Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 07.11.2007, Az.: 11 A 147/06

Asyl; Aufenthaltserlaubnis; Ausländer; deutsche Sprache; Deutschkenntnisse; Ehegatte; Ehegattennachzug; Nachzug; Rückwirkung; Sprache; Sprachkenntnis; Vertrauensschutz

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
07.11.2007
Aktenzeichen
11 A 147/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 71845
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, wonach der Ehegattennachzug voraussetzt, dass sich der Ehegatte zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann, findet mangels Übergangsregelung auch in Verfahren Anwendung, die vor dem Inkrafttreten der Vorschrift am 28. August 2007 anhängig geworden sind. Dies ist mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar.

Tatbestand:

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Der am 28. Oktober 1978 geborene Kläger ist vietnamesischer Staatsangehörige.

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Er reiste Ende April 2004 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylbegehren ist mit unanfechtbarem Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. Juli 2004 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden. Am 24. September 2004 heiratete er die vietnamesische Staatsangehörige Frau H. (geb. am 5. September 1948), die bis zum 2. Februar 2007 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war. Mit Urteil vom heutigen Tage (11 A 1052/07) ist die Beklagte vom erkennenden Gericht verpflichtet worden, ihre Aufenthaltserlaubnis weiter zu verlängern. Der Kläger wird von der Beklagten derzeit geduldet.

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Am 30. August 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

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Mit Bescheid vom 19. Dezember 2005 lehnte die Beklagte dies ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Lebensunterhalt des Klägers sei nicht gesichert, da er Leistungen nach dem AsylbLG beziehe. Außerdem besitze er auch keinen Pass. Es könne ihm auch keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werden, weil die Ehe mit Frau H. auch in Vietnam geführt werden könne.

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Am 4. Januar 2006 hat der Kläger Klage erhoben.

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Er trägt im Wesentlichen vor: Über seinen Antrag bei der Vietnamesischen Botschaft auf Ausstellung eines Nationalpasses sei noch nicht entschieden worden. Seit Juli 2006 habe er in dem China-Imbiss „L“ für einen Bruttolohn in Höhe von 760,-- € monatlich gearbeitet. Ab Juni 2007 habe er dort nicht mehr weiter tätig sein können, weil er keine Arbeitserlaubnis mehr bekommen habe. Er könne im China-Imbiss „Zum D.“ für eine Tätigkeit als Koch nunmehr pro Monat ein Einkommen in Höhe von 1 210,-- € brutto erzielen. Er könne mit seiner Ehefrau nicht gemeinsam in das Heimatland zurückkehren. Die notwendige ärztliche und medikamentöse Versorgung ihrer Erkrankungen sei im Heimatland nicht gesichert. Die Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG in der seit Ende August 2007 geltenden Fassung verstoße in seinem Falle gegen den ihm zuzubilligenden Vertrauensschutz.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären hilfsweise aus humanitären Gründen erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie erwidert im Wesentlichen: Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Kläger noch keinen Pass erhalten habe. Er habe in der Vietnamesischen Botschaft geheiratet. Seine Identität sei auch durch seinen Personalausweis geklärt. Sein Lebensunterhalt sei nicht gesichert. Dem Kläger sei zuletzt eine weitere Erwerbstätigkeit nicht gestattet worden. Nunmehr habe auch seine Ehefrau keinen Aufenthaltstitel mehr, so dass er von ihr keine Rechte mehr ableiten könne. Trotz Aufforderung in den Schreiben vom 7. und 24. Mai 2007 habe die Ehefrau des Klägers eine Schweigepflichtentbindungserklärung nicht erteilt, so dass ihre amtsärztliche Untersuchung nicht möglich sei. Ihre Mutter lebe zudem mit zwei Halbgeschwistern der Ehefrau in Vietnam. Der Kläger selbst habe vier Brüder und fünf Schwestern. Durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zeige die Ehefrau, dass sie in der Lage sei, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.

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Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens und des Rechtsstreits 11 A 1052/07 sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln nach einhelliger Rechtsprechung der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. etwa: BVerwG, Urteil vom 22. Januar 2002 - 1 C 6.01 - BVerwGE 115, 352 <354>).

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Einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen steht jedenfalls § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG in der seit dem 28. August 2007 auf Grund des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) geltenden Fassung entgegen. Danach setzt der Ehegattennachzug voraus, dass sich der Ehepartner zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Das Vorliegen einer der in § 30 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aufgeführten Ausnahmefälle, in denen von dem Spracherfordernis abzusehen ist, ist nicht erkennbar.

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Die danach notwendige Fähigkeit, sich hier zumindest in rudimentärer Weise verständigen zu können (vgl. BR-Drs. 224/07, S. 299), besitzt der Kläger ersichtlich nicht. Er hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass er sich nicht in der deutschen Sprache zu artikulieren vermag.

