Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.12.2013, Az.: 2 K 176/13
Aufwendungen eines Behinderten für die Nutzung einer Motorjacht als Außergewöhnliche Belastungen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 02.12.2013
- Aktenzeichen
- 2 K 176/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 57022
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2013:1202.2K176.13.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 02.06.2015 - AZ: VI R 30/14
Rechtsgrundlagen
- § 33 Abs. 1 S. 1 EStG
- § 33 Abs. 2 S. 1 EStG
Fundstellen
- EFG 2014, 1484-1486
- EStB 2014, 456
- NWB 2014, 3451
- NWB direkt 2014, 1157
Amtlicher Leitsatz
Aufwendungen eines Behinderten, die dazu dienen, trotz fortschreitender Gebrechen weiterhin einem Hobby (hier: Nutzung einer Motoryacht) nachgehen zu können, sind mangels tatsächlicher Zwangsläufigkeit nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Aufwendungen für einen behindertengerechten Umbau des im Eigentum des Klägers bestehenden Bootes als außergewöhnliche Belastung.
Der Kläger ist aufgrund eines Autounfalls im Jahre 1970 querschnittsgelähmt und aufgrund dessen auf einen Rollstuhl angewiesen. Er weist einen Grad der Behinderung von 100 aus und hat in seinem Schwerbehindertenausweis die Merkmale G, aG, H und RF.
Vor fünf Jahren kaufte der Kläger ein Boot, dessen Vorbesitzer einen behinderten Sohn hatte und auf dem Boot bereits entsprechende Lifte hatte einbauen lassen. Im Übrigen waren auf dem Boot keine für den Kläger nutzbaren medizinischen Hilfsmittel eingebaut. Die vom Kläger genutzte Koje ebenso wie der Dusch- und Toilettenbereich war für den Kläger nur mit einer Hilfsperson nutzbar. Teilweise waren die Bereiche auf dem Schiff ("Boys Cabin") für den Kläger nicht nutzbar aufgrund von zu schmalen Durchgängen. Bei dem Boot handelt es sich ausweislich der Rechnung vom 30. Mai 2011 (Anlage K6, Bl. 48 GA) um den Typ Z, eine Motoryacht.
Nachdem der Kläger in den letzten Jahren gemerkt hatte, dass er auch unter Zuhilfenahme einer weiteren Person nicht mehr die ursprüngliche Koje sowie den Dusch- und Toilettenbereich nutzen konnte, da seine Kräfte merklich nachließen, erkundigte er sich nach einem möglichen Umbau der Yacht. Nach den Angaben des Klägers habe die X-Werft schließlich den ursprünglichen "Boys Cabin"-Bereich zu einer bodenebenen Nasszelle mit herausziehbarem Waschtisch und entsprechenden Schränken einschließlich eines entsprechenden Toilettenbereichs umgebaut. Des Weiteren sei die Koje im Vorschiffbereich derart umgebaut worden, dass das Fußende der Koje absenkbar und das Kopfende aufstellbar ist, so dass der querschnittsgelähmte Kläger in die Koje allein ein- bzw. aus der Koje allein aussteigen könne. Der Kläger wendete hierfür einen Betrag von ... € auf und verweist in diesem Zusammenhang auf gefertigte Fotoaufnahmen, Grundrisse des Vorschiffs sowie das Angebot und die Rechnung der Werft.
Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr versagte der Beklagte - das Finanzamt (FA) - den Abzug dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen. Das dagegen angestrengte Einspruchsverfahren verlief aufgrund der den Einspruch als unbegründet zurückweisenden Einspruchsentscheidung vom 5. Juli 2013 erfolglos. Das FA vertrat insoweit die Auffassung, die Yacht des Klägers sei kein existenziell notwendiger Gegenstand, so dass die Aufwendungen für einen Umbau auch soweit sie gegebenenfalls für einen behindertengerechten Umbau entstanden seien, nicht als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig seien. Zudem könne sich der Kläger nicht auf das BFH-Urteil vom 24. Februar 2011, VI R 16/10, BFHE 232, 518, BStBl II 2011, 1012 [BFH 24.02.2011 - VI R 16/10] berufen, da das Boot auch nicht zum individuellen Wohnumfeld des Klägers gehöre. Zudem sei der Kläger der Aufforderung, darzulegen, welche Kosten auf den krankheits- bzw. behinderungsbedingten Umbau entfielen, nachzuweisen, nicht nachgekommen.
