Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 19.01.2011, Az.: 5 A 96/09

Eingriff in die Berufsfreiheit durch den Widerruf einer Approbation; Widerruf einer Approbation wegen Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes; Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs nach Betrugshandlungen; Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung i.R.d. Beurteilung der Unwürdigkeit eines Arztes für die weitere Berufsausübung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
19.01.2011
Aktenzeichen
5 A 96/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 11592
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2011:0119.5A96.09.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 23.04.2012 - AZ: 8 LA 45/11

Fundstelle

  • PFB 2011, 91

Verfahrensgegenstand

Widerruf der Approbation,

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 5. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2011
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts von Alten,
die Richterin am Verwaltungsgericht Bendlin,
die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Thorn-Christoph sowie
die ehrenamtlichen Richter Kanebley und Marwedel
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der am E. geborene Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner ihm im Jahr 1985 erteilten Approbation zur Ausübung des ärztlichen Berufs. Er war seit 1992 als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in F. tätig und praktizierte sowohl ambulant mit wechselnden Kollegen und in unterschiedlichen Praxisformen als auch als Belegarzt in der gynäkologischen Abteilung der Klinik G.. Infolge des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gab er Anfang 2007 seine belegärztliche Tätigkeit auf und verzichtete auf seine vertragsärztliche Zulassung. Er behandelt seither in seiner Praxis ausschließlich Privatpatienten und ist darüber hinaus als Honorararzt in verschiedenen Krankenhäusern tätig.

2

Nach Erhebung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft Lüneburg am 26. November 2007 schloss der Kläger am 4. Juli 2008 mit der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, Bezirksstelle Lüneburg, eine Vereinbarung, mit welcher er sich - in zeitlicher Hinsicht bis zum 31. Dezember 2010 beschränkt - verpflichtete, den auf Seiten der Kassenärztlichen Vereinigung entstandenen Schaden, jedenfalls teilweise, auszugleichen. Zugleich verpflichtete sich die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen, die Vollziehung des Bescheides vom 9. August 2007 bzw. 20. Februar 2008 vorläufig auszusetzen und den festgesetzten Rückforderungsbetrag in Höhe von 1.154.186,60 EUR zu stunden.

3

Mit Urteil vom 1. Oktober 2008 verurteilte das Landgericht Lüneburg den Kläger wegen gewerbsmäßigen Betruges in 19 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Landgericht legte der Verurteilung folgende Feststellungen zugrunde:

4

Der Kläger habe in der Zeit von Anfang 2002 bis zum 4. Januar 2007 als zugelassener Vertragsarzt gegenüber der Gesamtheit der in der Kassenärztlichen Vereinigung zusammengeschlossenen Ärzte - geschädigte Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen, Bezirksstelle Lüneburg - falsch abgerechnet, um zu Unrecht überhöhte Zahlungen von der Kassenärztlichen Vereinigung zu erhalten, und um sich eine zusätzliche Einnahmequelle von gewisser Dauer zu verschaffen. Er habe die abgerechneten Leistungen entweder gar nicht oder nicht in dem angegebenen Umfang erbracht.

5

In den 19 Sammelerklärungen, welche die Quartalsabrechnungen I/02 bis III/06 betreffen, habe er als Vertragsarzt der Kassenärztlichen Vereinigung und als Belegarzt der Klinik G. falsche Angaben über von ihm erbrachte gynäkologische oder frauenärztliche Leistungen sowie Geburtshilfeleistungen gemacht. Er selbst habe sich während der jeweiligen Geburt keine Aufzeichnungen darüber gemacht, welche ärztlichen Leistungen er im Einzelnen bei der Geburt durchgeführt habe. So habe er am Ende eines Quartals belegärztliche EBM-Ziffern in seinen Computer eingegeben, wobei ihm die jeweiligen Einzelheiten der mit einer Geburt zusammenhängenden Leistungen nicht mehr präsent waren. Er habe wahllos EBM-Zifferkolonnen in die Sammelerklärungen eingetragen, wobei er jeweils damit gerechnet habe, dass diese für die jeweilige Geburt nicht zutreffend waren. Durch seine beruflich und privat stets hochangespannte Situation habe er sich häufig sehr unter Druck gesetzt und missverstanden gefühlt. In diesen Momenten der jedenfalls subjektiven Überlastung habe er in der Absicht gehandelt, sich hierdurch einen finanziellen Ausgleich zu verschaffen, wobei er gewusst habe, dass ihm dieser rechtlich nicht zustand. So habe er auch billigend in Kauf genommen, dass er seinerseits durch sein Verhalten andere schädigte. Auf Seiten der Kassenärztlichen Vereinigung sei dadurch ein Gesamtschaden in Höhe von 315.558,42 EUR entstanden.

6

Es sei hinsichtlich aller Taten ein gem. §§ 46 a Nr. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderter Strafrahmen zu Grunde zu legen gewesen, da er sich verpflichtet habe, den gesamten Schaden vollumfänglich zu begleichen und er den dem Urteil zugrunde liegenden Schaden bereits überwiegend ausgeglichen habe. Bei der konkreten Strafzumessung sei sein umfassendes und von Reue gezeichnetes Geständnis zu berücksichtigen, seine freiwillige Verpflichtung zur Schadenswiedergutmachung, die Aufgabe der belegärztlichen Tätigkeit und der Verlust der kassenärztlichen Zulassung, seine schwierigen privaten und beruflichen Verhältnisse, der Umstand, dass er strafrechtlich noch nicht einschlägig in Erscheinung getreten sei sowie untergeordnet der Umstand, dass das kassenärztliche Abrechnungssystem insbesondere durch seine Budgetierung weitreichende Problemfelder aufweise. Zu seinen Lasten wirke sich aus, dass er die Taten über einen sehr langen Tatzeitraum begangen habe und er von seinem Verhalten auch nicht abgelassen habe, nachdem er durch den Rückforderungsbescheid der Kassenärztlichen Vereinigung im Jahr 2006 hätte gewarnt sein müssen.

