Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 24.01.2019, Az.: 4 A 723/17

Befreiung; Geschossflächenzahl

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
24.01.2019
Aktenzeichen
4 A 723/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 70096
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Befreiung von der Einhaltung der Geschossflächenzahl

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 30.06.2016 verpflichtet, den Klägern die mit Antrag vom 29.12.2015, unter Einbeziehung der Nachträge vom 03.03.2016 und 12.04.2016 beantragte Baugenehmigung unter Erteilung einer Befreiung für die Ausführungsvariante mit einer Geschossflächenzahl von 0,34 zu erteilen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Erteilung einer Baugenehmigung unter Befreiung von der Festsetzung der Geschossflächenzahl durch den Bebauungsplan.

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstückes mit der postalischen Anschrift E. 19B, Flurstück 00/00, Flur 00, Gemarkung Kirchrode. Es handelt sich um ein Hinterliegergrundstück in einem mit freistehenden Einfamilienhäusern bebauten Quartier.

Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des zum 03.04.1985 in Kraft getretenen Bebauungsplanes Nr. 653 der Beklagten. Dieser setzt für das Gebiet im rückwärtigen Bereich eine eingeschossige, in offener Bauweise errichtete Wohnbebauung, sowie eine Grundflächen- und Geschossflächenzahl von 0,30 fest. Bei der straßenseitigen Bebauung ist eine Geschossflächenzahl von 0,4 zulässig.

Mit Bauantrag vom 29.12.2015 sowie den Nachträgen vom 03.03.2016 und 12.04.2016 beantragten die Kläger die Genehmigung der Bebauung des Grundstückes mit einem Einfamilienhaus in mehreren Varianten.

Das Bauvorhaben wies in seiner Grundvariante eine Grundflächen- und Geschossflächenzahl von 0,30 auf und verfügte über ein Staffelgeschoss, das von den Beteiligten nicht als zweites Vollgeschoss klassifiziert worden ist.

Für die zwei hilfsweise kumulativ und alternativ zur Genehmigung gestellten abweichenden Varianten beantragten die Kläger die Befreiung von der Festsetzung der Geschossflächenzahl bei gleichbleibender Kubatur des Hauses.

Die erste abweichende Variante unterscheidet sich durch eine andere Raumaufteilung im Staffelgeschoss. Zwei Abstellräume zu etwa 5qm Grundfläche und ein Flur mit 11qm Grundfläche sollen zu einer Galerie verbunden werden. Damit entstünde ein Aufenthaltsraum, der die Geschossflächenzahl den Antragsunterlagen zufolge um 0,02 anhebt.

Die zweite abweichende Variante beinhaltete, dass im Erdgeschoss anstelle eines Arbeitszimmers mit 10,88qm Grundfläche und einer angrenzenden Loggia/Terrasse mit etwa 10qm Grundfläche ein einzelnes Arbeitszimmer mit einer Grundfläche von 20,80qm entsteht. Die Geschossflächenzahl steigt durch diese Variante ebenfalls um 0,02.

Bei der Realisierung beider Varianten liegt die Geschossflächenzahl gemäß den Antragsunterlagen bei 0,34. Die äußere Kubatur des Gebäudes ändert sich hierdurch nicht. Äußerlich sind die Veränderungen den eingereichten Bauunterlagen zufolge nicht sichtbar, sie betreffen alleine die Aufteilung der Räumlichkeiten im Inneren des Gebäudes. Die Grundflächenzahl von 0,3 wird auch in den beantragten Varianten eingehalten.

Mit Bescheid vom 28.04.2016 genehmigte die Beklagte die Errichtung der Variante in der Ausführung mit einer Geschossflächenzahl von 0,30. Das Gebäude ist inzwischen errichtet.

Mit Bescheid vom 30.06.2016, bekanntgegeben am 07.07.2016, lehnte die Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für die beantragten Varianten mit einer höheren Geschossflächenzahl ab. Die Beklagte begründete die Entscheidung damit, dass in der Festsetzung der Geschossflächenzahl von 0,3 ein planerischer Wille erkennbar sei, der auf eine lockere, niedrige und wenig verdichtete Bebauung mit einer geringen Nutzungsintensität abziele. Dies trage den Interessen der Grundstückseigentümer im Quartier Rechnung. Mit der begehrten Befreiung von dieser Festsetzung und der Genehmigung einer Ausführung mit einer Geschossflächenzahl von 0,34 entstünden zwei zusätzliche Aufenthaltsräume und genügend Wohnfläche für eine kleine Einliegerwohnung, was die Grundzüge der Planung im Sinne des § 31 Abs. 1 BauGB berühre und eine Befreiung ausschließe. Die Befreiung hätte auch eine unerwünschte Vorbildwirkung für die Nachbarschaft.

