Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 15.01.2003, Az.: 3 A 132/00

abstrakte Normenkontrolle; anderweitige Normgültigkeitsprüfung; Aussetzung; Beamter; Einstellungsbewerber; Einstellungsteilzeit; gegen den Willen; Rechtsfrage; Teilzeitbeschäftigung

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
15.01.2003
Aktenzeichen
3 A 132/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 47684
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Keine Teilzeitbeschäfitigung gegen den Willen des Beamten (§ 80 c NBG).

Keine Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO wegen Normüberprüfungsantrag des Landesregierung an das BVerfG.

Tatbestand:

1

Die Beklagte stellte die Klägerin mit Wirkung vom 01.09.1999 als Lehrerin z. A in den niedersächsischen Landesdienst ein und bestimmte mit Verfügung vom 19.07.1999, die Klägerin werde für die Dauer von vier Jahren durchschnittlich regelmäßig mit 4/5 der Regelstundenzahl beschäftigt. Mit Schreiben vom 30.03.2000 widersprach die Klägerin der Festsetzung ihrer regelmäßigen Arbeitszeit. Seit dem 01.02.2001 wird sie mit voller Wochenstundenzahl beschäftigt.

2

Mit Bescheid vom 27.07.2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Die rechtliche Grundlage für eine Einstellung von Beamten in den niedersächsischen Landesdienst mit einer reduzierten Arbeitszeit ergebe sich aus § 80 c des Niedersächsischen Beamtengesetzes - NBG -. Diese Bestimmung lasse eine Reduzierung der Arbeitszeit im Zusammenhang mit der Einstellung auch gegen den Willen der Einstellungsbewerber zu. Sie verstoße nicht gegen hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums. Gegen ähnliche Bestimmungen des hessischen Landesrechts erhobene verfassungsrechtliche Bedenken griffen nicht durch, weil das niedersächsische Recht im Gegensatz zu jenem Landesrecht eine zeitliche Begrenzung der Teilzeitbeschäftigung vorgebe und damit das Prinzip der hauptberuflichen vollen Dienstleistung für die gesamte Dauer der Lebensarbeitszeit wahre.

3

Die Klägerin hat fristgerecht Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt: Es widerspreche hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums und sei daher verfassungswidrig, einen Bewerber um die Einstellung in das Beamtenverhältnis vor die Wahl zu stellen, einer Teilzeitbeschäftigung zuzustimmen oder nicht eingestellt zu werden. Deshalb müsse § 80 c NBG, wonach Bewerber in die Laufbahnen des gehobenen und des höheren Dienstes auch unter der Voraussetzung einer Teilzeitbeschäftigung von mindestens drei Vierteln der regelmäßigen Arbeitszeit in ein Beamtenverhältnis eingestellt werden könnten, verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass die Teilzeitbeschäftigung nicht gegen den Willen des Beamten verfügt werden dürfe, der Beamte vielmehr auf die Möglichkeit seiner Beschäftigung mit ungekürzter Dienstzeit aus freien Stücken verzichte. Eine solche Möglichkeit sei ihr bei ihrem Berufseinstieg nicht geboten worden.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 19.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2000 insoweit aufzuheben, als er eine Reduzierung ihrer regelmäßigen Arbeitszeit zum Gegenstand habe.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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hilfsweise,

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das Verfahren in analoger Anwendung des § 94 VwGO mit Rücksicht auf den Antrag des Landes Niedersachsen vom September 2002 an das Bundesverfassungsgericht, die Verfassungsmäßigkeit des § 80 c NBG in einer die unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung zulassenden Auslegung festzustellen, auszusetzen.

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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig. Die Reduzierung der regelmäßigen Arbeitszeit stellt eine Regelung des Rechtsverhältnisses des Beamten zu seinem Dienstherrn und damit einen Verwaltungsakt dar, der den Beamten, weil nicht von ihm beantragt oder mit seiner Zustimmung erlassen, beschwert. Die Anfechtung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin bereits im Laufe des Klageverfahrens in eine vollzeitige Beschäftigung übergeführt worden ist. Der den Teilzeitstatus bestimmende Verwaltungsakt hat sich hierdurch nicht erledigt. Er bleibt tatbestandliche Grundlage des Besoldungsanspruches der Klägerin für die Zeit ihrer Beschäftigung mit verminderter Stundenzahl und für die Versorgungsanwartschaft der Klägerin. Die Aufhebung dieses Verwaltungsaktes hat zur Folge, dass die Klägerin mit Wirkung auf den Zeitpunkt ihrer Einstellung in die besoldungs- und versorgungsrechtliche Rechtsstellung einer mit voller Stundenzahl beschäftigten Beamtin einrückt.