7

Im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung ging das Landgericht Lüneburg zugunsten des Klägers im Hinblick auf die zuvor genannten Umstände von einer positiven Sozialprognose aus. So seien die Beweggründe für die Begehung der abgeurteilten Taten neben den finanziellen Eigeninteressen insbesondere auch im familiären Bereich zu suchen. Er habe sich durch seine familiäre Situation derart gestraft und auch überfordert gefühlt, dass er sich durch die Manipulation der Abrechnung für seine Arbeit, welche er stets nach den Regeln der ärztlichen Kunst verrichtet habe, eine Art Kompensation habe verschaffen wollen. Weiter heißt es, dass die Kammer es im Sinne von§§ 56 b und c StGB für sachgerecht erachte, dass der Kläger noch über eine Approbation verfüge und damit berechtigt sei, weiterhin Privatpatienten zu behandeln. Dies würde es ihm dauerhaft ermöglichen, seinen eingegangenen Verpflichtungen zur Schadenswiedergutmachung nachzukommen und sich im Sinne der §§ 56 ff. StGB sozial zu reintegrieren und zu stabilisieren. Dabei sei der Kammer bewusst, dass sie selbstverständlich nicht im Rahmen der Erteilung von Auflagen oder Weisungen über den Fortbestand der Approbation entscheiden könne, sondern diese Entscheidung allein im Ermessen der zuständigen Behörde stehe.

8

Mit Schreiben vom 24. November 2008 gab der Beklagte dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zum beabsichtigten Widerruf der ärztlichen Approbation, von der der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 3. März 2009 Gebrauch machte.

9

Mit Bescheid vom 23. Juni 2009 widerrief der Beklagte die Approbation des Klägers zur Ausübung des ärztlichen Berufs wegen Unwürdigkeit. Dies folge aus den Feststellungen des Landgerichts Lüneburg, auf die Bezug genommen werde. Eigene Ermittlungen seien nicht anzustellen gewesen, da keine gewichtigen Anhaltspunkte gegeben seien, dass die strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen unrichtig gewesen seien. Der Kläger habe die Taten in der Hauptverhandlung eingeräumt. Sein Geständnis sei vom Gericht als glaubhaft angesehen worden. Der Kläger habe die ihm nachgewiesenen Straftaten im engeren Zusammenhang mit seiner Berufsausübung begangen. Dieses Fehlverhalten sei geeignet, das zur Ausübung des ärztlichen Berufs erforderliche Vertrauen und Ansehen nachhaltig zu stören. Er habe über einen strafrechtlich relevanten Zeitraum von fast 5 Jahren gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Abrechnung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung verstoßen, indem er Leistungen abgerechnet habe, die er nicht oder nicht in dem abgerechneten Umfang erbracht habe. Dass er den Schaden inzwischen weitgehend ausgeglichen haben möge, lasse keine andere Beurteilung zu. Zudem habe auch bei der approbationsrechtlichen Prüfung die formale sozial- bzw. strafrechtliche Betrachtungsweise zu gelten, so dass es nicht darauf ankomme, ob er sich möglicherweise selbst geschädigt habe und welche Leistungen er bei ordnungsgemäßer Dokumentation hätte abrechnen können. Der lange Tatzeitraum, die Vielzahl der begangenen Taten, der hohe materielle Schaden und der damit verbundene Ansehensverlust für die Ärzteschaft rechtfertigten die Annahme, dass der Kläger unwürdig zur Ausübung des ärztlichen Berufs sei.

10

Der Widerruf der Approbation verstoße nicht gegen das Verbot der Doppelbestrafung, denn das Landgericht Lüneburg habe ausweislich der Entscheidungsgründe die Frage eines Berufsverbots nicht geprüft. Auch konsumiere eine - vorliegend unterbliebene - Entscheidung des Strafgerichts nach § 70 StGB nicht gleichsam die Entscheidung der Verwaltungsbehörde über den Widerruf. Zudem sei davon auszugehen, dass der Kläger auch unzuverlässig zur Ausübung des ärztlichen Berufs sei. Nach alledem sei die Approbation zwingend zu widerrufen gewesen. Der Widerruf sei auch verhältnismäßig. Die ärztliche Integrität sei insofern als eigenständiges wichtiges Gemeinschaftsgut anzusehen. Denn das Merkmal der Unwürdigkeit beschränke sich nicht auf das Verhältnis zwischen Arzt und Patient, sondern erstrecke sich auch auf das Abrechnungsverhältnis gegenüber den Krankenkassen bzw. der Kassenärztlichen Vereinigung. Die Abwägung zwischen dem Grundrecht des Klägers auf Freiheit der Berufswahl einerseits und andererseits dem legitimen Interesse, einen unwürdigen oder unzuverlässigen Arzt von der Versorgung der Bevölkerung auszuschließen, falle wegen der Schwere der begangenen Delikte, des hohen materiellen Schadens sowie des Ansehensverlustes für die Ärzteschaft zu Lasten des Klägers aus. Individuelle Umstände wie Alter, familiäre oder finanzielle Situation, Möglichkeiten anderweitiger beruflicher Tätigkeit sowie negative Auswirkungen im Rahmen der Schadenswiedergutmachung seien nicht zu berücksichtigen gewesen.

