Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 25.02.2014, Az.: 5 A 46/12

diätetisches Lebensmittel; vorläufige Untersagung des Inverkehrbringens

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
25.02.2014
Aktenzeichen
5 A 46/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 42616
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 b i.V.m. Nr. 2 DiätV geht in seinen Voraussetzungen, die ein Lebensmittel erfüllen muss, um als diätetisches Lebensmittel zu gelten, weiter, als dass es für sich genommen bereits ausreichend ist, diejenige Gruppe zu benennen, die sich in besonderen physiologischen Umständen befindet.

Darüber hinaus muss die kontrollierte Aufnahme der in dem Produkt enthaltenen Stoffe auch zu einer nicht unerheblichen Verbesserung derjenigen Umstände führen, aufgrund derer bei einer bestimmten Personengruppe das besondere Ernährungserfordernis besteht.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann eine vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich dagegen, dass die Beklagte ihr vorläufig untersagt hat, das von ihr hergestellte Produkt „D. E.“ als diätetisches Lebensmittel in den Verkehr zu bringen.

Die Klägerin vertreibt verschiedene Saftsorten und Nektare. Am 28. Dezember 2009 zeigte sie der Beklagten das Inverkehrbringen ihres Produktes „D. E.“ als diätetisches Lebensmittel an. Hierbei handelt es sich um einen mit Calciumgluconat und Vitamin D3 angereicherten Mehrfruchtsaft. Nach den Angaben der Klägerin enthalten 150 ml dieses Saftes – die empfohlene Tagesdosis – 200 mg Calcium und 1,26 µg Vitamin D3. Als Zweckbestimmung/Besonderen Ernährungszweck gab die Klägerin in dem Anzeigeformular an: „Zur Ernährung und zur Stärkung der Knochengesundheit bei Calcium- und Vitamin D-Mangel“. Die Beklagte  forderte die Klägerin mit Schreiben vom 20. August 2010 auf, ihre Angaben im Hinblick auf die angesprochene diätbedürftige Personengruppe zu ergänzen. In Ihrem Antwortschreiben vom 7. Oktober 2010 führte die Klägerin aus, dass sie den Personenkreis auf „die Gruppe der Kinder (bzw. der Heranwachsenden)“ beschränke. Dem Schreiben fügte sie ein überarbeitetes Etikettenmuster für die Rückseite der Flasche bei, welches das Produkt als „Diätetischen Mehrfruchtsaft für Kinder“ ausweist und folgenden Text enthält: „D. steht seit 1952 für gesunde Kindersäfte. Kinder benötigen ausreichend Calcium und Vitamin D, damit sich ihre Knochen optimal entwickeln können. Trotz der Bedeutung dieser Nährstoffe sind rund 30 % der Kinder in Deutschland nicht ausreichend mit Calcium und 80 % nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt.“ Zudem enthält das rückseitige Etikett unter anderem eine farblich leicht hervorgehobene Tabelle, die – bezogen auf eine Tagesportion von 150 ml – darstellt, wie viel Prozent des Tagesbedarfes für Calcium und Vitamin D gemäß der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), erreicht werden. Die Tabelle enthält Angaben für unterschiedliche Altersgruppen von 1 bis 14 Jahren sowie für Schwangere und Stillende. Auf dem Muster des Etiketts für die Vorderseite der Flasche findet sich der Hinweis: „Mit Calcium und Vitamin D zur Unterstützung des Knochenaufbaus“.

Im Mai 2011 hörte die Beklagte die Klägerin an und legte unter anderem dar, das Erzeugnis „D. E.“ erfülle nach derzeitigem Stand die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 der Verordnung über diätetische Lebensmittel (DiätV) nicht. Das Produkt eigne sich nicht für den angegebenen Ernährungszweck. Der Referenzwert der DGE, der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung, der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährungsforschung und der Schweizerischen Vereinigung für Ernährung (D.A.CH.-Referenzwert) für die tägliche Vitamin D3-Zufuhr liege bei 5 µg/Tag. Nach den Daten der Ernährungsstudie als Kinder- und Jugendgesundheitssurvey-Modul (EsKiMo-Studie) und der Dortmund Nutritional and Anthropometric Longitudinally Designed (DONALD-Studie) betrage die Gesamtzufuhr an Vitamin D3 aus allen Lebensmitteln über alle Altersgruppen hinweg durchschnittlich 1,9 µg/Tag. Die Klägerin möge belegen, dass 1,26 µg/Tag Vitamin D3 geeignet seien, um dem angegebenen Ernährungszweck der Personengruppe der Kinder zu entsprechen. Die EsKiMo-Studie ergebe bezüglich der täglichen Calcium-Zufuhr, dass die 10 bis 11-jährigen Mädchen und Jungen ca. 200 mg, die 7 bis 9-jährigen Jungen aber nur 13 mg unter dem D.A.CH.-Referenzwert lägen. Für Mädchen im Alter von 7 bis 9 Jahren und 12 Jahren werde der D.A.CH.-Referenzwert um 76 mg und 27 mg unterschritten. „D. E.“ decke mit einer zusätzlichen Zufuhr von 200 mg Calcium pro Tag den zusätzlichen Bedarf von Kindern im Alter zwischen 10 und 11 Jahren. Für die 7 bis 9-jährigen Kinder und für 12-jährige Mädchen sei das Produkt zu hoch dosiert. Für alle anderen Kinder bestehe kein besonderes Ernährungserfordernis bei Calcium. Nach der DONALD-Studie sei das Produkt für moderatverzehrende Kinder im Alter von 1 bis 6 Jahren zu hoch dosiert. Die Klägerin möge wissenschaftliche Unterlagen vorlegen, die belegten, dass 200 mg Calcium pro Tag geeignet seien, um dem angegebenen Ernährungszweck der Personengruppe der Kinder zu entsprechen. Im Übrigen sei das Produkt nicht von den Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs zu unterscheiden, sodass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 DiätV nicht erfüllt seien.

