Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 15.01.2003, Az.: 3 A 109/01
Bestandskraft; Einstellungsteilzeit; Rücknahme; Wiederaufgreifen des Verfahrens; Änderung der Sach- und Rechtslage
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 15.01.2003
- Aktenzeichen
- 3 A 109/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48336
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 33 Abs 2 GG
- Art 33 Abs 5 GG
- § 51 Abs 1 VwVfG
- § 80c Abs 1 BG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ist die bei Einstellung des Beamten ergangene befristete Teilzeitverfügung bestandskräftig geworden, hat dieser vor Ablauf der Befristung keinen Anspruch auf Vollzeitbeschäftigung.
Werden von Dritten angefochtene Teilzeitverfügungen durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung als rechtswidrig angesehen, begründet dies keine Änderung der Rechtslage im Sinn des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG.
Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Dienstherr die Ablehnung der Rücknahme der Teilzeitverfügung gemäß § 48 VwVfG mit von ihm durch weitergehende Stellenbesetzungen getroffene Dispositionen begründet und dadurch in diesen Fällen der Stabilität der Verwaltungsentscheidung und der Rechtssicherheit Vorrang vor der materiellen Gerechtigkeit einräumt. Dies gilt umso mehr, als eine Rücknahme dem Beamten mit dem Vollzeitstatus die vollen Dienstbezüge gewährte, ohne dass der Beamte ein diesem Status entsprechendes Dienstleistungsäquivalent nachzuleisten hätte; auch dieses Ergebnis stünde zu dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit in Widersprpuch.
Tatbestand:
Die Beklagte stellte die Klägerin mit Wirkung vom 01.02.1998 als Lehrerin z. A. in den niedersächsischen Schuldienst ein und bestimmte durch Verfügung vom 27.01.1998, dass die Klägerin für die Dauer von 4 Jahren durchschnittlich regelmäßig mit 3/4 der Regelstundenzahl (20/26,5 Stunden) beschäftigt werde. Mit Schreiben vom 22.10.1998 teilte die Beklagte der Klägerin mit, vom 01.01.1999 an erhöhe sich die Mindestarbeitszeit; für den Kreis der seit ihrer Einstellung Teilzeitbeschäftigten, zu dem auch die Klägerin gehöre, könne die Höchststundenzahl bis zur Umwandlung des Teilzeitbeamtenverhältnisses in eine Vollbeschäftigung auf - für die Klägerin - 21 Wochenstunden (später korrigiert in 21,5 Wochenstunden) angehoben werden. Dieses Angebot nahm die Klägerin mit Schreiben vom 04.11.1998 an. Dementsprechend setzte die Beklagte durch Bescheid vom 20.11.1998 die Arbeitszeit der Klägerin auf durchschnittlich regelmäßig 21,5 Wochenstunden fest.
Mit Schreiben vom 10.04.2000 beantragte sie die Umwandlung ihres Teilzeitbeamtenverhältnisses in eine Vollbeschäftigung mit Beginn des Schuljahres 2000/01. Durch Bescheid vom 12.09.2000 lehnte die Beklagte den Antrag mit folgender Begründung ab: Die Klägerin vor Ablauf des für die Teilzeitbeschäftigung festgesetzten Zeitraumes in ein Beschäftigungsverhältnis mit voller Regelstundenzahl zu überführen bestehe schon deshalb kein Anlass, weil die Einstellungsverfügung rechtmäßig sei; die zum hessischen Landesrecht ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.03.2000 - 2 C 1.99 - stütze den Anspruch der Klägerin nicht. Im Übrigen sei es auch im Falle einer Rechtswidrigkeit der Einstellungsverfügung nicht geboten, die Klägerin vorzeitig in den Status der Vollzeitbeschäftigung zu versetzen. Rückwirkend auf den Zeitpunkt der Einstellung, wie die Klägerin es begehre, sei dies ohnehin tatsächlich nicht möglich. Für die Zukunft dürfe die Klägerin an der getroffenen Regelung festgehalten werden. Fast 1.900 Lehrkräfte in Niedersachsen seien in einer ähnlichen Lage wie die Klägerin. Die Umwandlung ihres Arbeitszeitstatus würde mit dem mit der Teilzeitbeschäftigung verfolgten Ziel des Abbaues der Lehrerarbeitslosigkeit durch vermehrte Neueinstellung kollidieren. Dagegen legte die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten Widerspruch ein, den die Beklagte mit Bescheid vom 13.02.2001 zurückwies. Seit dem 01.08.2001 wird die Klägerin mit voller Stundenzahl beschäftigt.