11

Der Kläger hat am 29. Juni 2009 Klage erhoben.

12

Er trägt vor, der Bescheid sei rechtswidrig. Der Beklagte beziehe sich bei gleichzeitigem Verzicht auf eigene Ermittlungen auf in der Hauptverhandlung nicht bestätigte Vorwürfe aus der Anklageschrift. Soweit er nicht bewiesene Sachverhalte aus dem Ermittlungsverfahren in dieses Verfahren einführen möchte, würden diese Angaben bestritten. Die von dem Beklagten vorgenommene Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Unwürdigkeit" verstoße im Hinblick auf die Ablehnung einer Wiederholungsgefahr durch die Strafkammer gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Eigene Ermittlungen habe der Beklagte insoweit nicht angestellt. Eine negative Zukunftsprognose habe er zu Unrecht für entbehrlich gehalten. Zudem dürften nur nachweisbare und höchstwahrscheinliche schwere Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut den Zugang zum Beruf des Arztes in Frage stellen. So sei ein Approbationswiderruf nur denkbar, wenn durch das Verhalten des Arztes negative Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Gesundheitsversorgung zu befürchten seien. Vermögensdelikte müssten daher behandlungsrelevante Aspekte aufweisen, d.h. Auswirkungen auf die Behandlungsqualität haben. Dies sei bei dem Kläger jedoch nicht der Fall. Das Vermögen von Kassen und Kassenärztlicher Vereinigung würde hingegen nicht durch die Bundesärzteordnung geschützt. Auch sei die korrekte Abrechnung gegenüber den Krankenkassen bzw. der Kassenärztlichen Vereinigung nicht integraler Bestandteil einer würdigen Erfüllung der beruflichen Pflichten.

13

Es liege hier ausweislich der zugrunde gelegten Feststellungen des Strafurteils weder eine gemeingefährliche noch eine gegen die Person gerichtete Straftat vor, noch eine von der Allgemeinheit besonders missbilligte ehrenrührige Straftat, die ein eine Durchschnittsstraftat übersteigendes Unwerturteil enthalte, und zu einer tiefgreifenden Abwertung der Persönlichkeit des Klägers geführt habe. Es liege vielmehr nur ein Vergehen, kein Verbrechen, vor. Auch habe es dem Kläger an signifikanter krimineller Energie bei der Tatausführung gemangelt. Er habe, belastet durch die bedrückende familiäre Situation, schlicht nicht mehr die notwendige Energie für eine sachgerechte Abrechnung seiner korrekt erbrachten ärztlichen Leistungen im belegärztlichen Bereich aufgebracht. Er habe weder Urkunden gefälscht noch sein schlampiges Abrechnungsverhalten zu verbergen versucht. Der Beklagte habe über die Schadenshöhe hinaus keine weiteren Merkmale für die geforderte besonders schwere Straftat benannt. Eine andere Beurteilung könne sich auch nicht aus der "Gewerbsmäßigkeit" des Betruges ergeben, da Falschabrechnungen von Ärzten im Hinblick auf die quartalsmäßig neu zu erstellenden Abrechnungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung nur gewerbsmäßig, d.h. wiederholt, begangen werden könnten. Im Hinblick auf die Strafaussetzung zur Bewährung hätte der Beklagte wie auch die große Strafkammer des Landgerichts Lüneburg zu dem Schluss kommen müssen, dass der Kläger ungeachtet der Schadenshöhe eine unterdurchschnittliche Straftat mit einem Vorsatz auf unterster Stufe begangen habe. Es sei nicht hinnehmbar, dass der Beklagte den Unrechtsgehalt einer Straftat abweichend von der zuständigen Strafgerichtsbarkeit definiere. Von einer tiefgreifenden Abwertung der Persönlichkeit des Klägers sei nicht auszugehen.

14

Anders als der Beklagte meine, könne seine Persönlichkeit auch nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände objektiv gewürdigt und beurteilt werden, d.h. seiner außergewöhnlich belastenden familiären Lage, seiner intensiven Bemühungen um Schadenswiedergutmachung und die stets pflichtgemäße Patientenversorgung. In dieser familiär bedingten Extremsituation sei er bei der erfolgreichen Erfüllung seines ärztlichen Auftrags über die mit dem Vertragsarztberuf verbundenen bürokratischen Vorgaben gestrauchelt.

15

Auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hätte der Beklagte die Wiedergutmachung des strafrechtlich relevanten und des sozialrechtlichen Schadens durch den Kläger, den Verlust der wesentlichen Existenzgrundlage durch Rückgabe der vertragsärztlichen Zulassung, das die Verurteilung erst ermöglichende umfassende Geständnis, die freiwillige Auskunftserteilung über seine Vermögensverhältnisse sowie die infolge der Schadenswiedergutmachung erlittenen finanziellen Einschränkungen berücksichtigen müssen. Durch seine Verurteilung habe sein berufsbezogenes Ansehen nicht gelitten. Er genieße vielmehr unverändert das Vertrauen seiner Patientinnen. Auch werde seine persönliche und fachliche Integrität von seinen Kollegen nicht in Frage gestellt.

