Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 21.10.1993, Az.: 22 U 161/92

Wirksamkeit eines Testaments bei Anordnungen der Vorerbschaft und der Nacherbschaft ; Wirksamkeit einer rechtlich teilbaren testamentarischen Bestimmung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
21.10.1993
Aktenzeichen
22 U 161/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1993, 17605
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1993:1021.22U161.92.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 16.06.1992 - AZ: 7 O 59/92

In dem Rechtsstreit
hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 12. Oktober 1993
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 16. Juni 1992 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Verden geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Wert der Beschwer: 50.000 DM.

Entscheidungsgründe

1

Die Berufung ist begründet; denn es kann nicht festgestellt werden, daß das am 6. November 1978 errichtete notarielle Testament des am 15. März 1990 verstorbenen ..., des Vaters der Klägerin, insoweit unwirksam ist, als er darin neben der Klägerin auch den Beklagten zum Nacherben eingesetzt hat.

2

Aufgrund des Urteils des Landgerichts Verden vom 23. Mai 1991 steht zwar rechtskräftig fest, daß dieses Testament nach § 2077 Abs. 1 BGB insoweit unwirksam ist, als darin die inzwischen verstorbene Mutter des Beklagten, ..., die der Erblasser 1976 in zweiter Ehe geheiratet hatte, zur Vorerbin eingesetzt worden ist. Damit steht jedoch noch nicht fest, daß auch die Einsetzung des Beklagten als Nacherbe neben der Klägerin unwirksam ist, auch wenn beide Nacherbeinsetzungen mit der Anordnung der Vorerbschaft verbunden waren; denn die Anordnungen der Vorerbschaft und der Nacherbschaft sind rechtlich teilbar (vgl. Soergel/Loritz, BGB, 12. Aufl., § 2085 Bem. 10); nach § 2102 Abs. 1 BGB wird beim Wegfall des Vorerben der Nacherbe als Ersatzerbe Vollerbe, sofern nicht ein anderer Wille des Erblassers festzustellen ist.

3

Ist nur ein Teil einer rechtlich teilbaren testamentarischen Bestimmung unwirksam - wie hier die Anordnung der Vorerbschaft der Mutter des Beklagten -, so ist in entsprechender Anwendung des § 2085 BGB der andere Teil der Bestimmung - hier die Anordnung der Nacherbschaft - nur dann unwirksam, wenn anzunehmen ist, daß der Erblasser diesen Teil seiner Verfügung nicht ohne den unwirksamen Teil angeordnet hätte. § 2085 BGB ist seinem Sinn nach auch auf die teilweise Unwirksamkeit einer rechtlich teilbaren Verfügung anzuwenden, denn auch hier muß im Zweifel an der letztwilligen Erklärung des Erblassers so weit als möglich festgehalten werden, weil er sie nicht - wie ein Lebender bei der Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nach § 139 BGB - wiederholen kann (so auch Soergel/Loritz a.a.O. Bem. 11; Ermann/Schmidt, BGB, 9. Aufl., § 2085 Bem. 3; Leipold in Münchener Kommentar, 2. Aufl., § 2085 Bem. 9; Staudinger/Otte, BGB, 12. Aufl., § 2085 Bem. 10 f; ebenso BGH, NJW 1959, 2113, für den auch hier gegebenen Fall einer rechtlich nicht zwingend gebotenen Einheitlichkeit der Verfügung; die in NJW 1962, 912, abgedruckte Entscheidung des BGH betrifft demgegenüber die einheitliche Anordnung der Testamentsvollstreckung für den ganzen Nachlaß, deren Fortgeltung für einen einzelnen Erbteil nach § 139 BGB beurteilt wurde, und damit keinen gleichen Fall einer rechtlich möglichen Teilbarkeit).

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Die von der Klägerin vorgetragenen Umstände reichen nicht aus, um festzustellen, daß der Erblasser, hätte er von der Nichtigkeit der Erbeinsetzung seiner zweiten Ehefrau wegen der beiderseitigen Scheidungsanträge gewußt, es nicht gleichwohl bei der Einsetzung des Beklagten zum Nacherben und damit zum Ersatzerben neben der Klägerin belassen hätte. Für einen mutmaßlichen Willen des Erblassers bei der Errichtung seines Testamentes am 6. November 1978, den Beklagten nicht zum Erben einzusetzen, wenn er gewußt hätte, daß die Erbeinsetzung seiner zweiten Ehefrau wegen beiderseitiger Scheidungsanträge unwirksam sein würde, spricht allein, daß der Beklagte nicht sein Sohn, sondern ein mit in die Ehe gebrachter Sohn der zweiten Ehefrau war. Der Schluß, daß der Erblasser den Beklagten ausschließlich deshalb bedacht hat, weil er Sohn seiner zweiten Ehefrau war, ist hier jedoch angesichts der weiteren unstreitigen Umstände nicht zwingend. Gegen dieses ausschließliche Motiv des Erblassers spricht zunächst, daß er nicht auch die beiden weiteren von ... mit in die Ehe gebrachten Söhne zu Nacherben eingesetzt hat. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß der Erblasser sich dem Beklagten gegenüber besonders verbunden fühlte, weil dieser, wie auch die Klägerin nicht bestreitet, am Ausbau des Hauses in den Jahren 1976 bis 1978 mitgewirkt hat. Zweifel daran, daß der Erblasser die Verfügung zugunsten des Beklagten am 6. November 1978 nicht getroffen hätte, wenn er das Scheitern der Ehe mit der Mutter des Beklagten vorausgesehen hätte, bestehen auch deshalb, weil er sein Testament in der Zeit nach August 1986, in der er von seiner zweiten Ehefrau zunächst im Hause getrennt lebte, nicht geändert hat. Auch wenn die Behauptung der Klägerin zutrifft, der Erblasser habe nach seinem Scheidungsantrag vom 15. September 1989 seiner Rechtsanwältin mehrfach erklärt,

"Ich muß das Testament unbedingt ändern, sonst geht meine Tochter leer aus. Das machen wir, wenn es mir wieder besser geht",

5

kann hieraus nicht geschlossen werden, der Erblasser hätte mutmaßlich schon am 6. November 1978 den Beklagten nicht neben der Klägerin bedacht, wenn er gewußt hätte, daß die Ehe mit seiner zweiten Ehefrau scheitern würde. Die Äußerung des Erblassers könnte sogar dafür sprechen, daß er nach dem Scheidungsantrag sein Testament zwar ändern wollte, aber selbst damals hierüber noch keine genauen Vorstellungen hatte; denn, wenn es ihm nur darum gegangen wäre, die Klägerin als seine einzige Tochter zur Alleinerbin einzusetzen, hätte er das Testament vom 6. November 1978 lediglich aufheben müssen. Ließ sein Gesundheitszustand mehrere Gespräche mit seiner Rechtsanwältin zu, wäre ihm auch eine solche Aufhebung des Testaments möglich gewesen.

6

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1, § 708 Nr. 10 und § 713 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Wert der Beschwer: 50.000 DM.