Die Klägerin hat frist- und formgerecht Klage erhoben. Sie trägt vor: Eine Teilzeitbeschäftigung von Beamten gegen ihren auf volle Beschäftigung gerichteten Willen verkürze den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf vollen amtsangemessenen Unterhalt. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.03.2000 - 2 C 1.99 - habe eine Änderung der Rechtslage bewirkt mit der Folge, dass die Beklagte gemäß § 51 Nr. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - das Verwaltungsverfahren zur Entscheidung über ihren Arbeitszeitstatus wieder aufzugreifen habe. Die Aufrechterhaltung der rechtswidrig festgelegten Arbeitszeit sei schlechterdings unerträglich. Die Berufung der Beklagten auf die Unanfechtbarkeit der Einstellungsverfügung verstoße gegen die guten Sitten und Treu und Glauben.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 12.09.2000 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 13.02.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie besoldungs- und versorgungsrechtlich so zu stellen, als wäre sie vom 01.02.1998 an mit voller Stundenzahl beschäftigt gewesen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO auszusetzen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch so gestellt zu werden, als sei sie seit ihrem Dienstantritt oder - als wesensgleiches Minus in ihrem Begehren enthalten - seit der Stellung ihres Antrages, mit voller Stundenzahl beschäftigt zu werden, nicht teilzeitbeschäftigt gewesen. Zwar war die Anordnung der Teilzeitbeschäftigung der Klägerin rechtswidrig, weil § 80 c NBG als die zur Anordnung der Einstellungsteilzeit ermächtigende Norm in der nach den Maßstäben übergeordneten Rechts (Art. 33 Abs. 2 und 5 GG) gebotenen Auslegung eine Anordnung der Einstellungsteilzeit gegen den Willen des oder der Betroffenen nicht zulässt (OVG Lüneburg, U. v. 13.12.2001 - 5 LB 2723/01 -) und die Klägerin eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit vom Zeitpunkt ihrer Berufung in das Beamtenverhältnis an nicht beantragt hat. Aus der Rechtswidrigkeit der Anordnung der Teilzeitbeschäftigung kann die Klägerin jedoch keinen Anspruch darauf herleiten, dass die Beklagte den Bescheid vom 27.01.1998 rückwirkend auf den Zeitpunkt ihrer Einstellung oder des Eingangs ihres Antrages vom 10.04.2000 bei der Beklagten aufhebt und dadurch den Weg freimacht zu einer Nachzahlung von Bezügen und einer Erweiterung ihrer Versorgungsanwartschaft. Die Beklagte darf die Klägerin an der Bestandskraft der angegriffenen Regelung festhalten.
Für ein Wiederaufgreifen des (Einstellungs-)Verfahrens mit dem Ziel, eine rechtmäßige Verwaltungsentscheidung zum Arbeitszeitstatus der Klägerin herbeizuführen, fehlt es bereits an den gesetzlichen Tatbestandvoraussetzungen. Von den in § 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - abschließend aufgeführten Gründen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist allenfalls die Regelung zu Nr. 1 in den Blick zu nehmen, wonach eine Wiederaufnahme in Betracht kommt, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vom 02.03.2000 - 2 C 1.99 -) wie auch das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (vom 13.12.2001 - 5 LB 2723/01 -; bestätigt durch: BVerwG, B. v. 18.06.2002 - 2 B 13.02 - ) haben nicht zu einer Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. VwVfG geführt. Sie haben den bis dahin jeweils bestehende Streit der jeweils am Verfahren Beteiligten darüber, was rechtens ist, entschieden und damit die mit dem Inkrafttreten des jeweiligen Landesbeamtenrechts geschaffene und seither unverändert geltende Rechtslage geklärt.
Neben § 51 VwVfG ermöglicht § 48 VwVfG eine Durchbrechung der Bestandskraft eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes. Dieser kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Mit dem Wort „kann“ hat der Gesetzgeber die Verwaltung zur Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ermächtigt, ihr also diesbezüglich ein Ermessen eingeräumt. § 48 VwVfG gewährt dem Bürger keinen Anspruch auf Rücknahme des fehlerhaften Verwaltungsaktes, sondern nur ein formell subjektives Recht auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens, ob und in welchem Umfang und für welchen Zeitraum der rechtswidrige Verwaltungsakt zurückgenommen wird.
