Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 27.04.1992, Az.: 1 A 1083/91
Asylanspruch bei einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Heimatland; Begründung eines Abschiebungshindernisses wegen politischer Verfolgung im Heimatland; Beurteilung der Rechtmäßigkeit der ausländerbehördlichen Verfügung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 27.04.1992
- Aktenzeichen
- 1 A 1083/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 22070
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1992:0427.1A1083.91.0A
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs. 1 AuslG
- § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG
- § 54 AuslG
- Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG
Verfahrensgegenstand
Asyl
Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 27. April 1992
durch
den Richter am Verwaltungsgericht Bartsch als Einzelrichter der 1. Kammer
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten zu 2) vom 13. März 1991 wird aufgehoben.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens hat der Kläger 3/4 und die Beklagte zu 2) 1/4 zu tragen; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 12.000,- DM festgesetzt.
Tatbestand
Der 1969 geborene Kläger besitzt die somalische Staatsangehörigkeit. Er reiste am 26. Juni 1990 in das Bundesgebiet ein und stellte am 3. Juli 1990 einen Asylantrag, den er wie folgt begründete: Er sei 1988 aufgrund des Bürgerkrieges nach Äthiopien geflohen.
Bei seiner persönlichen Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 8. Dezember 1990 gab der Kläger ergänzend an: Er sei zu Fuß nach Äthiopien geflohen. Dort habe er überlegt, wie er Äthiopien verlassen könne. Dies sei ihm erst im Juni 1990 geglückt. In Somalia würden die Menschenrechte verletzt. Insbesondere Angehörige des Stammes der Issaq, wie er, würden verfolgt. Am 2. Januar 1986 sei er verhaftet worden. Ihm sei vorgeworfen worden, Mitglied der Moslem-Bruderschaft zu sein. Im Februar 1988 sei er unter der Beschuldigung, als Lehrer Schulkinder aufzuhetzen, für sechs Tage inhaftiert worden. Nach Ausbruch des Bürgerkrieges sei er geflohen. In Somalia habe er sich nicht politisch betätigt. In der Bundesrepublik sei er Mitglied der SNM.
Das Bundesamt lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 7. Februar 1991 ab, weil der Kläger keine politische Verfolgung glaubhaft gemacht habe; es stellte des weiteren fest, daß im Falle des Klägers die Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG nicht vorliegen.
Daraufhin forderte die Beklagte zu 2) den Kläger mit Bescheid vom 13. März 1991 zur Ausreise innerhalb eines Monats nach Unanfechtbarkeit des ablehnenden Bescheides des Bundesamtes auf und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in sein Heimatland an.
Gegen die ihm am 15. März 1991 zugegangenen Bescheide hat der Kläger am 15. April 1991 Klage erhoben, zu deren Begründung er ergänzend vorträgt: Ein Abschiebung nach Somalia scheitere bereits an der dort herrschenden Bürgerkriegssituation.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten zu 1) vom 7. Februar 1991 und den Bescheid der Beklagten zu 2) vom 13. März 1991 aufzuheben und die Beklagte zu 1) zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, daß die Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG in der Person des Klägers vorliegen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie halten die von ihnen getroffenen Entscheidungen für rechtmäßig und beziehen sich zur Begründung auf die Gründe der angefochtenen Bescheide. Die Beklagte zu 2) macht geltend, daß ihr Verhältnisse, die einer möglichen Abschiebung der Kläger entgegenstehen könnten, zum Zeitpunkt des Erlasses ihres Bescheides nicht bekannt gewesen seien.
Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten zu 1) und zu 2), der in seinen wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
Soweit der Kläger seine Anerkennung als Asylberechtigter bzw. die Feststellung begehrt, daß in seinem Falle die Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG vorliegen, ist die Klage unbegründet.
Nach Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes - GG - genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Als Träger dieses Grundrechts ist derjenige als Asylberechtigter anzuerkennen, der wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet befürchtet (BVerwG, Urt. v. 17. Mai 1983 - 9 C 36.83 -, BVerwGE 67, 184/185 ff). Dem Asylsuchenden muß - abgestellt auf den Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung - politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, weshalb ihm eine Rückkehr in seinen Heimatstaat nicht zuzumuten ist (BVerfG, Beschl. v. 27. Januar 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 -, BVerfGE 54, 341/360). Hat der Flüchtling bereits einmal politische Verfolgung erlitten, so kann ihm asylrechtlicher Schutz nur verwehrt werden, wenn im Rahmen der zu treffenden Zukunftsprognose bei Rückkehr eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (BVerwG, Urt. v. 25. September 1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169 ff). Eine vom Staat ausgehende oder ihm zurechenbare Verfolgung setzt jedoch das Bestehen einer staatlichen Ordnungsmacht im Sinne einer übergreifenden Friedensordnung voraus. Denn politische Verfolgung ist grundsätzlich staatliche Verfolgung. Hat der Staat als übergreifende effektive Ordnungsmacht aufgehört zu existieren, so fehlt es an der Möglichkeit politischer Verfolgung. Schutz vor den Folgen anarchischer Zustände oder der Auflösung der Staatsgewalt: ist durch Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht versprochen (BVerfG, Beschl. v. 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE 80, 315 ff). Dies gilt auch in Fällen etwa bestehender Vorverfolgung.