16

Da sich die Strafkammer bereits mit der Verhängung eines Berufsverbots mit dem Ergebnis, dass dies nicht veranlasst sei, befasst habe, stehe der erneuten Sanktion des Verhaltens nunmehr durch den Beklagten das Verbot der Doppelbestrafung aus Art. 103 Abs. 3 GG entgegen. Indem der Beklagte es unterlassen habe, darüber Zeugenbeweis des Strafrichters sowie des Prozessvertreters des Klägers zu erheben, habe er seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Der Beklagte habe unberücksichtigt gelassen, dass die Strafkammer im Rahmen der Prüfung des § 70 StGB nicht nur eine positive Sozialprognose abgegeben habe, sondern darüber hinaus betont habe, dass nur die Beibehaltung der Approbation es dem Kläger ermöglichen würde, sich im Sinne der §§ 56 ff. StGB sozial zu integrieren und zu stabilisieren, um seinen eingegangenen Verpflichtungen zur Schadenswiedergutmachung nachzukommen. Dies dürfe von der Beklagten nicht unterlaufen werden. Von einem "berufspolitischen Überhang" sei hier zudem nicht auszugehen. Der Hinweis auf die Möglichkeit der Wiedererteilung der Approbation erscheine im Hinblick auf das Alter des Klägers als leere Förmelei.

17

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 23. Juni 2009 aufzuheben.

18

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

19

Er bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid und führt ergänzend aus, dass der Kläger in Kenntnis der Anklageschrift die erhobenen Vorwürfe gestanden habe, woraus der Schluss zu ziehen sei, dass die Vorwürfe zutreffend gewesen seien. Auch Vermögensdelikte ohne behandlungsrelevante Aspekte seien geeignet, eine ärztliche Unwürdigkeit zu begründen. Der Approbationsbehörde stehe es zu, eine eigenständige Würdigung eines Sachverhaltes vorzunehmen. Zudem setze der Approbationswiderruf nur ein allgemeines Fehlverhalten, nicht aber die Begehung einer Straftat voraus. Es entspräche ständiger Rechtssprechung, dass individuelle Umstände nicht berücksichtigt werden könnten, wenn die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur ärztlichen Berufsausübung festgestellt worden sei. Die familiären Umstände des Klägers rechtfertigten weder sein Fehlverhalten, noch führten sie dazu, vom zwingend vorgeschriebenen Approbationswiderruf bei Unwürdigkeit Abstand zu nehmen. Auch eine Schadenswiedergutmachung schließe einen Approbationswiderruf ebenso wenig aus wie wegen der unterschiedlichen Zielrichtungen und Tatbestandsvoraussetzungen eine Strafaussetzung zur Bewährung. Ein konkreter Ansehensverlust werde nicht vorausgesetzt, da es nur auf die "abstrakte" Unwürdigkeit ankomme. Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung liege nicht vor. Das Strafurteil enthalte keine Ausführungen zur Prüfung eines Berufsverbots nach § 70 Abs. 1 StGB, so dass nicht festgestellt werden könne, ob das Gericht eine umfassende Prüfung aller Gesichtspunkte, die für eine standesrechtliche Ahndung in Betracht zu ziehen gewesen seien, geprüft und die maßgebenden berufspolitischen Erwägungen im Kern vorweggenommen habe. Das Landgericht habe vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass es nicht über den Fortbestand der Approbation entscheiden könne, sondern diese Entscheidung allein im Ermessen der zuständigen Behörde stehe.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie der ebenfalls beigezogenen Strafakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

21

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 23. Juni 2009 ist rechtmäßig,§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

22

Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Bundesärzteordnung (BÄO) ist die Approbation zu widerrufen, wenn der Arzt sich nachträglich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes ergibt. Der Widerruf der Approbation stellt einen verfassungsrechtlich unbedenklichen Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG dar.

23

Zwar greift ein Berufsverbot regelmäßig tief in das Recht der freien Berufswahl und zugleich in die private und familiäre Existenz ein. Es kann Lebenspläne von Betroffenen zunichte machen, die von Berufen ausgeschlossen werden, für die sie sich ausgebildet und die sie für sich und ihre Angehörigen zur Grundlage der Lebensführung gemacht haben. Solche Einschränkungen sind jedoch verfassungsrechtlich statthaft, wenn und solange sie zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter notwendig sind, wobei in diesen Zusammenhängen die Fähigkeit des Menschen zur Änderung und zur Resozialisierung nicht gänzlich außer Acht gelassen werden darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2002 - 3 C 37/01 -, [...]; VG Lüneburg, Urteil vom 11. Mai 2005 - 5 A 33/04 -, [...]).

24

Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist unter Berücksichtigung dessen rechtmäßig. Der Kläger hat sich eines Verhaltens schuldig gemacht, aus dem sich seine Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes ergibt. Seine Approbation war deshalb zu widerrufen.

