Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 19.10.1993, Az.: 20 U 16/93

Herausgabeanspruch nach einem erfolglos durchgeführten Decksprung eines Pferdes; Kündigungsbedingte Ermöglichung jederzeitiger Rückgabe eines Pferdes auch ohne Decksprung; Abschluss einer Lebensversicherung beim Kauf eines Pferdes auf Raten; Verlangen einer Bankbürgschaft und einer Lebensversicherung für eine Stute; Verkauf der Stute unter Eigentumsvorbehalt

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.10.1993
Aktenzeichen
20 U 16/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1993, 21618
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1993:1019.20U16.93.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 03.02.1993 - AZ: 4 O 401/92

Fundstelle

  • MDR 1994, 137-138 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Herausgabe eines Pferdes

Der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. Oktober 1993
durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 3. Februar 1993 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Stute ..., geboren am 12. März 1989, Lebens-Nr. 08-20249-89, Brenn-Nr. AV 89-0249 herauszugeben, und zwar Zug um Zug gegen Wiederaufnahme der Ratenzahlungen von 300 DM je Monat mit Wirkung vom 15. August 1992 an bis zum weiteren Gesamtbetrage von 22.500 DM.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Wert der Beschwer: 50.000 DM.

Tatbestand:

1

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

2

Die Berufung ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten die mit Kaufvertrag vom 21.06.1990 erworbene Stute mit dem Namen ... zwecks Besitzverschaffung herausverlangen. Dieser Herausgabeanspruch folgt aus der Vereinbarung der Parteien, die dem vom Kläger beim Gestüt der Beklagten am 17.05.1992 in Auftrag gegebenen Decken der vorgenannten Stute zugrunde liegt. Ohne daß es insoweit auf die nähere rechtliche Einordnung einer derartigen Vereinbarung ankommt, steht in rechtlicher Hinsicht außer Frage, daß derjenige, der seine Stute zum Decken in einem Gestüt einstellt, jederzeit die Rückgabe seines Pferdes verlangen kann, sei es nach einem erfolgreichen Decksprung, sei es vorher, indem er den erteilten Deckauftrag ausdrücklich oder konkludent - etwa schlicht durch die Geltendmachung eines Herausgabeanspruches - kündigt. Letzteres ist hier geschehen.

3

Diesem rein schuldrechtlichen Herausgabeanspruch kann die Beklagte ihr vorbehaltenes - zwischenzeitlich auf ihren Sohn übertragenes - Eigentum an der Stute nicht mit Erfolg entgegenhalten. Richtig ist zwar, daß sie sich in dem oben genannten Kaufvertrag vom 21.06.1990 bis zur endgültigen Bezahlung der Stute ihr Eigentum daran vorbehalten hat und der Kläger - unstreitig - den Kaufpreis für die Stute bislang nicht beglichen hat. Indessen kann die Beklagte sich so lange nicht auf ihr bzw. ihres Sohnes Vorbehaltseigentum berufen, wie der zwischen den Parteien bestehende Kaufvertrag fortbesteht, also insbesondere nicht durch Rücktritt in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umgewandelt ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist aber der am 21.06.1990 geschlossene Kaufvertrag nach wie vor wirksam; die Beklagte ist von diesem Vertrag nicht gemäß § 326 Abs. 1 BGB wirksam zurückgetreten.

4

Dabei kann offen bleiben, ob die gesetzlich normierten Voraussetzungen dieser Vorschrift hier im einzelnen vorliegen. Auch wenn dies zugunsten der Beklagten unterstellt wird, ist ihr gemäß § 242 BGB die Berufung auf die Rechte aus § 326 Abs. 1 BGB gleichwohl versagt, weil sie es an der für die Ausübung der Rechte aus § 326 Abs. 1 BGB zwingend erforderlichen eigenen Vertragstreue hat fehlen lassen (vgl. zur Erforderlichkeit eigenen vertragstreuen Verhaltens des Gläubigers: Palandt/Heinrichs, BGB, 52. Aufl., § 326 Anm. 10 f; MünchKomm-Emmerich, BGB, 2. Aufl., § 326 Rn. 24 f; BGH NJW 1971, 1747; BGH NJW 1987, 251, 253; BGH NJW-RR 1991, 898).