In Anwendung dieser Grundsätze ist der Kläger nicht als Asylberechtigter anzuerkennen. Seit dem Sturz der Regierung von General ... am 27. Januar 1991 existiert in Somalia keine staatliche Gewalt, von der eine unmittelbare oder mittelbare Verfolgung ausgehen könnte (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 6. Januar 1992 und Auskunft vom 14. November 1991 an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen). Eine neue Staatsmacht hat sich noch nicht etabliert, und es steht auch nicht zu erwarten, daß dies in absehbarer Zeit geschehen wird. Die Lage im Süden des Landes und inbesondere auch in der Hauptstadt Mogadischu wird von einer militärischen Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Flügeln des United Somali Congress (USC), dessen Mitglieder hauptsächlich dem Hawiye-Clan angehören, beherrscht (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Januar 1992; Lagebericht von amnesty international vom 12. September 1991; Die Zeit vom 31. Januar. 1991; FAZ vom 7. Februar 1992). Die Kämpfe zwischen den Anhängern des dem Subclan der Abgal angehörenden Interimspräsidenten ... und den Gefolgsleuten des dem Subclan der Habargedir angehörenden USC-Vorsitzenden General ... dauerten auch während der UN-Friedensbemühungen an (Die Welt vom 17. Februar 1992, SZ vom 17. Februar 1992, FR vom 18. Februar 1992). Ein Ende dieser Kämpfe ist nicht abzusehen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Januar 1992). Selbst wenn sich einer der beiden verfeindeten USC-Flügel durchsetzen würde, bedeutet dies nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes und anderer (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Januar 1992; Der Spiegel vom 23. Dezember 1991; NZZ vom 3. Dezember 1991) keine Befriedung des Landes. In der Tat wären dann verschärfte Auseinandersetzungen mit den gut gerüsteten ca. 15.000 Anhängern des dem Darod-Clan angehörenden Ex-Präsidenten ... zu erwarten, die sich im südlichen Gedo-Distrikt festgesetzt haben (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Januar 1992). Der Umstand, daß inzwischen unter dem Drängen der UN-Vermittler die nunmehr zehnte Vereinbarung zur Einstellung der Kämpfe zustande gekommen ist (SZ vom 5. März 1992), führt zu keiner anderen Beurteilung. Es bestehen wenig Chancen, daß diese Vereinbarung auch nur ansatzweise eingehalten wird. Aufgrund der nach wie vor anhaltenden Kämpfe (FR vom 20. März 1992) mußte die UN-Friedensdelegation überstürzt aus Mogadischu abreisen (SZ vom 5. März 1992). Bedenkt man zudem, daß das gesellschaftliche und politische Leben in Somalia wesentlich durch die vielen rivalisierenden Clans und Subclans bestimmt wird, erscheint eine Stabilisierung der Verhältnisse hin zu einer funktionsfähigen und übergreifenden staatlichen Macht aufgrund der sozialen und politischen Zerrüttung des Landes in absehbarer Zeit unwahrscheinlich (Auskunft des Instituts für Afrikakunde vom 24. Juli 1991 an das Verwaltungsgericht Ansbach; Die Zeit vom 31. Januar 1992). Angesichts dieses Befundes kann entgegen der Einschätzung des UNHCR (Schreiben an Rechtsanwalt ... vom 4. September 1991) auch nicht davon ausgegangen werden, daß einzelne Clans bzw. einzelne Organisationen in Teilbereichen des Landes eine Stellung erlangt haben bzw. in absehbarer Zeit erlangen werden, die es ihnen ermöglicht, beschränkt auf ein bestimmtes Territorium die fehlende Staatsmacht faktisch zu ersetzen. Dies gilt letztlich auch für den Norden des Landes, in dem das von dem Issaq-Clan beherrschte Somali National Movement (SNM) unter der Führung des Vorsitzenden ... im Mai 1991 in den Grenzen des einstigen britischen Protektorats einseitig die Republik Somaliland ausgerufen hat. Zwar wurde die dortige Lage bis vor wenigen Wochen als vergleichsweise ruhig bezeichnet, die Republik ist aber weder international anerkannt noch unter den übrigen Bürgerkriegsparteien unumstritten (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Januar 1992; SZ vom 21. Mai 1991). Die dortigen Bemühungen, Infrastrukturen für grundlegende Verwaltungsmaßnahmen und den Aufbau einer Regierung zu schaffen, stellen, noch in den Anfängen (Lagebericht von amnesty international vom 12. September 1991; Zeit-Magazin vom 18. Oktober 1991). Inzwischen droht nun auch im Norden Somalias ein offener Bürgerkrieg. Seit Anfang März 1992 kommt es an der Straße von der Hafenstadt Berbera nach Rargeisa zu Auseinandersetzungen zwischen der Armee des Interimspräsidenten ... und Oppositionellen unter der Führung des Generals ... (FAZ vom 18. März 1992). Auch angesichts der Parteinahme des SNM zugunsten des ...-Flügels des USC (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Januar 1992) erscheint es als eher unwahrscheinlich, daß sich Nordsomalia auf absehbare Zeit unabhängig von den Geschehnissen im Süden des Landes wird entwickeln können.
