Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 28.04.1992, Az.: 4 B 4136/92

Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
28.04.1992
Aktenzeichen
4 B 4136/92
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1992, 22080
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:1992:0428.4B4136.92.0A

Verfahrensgegenstand

Sozialhilfe
Antrag nach § 123 VwGO

...
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig
am 28. April 1992
beschlossen:

Tenor:

Die Verfahren 4 B 4122/92 sowie 4 B 4136/92 werden unter dem Az.: 4 B 4136/92 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragsteller in Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten der ambulanten Frühförderung (wöchentlich 1 Stunde) beginnend mit dem 28. April 1992 (Tag der Beschlußfassung) bis zum Eintritt in den heilpädagogischen Kindergarten in Wolfenbüttel zu gewähren.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1

Der zulässige Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist begründet. Die Antragstellerin hat Anspruch auf Gewährung der von ihr begehrten Eingliederungshilfe BSHG. Zwischen den Beteiligten ist offensichtlich unstreitig, daß die Antragstellerin zum Personenkreis des § 39 Abs. 1 BSHG gehört, da sie schon länger als sechs Monate (vgl. § 4 der Verordnung zu § 47 BSHG) an seelischen Störungen als Folge eines Anfalleidens leidet. Die von ihr gewünschte Hilfe nach § 40 Abs. 1 Nr. 2 a BSHG i.V.m. § 11 der Verordnung nach § 47 BSHG ist notwendig (und angemessen), damit hierdurch die Folgen der bei ihr gegebenen Behinderung beseitigt oder gemildert werden können.

2

Die Notwendigkeit ambulanter Frühförderungsmaßnahmen ist erstmals am 26. April 1989 durch das Kreisgesundheitsamt bestätigt worden. Die Frühförderung ist dann durchgängig bis zum 31. Juli 1991 bewilligt und durchgeführt worden. Die Kammer ist im Rahmen der hier lediglich gebotenen summarischen Prüfung davon überzeugt, daß die Antragsteller in auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt bis zu ihrer Aufnahme in den heilpädagogischen Sonderkindergarten der Fortführung der Frühförderungsmaßnahmen bedarf. Dies ergibt sich ohne Zweifel aus der Stellungnahme des Sozialpädriatischen Zentrumes im Stadt. Klinikum vom 1. August 1991. Der leitende Arzt dieses Zentrums, Dr. Frank, hat darin folgendes ausgeführt:

"Die Aufnahme in einen Kindergarten mit kleinen Gruppen, insbesondere einem heipädagogischen Kindergarten, wäre die geeignete Maßnahme gewesen. Falls kein Platz in einem heilpädagogischen Kindergarten angeboten werden kann, ist die Fortsetzung der heilpädagogischen Frühförderung zur Stabilisierung der bereits erreichten Erfolge, zur Beratung der Eltern in erzieherischen Fragen und zur Entwicklungsförderung des Mädchens unbedingt erforderlich."

3

Die Kammer hat darüber hinaus mit der zur Zeit zuständigen Amtsärztin, Dr. Korduan, Rücksprache gehalten. Nach deren Auffassung, ist die Antragstellerin förderungsbedürftig im Rahmen der ambulanten Frühförderung. Sie hat in einem Telefonat mit dem Berichterstatter grundsätzlich festgestellt, daß bei der Entwicklung von behinderten Kindern jede Zeit ohne die Durchführung einer Förderung verlorene Zeit sei, die nur schwer durch nachträglich durchzuführende Maßnahmen ausgeglichen werden könne. Deshalb und wegen der besonderen Hilfesituation der Antragstellerin sei ihre weitere Förderung durch die Frühförderstelle sinnvoll und notwendig. Dies gelte auch dann, wenn die Antragstellerin möglicherweise bereits zum August 1992 Aufnahme im heilpädagogischen Sonderkindergarten finden könne.

4

Die Kammer vermag diese ärztlichen Aussagen nachzuvollziehen. Sie ist insbesondere auch deshalb von der Notwendigkeit einer Frühförderung der Antragstellerin überzeugt, weil der Versuch der Aufnahme der Antragstellerin in einem Regelkindergarten fehlgeschlagen ist. Dies kennzeichnet die besondere Situation der Antragstellerin, die notwendigerweise wegen der bei ihr bestehenden seelischen Behinderung auf eine Betreuung in kleinen Gruppen angewiesen ist.

5

Demgegenüber kann der Antragsgegner keinesfalls einwenden, die Betreuung im heilpädagogischen Kindergarten sei als vorrangig anzusehen, weshalb die Kosten nicht übernommen werden könnten (so im Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 1992) bzw. die Übernahme der Kosten für die Frühförderung sei nicht angemessen (ablehnender Bescheid vom 8. Juli 1991).

6

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners verbietet § 3 Abs. 2 BSHG die Hilfe nicht. Vielmehr gebietet § 3 Abs. 2 BSHG hier die Gewährung der begehrten Eingliederungshilfe. Die Antragsteller in kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nämlich keine andere Eingliederungshilfeleistung in Anspruch nehmen. Der Besuch des heilpädagogischen Sonderkindergartens, der nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig wäre, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt mangels Platzangebotes nicht möglich. Deshalb kann der Antragsgegner auch nicht vortragen, die Antragstellerin müsse sich vorrangig um einen derartigen Platz bemühen. Auf etwas, was aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, darf der Träger der Sozialhilfe zur Deckung eines notwendigen sozialhilferechtlichen Bedarfes nicht verweisen. Anders ausgedrückt, da die Antragstellerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Platz im Sonderkindergarten erhalten kann, ist der Antragsgegner verpflichtet, die Kosten der mobilen Frühförderung für die Antragstellerin zu tragen. Dabei kommt es nicht auf das Lebensalter der Antragstellerin an. Wie sich aus § 40 Abs. 1 Nr. 2 a BSHG ergibt, werden heilpädagogischen Maßnahmen für Kinder gewährt, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind. Dazu gehört die Klägerin, die am 31. Mai 1992 fünf Jahre alt wird.

7

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

8

Rechtsmittelbelehrung

9

Gegen diesen Beschluß ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft.

Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Ungelenk, der an der Beratung teilgenommen hat, nimmt an einer auswärtigen Tagung teil und kann deswegen nicht unterschreiben. Steinhoff
Wagner
Steinhoff