In ihrer Stellungnahme vom 19. August 2011 führte die Klägerin im Wesentlichen aus, nach der EsKiMo-Studie sei die mediane Vitamin D-Zufuhr durch Lebensmittel niedriger als der D.A.CH.-Referenzwert. Dies bestätigten die Ergebnisse der DONALD-Studie und der Nationalen Verzehrstudie II (NVS II). Eine ergänzende Vitamin D-Aufnahme erhöhe den Anteil derer, welche die Referenzwerte erreichten bei den Jungen von 13 auf 23 Prozent und bei den Mädchen von 4 auf 11 Prozent. Calcium habe eine vielfältige Bedeutung für den Körper. Nach der EsKiMo-Studie betrage die mediane Calcium-Zufuhr bei den 7 bis 11-jährigen Mädchen nur 79 bis 92 Prozent, bei den gleichaltrigen Jungen nur 82,5 bis 98,6 Prozent des Referenzwertes. Das 5. Perzentil dieser Altersgruppe erreiche bei den Mädchen nur 36 bis 47 Prozent, bei den Jungen nur 43 bis 59 Prozent des Referenzwertes. Die Ergebnisse der DONALD-Studie belegten, dass Probanden die Calcium-Referenzwerte umso weniger erreichten, je älter sie seien. Die Studie zeige zudem, dass die Hochverzehrer von Milchprodukten die Referenzwerte für Calcium erreichten, während die Moderat- und Niedrigverzehrer mit Abstand darunter lägen. 36 Prozent der Probanden erfüllten die Empfehlungen für die Calcium-Zufuhr nicht. Nach der NVS II erreichten in den Altersgruppen ab 14 Jahren ca. die Hälfte der Personen die tägliche Zufuhrempfehlung nicht. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bewerte gesundheitsbezogene Angaben in Bezug auf Knochen für Vitamin D und Calcium – auch in Kombination – bereits positiv. Die Stellungnahmen der EFSA belegten für Calcium und Vitamin D ernährungsphysiologische bzw. diätetische Zwecke im Allgemeinen, explizit aber gerade  auch Wirkungen bezüglich der Aufrechterhaltung der Knochen. Das Produkt entspreche dem besonderen Ernährungserfordernis der Gruppe der Kinder.

Mit Bescheid vom 10. Oktober 2011 untersagte die Beklagte der Klägerin vorläufig, das Produkt „D. E.“ als diätetisches Lebensmittel in den Verkehr zu bringen. Zur Begründung nahm sie auf ihr Anhörungsschreiben Bezug und führte ergänzend im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 DiätV lägen vor, weil die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 DiätV nicht erfüllt seien. „D. E.“ eigne sich aufgrund der zu gering dosierten Vitamin D3-Zufuhr pro täglicher Verzehrsmenge für die ausgelobte Personengruppe und des nicht für alle Kinder vorliegenden besonderen Ernährungserfordernisses für Calcium nicht für den angeführten Ernährungszweck. Nach der EsKiMo-Studie liege die mediane Vitamin D3-Zufuhr der 6 bis 11-jährigen Jungen 3,5 bis 3,7 µg/Tag, bei den Mädchen dieser Altersgruppe 3,6 bis 3,8 µg/Tag unterhalb der D.A.CH.-Referenzwerte. Bei den 12 bis 17-jährigen Jungen liege die mediane Vitamin D3-Zufuhr 2,5 bis 3,1 µg/Tag, bei den gleichaltrigen Mädchen 3,2 bis 3,4 µg/Tag unter den D.A.CH.-Referenzwerten. Die empfohlene Tagesdosis von 1,26 µg/Tag reiche nicht aus, um den angegebenen Ernährungszweck zu erfüllen. Die mediane Calciumzufuhr von Jungen im Alter von 6 Jahren liege 120 mg über den D.A.CH.-Referenzwerten. Jungen nähmen im Alter von 12 Jahren 92 mg Calcium pro Tag zu wenig auf. Im Alter von 13 bis 14 Jahren nähmen Jungen 117 mg/Tag und im Alter von 15 bis 17 Jahren 324 mg/Tag mehr an Calcium auf, als nach D.A.CH. empfohlen werde. Die DONALD-Studie gebe an, dass Moderatverzehrer im Alter von 1 bis 6 Jahren zwischen 28 und 97 mg zu wenig Calcium pro Tag aufnähmen. Auch für diese Altersgruppe sei das Produkt daher mit einer zusätzlichen täglichen Zufuhr von 200 mg Calcium zu hoch dosiert. Die Diskussion um die Diäteigenschaft eines Lebensmittels gleiche nicht derjenigen um die sogenannten Health-Claims. Durch die Stellungnahmen der EFSA werde gerade keine Aussage zur Verkehrsfähigkeit eines Lebensmittels getroffen. Die Untersagung des weiteren Inverkehrbringens des Produktes sei zweckmäßig, ein milderes Mittel sei nicht ersichtlich. Das Ermessen sei aufgrund des vorbeugenden Verbraucherschutzes auf null reduziert.

Mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2011. Sie verwies hierzu auf ihr Schreiben vom 19. August 2011 und trug ergänzend im Wesentlichen vor, die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 DiätV lägen nicht vor, weil die Anforderungen des § 1 Abs. 2 DiätV im Hinblick auf das Produkt „D. E.“ erfüllt seien. Die DGE habe Anfang Januar 2012 den Referenzwert für Vitamin D3 von 5 auf 20 µg/Tag erhöht. Die gewünschte Versorgung könne zwar bei häufiger Sonnenbestrahlung ohne die Einnahme eines Vitamin D-Präparates erreicht werden, diese Versorgung sei bei der Zielgruppe durch das Lebensumfeld und die Freizeitgestaltung im Kinderalltag heutzutage aber kaum mehr gegeben. Durch die Anhebung des Referenzwertes würden nunmehr lediglich 6 bis 12,5 Prozent des Referenzwertes von Kindern und Jugendlichen erreicht. Das Produkt unterscheide sich auch deutlich von den Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs, sodass die Vorgaben des § 1 Abs. 2 Nr. 3 DiätV erfüllt seien. Die wissenschaftlichen Gutachten der EFSA ließen sich für die Beurteilung der Diäteigenschaft eines Lebensmittels heranziehen. Die EFSA beschäftige sich im Rahmen der Zulassungsverfahren für die Health-Claims mit gesundheitsbezogenen Wirkungen von Diätetika. Wenn sie als höchste behördliche wissenschaftliche Instanz der EU eine Wirkung bei einer Personengruppe bestätigt habe, sei dies kaum zu widerlegen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2012 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie verwies zur Begründung auf die Ausführungen in ihrem Anhörungsschreiben und dem Bescheid vom 10. Oktober 2011 und führte ergänzend im Wesentlichen aus, die Ergebnisse der EsKiMo-Studie zeigten, dass die mediane Vitamin D3-Zufuhr bei Jungen im Alter von 6 bis 11 Jahren bei 1,3 bis 1,5 µg/Tag und bei Mädchen dieser Altersgruppe bei 1,2 bis 1,4  µg/Tag liege. Bei Jungen in Alter von 12 bis 17 Jahren liege die mediane Vitamin D3-Zufuhr bei 1,9 bis 2,5 µg/Tag, bei Mädchen in dieser Altersgruppe bei 1,6 bis 1,8 µg/Tag. Vor dem Hintergrund der Erhöhung des Vitamin D-Referenzwertes von 5 auf 20 µg/Tag sei eine zusätzliche Zufuhr von 1,26 µg/Tag zu gering, um einen nennenswerten Beitrag zu  einer ausreichenden Versorgung mit Vitamin D3 zu gewährleisten. Die Verbraucher erwarteten bei einem mit Vitamin D3 angereicherten diätetischen Lebensmittel, dass das Produkt einen ausreichenden Beitrag zur Nährstoffversorgung leiste. Diese Erwartung werde bei „D. E.“ nicht erfüllt.