Hiergegen richtet sich nunmehr die Klage, mit welcher der Kläger sein Begehren aus dem Vorverfahren weiterverfolgt. Die genannten Aufwendungen seien dem Kläger zwangsläufig erwachsen, so dass sie als außergewöhnliche Belastung abzuziehen seien. Mit dem Boot sei der Zweck verfolgt worden, die Behinderung des Klägers erträglich zu machen und ihm weiterhin eine eigenständige Nutzung des Bootes und hierdurch auch zukünftig eine entsprechende Freizeit- und Urlaubsgestaltung zu ermöglichen. Die schwerwiegende Behinderung des Klägers begründe eine tatsächliche Zwangslage, die eine behindertengerechte Gestaltung des Bootes unausweichlich gemacht habe. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Kläger das Boot noch angeschafft habe, als er körperlich in der Lage gewesen sei, dieses nur unter Zuhilfenahme einer Hilfsperson zu nutzen. Zwar sei der Erwerb eines Bootes eine freiwillige Entscheidung, jedoch beseitige dies die Zwangsläufigkeit nicht. Denn der Kläger sei seit seiner Kindheit Wassersportler, ebenso wie eine Vielzahl seiner Bekannten und Freunde in der Küstenregion um Y-Stadt. Unter den Wassersportlern gelte die Anschaffung eines Bootes als "sozial gebilligtes Verhalten". Dies gehöre zur allgemeinen Lebensführung für Wassersportler, es verhalte sich hier ebenso wie bei einer Zweit- oder Ferienwohnung.
Da auch der Freizeitsport, den der Kläger mit seinem Boot ausübe, zum sozial gebilligten Verhalten gehöre, würde bei einem hierbei erlittenen Unfall die Zwangsläufigkeit der Krankheitskosten nicht in Zweifel gezogen. Aus diesem Grunde sei es auch nicht nachvollziehbar, warum behindertenbedingte Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Unterhaltung eines Bootes stünden, nicht genauso zwangsläufig wie solche am Hauptwohnsitz sein sollen. Da zudem die Gegenwertlehre nicht mehr anzuwenden sei, seien die Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung abzuziehen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Einspruchsbescheids vom 5. Juli 2013 und Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2011 vom 22. März 2013 die Einkommensteuer mit der Maßgabe herabzusetzen, dass Kosten i.H.v. 37.142,23 € als weitere außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und verweist dazu auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt und auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
I. Der Berichterstatter entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 79a Abs. 3, 4, 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-).
II. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Zur Begründung verweist das Gericht auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung, welche es vollumfänglich für zutreffend erachtet (§ 105 Abs. 5 FGO).
2.Lediglich ergänzend sei wie folgt ausgeführt:
a) Die Beteiligten gehen zurecht davon aus, dass vorliegend keine Aufwendungen betroffen sind, die vom Behindertenpauschbetrag abgegolten wären, da hierunter nur laufende und typische Mehraufwendungen fallen (vgl. etwa BFH-Urteil vom 22. Oktober 2009, VI R 7/09, BFHE 226, 536, BStBl. II 2010, 280). Die hier betroffenen Aufwendungen sind ersichtlich nur einmalig und der besonderen Situation des Klägers geschuldet.
b) Für den Abzug von außergewöhnlichen Belastungen ist es erforderlich, dass die Aufwendungen zwangsläufig entstanden sind (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz -EStG-). Dies ist nur dann der Fall, wenn sich der Steuerpflichtige ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die aufgeführten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen auf die Entschließung des Steuerpflichtigen in einer Weise einwirken, dass er ihnen nicht ausweichen kann, der Steuerpflichtige also keine tatsächliche Entschließungsfreiheit hat, bestimmte Aufwendungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Eine tatsächliche Zwangslage - die hier allein näher in Betracht zu ziehen ist, weil der Kläger rechtlich und sittlich zum Umbau des Bootes nicht verpflichtet war - kann nur durch ein unausweichliches Ereignis tatsächlicher Art begründet werden, nicht jedoch durch eine maßgeblich vom menschlichen Willen beeinflusste Situation (BFH-Urteil vom 10. Oktober 1996, III R 209/94, BFHE 182, 333, BStBl. II 1997, 491).