5

Maßgebender Anknüpfungspunkt für diese Feststellung ist die Tatsache, daß die Beklagte mit ihrem Mahnschreiben vom 19.06.1992 weit mehr vom Beklagten verlangt hat, als dieser aufgrund des am 21.06.1990 geschlossenen Kaufvertrages schuldete. So forderte die Beklagte - abgesehen von einem nicht näher dargelegten 10%igen Zinsanspruch auf die rückständigen Raten - insbesondere die Beibringung einer Bankbürgschaft über 45.000 DM zzgl. 15 % Zinsen und den Nachweis einer Lebensversicherung für die Stute zumindest in Höhe des Restkaufpreises von 45.000 DM. Beide Forderungen führen zu einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung des Klägers als Käufer und finden in dem vorgenannten schriftlichen Kaufvertrag keinerlei Rechtsgrundlage. Auch der von der Beklagten herangezogene § 321 BGB vermag weder unmittelbar noch in entsprechender Anwendung das Verlangen nach der Bürgschaft zu rechtfertigen. Ferner fehlt schlüssiger Vortrag dazu, daß der Abschluß einer Lebensversicherung für die Stute mündlich vereinbart worden sei. Abgesehen davon, daß der schriftliche Kaufvertrag die Klausel enthält:

"Abändernde Abmachungen sind nicht getroffen. Zusätzliche Absprachen bedürfen zu ihrer Gültigkeit die schriftliche Form."

6

ist eine entsprechende mündliche Vereinbarung auch nicht hinreichend dargetan. So hat die Beklagte auf Seite 3 ihres Schriftsatzes vom 06.10.1992 lediglich vorgetragen, "der Kläger (habe) bei den Kaufpreisverhandlungen es als selbstverständlich angesehen ..., die Stute zu versichern." Daß sich der Kläger insoweit im Verhältnis zur Beklagten auch rechtsgeschäftlich binden und nicht nur eine einseitige unverbindliche Absichtserklärung abgeben wollte, folgt aus diesem Vorbringen nicht. Entsprechendes gilt für das nahezu gleichlautende Vorbringen der Beklagten auf Seite 2 ihres Schriftsatzes vom 23.11.1992. Schließlich fehlen dem Senat auch ausreichende Anhaltspunkte dafür, daß beim Kauf eines Pferdes auf Raten der Abschluß einer Lebensversicherung für das Pferd verkehrsüblich ist.

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In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß rechtsgrundlose Zuvielforderungen wegen der darin zum Ausdruck kommenden eigenen Vertragsuntreue des Gläubigers dessen Rechte aus § 326 Abs. 1 BGB ausschließen können (vgl. BGH LM § 346 Nr. 6 Bl. 4; Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 326 Rn. 15; MünchKomm-Emmerich, § 326 Rn. 36). Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn die Zuvielforderung ein erhebliches Gewicht hat und/oder wenn die Annahme gerechtfertigt ist, daß der Gläubiger die Leistung im tatsächlich rückständigen Umfang abgelehnt hätte (siehe die vorstehend zitierte Rechtsprechung und Literatur sowie BGH vom 18.12.1981 - V ZR 121/80, zitiert bei Hagen WM 1983, 638, 646). Andererseits soll eine Zuvielforderung unschädlich sein, wenn anzunehmen ist, daß der Schuldner auch dem Verlangen der richtigen Leistung nicht nachgekommen wäre (so insbesondere MünchKomm-Emmerich a.a.O.). Danach besteht hier kein Zweifel, daß die Beklagte gehindert ist, sich auf § 326 Abs. 1 BGB im vorliegenden Falle zu berufen.

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Zunächst ist dafür maßgebend, daß ihre Zuvielforderung quantitativ und qualitativ ein erhebliches Gewicht besaß. In quantitativer, also finanzieller Hinsicht ist zu berücksichtigen, daß der Kläger eine Bankbürgschaft voraussichtlich nur gegen eine 2 %ige Avalprovision (bei einer Bürgschaft über 45.000 DM also 900 DM jährlich) hätte beibringen können und daß eine Lebensversicherung für ein Pferd im Werte von 45.000 DM jährlich mehrere tausend DM kostet. Das qualitative Gewicht der Zuvielforderung zeigt sich zum einen darin, daß die Beklagte völlig andere - und nicht etwa nur höhere - Leistungen vom Kläger verlangte, als sie der Vertrag vorsah. Zum anderen hat die Zuvielforderung deshalb erhebliches und damit eine massive Vertragsuntreue der Beklagten begründendes Gewicht, weil sie nachhaltig an ihren unberechtigten Forderungen festgehalten hat. Unmittelbar im Anschluß an die von der Beklagten mit Schreiben vom 19.06.1992 ausgesprochene Leistungsaufforderung wies der Kläger mit seinem Schreiben vom 24.06.1992 das Verlangen der Beklagten nach einer Bankbürgschaft und einer Lebensversicherung für die Stute als nicht geschuldet zurück. Mit weiterem Schreiben vom 07.07.1992 bot er der Beklagten die unverzügliche Zahlung der ausstehenden Raten und die Vorlage eines Dauerauftrages für die künftig rechtzeitige Bezahlung der Folgeraten an, verlangte dafür aber den Verzicht der Beklagten auf die Bankbürgschaft und die Lebensversicherung. Dieses rechtlich durchaus begründete Verlangen des Klägers ließ die Beklagte indessen unbeantwortet; damit bestärkte sie, und zwar nunmehr in voller Kenntnis der vom Kläger mehrfach zutreffend dargelegten Rechtslage, ihre von vornherein unberechtigte Zuvielforderung. Dies gibt der Zuvielforderung ein besonderes Gewicht.