Am 30. März 2012 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung verweist sie auf ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren und trägt ergänzend im Wesentlichen  vor, der besondere Nutzen des Produktes für Kinder beruhe insbesondere auf den Stoffen Calcium und Vitamin D. Dass für diese Stoffe ein erhöhtes Bedürfnis bestehe, sei unstreitig. Die Ergebnisse der EsKiMo-Studie zeigten, dass die mediane Vitamin D-Zufuhr bei Mädchen und Jungen im Alter von 6 bis 11 Jahren nur bei 24 bis 36 Prozent des Referenzwertes liege. In dieser Altersgruppe erreiche  das 5. Perzentil der Mädchen nur 2 bis 6 Prozent, das 5. Perzentil der Jungen nur 6 bis 10 Prozent des Referenzwertes. Bei den 12 bis 17-Jährigen liege die mediane Vitamin D-Zufuhr der Mädchen bei 32 bis 36 Prozent, die der Jungen bei 38 bis 50 Prozent des Referenzwertes. In dieser Altersgruppe erreiche  das 5. Perzentil der Mädchen nur 12 bis 14 Prozent, das 5. Perzentil der Jungen nur 16 bis 18 Prozent des Referenzwertes. Die Referenzwerte bei Calcium erreichten nach der Donald-Studie nur die Hochverzehrer von Milchprodukten, während die Moderat- und Niedrigverzehrer deutlich unter diesen Werten lägen. Zwar könne eine Tagesportion des Produktes von 150 ml den Mangel nicht vollständig beheben, dies sei jedoch auch keine Voraussetzung für die Einordnung als Diätetikum. § 1 Abs. 2 Nr. 2 DiätV erfordere lediglich, dass sich das  Lebensmittel für den angegebenen Ernährungszweck „eignen“ müsse. Angegebener Ernährungszweck von „D. E.“ sei die Unterstützung des Knochenaufbaus. Der vollständige Ersatz einer Aufnahme von Vitamin D und Calcium durch die sonstige Ernährung sei nicht der hinter dem Produkt stehende Ernährungszweck. Es solle lediglich ein gezielter Beitrag zur Erhöhung der in der regulären Ernährung mangelhaft vorhandenen Stoffe Vitamin D3 und Calcium erzielt werden. Dass durch den Verzehr einer Portion „D. E.“ der Tagesbedarf an Vitamin D3 nicht gedeckt werde, werde dem Verbraucher durch die auf dem Etikett befindliche Tabelle deutlich aufgezeigt. Dort sei aufgeführt, dass – bezogen auf den alten Referenzwert von 5 µg/Tag – lediglich 25 Prozent des Tagesbedarfes an Vitamin D gedeckt würden. Der Weg über das Diätrecht sei auch deshalb notwendig gewesen, weil die Beklagte bei einer Vitamin D-Konzentration in dem Umfang, wie sie bei dem streitgegenständlichen Saft vorliege, keine Ausnahmegenehmigung als „normales Lebensmittel“ erteilt hätte. Zudem sei eine höhere Vitamin D-Konzentration in dem Produkt problematisch, weil der Grenzaufnahmewert (UL) in einigen Altersgruppen mit 25 µg/Tag sehr nahe an dem D.A.CH.-Referenzwert von 20 µg/Tag  liege. Zu beachten sei, dass bei Calcium nach der Verzehrsempfehlung der Referenzwert teilweise zu 100 Prozent erreicht werde. Ob sich ein Lebensmittel für den angegebenen diätetischen Zweck – hier: „Unterstützung des Knochenaufbaus“ – eigne, sei fachlich-wissenschaftlich zu beurteilen. Die EFSA setzte sich in ihren Stellungnahmen genau mit der Frage auseinander, ob ein bestimmter Stoff besondere Wirkungen hervorrufe, also einen besonderen Ernährungszweck verfolge. Dass über die Stellungnahmen der EFSA hinausgehende wissenschaftliche Nachweise erforderlich seien, fordere die DiätV nicht, die knochenaufbauende Wirkung von Calcium und Vitamin D ergebe sich jedoch auch aus zahlreichen anderen Studien. Die Beklagte verhalte sich widersprüchlich, da vergleichbare Produkte – wie etwa „F. G.“ oder „D. H.“ – seit Jahrzehnten im Verkehr seien.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.  Februar 2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor, zwar bestehe bei Kindern in Bezug auf Vitamin D grundsätzlich ein besonderes Ernährungserfordernis i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 b DiätV, das streitgegenständliche Produkt eigne sich aber im Hinblick auf seine Dosierung nicht für den angegebenen diätetischen Zweck. Auch die German Representative Study of Toddler Alimentation (GRETA-Studie) zeige, dass die Vitamin D-Aufnahme bei Säuglingen ab 6 Monaten und Kleinkindern ab 3 Jahren im Mittelwert weit unter der bislang gültigen Empfehlung von 5 µg/Tag liege. Das Erfordernis einer kontrollierten Aufnahme i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 DiätV beinhalte, dass der aufzunehmende Stoff in qualitativer und quantitativer Hinsicht jeweils den Bedürfnissen angepasst sei. Gleichsinnig sei auch die Forderung des § 7b Abs. 1 DiätV, wonach alle in der Anlage 2 der DiätV aufgeführten Stoffe diätetischen Lebensmitteln in Art und Menge nur so zugesetzt werden dürften, dass diese den besonderen Ernährungserfordernissen der Personengruppen entsprächen, für die sie bestimmt seien. Eine zusätzliche Vitamin D-Zufuhr von 1,26 µg/Tag unterschreite den täglichen Bedarf von bis zu 20 µg deutlich. Die Aufnahme sei daher nicht kontrolliert und dem Bedarf nicht angepasst. Die Anforderungen des § 7b Abs. 1 DiätV seien nicht erfüllt. Die Angaben des Etiketts – „Kinder benötigen ausreichend Calcium und Vitamin D, damit sich ihre Knochen optimal entwickeln können. […].“ – suggerierten dem Verbraucher, dass durch den Verzehr dieses Produktes das besondere Ernährungserfordernis in Bezug auf Vitamin D gestillt und eine ausreichende Versorgung mit diesem Nährstoff gewährleistet werden könne. Nach den Angaben der Klägerin – wonach der Bedarf durch das Produkt nicht zu 100 Prozent gedeckt werden müsse – sei überhaupt nicht beabsichtigt, ein diätetisches Lebensmittel in den Verkehr zu bringen. Es werde nicht einmal versucht, einen besonderen Nutzen aus einer kontrollierten Aufnahme  zu begründen. Aufgrund des geringen Beitrages zur Beseitigung der Unterversorgung mit Vitamin D sei durch die Aufnahmen dieses Lebensmittels kein besonderer Nutzen in Bezug auf die Versorgungssituation gegeben. Auch aus diesem Grund seien die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 DiätV nicht erfüllt. Positive Stellungnahmen der EFSA seien grundsätzlich auch bei der Prüfung der Diäteignung zu berücksichtigen. Solche Stellungnahmen träfen aber lediglich Aussagen über allgemeine physiologische Körperfunktionen und seien daher Grundvoraussetzung für den Nachweis der Diäteignung eines Stoffes. Über den Beleg einer Wirkung eines Stoffes für allgemeine physiologische Stoffwechselprozesse hinaus, müssten diätetische Lebensmittel besonderen, spezifischen Ernährungsbedürfnissen entsprechen. Es sei im Einzelfall zu prüfen, welche physiologischen Umstände vorlägen, die das besondere Ernährungserfordernis bedingten und mit welchen spezifischen diätetischen Maßnahmen diesem Erfordernis entsprochen werden könne. Ein widersprüchliches Verhalten ihrerseits liege nicht vor. Für die Durchführung der Lebensmittelüberwachung seien die Bundesländer zuständig, deren Behörden in ihren Entscheidungen frei seien. Sie sei den Länderbehörden gegenüber nicht weisungsbefugt. Die Diskussion und Entscheidung im Fall „F. G.“ sei unbeachtlich. Dieses Produkt sei, ebenso wie „D. H.“ nicht von ihr geprüft worden, da sie als Behörde erst 2002 gegründet worden sei. Im Übrigen handele es sich – im Vergleich zu „D. E.“ – aufgrund der Inhaltsstoffe nicht um wesentlich gleiche Produkte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Klägerin kann die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 10. Oktober 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2012 nicht beanspruchen. Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beklagte hat ihr zu Recht vorläufig untersagt, ihr Produkt „D. E.“ als diätetisches Lebensmittel in den Verkehr zu bringen.

Rechtsgrundlage für das Verbot ist § 4a Abs. 6 DiätV. Hiernach kann das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit das Inverkehrbringen eines Erzeugnisses als diätetisches Lebensmittel vorläufig untersagen oder mit Auflagen versehen, wenn es auf die Anzeige des Herstellers oder Einführers gemäß § 4a Abs. 1 DiätV festgestellt hat, dass das angezeigte Erzeugnis nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 2 DiätV an ein diätetisches Lebensmittel entspricht.

Die Voraussetzungen von § 4a Abs. 6 DiätV sind gegeben. Das Produkt „D. E.“ der Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 DiätV für ein diätetisches Lebensmittel.

