Erfüllung als eine selbstverständliche Handlung erwartet wird und die Mißachtung dieser Erwartung den Ruf des Steuerpflichtigen derart empfindlich beeinträchtigen würde, daß er unter Umständen eine Einbuße in seiner gesellschaftlichen Stellung zu befürchten hätte. Demgemäß begründet die allgemeine sittliche Verpflichtung - wie etwa Anstandspflichten, Übungen und Sitten - keine Zwangsläufigkeit i.S. des § 33 EStG. Es ist mithin darauf abzustellen, ob die Unterlassung der zu beurteilenden Handlung Nachteile i.S. von Sanktionen im sittlich-moralischen Bereich oder auf gesellschaftlicher Ebene zur Folge haben kann, ob das Unterlassen also als moralisch anstößig empfunden wird. Hierbei ist auf die Gesamtumstände des Einzelfalles abzustellen (vgl. BFH-Urteil vom 27. Februar 1987 III R 209/81, BStBl II 1987, 432 (433 f.) sowie Schmidt-Drenseck, Kommentar zum EStG. 13. Aufl., Anm. 5 d zu § 33 jeweils m.w.N.).
Unter Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den Streitfall gelangt der Senat zu der Auffassung, daß die Kläger nicht aus sittlichen Gründen verpflichtet waren, als Nebenkläger in dem Strafprozeß wegen des an ihrer Tochter begangenen Gewaltverbrechens aufzutreten bzw. einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen als Nebenkläger zu beauftragen. Angesichts der Anwesenheit sowie der Vertretung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft im Termin zur Hauptverhandlung (vgl. §§ 226 und 258 StPO) erwartet die Allgemeinheit von einem Steuerpflichtigen nicht, daß er in den Fällen, in denen nach den Vorschriften der StPO eine Nebenklage zulässig ist (vgl. § 395 StPO), auch von seinem diesbezüglichen Recht tatsächlich Gebrauch macht. Etwas anderes gilt auch nicht in den Fällen, in denen - wie im Streitfall - bei Vorliegen eines Tötungsdelikts bestimmte nahe Angehörige des Opfers die Befugnis zur Nebenklage besitzen (§ 395 Abs. 2 StPO). Gerade bei Tötungsdelikten, die oftmals schwerstes persönliches Leid für die Angehörigen mit sich bringen, wird der Anschluß der Hinterbliebenen an die öffentliche Klage als Nebenkläger von der Gesellschaft zwar akzeptiert, aber nicht zwingend erwartet.
Dies folgt schon allein aus dem Umstand, daß in der Hauptverhandlung das angeklagte Delikt nochmals in allen Einzelheiten erörtert zu werden pflegt und seitens der Allgemeinheit durchaus dafür Verständnis besteht, eine Teilnahme an der Hauptverhandlung möglichst - d.h. auch eine prozessuale Vertretung durch einen Rechtsanwalt im Wege der Nebenklage - zu vermeiden. Daher kann es insbesondere nicht als moralisch anstößig - etwa im Sinne einer Gleichgültigkeit oder gar Geringschätzung gegenüber dem zu Tode gekommenen nahen Angehörigen - gewertet werden, wenn - wie im Streitfall die Kläger - die Eltern eines einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallenen Kindes, von der Möglichkeit einer Nebenklage keinen Gebrauch machen.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.