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Die in der mündlichen Verhandlung gegen die Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG geltend gemachten verfassungsrechtlichen Einwände greifen nicht durch. Insbesondere verstößt es nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes, dass die Vorschrift ohne Übergangsregelung auch bei bereits vor ihrem Inkrafttreten begonnenen Verfahren zur Anwendung kommt.

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Hierdurch wird nicht in bereits abgeschlossene Tatbestände eingegriffen, so dass ein Fall der grds. mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbaren sog. echten Rückwirkung nicht vorliegt. Vielmehr kommt § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erst seit Inkrafttreten des oben genannten Änderungsgesetzes zur Anwendung. Ein solche sog. unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich zulässig, sofern eine Abwägung der mit der Vorschrift verfolgten öffentlichen Interessen mit dem enttäuschten Vertrauen des Betroffenen ergibt, dass das Wohl der Allgemeinheit überwiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 24.06 - NVwZ 2007, 1201 <1204>).

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Mit dem Erfordernis einfacher Sprachkenntnisse soll dem Ehegatten eines in Deutschland lebenden Ausländers u.a. die Integration in das Bundesgebiet erleichtert werden. Ihm wird hierdurch die Teilnahme am hiesigen Sozialleben eröffnet (vgl. BR-Drs. 224/07, S. 298 f.). Mithin wird das zentrale gesetzgeberische (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 4 AufenthG) und auch gesellschaftlich als dringend anerkannte Anliegen gefördert, die in Deutschland ansässigen Ausländern an die hiesigen Lebensverhältnisse heranzuführen. Damit kann der nicht mehr akzeptablen Bildung von abgeschotteten sog. Parallelgesellschaften erheblich entgegengewirkt werden.

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Der Fall des Klägers beleuchtet den gegenwärtigen unbefriedigenden Zustand der Ausländerintegration plastisch. Er ist auch 3 ½ Jahre nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage, sich in deutscher Sprache verständlich zu machen, und damit vom hiesigen gesellschaftlichen Leben praktisch ausgeschlossen. Er ist auf die Hilfe seiner hier lebenden Landsleute angewiesen, zumal auch seine Ehefrau nach 16-jährigem Aufenthalt in Deutschland die deutsche Sprache nicht beherrscht.

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Ein überwiegender Vertrauensschutz der Ehegatten, die bereits vor dem 28. August 2007 einen Antrag auf Familiennachzug gestellt haben, besteht angesichts dieser überragend wichtigen Allgemeininteressen nicht. Dabei sei auch darauf hingewiesen, dass es Art. 7 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2003/86/EG vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung den Mitgliedstaaten seit dem Inkrafttreten am 4. Oktober 2003 ermöglicht, von den nachzugswilligen Ehegatten bereits vor der Einreise Integrationsmaßnahmen zu verlangen.

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Ob die übrigen Voraussetzungen für einen Ehegattennachzug nach § 30 AufenthG erfüllt sind, bedarf danach keiner gerichtlichen Prüfung.

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Der Kläger hat im Hinblick auf seine Eheschließung auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer auch abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.

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Rechtlich unmöglich kann eine Ausreise etwa dann sein, wenn sich dies aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 6 GG oder Völkervertragsrecht (hier: Art. 8 EMRK) ergibt (vgl. grds. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 - InfAuslR 2007, 4 <6>). Hierbei ist eine Abwägung zwischen diesen Belangen und den für eine Aufenthaltsbeendigung sprechenden Gesichtspunkten vorzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997 - 1 C 9.95 - BVerwGE 105, 35 <43 f.>; OVG Lüneburg, Urteil vom 29. November 2005 - 10 LB 84/05 - juris <Rn. 40>).

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Hier ist ein Überwiegen des Interesses des Klägers und seiner Ehefrau an einem Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland nicht festzustellen. Es ist davon auszugehen, dass es ihnen als abgelehnten Asylbewerbern zumutbar ist, die Ehe auch im Heimatland zu führen. Es bestehen auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass hinsichtlich der Ehefrau des Klägers wegen ihrer Erkrankungen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht, für deren Beurteilung die Beklagte allerdings hier gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 AsylVfG zuständig ist. Die Ehefrau des Klägers hat zwar einen Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. A. W, vom 12. April 2007 vorgelegt, wonach sie an Diabetes mellitus Typ II und Depressionen leide. Welche Medikamente oder ärztlichen Behandlungen erforderlich sind, ergibt sich hieraus jedoch nicht. Die Ehefrau des Klägers hat der zweimalige Bitte der Beklagten (Schreiben vom 7. und 24. Mai 2007), eine Schweigepflichtentbindungserklärung zu unterzeichnen, um eine Überprüfung durch den Amtsarzt zu ermöglichen, nicht entsprochen. Im Übrigen leben, wie die Beklagte zutreffend vorgetragen hat, in Vietnam Verwandte des Klägers und der Ehefrau; die Eheleute können sich dort zudem gegenseitig unterstützen. Die Ehefrau des Klägers ist inzwischen auch berufstätig. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass in Vietnam grundsätzlich die Behandlung der meisten Krankheitsbilder möglich ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 3. Mai 2007, S. 17).