Diätetische Lebensmittel sind nach der allgemeinen Begriffsbestimmung des § 1 Abs. 1 DiätV Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind. Nach § 1 Abs. 2 DiätV sind Lebensmittel für eine besondere Ernährung bestimmt, wenn die Voraussetzungen der Nummern 1 bis 3 erfüllt sind. Danach müssen sie den besonderen Ernährungserfordernissen einer der drei in Nr. 1 a bis c genannten Verbrauchergruppen entsprechen. Als Verbrauchergruppen für diätetische Lebensmittel kommen hiernach in Betracht: bestimmte Gruppen von Personen, deren Verdauungs- oder Resorptionsprozess oder Stoffwechsel gestört ist (Buchstabe a), bestimmte Gruppen von Personen, die sich in besonderen physiologischen Umständen befinden und deshalb einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter in der Nahrung enthaltener Stoffe ziehen können (Buchstabe b) oder gesunde Säuglinge oder Kleinkinder (Buchstabe c). Die Lebensmittel müssen sich des Weiteren für den angegebenen Ernährungszweck eignen und mit dem Hinweis darauf in den Verkehr gebracht werden, dass sie für diesen Zweck geeignet sind (Nr. 2) und sich aufgrund ihrer besonderen Zusammensetzung oder des besonderen Verfahrens ihrer Herstellung deutlich von den Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs unterscheiden (Nr. 3).

„D. E.“ erfüllt die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 DiätV nicht. Insbesondere erfüllt das Produkt nicht die Anforderungen, die sich aus § 1 Abs. 2 Nr. 1b und Nr. 2 DiätV ergeben.

Der Saft richtet sich zwar an die Gruppe der Kinder und damit – i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1b DiätV – an eine bestimmte Gruppe von Personen, die sich in besonderen physiologischen Umständen befindet. Als eine solche Gruppe ist unter anderem die Gruppe der Kinder anerkannt (Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: September 2013, § 1 DiätV Rn. 22). Nach den Auslobungen auf der Rückseite des Etikettes ist „D. E.“ für diese Verbrauchergruppe bestimmt. Das Produkt wird dort als „Diätetischer Mehrfruchtsaft für Kinder […]“ bezeichnet. Der abgedruckte Text und die darunter aufgebrachte Tabelle lassen ebenfalls erkennen, dass sich das Produkt an die Gruppe der Kinder richtet. Der Text behandelt inhaltlich ausschließlich diese Verbrauchergruppe und weist auf den bei Kindern bestehenden Mangel an Calcium und Vitamin D hin. Die Tabelle bezieht sich überwiegend auf die Gruppe der Kinder, indem sie Altersstufen von 1 bis 14 aufführt. Zusätzlich werden Schwangere und Stillende aufgeführt, was aber, angesichts der eindeutigen Aussagen in der Produktbezeichnung und dem abgedruckten Text, nicht zu einer Ausweitung der Verbrauchergruppe führt.

§ 1 Abs. 2 Nr. 1b i.V.m. Nr. 2 DiätV geht in seinen Voraussetzungen, die ein Lebensmittel erfüllen muss, um als diätetisches Lebensmittel zu gelten, jedoch weiter, als dass es für sich genommen bereits ausreichend ist, diejenige Gruppe zu benennen, die sich in besonderen physiologischen Umständen befindet. Das Vorhandensein besonderer physiologischer Umstände allein genügt für die Annahme eines diätetischen Lebensmittels nicht (Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: September 2013, § 1 DiätV Rn. 25b). Darüber hinaus muss die kontrollierte Aufnahme der in dem Produkt enthaltenen Stoffe auch zu einer nicht unerheblichen Verbesserung derjenigen Umstände führen, aufgrund derer bei einer bestimmten Personengruppe das besondere Ernährungserfordernis besteht. Schon der Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 1 b DiätV verdeutlicht, dass allein die Tatsache, dass sich eine Personengruppe in besonderen physiologischen Umständen befindet und das Produkt für diese Gruppe gedacht ist, nicht dazu führen kann, dass ein Lebensmittel als Diätetikum einzustufen ist. So fordert § 1 Abs. 2 Nr. 1 b DiätV im Hinblick auf die Verbrauchergruppe, der das besondere Ernährungserfordernis entsprechen muss „bestimmte Gruppen von Personen, die sich in besonderen physiologischen Umständen befinden und deshalb einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter in der Nahrung enthaltener Stoffe ziehen können“. Der Zweite Halbsatz der Vorschrift spricht dafür, dass der Verordnungsgeber hier über die Benennung einer bestimmten Personengruppe hinaus zusätzliche Voraussetzungen schaffen wollte. Dies wird zunächst anhand der Einleitung des zweiten Satzteils mittels der Wörter „und deshalb“ deutlich. Diese Wortwahl spricht dafür, dass für den Eintritt der Rechtsfolge über das Vorhandensein einer Verbrauchergruppe hinaus, kumulativ weitere Voraussetzungen vorliegen müssen. Dass dies erforderlich ist, ergibt dann auch der Sinngehalt des zweiten Satzteils selbst. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 1 b DiätV sollen dem Wortlaut nach nur dann erfüllt sein, wenn die Personengruppen aufgrund ihres physiologischen Umstandes „einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter, in der Nahrung enthaltener Stoffe ziehen können“. Dies bedeutet zum einen, dass der physiologische Umstand der Personengruppe für sich betrachtet den Tatbestand nicht erfüllen kann. Hinzutreten muss vielmehr ein „besonderer Nutzen“, also eine positive Wirkung in Bezug auf den physiologischen Umstand. Dass hierbei nicht jeglicher – gegebenenfalls auch minimaler – Nutzen, unabhängig von seinem tatsächlichen Wirkungsgrad ausreichend sein kann, wird dadurch deutlich, dass es sich um einen besonderen Nutzen handeln muss. Des Weiteren muss die Personengruppe den „besonderen Nutzen“ aus einer „kontrollierten Aufnahme“ ziehen können. Dieses Erfordernis stellt eine Einschränkung dar. Der Stoff muss für den jeweiligen Umstand in qualitativer oder quantitativer Hinsicht bedeutsam sein. Unter kontrollierter Aufnahme ist nicht eine ständige Kontrolle durch einen Arzt mit regelmäßiger Überprüfung der Wirkung zu verstehen. Die Beachtung der Gebrauchs- und Dosierungsanweisungen des Herstellers muss genügen (Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: September 2013, § 1 DiätV Rn. 25b).