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Die Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19.07.1999 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihrem subjektiven, grundrechtsähnlichen Recht, nicht gegen ihren Willen nur mit reduzierter Stundenzahl beschäftigt und entsprechend vermindert besoldet zu werden. § 80 c NBG lässt die Verfügung der sog. Einstellungsteilzeit nur dann zu, wenn der Einstellungsbewerber damit einverstanden ist, das heißt, wenn ihm die Alternative einer Beschäftigung mit voller Stundenzahl offen steht. Denn eine Teilzeitbeschäftigung gegen den Willen des Beamten ist mit dem hergebrachten Grundsatz (Art 33. Abs. 5 GG) der hauptberuflichen vollen Dienstleistungspflicht des Beamten, der die Pflicht des Dienstherrn zur Gewährung des vollen amtsangemessenen Unterhalts gegenübersteht, sowie mit dem Leistungsprinzip (Art. 33 Abs. 2 GG) nicht zu vereinbaren (Nds. OVG, U. v. 13.12.2001 - 5 LB 2723/01 -, NdsRPfl 2002, 174, im Anschluss an BVerwG, U. v. 02.03.2000 - 2 C 1.99 -, BVerwGE 110, 363, bestätigt durch BVerwG, B. v. 18.06.2002 - 2 B 13.02 -). § 80 c NBG ist daher verfassungskonform dahin auszulegen, dass er es ermöglicht, auf Wunsch eines Einstellungsbewerbers eine Teilzeitbeschäftigung anzuordnen. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf das den Beteiligten bekannte Urteil des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 13.12.2001, a.a.O.) Die Klägerin, das ist unstreitig, hat sich nicht aus freien Stücken für eine Teilzeitbeschäftigung vom Zeitpunkt ihrer Einstellung an entschieden. Ihr stand die Alternative einer Beschäftigung mit voller Stundenzahl nicht offen. Die Reduzierung ihrer Arbeitszeit durch die Einstellungsverfügung vom 19.07.1999 ist daher rechtswidrig. Insoweit war diese Verfügung aufzuheben.

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Dem Aussetzungsantrag der Beklagten war nicht zu entsprechen. § 94 VwGO ermächtigt das Gericht zur Aussetzung des Verfahrens auch ohne Zustimmung der Beteiligten, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Die Verfassungsmäßigkeit einer aus § 80 c NBG abgeleiteten Ermächtigung, bei der Einstellung eines Bewerbers um eine Beamtenstelle gegen dessen Willen die Teilzeitarbeit zu verfügen, ist kein Rechtsverhältnis, nämlich keine bestimmte, rechtlich geregelte Beziehung eines Rechtssubjekts zu einem anderen Rechtssubjekt oder zu Gegenständen, sondern eine Rechtsfrage. Deshalb scheidet hier eine unmittelbare Anwendung des § 94 VwGO aus. Die Rechtsprechung wendet die Vorschrift allerdings überwiegend - mit Zustimmung in der Kommentarliteratur zur Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 94 RN 44 ff.; Kopp, VwGO, 13. Aufl. § 94 RN 4a, jeweils m. w. N.) - bei einer anderweitig anhängigen Normgültigkeitsprüfung entsprechend an (mit eingehender Begründung: BGH, B. v. 25.3.1998 - VII ZR 337/97 -, NJW 1998, 1957 [BGH 25.03.1998 - VIII ZR 337/97] zur entspr. Vorschrift des § 148 ZPO). Die anderweitige Normgültigkeitsprüfung allein reduziert jedoch nicht das dem Gericht durch § 94 Satz 1 VwGO eröffnete Ermessen auf eine Aussetzungsentscheidung. Die eine analoge Anwendung der Vorschrift rechtfertigenden Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit und Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen gebieten im Widerstreit mit dem gegebenenfalls artikulierten Parteiinteresse an effektivem und zeitnahem Rechtsschutz eine Aussetzung nur, wenn das aussetzungswillige Gericht sich keine abschließende Meinung über die Verfassungsmäßigkeit der im Normenkontrollverfahren zu überprüfenden Gesetzesbestimmung gebildet hat und das Verfahren vor dem Normenkontrollgericht nicht offensichtlich aussichtslos erscheint. Letzteres anzunehmen gibt es hier gute Gründe: Die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte; sie sind der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen (BVerfG, B. v. 09.02.2001 - 1 BvR 781/98 -, DVBl. 2001, 892; stRspr. seit BVerfGE 18, 85). Die Anwendung eines Gesetzes mit einer bestimmten Auslegung prüft das Bundesverfassungsgericht nur an von der Verfassung vorgegebenen Maßstäben, etwa der richtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts (vgl. B. v. 04.08.2000 - 1 BvR 1510/99 -, NVwZ 2001, 190) oder dem Willkürverbot (vgl. B. v. 09.02.2001, a.a.O.). Das hier allein in den Blick zu nehmende Willkürverbot ist verletzt, wenn ein Richterspruch unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die getroffene Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht. Die Auslegung, mit welcher das Nds. Oberverwaltungsgericht § 80 c NBG für verfassungskonform anwendbar hält, verdient ein solches Verdikt nicht. Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 80 c NBG und der Gesamtzusammenhang der Vorschriften des Nds. Beamtengesetzes über die Teilzeitbeschäftigung mögen eine Auslegung in dem vom Land Niedersachsen mit seinem Normenkontrollantrag beschriebenen Sinne zulassen oder auch nahe legen. Ein verfassungsrechtlich jedenfalls nicht von vornherein unbedenklicher Wille des Gesetzgebers (vgl. d. Hinweis auf die vom Ausschuss für öffentliches Dienstrecht nicht geteilten Bedenken des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes, Seite 12 der Antragsschrift an das Bundesverfassungsgericht vom September 2002), der sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm ableiten lässt, im Wortlaut des Gesetzes jedoch keinen eindeutigen Niederschlag gefunden hat, vermag aber nicht eine vom Wortlaut des Gesetzes gedeckte, aus Bestimmungen des Verfassungsrechts (Art. 33 Abs. 2 und 5 GG) abgeleitete Auslegung als eine krasse Verkennung der Rechtslage kennzeichnen. Hiervon unabhängig sieht die Kammer jedenfalls auch deshalb keine Veranlassung zur Aussetzung des Verfahrens, weil sie den rechtlichen Standpunkt des Nds. Oberverwaltungsgerichts zur Auslegung des § 80 c NBG teilt.