Die Beklagte hat ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Indem der Gesetzgeber der Verwaltung einen Entscheidungsspielraum eröffnet hat, an dem - rechtswidrigen - Verwaltungsakt festzuhalten oder ihn zu beseitigen, hat er zugleich zum Ausdruck gebracht, dass das Prinzip der Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG), also ihre Verpflichtung rechtmäßig zu handeln, gegenüber dem Interesse an Rechtssicherheit keinen grundsätzlichen Vorrang genießt. Die Bestandskraft als verfahrensrechtliche Sicherung der einmal getroffenen Entscheidung gegen das Begehren des Betroffenen, die Entscheidung einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen, beruht auf der Überlegung, die Stabilität von Verwaltungsentscheidungen dadurch zu fördern, dass den belastend Betroffenen in der Form der Anfechtungslast die Verantwortung für die Wahrnehmung ihrer Rechte zugewiesen und die Verletzung dieser Obliegenheit rechtsmindernd berücksichtigt wird (Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einleitung, RN 209). Wer eine ihn betreffende und ihn belastende Einzelfallregelung nicht innerhalb dafür vorgegebenen Frist mit dem zulässigen Rechtsbehelf angreift, kann eine Aufhebung dieser Regelung durch die Verwaltung regelmäßig nicht allein deshalb verlangen, weil die Regelung rechtswidrig ist. Es müssen vielmehr Umstände hinzutreten, die es als unerträglich erscheinen lassen, ihn der Regelung weiterhin zu unterwerfen. Die Teilzeitbeschäftigung eines Beamten ist eine rechtlich zulässige Ausgestaltung des Dienstverhältnisses mit einerseits einer reduzierten Arbeitszeit und andererseits der äquivalenten Kürzung der Bezüge und der Versorgungsanwartschaft und deshalb keine an sich für den Beamten unerträgliche Regelung. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 27.10.1998 liegt allein darin begründet, dass die Klägerin bei ihrer Einstellung nicht die Wahl zwischen einer vollen und einer verminderten Beschäftigung hatte. Die Äquivalenz ihrer Bezüge und ihrer Versorgungsanwartschaft zum Umfang ihrer Unterrichtsverpflichtung war dadurch nicht gestört. Dass die Klägerin in der Erkenntnis, sich entweder der Teilzeitbeschäftigung unterwerfen zu müssen oder nicht in ein Beamtenverhältnis berufen zu werden, die zeitlich begrenzte Reduzierung ihres Beschäftigungsstatus hingenommen hat, gebietet es nicht, ihr rückwirkend den Status einer vollbeschäftigten Beamtin einzuräumen. Die Befriedigung ihres Begehrens hätte zwar die Beseitigung der Rechtswidrigkeit zur Folge, zugleich aber auch eine Störung des Gleichgewichts zwischen Unterrichtsverpflichtung und Besoldungs- und Versorgungsrechten. Die Bezüge sowie das Anwachsen der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit sind nur von der rechtlichen Ausgestaltung des Dienstverhältnisses, nicht dagegen vom Umfang des tatsächlich geleisteten Dienstes abhängig. Die begehrte Aufhebung des Bescheides vom 27.10.1998 hätte mithin zur Folge, dass die Klägerin für die Dauer ihrer Teilzeitbeschäftigung zwar die vollen Alimentationsrechte genießen würde, aus tatsächlichen Gründen aber, weil der Unterricht im Umfang ihrer Stundenreduzierung nicht nachgeholt werden kann, eine diesen Rechten entsprechende Dienstleistung nicht erbringen müsste. Es ist daher nicht unerträglich, sondern entspricht sachgerechter Ausübung des Ermessens, wenn die Beklagte es bei der rechtlichen Regelung belässt, die der tatsächlichen Inanspruchnahme der Klägerin hinsichtlich ihrer Unterrichtsverpflichtung entspricht. Für den Zeitraum von der Einstellung bis zu dem Zeitpunkt, in welchem die Klägerin die Beschäftigung mit voller Stundenzahl verlangt hat, leuchtet dies ohne Weiteres ein. Für die Zeit danach hätte die Beklagte zwar die Unterrichtsverpflichtung der Klägerin auf die volle Stundenzahl erweitern und damit die Entsprechung von Alimentation und Arbeitszeitstatus herstellen können. Sie hat jedoch gegen eine „vorzeitige“ Änderung des Arbeitszeitstatus sachgerechte, im öffentlichen Interesse liegende Gründe angeführt, die dem Interesse der Klägerin, eher als nach Maßgabe des Bescheides vom 27.10.1998 vollzeitig beschäftigt zu werden, nicht weichen müssen. Sie hat in den Gründen des Bescheides vom 12.09.2000 ausgeführt, die Klägerin dürfe an der Teilzeitbeschäftigung festgehalten werden, weil zahlreiche Lehrkräfte in Niedersachsen in einer vergleichbaren Lage gewesen seien und eine Gleichbehandlung aller von der Einstellungsteilzeit Betroffenen dem Anliegen des Landes Niedersachsen widersprechen würde, Lehrerarbeitslosigkeit durch vermehrte Neueinstellungen abzubauen.