In eben diese Richtung geht auch § 1 Abs. 2 Nr. 2 DiätV. Nach dieser Vorschrift muss sich das Lebensmittel für den angegebenen Ernährungszweck eignen. Bei verständiger Würdigung ist daraus abzuleiten, dass es dem Zweck zumindest dienlich sein bzw. einen nicht ganz unerheblichen Beitrag zur Erreichung dieses Zweckes leisten muss. Nicht geeignet, sind dagegen Lebensmittel, die nur einen unwesentlichen Beitrag zur Erreichung des Ernährungszweckes leisten. Der Verzehr diätetischer Lebensmittel erfolgt regelmäßig in der Erwartung, einen zumindest spürbaren Erfolg im Hinblick auf das besondere Ernährungserfordernis zu erzielen, der sich mit der normalen Nahrung nicht in gleicher Weise erreichen ließe. Dies zugrunde gelegt, kann sich ein Lebensmittel nur dann für den angegebenen Ernährungszweck eignen, wenn es dieser Erwartung gerecht wird. Erforderlich ist daher, dass die sich aus dem besonderen physiologischen Umstand ergebenen Auswirkungen abgemildert oder beseitigt werden. Bewirkt ein Lebensmittel hingegen – etwa im Hinblick auf einen Mangelzustand – lediglich, dass die Konzentration des im Körper mangelhaft vorhandenen Stoffes durch den Verzehr leicht angehoben wird, ohne aber den Mangel selbst zumindest merklich zu reduzieren, ist es nicht geeignet i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 2 DiätV.

Für eine derartige Auslegung sprechen auch systematische Gesichtspunkte. Nach § 7b Abs. 1 Satz 1 DiätV dürfen alle in den Anlagen 2 und 9 aufgeführten Stoffe diätetischen Lebensmitteln in Art und Menge nur so zugesetzt werden, dass diese den besonderen Ernährungserfordernissen der Personengruppe entsprechen, für die sie bestimmt sind. Die Vorschrift ist einschlägig, die hier in Rede stehenden Stoffe – Calciumcluconat und Vitamin D3 – sind in der Anlage 2 aufgeführt. Die Bezugnahme auf „Art und Menge“, die den Ernährungserfordernissen der Gruppe entsprechen müssen, verdeutlicht, dass sowohl die inhaltliche Zusammensetzung des Lebensmittels, als auch die konkrete Dosierung auf das jeweilige Bedürfnis abgestimmt sein müssen. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn sich eine Gruppe in besonderen physiologischen Umständen befindet, ihre Mitglieder aber – z.B. aufgrund einer zu geringen Dosierung – mit dem Verzehr des Lebensmittels keine oder nur eine unerhebliche Verbesserung ihrer Situation erzielen können. Ist dies der Fall, entsprechen die zugeführten Stoffe nicht dem besonderen Ernährungserfordernis der Personengruppe. Es ist – im Hinblick auf die Anforderungen an diätetische Lebensmittel – davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber bei § 1 Abs. 2 Nr. 1b und Nr. 2 DiätV einerseits und bei § 7b Abs. 1 Satz 1 DiätV andererseits einheitliche Maßstäbe setzen wollte. Dies gilt schon deshalb, weil es sich um Vorschriften innerhalb eines Regelungswerkes – der DiätV – handelt.

Dafür, dass ein diätetisches Lebensmittel nur dann vorliegt, wenn bei einer kontrollierten Aufnahme auch eine nicht unerhebliche Verbesserung derjenigen Besonderheiten eintritt, die bei der Verbrauchergruppe gerade aufgrund ihres physiologischen Zustandes bestehen, sprechen auch die europarechtlichen Grundlagen der DiätV. In der Richtlinie 89/398/EWG des Rates vom 3. Mai 1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind (RL 89/398/EWG), auf der die DiätV weitgehend beruht, heißt es in Erwägungsgrund Nr. 4: „Die unter diese Richtlinie fallenden Erzeugnisse sind Lebensmittel, deren Zusammensetzung und Herstellung besonders beschaffen sein müssen, damit sie den besonderen Ernährungsbedürfnissen des Personenkreises entsprechen, für den sie in erster Linie bestimmt sind.“ Einem Ernährungsbedürfnis „entspricht“ ein Produkt aber jedenfalls dann (noch) nicht, wenn es keine erhebliche Verbesserung des körperlichen Zustandes nach sich zieht. § 7b Abs. 1 Satz 1 DiätV beruht auf der Richtlinie 2001/15/EG der Kommission vom 15. Februar 2001 über Stoffe, die Lebensmitteln, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, zu besonderen Ernährungszwecken zugefügt werden dürfen (RL 2001/15/EG). Im Erwägungsgrund Nr. 1 dieser Richtlinie heißt es unter anderem: „Einige Stoffe wie Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren und andere können Lebensmitteln für eine besondere Ernährung zugefügt werden, um sicherzustellen, dass die besonderen ernährungsphysiologischen Bedürfnisse der Personen, für die diese Lebensmittel bestimmt sind, erfüllt werden, […].“ „Erfüllt“ ist ein besonderes ernährungsphysiologisches Bedürfnis aber jedenfalls dann nicht, wenn der Verzehr des Lebensmittels nur zu einer unerheblichen Anhebung der Stoffkonzentration im Körper führt, ohne die Situation der Verbrauchergruppe merklich zu verbessern.

Schließlich spricht auch die notwendige Abgrenzung zwischen diätetischen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln für eine solche Auslegung der DiätV. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1  und Nr. 2 der Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel (NemV) ist ein Nahrungsergänzungsmittel ein Lebensmittel, das dazu bestimmt ist, die allgemeine Nahrung zu ergänzen (Nr. 1), ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung allein oder in Zusammensetzung darstellt (Nr. 2). Im Gegensatz zu einem diätetischen Lebensmittel ist es nach dieser Definition bei einem Nahrungsergänzungsmittel ausreichend, dass ihm überhaupt eine physiologische Wirkung zukommt. Einen positiven Effekt auf ein bestehendes Ernährungserfordernis fordert die NemV nicht. Hier verläuft die Grenze zu den diätetischen Lebensmitteln, welche einen besonderen Nutzen bzw. die Eignung im Hinblick auf die besonderen Bedürfnisse der jeweiligen Verbrauchergruppe voraussetzen.