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Objektiv erweckte die unterbliebene Reaktion der Beklagten auf das klägerische Schreiben vom 24.06.1992 und insbesondere vom 07.07.1992 den Eindruck, daß sich die Beklagte an dem ursprünglichen Vertrag nicht mehr festhalten lassen wollte, daß es ihr keineswegs nurmehr entscheidend darauf ankam, die ausstehenden Raten zu erhalten; vielmehr wollte sie den Vertrag offenbar durch ein einseitiges Diktat nachbessern. Aus der Sicht des Klägers mußte die unnachgiebige Haltung der Beklagten also den Eindruck erwecken, als würde die Beklagte sich allein mit der Zahlung der rückständigen Raten nicht zufriedengeben und, sofern nicht auch die weiteren Forderungen unverzüglich erfüllt würden, gleichwohl vom Vertrag zurücktreten. In dieser Situation konnte vom Kläger nach Treu und Glauben nicht erwartet werden, daß er die zweifellos geschuldeten rückständigen Raten ohne vorherige verbindliche Klärung der unberechtigten Zuvielforderungen erfüllte. Hätte er die Stute selbst in Besitz gehabt, wäre es ihm sicher zumutbar gewesen, zunächst vorbehaltslos die unstreitige Forderung der Beklagten zu erfüllen und erst im Anschluß daran eine endgültige Klärung der weitergehenden Ansprüche der Beklagten herbeizuführen. Indessen befand sich aber die Stute unstreitig bei der Beklagten. Der Kläger lief deshalb angesichts der kompromißlosen Haltung der Beklagten Gefahr, daß er bei isolierter Erfüllung des reinen Zahlungsanspruches die Stute nicht zurückerhalten, er also - verkürzt gesagt - Geld und Stute los sein würde. Gerade in Fällen dieser Art soll der Gläubiger nach der Zielrichtung der eingangs zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehindert sein, seine Rechte aus § 326 Abs. 1 BGB auszuüben.

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Während bezüglich der Beklagten die Annahme berechtigt ist, daß ihr allein die Zahlung der rückständigen Raten nicht genügt hätte, um nicht doch vom Vertrag zurückzutreten, gibt es überzeugende Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger dann, wenn die Beklagte allein die geschuldeten rückständigen Raten gefordert hätte, seiner Leistungsverpflichtung fristgemäß entsprochen hätte. Dafür spricht zum einen der insoweit eindeutige Inhalt seines Schreibens vom 07.07.1992; zum anderen steht fest, daß der Kläger - wenn auch verspätet i.S. der von der Beklagten gesetzten Frist - die rückständigen Raten und die Rate für den seinerzeit laufenden Monat gezahlt hat.

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Insgesamt führt also eine Würdigung aller Umstände unter Berücksichtigung von Treu und Glauben zu dem Ergebnis, daß die Beklagte sich auf etwaige Rechte aus § 326 Abs. 1 BGB aufgrund ihrer fehlenden Vertragstreue nicht berufen kann. Dem Herausgabeanspruch des Klägers ist daher stattzugeben, und zwar auch unter Berücksichtigung des von der Beklagten mit Schriftsatz vom 01.10.1993 vorgetragenen Umstandes, daß sie ihr vorbehaltenes Eigentum an der Stute mittlerweile auf ihren Sohn übertragen haben will. Dies allein macht es der Beklagten noch nicht i.S.d. § 275 BGB unmöglich, dem Herausgabeanspruch der Klägerin zu entsprechen. Es ist ihre Aufgabe, durch geeignete Maßnahmen - etwa durch eine Rückübertragung des Eigentums an der Stute von ihrem Sohn auf sich - die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie den Herausgabeanspruch des Klägers erfüllen kann. Daß sie dazu aus rechtlichen und/oder tatsächlichen Gründen nicht in der Lage sei und deshalb ein Fall des Unvermögens gemäß § 275 Abs. 2 BGB vorliegt, behauptet die Beklagte selbst nicht.

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Da somit der Hauptantrag des Klägers Erfolg hat, ist weder über seinen hilfsweise gestellten Zahlungsantrag noch über die dagegen erhobenen Gegenansprüche und Hilfsaufrechnungen der Beklagten zu entscheiden. Der Rechtsstreit ist vielmehr entscheidungsreif. Die mit der zutreffenden Sachentscheidung verbundenen Regelungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.