Gleiches gilt, soweit der Kläger festgestellt wissen will, daß in seinem Fall die Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Mangels staatlicher Machtstrukturen in Somalia braucht der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland politische Verfolgung nicht zu befürchten. Er genießt deshalb keinen Abschiebungsschutz nach §51 Abs. 1 AuslG.
Die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage hingegen ist begründet. Der Bescheid der Beklagten zu 2) vom 13. März 1991 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Hat das Bundesamt den Asylantrag abgelehnt, so fordert die Ausländerbehörde den Ausländer gemäß §28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG unverzüglich zur Ausreise auf, setzt ihm eine Ausreisefrist und droht ihm für den Fell, daß er nicht fristgerecht ausreist, die Abschiebung an. Dies gilt nach Satz. 2 der genannten Vorschrift u.a. dann nicht, wenn dem Ausländer ungeachtet der Ablehnung seines Asylantrages der Aufenthalt im Geltungsbereich des Asylverfahrensgesetzes ermöglicht wird. Durch diese Entscheidungsbefugnis hat der Gesetzgeber der Ausländerbehörde ein Mittel an die Hand gegeben, solchen gegen eine unverzügliche Ausreisepflicht sprechenden Gesichtspunkten zum Durchbruch zu verhelfen, die nicht mit der vom Asylbewerber behaupteten Furcht vor politischer Verfolgung zusammenhängen. Insbesondere wird hierdurch vermieden, daß die Ausländerbehörde "sehenden Auges" eine aufenthaltsbeendende Entscheidung treffen muß, die humanitären oder anderen beachtlichen Gründen zuwiderliefe (BVerfG, Beschl. v. 2. Mai 1984 - 2 BvR 1413/83 -, BVerfGE 67, 43/57, 58 zu §11 Abs. 1 AsylVfG). So liegt es hier.
Der Kläger hat ungeachtet der ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes über seinen Asylantrag einen Anspruch darauf, von einer Abschiebung nach Somalia verschont zu bleiben. Einer Abschiebung des Klägers nach Somalia stehen Abschiebungshindernisse entgegen (§§53 Abs. 6, 54 AuslG). In Somalia besteht für den Kläger eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben. Nach den über einen längeren Zeitraum im wesentlichen gleichlautenden Einschätzungen des Auswärtigen Amtes (Lageberichte vom 6. Januar 1992, 14. November 1991, 8. Mai 1991 und 27. März 1991) kann somalischen Staatsangehörigen aufgrund des anhaltenden Bürgerkrieges und der damit einhergehenden. Gefährdungen eine Rückkehr in ihr Heimatland nicht zugemutet werden. Dies deckt sich mit den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen anderer Stellen und einschlägigen Presseberichten. Allein seit Mitte November 1991 seien bereits mehr als 5.000 Zivilisten ums Leben gekommen und mehr als 15.000 verletzt worden (FAZ vom 7. Februar 1992). Nach Angaben verschiedener Hilfsorganisationen drohe 4,5 Millionen Somaliern der Hungertod; mehr als 100.000 Menschen hätten. Zuflucht in Kenia gesucht (Die Welt vom 10. Februar 1992). Angesichts dessen sprechen sich sowohl amnesty international (Lagebericht vom 12. September 1991) als auch der UNHCR (Schreiben an Rechtsanwalt Becher vom 4. September 1991) gegen eine Rückführung abgelehnter somalischer Asylbewerber aus. Aber auch in den inzwischen ebenfalls von erneuten kriegerischen Auseinandersetzungen heimgesuchten Norden Somalias kann der Kläger nicht ohne konkrete Gefahren für Leben und Gesundheit ausreisen. Abgesehen davon, inwieweit eine Direkteinreise dorthin überhaupt möglich ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Januar 1992), ist der Boden von Nordsomalia mit rund 1,4 Millionen Landminen übersät; tagtäglich werden Menschen von diesen Waffen getötet oder verstümmelt (Die Zeit vom 31. Januar 1991). Angesichts dessen erscheint nur die Entscheidung, von einer Abschiebung des Klägers nach Somalia abzusehen, ermessensfehlerfrei.