25

Der Beklagte ist zu Recht von der Unwürdigkeit des Klägers zur Ausübung des Arztberufs ausgegangen. Ein Arzt ist zur (weiteren) Ausübung seines Berufes unwürdig i.S.d. § 5 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 1. Alt. BÄO, wenn er durch sein Verhalten nicht mehr das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar nötige Vertrauen besitzt. Erforderlich ist dazu ein schwerwiegendes Fehlverhalten, das bei verständiger Würdigung aller Umstände die weitere Berufsausübung zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung als untragbar erscheinen lässt. Wird die Untragbarkeit einer weiteren Berufsausübung bejaht, so bedarf es keiner weitergehenden Prognose zu konkret von dem Betroffenen in Zukunft zu erwartenden Verstößen. Aus dem vom Kläger u.a. zitierten (Nichtannahme-)Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. August 2007 (- 1 BvR 1098/07 -, [...]) ergibt sich insoweit kein anderer Maßstab. Darin wird die zuvor geschilderte verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu den Anforderungen an die "Unwürdigkeit" referiert und daran "vor dem Hintergrund einer möglicherweise verfassungsrechtlich unerlässlichen Prüfung, ob von dem Betroffenen prognostisch überhaupt eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, Zweifel geäußert". Diese Zweifel an der richtigen Auslegung des § 3 BÖA oder an dessen Verfassungskonformität werden vom Bundesverfassungsgericht aber nicht näher konkretisiert und geben daher auch keinen Anlass, die bisherige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ernstlich in Zweifel zu ziehen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 2. September 2009 - 8 LA 99/09 - und Beschluss vom 4. Dezember 2009 - 8 LA 197/09 -, OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. April 2009 - 13 A 9/09 -; BayVGH, Urteil vom 28. April 2010 - 21 BV 09.1993 -, alle zitiert nach [...]).

26

Der Beklage hat seine Entscheidung zutreffend auf den Sachverhalt gestützt, der Gegenstand der Anklage der Staatsanwaltschaft Lüneburg vom 26. November 2007 gewesen und insbesondere auch vom Landgericht Lüneburg in seinem Urteil vom 1. Oktober 2008 rechtskräftig festgestellt worden ist. Er konnte die darin enthaltenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen ohne weitere eigenständige Ermittlungen in der Angelegenheit übernehmen und zur Grundlage seiner behördlichen Entscheidung machen. Denn der Kläger hat die ihm zur Last gelegten Taten ausweislich des Protokolls über die öffentliche Sitzung des Landgerichts Lüneburg vom 1. Oktober 2008 eingeräumt. Darin hat der Verteidiger erklärt, dass die Anklage in "objektiver und subjektiver Hinsicht 'en détail'" zutreffe. Auf diesem einer strafprozessualen Absprache folgenden ausdrücklichen Geständnis basiert das strafgerichtliche Urteil. Anhaltspunkte für einen abweichenden Geschehensablauf oder die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen sind nicht zu erkennen. Dass der Kläger nunmehr im vorliegenden Verfahren einzelne Vorwürfe aus der Anklageschrift ohne nähere Begründung bestreitet, ist daher unerheblich. Sein Vortrag ist nicht geeignet, gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der getroffenen Feststellungen aufzuzeigen (vgl. zu alledem Nds. OVG, Beschluss vom 13. Januar 2009 - 8 LA 88/08 -, VG Lüneburg, Urteil vom 11. Mai 2005, a.a.O.; BayVGH, Urteil vom 28. April 2010, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 26. September 2002 - 3 C 37/01 - und Beschluss vom 6. März 2003 - 3 B 10/03 -, [...]). Vielmehr ist es Sache des Betroffenen, substantiiert seine Einwendungen gegen die nach seiner Meinung fehlerhaften Anschuldigungen in der Anklageschrift bzw. fehlerhaften Feststellungen im Strafurteil bereits im Strafprozess gegebenenfalls mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen geltend zu machen. Macht er davon keinen Gebrauch, muss er den Sachverhalt, der der strafgerichtlichen Entscheidung zugrunde liegt, im sich anschließenden Verwaltungsverfahren gegen sich gelten lassen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 13. Januar 2009, m.w.N.). Gemessen daran greift das Vorbringen des Klägers nicht durch, der Beklagte hätte die der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts Lüneburg nicht übernehmen und zur Grundlage seiner Entscheidung machen dürfen.

27

Die strafgerichtlichen Feststellungen zu Grunde gelegt, hat der Beklagte das für die Annahme der Unwürdigkeit erforderliche schwerwiegende Fehlverhalten seitens des Klägers zu Recht bejaht. Die Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt sich daraus, dass der Kläger durch die Betrugshandlungen, die er durch unberechtigte Abrechnungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen in einem strafrechtlich abgeurteilten Umfang von EUR 315.558,42 über einen mehrjährigen Zeitraum von Anfang 2002 bis zum 4. Januar 2007 hinweg begangen hat, das Ansehen und das in ihn gesetzte Vertrauen als Arzt dauerhaft zerstört hat. Er ist deshalb wegen gewerbsmäßig begangenen Betruges in 19 Fällen rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt worden.

28

Der Einwand des Klägers, das begangene Vermögensdelikt zulasten der Krankenkassen bzw. Kassenärztlichen Vereinigung könne für sich genommen den Widerruf der Approbation nicht rechtfertigten, greift nicht durch. Zwar mag den Angehörigen der Heilberufe heute nicht mehr in jeder Beziehung eine integere Lebensführung auferlegt sein und allein die Begehung eines (einzelnen) Vermögensdelikts durch einen Arzt noch nicht zu dessen Unwürdigkeit führen. Unwürdigkeit ist aber jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Arzt vorsätzlich eine schwere, gemeingefährliche oder gemeinschädliche oder gegen die Person gerichtete, von der Allgemeinheit besonders missbilligte, ehrenrührige Straftat begangen hat. Eine solche Straftat muss nicht unmittelbar im Verhältnis des Arztes zu seinem Patienten angesiedelt sein. Erfasst werden vielmehr auch alle mit der eigentlichen ärztlichen Tätigkeit in nahem Zusammenhang stehenden Handlungen und ferner, abhängig von der Schwere des Delikts, auch Straftaten außerhalb des beruflichen Wirkungskreises, wenn sie zu einem Ansehens- und Vertrauensverlust führen, die den Betroffenen für den ärztlichen Beruf als auf absehbare Zeit untragbar erscheinen lässt. Dabei sind Verhaltensweisen, die die korrekte Abrechnung der Leistungen durch den Arzt betreffen, berufsbezogen. Denn anders als der Kläger meint, gehört zur ordnungsgemäßen Ausübung des ärztlichen Berufs nicht nur ein fachlich beanstandungsfreies Handeln, sondern auch die Einhaltung der sonstigen Berufspflichten. So gehört es auch zu den Pflichten des Arztes, korrekt abzurechnen und sich nicht auf Kosten der privat versicherten Patienten, der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigung und damit den darin zusammengeschlossenen Ärzten betrügerisch zu bereichern (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 2. September 2009, a.a.O. und vorgehend VG Hannover, Urteil vom 25. März 2009 - 5 A 7411/06 -; BayVGH, Urteil vom 28. April 2010, a.a.O. und Beschluss vom 7. Februar 2002 - 21 ZS 01.2890 -, [...]; BVerwG, Urteil vom 26. September 2009, a.a.O.; VGH BadenWürttemberg, Beschluss vom 28. Juli 2003 - 9 S 1138/03 -, [...]).