Im Falle von Krankheit und Behinderung geht die Rechtsprechung seit jeher davon aus, dass ein Anwendungsfall der Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen vorliegt, da eine unausweichliche und schnelle Reaktion erforderlich ist (BFH-Urteil vom 22. Oktober 2009, VI R 7/09, BFHE 226, 536, BStBl. II 2010, 280). Allerdings ist zu prüfen, ob (weitere) private und damit irrelevante Motive die Zwangsläufigkeit ausschließen können (vgl. dazu die beiden vorgenannten Urteil des BFH). Krankheitskosten in diesem Sinne sind auch nur Aufwendungen, die unmittelbar zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel gemacht werden, die Krankheit erträglicher zu machen, wie es insbesondere bei den Kosten der eigentlichen Heilbehandlung und einer krankheitsbedingten Unterbringung der Fall ist; hingegen gehören mit einer Krankheit verbundene Folgekosten nicht zu den Krankheitskosten (BFH-Urteil vom 14. Oktober 1997, III R 18/97, BFH/NV 1998, 448).
c) Nach diesen Grundsätzen kommt im Streitfall ein Abzug der geltend gemachten Aufwendungen nicht in Betracht. Denn wie der Kläger selbst ausführt, handelt es sich bei dem Vorhalten des Bootes um ein Hobby und damit um Freizeitgestaltung, welche deutlicher nicht dem rein privaten und damit steuerrechtlich irrelevanten Bereich zugeordnet werden kann. Der Kläger hatte zu jedem Zeitpunkt die Entscheidungsfreiheit, sich ein anderes Hobby zu suchen bzw. sein bisheriges Hobby aufzugeben. Er befindet sich damit nicht in einer mit dem behindertengerechten Um- oder Neubau (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 24. Februar 2011, VI R 16/10, BFHE 232, 518, BStBl II 2011, 1012 [BFH 24.02.2011 - VI R 16/10]) bzw. einer behindertengerechten Ausstattung einer Wohnung nur annähernd vergleichbaren Zwangslage. Anders als die Gestaltung des Wohnumfeldes, welches zum existenziell notwendigen und über Art. 13 des Grundgesetzes besonders geschützten Lebensbereich gehört, ist der behindertengerechte Umbau einer Yacht, welche noch dazu - auch wenn gebraucht erworben - ein Luxusgut ist, nicht unausweichlich
Die Frage, ob das Vorhalten eines Bootes ein sozial gebilligtes Verhalten jedenfalls in den Kreisen des Klägers darstellt, ist für den Tatbestand des § 33 EStG ohne Bedeutung. Soweit das FG Berlin in seinem Urteil vom 1. November 1994, VII 369/91, EFG 1995, 264 diesen Begriff verwendet, geschieht dies ersichtlich unter dem Gesichtspunkt der besonderen Lebensverhältnisse in Berlin vor der deutschen Wiedervereinigung, wie es dort auch zum Ausdruck kommt. Im Übrigen bleibt es dabei, dass das Vorhalten einer Yacht nicht mit der Ausstattung der (Zweit-)Wohnung, worüber auch das FG Berlin zu entscheiden hatte, vergleichbar ist.
Zudem handelt es sich im Streitfall nicht um Krankheitskosten im obigen Sinne bzw. Kosten für ein Heilmittel, sondern lediglich um Aufwendungen in Folge einer Krankheit bzw. Behinderung, um den Kläger weiterhin das Nachgehen einer Freizeitbeschäftigung zu ermöglichen.
d) Auf die Frage, ob der Kläger einen Gegenwert für die Umbauten erhalten hat und inwieweit im Streitfall die Gegenwertlehre (noch) zur Anwendung käme, kommt es demnach nicht an.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe für die Zulassung der Revision waren nicht ersichtlich.