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht, wenn es sich bei den genannten Gefahren um solche handelt, denen die Bevölkerung Somalias allgemein ausgesetzt ist. Zwar bestimmt §53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, daß derartige Gefahren bei einer von der obersten Landesbehörde nach §54 AuslG zu treffenden Entscheidung zu berücksichtigen sind. Daraus, daß die oberste Landesbehörde eine Aussetzung von Abschiebungen für somalische Staatsangehörige nicht verfügt hat, folgt jedoch nicht, daß die in §53 Abs. 6 Satz 2 AuslG genannten Gefahren im vorliegenden Rechtsstreit außer Betracht zu bleiben hätten. Zwar könnte sich aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Willen des Gesetzgebers ergeben, daß es der obersten Landesbehörde vorbehalten bleiben soll, über die Erheblichkeit der in §53 Abs. 6 Satz 2 AuslG genannten Gefahren zu entscheiden und ggf. nach §54 AuslG einen generellen Abschiebestopp zu verfügen (vgl. Bundestagsdrs. 11/6321, S. 75; Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, Boden-Baden 1991, S. 290; vgl. demgegenüber: Marx, ZAR 1991, S. 125/129). Dann aber hat der Ausländer mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 4 GG einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die oberste Landesbehörde (vgl. Funke-Kaiser/Müller, in Barwig u.a. (Hrsg), Das neue Ausländerrecht, Baden-Baden 1991, S. 144). Aufgrund der vorstehend dargestellten Situation in Somalia, aufgrund derer der Kläger bei einer Abschiebung dorthin einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre, wäre mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 GG nur die Anordnung der Aussetzung von Abschiebungen nach Somalia ermessensgerecht. Die Untätigkeit der obersten Landesbehörde hat sich die Beklagte zu 2) zurechnen zu lassen.
Der vorliegende Rechtsstreit zwingt nicht zu einer Entscheidung darüber, ob für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit der ausländerbehördlichen Verfügung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung oder aber nach Einfügung des §8 a in das Asylverfahrensgesetz die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 18. Dezember 1987 - 21 OVG A 702/87 -, InfAuslR 1988, S. 62 [BVerwG 03.11.1987 - BVerwG 9 C 254.86] einerseits und OVG Münster, Beschl. v. 28. Februar 1991 - 18 E 180/91.A - andererseits). Auch im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide der Beklagten zu 2) standen einer Abschiebung des Klägers Abschiebungshindernisse entgegen. Schon damals herrschte in Somalia Bürgerkrieg. Hierüber wurde auch in der Presse hinlänglich berichtet (vgl. FAZ vom 11., 12. und 14. Januar 1991; SZ vom 19. und 21. Januar 1991). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob diese Presseberichte der Beklagten zu 2) bzw. der obersten Landesbehörde tatsächlich bekannt waren. Entscheidend ist, ob sie ihnen hätte bekannt sein müssen. Das aber ist der Fall, weil es sich um Erkenntnisse aus allgemein zugänglichen Quellen handelt.
Daneben leidet der Bescheid der Beklagten zu 2) an einem weiteren Fehler. Seit Januar 1991 ist der Flughafen Mogadischu geschlossen (SZ vom 30. Januar 1991; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. März 1991 an das Verwaltungsgericht Köln; Auskunft des Niedersächsischen Innenministeriums an das Verwaltungsgericht Braunschweig vom 14. November 1991). Ist aber die Abschiebung des Klägers aus tatsächlichen Gründen unmöglich, so hat er gemäß §55 Abs. 2 AuslG einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§154 Abs. 1, 155 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §167 VwGO i.V.m. §708 Nr. 11 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil Gründe des §32 Abs. 2 AsylVfG nicht vorliegen.
Die Nichtzulassung der Berufung kann selbständig durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils angefochten werden.
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