29

Sichert sich ein Arzt - wie vorliegend der Kläger - durch die Begehung von Straftaten im Rahmen seiner Berufsausübung dauerhaft eine rechtswidrige Erwerbsquelle von einem nicht unerheblichen Umfang, so ist das Ansehen des Betroffenen, aber auch der Ärzteschaft im Ganzen erheblich beschädigt. Das allgemeine Vertrauen in die Seriosität der Ärzteschaft wäre in hohem Maß beeinträchtigt, wenn ein Angehöriger dieser Berufsgruppe trotz jahrelangen gewerbsmäßig begangenen Betruges in Ausübung der ärztlichen Tätigkeit sowie einer dadurch bedingten Verurteilung zu einer hohen Freiheitsstrafe weiter als Arzt tätig sein könnte (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 2. September 2009, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Juli 2003, a.a.O). Dabei ist für die Annahme unwürdigen Verhaltens nicht erforderlich, dass ein Ansehensverlust konkret eingetreten ist. Vielmehr ist eine abstrakte Betrachtungsweise maßgeblich. Es gilt ein objektiver Beurteilungsmaßstab, der unabhängig ist von zufälligen Umständen des Einzelfalles wie mangelnder Kenntnis der Umgebung vom Fehlverhalten oder mangelnder Sensibilität bei dessen Einschätzung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 2003, a.a.O.; vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. Februar 2002, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Juli 2003, a.a.O.). Damit greift der Einwand des Klägers, sein berufsbezogenes Ansehen habe durch seine Verurteilung nicht gelitten und er genieße unverändert das Vertrauen seiner Patientinnen, nicht durch. Auch ist aus diesem Grunde der auf Einholung eines demoskopisch/statistischen Sachverständigengutachtens gerichtete Beweisantrag unerheblich.

30

Eine andere, die Annahme unwürdigen Verhaltens ausschließende Einschätzung kommt auch nicht in Betracht, soweit der Kläger geltend macht, über den gewerbsmäßigen Betrug hinaus weder Urkunden gefälscht noch sein fehlerhaftes Abrechnungsverhalten zu verbergen versucht zu haben. Bereits die Verurteilung des Klägers wegen gewerbsmäßigen Betruges allein begründet nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung die Annahme schwerwiegender Verstöße gegen die berufsspezifischen Pflichten und damit von Unwürdigkeit i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 BÄO (vgl. etwa Nds. OVG, Be-schluss vom 2. September 2009, a.a.O.; BayVGH, Beschluss vom 27. Juli 2009 - 21 ZB 08.2988 -, [...]; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. April 2009, a.a.O.). Anders als der Kläger meint, sprechen bereits die Anzahl der Verfehlungen, der lange Tatzeitraum und der im großen Ausmaß entstandene Schaden für eine nicht unerhebliche kriminelle Energie und für die Annahme eines schwerwiegenden Vergehens. Diese Einschätzung des Beklagten wird gestützt durch die strafgerichtliche Verurteilung. Denn der Kläger wurde nicht nur wegen einfachen Betruges, sondern auf Grund der Gewerbsmäßigkeit (§ 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB) im Hinblick auf den langen Tatzeitraum und wegen Vorliegens eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes (vgl. § 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB) wegen 19-fachen Betruges im besonders schweren Fall verurteilt. Auch die Verurteilung zu 2 Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung zeugt von einem eher hohen Tatunrecht, wobei dem Kläger bei der Strafzumessung vor allem sein Geständnis, die freiwillige Verpflichtung zur Schadenswiedergutmachung, die Rückzahlung des dem Strafurteil zugrunde liegenden Schadens, die Aufgabe der belegärztlichen Tätigkeit, der Verlust der kassenärztlichen Zulassung und seine schwierigen privaten und beruflichen Verhältnissen zu gute kamen und diese entlastenden Umstände sowie die günstige Sozialprognose die Strafkammer veranlasst haben, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. An der zutreffenden Einschätzung des Beklagten zur Unwürdigkeit des Klägers zur weiteren Ausübung des Arztberufs ändert dies jedoch nichts. Denn im verwaltungsbehördlichen und -gerichtlichen Verfahren ist der für den Widerruf der Approbation relevante Sachverhalt eigenständig zu beurteilen. Die Beurteilung muss sich mit der im Strafverfahren, das anderen Zwecken dient, weder decken noch ist die für den Widerruf der Approbation zuständige Behörde an die strafrichterliche Würdigung im Rahmen der Strafzumessung bzw. der Strafaussetzung zur Bewährung gebunden. Insbesondere kommt es für den Widerruf wegen Unwürdigkeit zur Ausübung des Arztberufes, worauf der Beklagte den angefochtenen Bescheid maßgeblich gestützt hat, nicht auf zusätzliche individuelle Umstände, wie etwa das hohe Lebensalter des Betroffenen oder etwaige finanzielle Auswirkungen durch Praxisschließung infolge der Widerrufsverfügung, und auch - wie bereits ausgeführt - nicht auf eine Prognoseentscheidung für die Zukunft und damit auf ein zu erwartendes zukünftiges Verhalten des Arztes an (vgl. VG Lüneburg, Urteil vom 11. Mai 2005, a.a.O.; VG Hannover, Urteil vom 25. März 2009, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. April 2009, a.a.O.; BVerwG, Beschluss vom 14. April 1998 - 3 B 95/97 -, [...]).