Diese Maßstäbe sind bei „D. E.“ nicht erfüllt. Die Gruppe der Kinder kann aufgrund ihrer physiologischen Begebenheiten keinen besonderen Nutzen aus der Aufnahme von Vitamin D und Calcium in der bei dem Produkt empfohlenen Dosierung ziehen. „D. E.“ ist für den angegebenen Ernährungszweck nicht geeignet.

Der D.A.CH.-Referenzwert bei Vitamin D liegt für die Gruppe der Kinder bei 20 µg/Tag. Nach der EsKiMo-Studie bestehen bei Vitamin D für diese Gruppe folgende mediane Zufuhrmengen:

Jungen

Mädchen

6 Jahre

1.4 µg/Tag

1.3 µg/Tag

7 bis 9 Jahre

1.3 µg/Tag

1.2 µg/Tag

10 bis 11 Jahre

1.5 µg/Tag

1.4 µg/Tag

12 Jahre

1.9 µg/Tag

1.8 µg/Tag

13 bis 14 Jahre

2.0 µg/Tag

1.6 µg/Tag

Nach der von der Klägerin empfohlenen täglichen Verzehrmenge von 150 ml „D. E.“ erhält die Verbrauchergruppe der Kinder zusätzlich 1,26 µg/Tag Vitamin D3. Diese Menge ist nicht ausreichend, um dem besonderen Ernährungserfordernis der Gruppe zu entsprechen, bzw. dieses sogar zu erfüllen. Zwar wird die Vitamin D-Zufuhr durch den Verzehr des Produktes leicht gesteigert, dies ist jedoch nicht ausreichend. Erforderlich wäre ein nicht unerheblicher Beitrag des Produktes in Bezug auf die mangelnde Vitamin D-Versorgung und, damit einhergehend, positive Auswirkungen auf das Knochenwachstum der Kinder. Dies ist bei der ausgelobten Dosierung nicht erkennbar. Die mangelnde Versorgung mit Vitamin D bleibt auch bei einem Verzehr des Produktes nahezu unverändert. Auszugehen ist hierbei von dem D.A.CH.-Referenzwert in Höhe von 20 µg/Tag. Bei dieser Zufuhrmenge ist ein optimaler Nutzen des Stoffes Vitamin D für das Knochenwachstum anzunehmen. Gemessen an diesem Wert läge die Vitamin D-Versorgung aller Kinder auch bei einem Verzehr des Produktes weiterhin deutlich unter 20 Prozent. Unter Berücksichtigung der derzeitigen medianen Zufuhrmengen würden Jungen im Alter von 13 bis 14 Jahren mit „D. E.“ auf eine Zufuhrmenge von 3,26 µg/Tag und damit auf 16,3 Prozent des Referenzwertes kommen. Alle anderen Kinder lägen noch unter diesem Wert. Die Gruppe der 7 bis 9-jährigen Mädchen würde – auch mit dem Produkt – nur 12,3 Prozent des Referenzwertes erreichen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht deshalb, weil als Ernährungszweck auf dem Etikett für die Vorderseite (nur) die „Unterstützung des Knochenaufbaus“ angegeben ist und aus der rückseitigen Tabelle ersichtlich wird, dass der Tagesbedarf an Vitamin D durch das Produkt nur zu 25 Prozent erfüllt wird. Zu beachten ist diesbezüglich zum einen, dass sich die Prozentangaben der Tabelle – wie die Klägerin selbst vorträgt – noch auf den alten D.A.CH.-Referenzwert von 5 µg/Tag beziehen. Die Angabe in der Tabelle ist daher nicht mehr richtig, die Vitamin D-Versorgung der Gruppe der Kinder liegt insgesamt, gemessen an dem neuen Referenzwert von 20 µg/Tag, auch beim Verzehr des Produktes deutlich darunter. Entscheidend ist aber, dass bei der vorliegenden Dosierung auch der angegebene Ernährungszweck nicht erreicht wird. Die medianen Zufuhrmengen bei Vitamin D liegen bei Kindern ohne zusätzliche Aufnahme zwischen 6 und 10 Prozent. Die zusätzliche Aufnahme dieses Stoffes aus „D. E.“ führt dazu, dass 12,3 bis 16,3 Prozent des Referenzwertes erreicht werden. Eine relevante „Unterstützung des Knochenaufbaus“ ist angesichts dieser Werte nicht zu erwarten. Der Vitamin D-Mangel wird durch das Produkt nicht in beachtlicher Weise behoben, sondern besteht auch im Falle seines Verzehrs fort. Aufgrund dieser Tatsache wird auch die Beeinträchtigung des Knochenaufbaus durch das Produkt nicht erheblich abgemildert oder gar behoben. Genau dies wäre aber für die Einstufung als diätetisches Lebensmittel notwendig.

Soweit die Klägerin vorträgt, ihr Produkt „D. E.“ hätte mit der  bestehenden Vitamin D-Konzentration keine Ausnahmegenehmigung als „normales Lebensmittel“ bekommen und der Weg über das Diätrecht sei daher notwendig gewesen, führt dies zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Die Kammer vermag dieser Argumentation schon deshalb nicht zu folgen, weil sie auf einer hypothetischen Grundlage basiert. Die Klägerin hat diese Genehmigung nicht beantragt und die Beklagte hat – wie in der mündlichen Verhandlung dargelegt – ein solches Verfahren in der Vergangenheit nicht durchgeführt. Nach ihren Angaben ist die Rechtslage in Bezug auf den hier gegenständlichen Saft nicht klar.