31

Dies gilt auch angesichts des vom Kläger vorgetragenen Einwandes über die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch den Beklagten. Die Definition der Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs knüpft die Feststellung der Berufsunwürdigkeit gerade im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an hohe Voraussetzungen.

32

Sie verlangt, wie bereits ausgeführt, ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Arztes, das bei Würdigung aller Umstände seine weitere Berufsausübung im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens untragbar erscheinen lässt. Ist diese Voraussetzung gegeben, so ist der im Entzug der Approbation liegende erhebliche Eingriff in die Berufsfreiheit sachlich gerechtfertigt, ohne dass es noch einer zusätzlichen Auseinandersetzung mit individuellen Umständen, wie Alter des Betroffenen und Möglichkeiten anderweitiger beruflicher Betätigung, bedürfte. Im Übrigen trägt das Gesetz dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit generell dadurch Rechnung, dass es nach Abschluss des Verfahrens wegen Widerrufs der Approbation die Möglichkeit eröffnet, einen Antrag auf Wiedererteilung der Approbation zu stellen und ggf. zunächst eine Erlaubnis zur erneuten Ausübung des ärztlichen Berufs zu erhalten (vgl. § 8 Abs. 1 BÄO; OVG NordrheinWestfalen, Beschluss vom 2. April 2009, a.a.O.; BayVGH, Urteil vom 28. April 210, a.a.O.; Nds. OVG, Beschluss vom 4. Dezember 2009 - 8 LA 197/09 -, [...]; BVerwG, Beschluss vom 14. April 1998, a.a.O.). Dass dies für den Kläger aufgrund seines Alters nur eingeschränkt in Betracht kommt, ist für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung nicht erheblich. Denn bei der Beurteilung der Unwürdigkeit eines Arztes für die weitere Berufsausübung kann bei älteren Ärzten kein anderer Maßstab angelegt werden als bei jüngeren Kollegen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Juli 2003, a.a.O.).

33

Ebenso wenig vermag das Wohlverhalten des Klägers nach Tataufdeckung die Feststellung unwürdigen Verhaltens auszuschließen, denn dies dürfte er zumindest auch unter dem Druck des Ermittlungsverfahrens sowie des schwebenden bzw. drohenden behördlichen Verfahrens an den Tag gelegt haben. Dies gilt auch im Hinblick auf die Schadenswiedergutmachung, wozu ohnehin eine rechtliche Verpflichtung besteht. Es kann daher für sich allein betrachtet den im Begehen der Straftaten liegenden Vorwurf massiven Fehlverhaltens nicht entkräften (vgl. auch VG Hannover, Urteil vom 25. März 2009, a.a.O.; BayVGH, Urteil vom 28. April 2010, a.a.O.). Soweit der Kläger geltend macht, dass der Widerruf der Approbation der Bewährungsauflage des Landgerichts Lüneburg zur Wiedergutmachung des entstandenen Schadens zuwiderlaufe, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung.

34

Aus vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass es dem Kläger nicht nur an der beruflichen Würdigkeit fehlt. Er ist darüber hinaus auch für die Ausübung des ärztlichen Berufs unzuverlässig i.S.d. § 5 Abs. 2 Satz 1 i.V.m.§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. BÄO. Unzuverlässig in diesem Sinne ist, wer aufgrund seines bisherigen Verhaltens keine Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft seinen Beruf als Arzt ordnungsgemäß ausüben wird. Unzuverlässigkeit in diesem Sinn ist dann zu bejahen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Arzt werde in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten nicht beachten. Abzustellen ist für die somit anzustellende Prognose auf die jeweilige Situation des Arztes im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens. Ausschlaggebend für die Prognose der Zuverlässigkeit ist die Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Arztes und seiner Lebensumstände auf der Grundlage der Sachlage zu diesem Zeitpunkt. Dabei ist auf den vor allem durch die Art, Schwere und Zahl der Verstöße gegen die Berufspflichten deutlich gewordenen Charakter des Arztes abzustellen. Es genügt die begründete Besorgnis, der Arzt werde seinen Berufspflichten und den beruflichen Anforderungen nicht mehr gerecht (vgl. BayVGH, Urteil vom 28. April 2010, a.a.O.; VG Lüneburg, Urteil vom 11. Mai 2005, - 5 A 33/04 -, [...] m.w.N.).

35

Das ist hier der Fall, und zwar ungeachtet der Entscheidung der Strafkammer zur Aussetzung der Strafe zur Bewährung, der insoweit ein anderer Ansatz zu Grunde liegt (vgl. im Einzelnen OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. April 2009, a.a.O). Der Umfang der dem Widerruf der Approbation zu Grunde gelegten Pflichtverletzungen und die dadurch manifestierten Charaktereigenschaften gaben im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung Anlass zu der Befürchtung, der Kläger werde auch künftig die einem Arzt obliegenden Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen, so dass die gebotene Zukunftsprognose hinsichtlich seiner Zuverlässigkeit zu seinen Ungunsten ausfallen muss. Diese Einschätzung ändert auch nicht das Eingeständnis der Straftaten, die Schadenswiedergutmachung oder das sonstige Nachtatverhalten des Klägers. Denn dies allein lässt im Hinblick auf das mehrere Jahre andauernde und einen hohen Schaden verursachende Fehlverhalten eine günstige Prognose in Bezug auf die künftige Berufsausübung noch nicht zu, sondern ist ersichtlich nur unter dem Druck des Strafverfahrens und des drohenden Verwaltungsverfahrens erfolgt. Es ist daher nicht geeignet, den im Begehen der Straftaten liegenden Vorwurf massiven Fehlverhaltens zu entkräften. Vielmehr hat der Kläger durch den erheblichen und gezielten Missbrauch des ärztlichen Abrechnungssystems mit dem Ziel, sich persönlich unrechtmäßig zu bereichern, das für die Ausübung des ärztlichen Berufs erforderliche Vertrauen in eine künftige ordnungsgemäße Berufsausübung zerstört (vgl. dazu auch BayVGH, Urteil vom 28. April 2010, a.a.O.),

36

Der Widerruf der Approbation ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Landgericht Lüneburg in seinem Urteil vom 1. Oktober 2008 dem Kläger eine günstige Sozialprognose gestellt und ein Berufsverbot nicht verhängt hat. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt insbesondere kein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung aus Art. 103 Abs. 3 GG vor. So stellt sich die vom Kläger aufgeworfene Frage nach der Zulässigkeit einer "Doppelbestrafung, Doppelbefassung" bereits deshalb nicht, weil der Widerruf der Approbation keine (weitere) Bestrafung des Klägers, sondern eine Maßnahme zur Abwehr der Gefahren darstellt, die von der Tätigkeit eines unzuverlässigen oder zur Berufsausübung unwürdigen Arztes ausgehen.

37

Eine Maßregel der Besserung und Sicherung im Sinne des § 70 StGB, die die vom Kläger angeführte Frage eines berufsrechtlichen "Überhangs" aufwerfen könnte, ist im Strafverfahren zudem nicht angeordnet worden (vgl. hierzu auch BVerwG, Beschluss vom 27. Oktober 2010, - 3 B 61/10 -, [...]). Das Urteil enthält keinerlei Erwägungen zur Verhängung eines Berufsverbots. Allein deshalb kann keine Bindungswirkung, auch nicht an die strafrichterlichen Strafzumessungserwägungen bzw. Erwägungen zur Strafaussetzung zur Bewährung, bestehen. Auch ist ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung nicht anzunehmen (vgl. etwa auch VG Lüneburg, Urteil vom 11. Mai 2005, a.a.O.; VG Hannover, Urteil vom 25. März 2009, a.a.O.). Im Übrigen heißt es in den Urteilsgründen ausdrücklich, dass der entscheidenden Strafkammer bewusst sei, dass sie selbstverständlich nicht im Rahmen der Erteilung von Auflagen oder Weisungen über den Fortbestand der Approbation entscheiden könne, sondern diese Entscheidung allein im Ermessen der zuständigen Behörde stehe. Eine Prüfung durch das Strafgericht zur Verhängung eines Berufsverbots im Sinne einer erschöpfenden Würdigung des Sachverhalts unter berufsrechtlichen Gesichtspunkten, d.h. einer Prüfung aller bedeutsamen Aspekte bei gleichzeitiger Vorwegnahme der maßgeblichen berufsrechtlichen Erwägungen (vgl. BVwerG, Urteil vom 28. April 2010 - 3 C 22/09 -, [...]), hat es daher hier nicht gegeben. Daraus folgt zugleich, dass der auf Vernehmung des Vorsitzenden Richters am Landgericht beim Landgericht Lüneburg sowie des Strafverteidigers des Klägers gerichtete Beweisantrag des Klägers wegen Unerheblichkeit abzulehnen war. Auch ist dem Beklagten aus diesem Grunde eine Verletzung der ihm obliegenden Amtsermittlungspflichten wegen der nicht erfolgten Vernehmung des Vorsitzenden Richters der Strafkammer sowie des Strafverteidigers nicht vorzuhalten.

38

Da nach alledem die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO in der Person des Klägers nicht mehr vorgelegen haben, musste die Beklagte seine Approbation als Arzt widerrufen. Ihr war insoweit kein Ermessen eingeräumt (vgl. dazu auch VG Lüneburg, Urteil vom 11. Mai 2005 - 5 A 33/04 -; BVerwG, Urteil vom 16. September 2007 - 3 C 12/95 -; BayVGH, Urteil vom 28. April 2010, a.a.O., alle zitiert nach [...]).

39

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

40

Gründe für die Zulassung der Berufung sind nicht gegeben.

41

Rechtsmittelbelehrung

42

Gegen das Urteil ist die Berufung statthaft, wenn sie von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

43

...

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30.000,- EUR festgesetzt.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht statthaft, wenn sie in diesem Beschluss zugelassen worden ist oder der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt.

...

von Alten
Bendlin
Dr. Thorn-Christoph