Wenn die Klägerin vorträgt, dass eine höhere Anreicherung des Produktes mit Vitamin D deshalb problematisch sei, weil der UL in einigen Altersgruppen nur knapp über dem D.A.CH.-Referenzwert liege, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Die höchste tägliche Zufuhrmenge an Vitamin D bei Verzehr des Produktes erreichen Jungen im Alter von 13 bis 14 Jahren mit 3,26 µg/Tag. In Anbetracht des D.A.CH.-Referenzwertes von 20 µg/Tag und der auch bei den Aufnahmemengen der 13 bis 14-jährigen Jungen noch bestehenden großen Differenz zu diesem Wert, erschließt sich der Kammer nicht, aus welchen Gründen die Klägerin an einer höheren Anreicherung gehindert wäre. Die Kammer braucht hierbei nicht zu entscheiden, ob im Falle von „D. E.“ ein diätetisches Lebensmittel nur dann vorliegt, wenn der Referenzwert von Vitamin D durch den Verzehr (vollständig) erreicht wird oder ob der diätetische Zweck im Hinblick auf den bestehenden Vitamin D-Mangel schon bei einer erheblichen Anhebung der Stoffkonzentration bejaht werden kann. Jedenfalls in der zweiten Alternative könnte ein Sicherheitsabstand zum UL unproblematisch eingehalten werden. Im Falle von „D. E.“ stellt sich diese Frage aber schon deshalb nicht, weil sich die Vitamin D-Konzentration der Verbraucher des Produktes durch den Verzehr gerade nicht erheblich, sondern nur ganz geringfügig erhöht. Dies ist nach Auffassung der Kammer aber keinesfalls ausreichend.

Bei Calcium bestehen für die Gruppe der Kinder folgende D.A.CH.-Referenzwerte:

1 bis 4 Jahre

   600 mg/Tag

4 bis 7 Jahre

   750 mg/Tag

7 bis 10 Jahre

   900 mg/Tag

10 bis 13 Jahre

1.100 mg/Tag

13 bis 15 Jahre

1.200 mg/Tag

Nach der EsKiMo-Studie bestehen bei Calcium für diese Gruppe folgende mediane Zufuhrmengen:

Jungen

Mädchen

6 Jahre

    820 mg/Tag

   716 mg/Tag

7 bis 9 Jahre

    887,4 mg/Tag

   824,1 mg/Tag

10 bis 11 Jahre

   908,0 mg/Tag

   871,2 mg/Tag

12 Jahre

1.192,2 mg/Tag

1.073,4 mg/Tag

13 bis 14 Jahre

1.317,0 mg/Tag

1.204,4 mg/Tag

15 bis 17 Jahre

1.524,8 mg/Tag

1.259,5 mg/Tag

Nach der von der Klägerin empfohlenen täglichen Verzehrmenge von 150 ml „D. E.“ erhält die Verbrauchergruppe der Kinder zusätzlich 200 mg Calcium pro Tag. Ein besonderes Ernährungserfordernis – in Form einer Unterstützung des Knochenaufbaus – besteht in dieser Dosierung bei der Gruppe der Kinder insgesamt nicht. Der Großteil dieser Verbrauchergruppe wird aus der Aufnahme von zusätzlichen 200 mg Calcium pro Tag keinen positiven Effekt für den Knochenaufbau ziehen können. Alle Kinder ab 12 Jahren erreichen die Referenzwerte bei Calcium bereits ohne zusätzlich Aufnahme des Stoffes. Gleiches gilt für die Gruppe der 6-jährigen Kinder, in der die Jungen bereits ohne zusätzliche Aufnahme über dem Referenzwert und die Mädchen nur 34 mg/Tag unter diesem Wert liegen. Bei den 7 bis 9-jährigen Kindern liegen die Jungen ohne zusätzliche Aufnahme von Calcium nur 12,6 mg/Tag unter dem Referenzwert. Die Mädchen dieser Altersgruppe liegen 75 mg/Tag darunter. Einen besonderen Nutzen aus dieser Dosierung ziehen lediglich die 10 bis 11-jährigen Kinder, die aufgrund der zusätzlichen Aufnahme von 200 mg/Tag mit ihrer Calciumzufuhr ungefähr den Bereich des Referenzwertes erreichen.

Auf die Stellungnahmen der EFSA zu Calcium und Vitamin D kommt es nicht mehr entscheidend an. Unabhängig davon, ob sie sie grundsätzlich bei der Prüfung der Diäteigenschaft eines Lebensmittels heranzuziehen sind, können sie den erforderlichen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme der Stoffe bzw. die Eignung von „D. E.“ für den angegebenen Ernährungszweck nicht begründen. Die Stellungnahmen vermögen den Umstand, dass das Produkt in seiner Dosierung bei Vitamin D keinen ausreichenden Beitrag für den Ernährungszweck, leistet nicht zu verändern und setzen sich mit dieser speziellen Frage auch nicht auseinander. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Gruppe der Kinder in Bezug auf Calcium kein besonderes Ernährungserfordernis hat.

Da „D. E.“ bereits nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 DiätV entspricht, braucht die Kammer nicht zu entscheiden, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 DiätV erfüllt sind.

Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Das Ermessen der Beklagten war nicht über Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)  aufgrund vergleichbarer Entscheidungen dahingehend reduziert, im Falle von „D. E.“ von einer vorläufigen Untersagung des Inverkehrbringes abzusehen. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG scheidet – unabhängig von der Frage nach den jeweiligen Inhaltsstoffen – schon deshalb aus, weil die angeführten Produkte nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten nicht durch diese auf ihre Diäteigenschaft geprüft worden sind. Eine Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG liegt aber nur dann vor, wenn die Vergleichsfälle der gleichen Stelle zuzuordnen sind. Daran fehlt es, wenn die beiden Sachverhalte von zwei verschiedenen Trägern öffentlicher Gewalt gestaltet werden; der Gleichheitssatz bindet jeden Träger öffentlicher Gewalt allein in dessen konkreten Zuständigkeitsbereich (Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl., Art. 3 Rn. 9 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) und legt den anwaltlich mitgeteilten Jahresgewinn zugrunde (VG Braunschweig, B.v. 15.12.2009 - 5 A 240/08).