Die Kläger legten gegen diese Entscheidung am 01.08.2016 Widerspruch ein, den sie mit Schriftsatz vom 09.10.2016 begründeten. Sie stellten im Wesentlichen darauf ab, dass sich in der Umgebung etliche Häuser befänden, welche die Geschossflächenzahl von 0,3 überschritten. Es handele sich um eine relevante Ungleichbehandlung, wenn den Klägern eine vergleichbare Überschreitung verwehrt bleibe. Weiterhin habe eine Neuberechnung ergeben, dass die Geschossflächenzahl im Falle einer umfänglichen antragsgemäßen Befreiung 0,3351 betragen würde.

Am 18.01.2017 haben die Kläger Untätigkeitsklage erhoben.

Sie wiederholen und vertiefen die Begründung des Widerspruchs im Wesentlichen dahingehend, dass die Festsetzung der Geschossflächenzahl im Bebauungsplan unwirksam sei, jedenfalls aber eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt werden müsse. Die Voraussetzungen von § 31 Abs. 2 BauGB lägen vor. Die Überschreitung der Geschossflächenzahl berühre die Grundzüge der Planung nicht, und auch sonst spreche nichts gegen die Befreiung. Insbesondere werde das Gebäude in seiner Kubatur nicht verändert. Dieses Beispiel zeige, dass die Geschossflächenzahl als Festsetzung den von der Beklagten behaupteten Grundzug der Planung überhaupt nicht gewährleisten könne, da äußerlich identische Gebäude durch unterschiedliche Raumaufteilung im Inneren auch unterschiedliche Geschossflächenzahlen aufweisen könnten, ohne dass sich dies auf die wahrnehmbare Bebauungs- und Ausnutzungsintensität in einem Wohngebiet auswirken würde. Auch die behauptete Vorbildwirkung fehle, da sich die Geschossflächenzahl erst anhand von Grundrissen ermitteln lasse, welche nachahmungswilligen Bauherren aber nicht bekannt seien. Sollte es sich bei der Geschossflächenzahl um einen Grundzug der Planung handeln, der eine weitergehende Verdichtung bezwecken solle, werde dieser Zweck jedenfalls im vorliegenden Fall nicht tangiert, da die Varianten mangels äußerlicher Veränderungen an dem Gebäude keine bauliche Verdichtung des Baugebietes nach sich zögen.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 30.06.2016 verpflichtet, den Klägern die mit Antrag vom 29.12.2015, unter Einbeziehung der Nachträge vom 03.03.2016 und 12.04.2016 beantragte Baugenehmigung unter Erteilung einer Befreiung für die Ausführungsvariante mit einer Geschossflächenzahl von 0,34 zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf den angegriffenen Ablehnungsbescheid und ergänzt dessen Begrünung dahingehend, dass in der Umgebung lediglich zwei Gebäude genehmigt von der Festsetzung abwichen. Die Überschreitung sei mit einer Geschossflächenzahl von 0,303 und 0,3086 jedoch geringfügig. Bei einer Geschossflächenzahl von 0,3351 ließe sich das nicht mehr behaupten.

Weitere Abweichungen seien nicht genehmigt und damit ebenfalls rechtswidrig. Sie beruhten teilweise auf rechtlich überholten oder verfehlten Einschätzungen der Beklagten, teilweise auf Verstößen der Bauherren. In einigen Fällen handele es sich entgegen der Auffassung der Kläger nicht um Abweichungen, da Räumlichkeiten beispielsweise aufgrund einer zu niedrigen Deckenhöhe oder der Anzahl der Fenster die Qualität eines Aufenthaltsraumes fehle und sie deswegen nicht in die Geschossflächenzahl einzubeziehen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Sie ist insbesondere als Verpflichtungsklage in Gestalt der Untätigkeitsklage statthaft, weil über den am 01.08.2016 eingelegten Widerspruch der Kläger gegen den Bescheid vom 30.06.2016 bis zum heutigen Tage ohne zureichenden Grund nicht entschieden ist. Der Durchführung eines Vorverfahrens nach § 68 VwGO bedarf es deshalb gemäß § 75 VwGO nicht.

Die Klage ist auch begründet.

Die Kläger haben einen spruchreifen Anspruch auf Erteilung der für die Ausführungsvariante „Geschossflächenzahl 0,34“ mit einer tatsächlichen Geschossflächenzahl von 0,3351 beantragten Baugenehmigung unter Befreiung von der Festsetzung der Geschossflächenzahl von 0,3 durch den Bebauungsplan Nr. 653. Der Ablehnungsbescheid vom 30.06.2016 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Der Anspruch der Kläger auf Erteilung der Baugenehmigung folgt aus § 70 Abs. 1
Satz 1 NBauO. Die formellen und materiellen Voraussetzungen der Vorschrift sind gegeben. Insbesondere entspricht die streitgegenständliche Baumaßnahme dem öffentlichen Baurecht.

Das öffentliche Baurecht umfasst das Bauplanungsrecht, mithin auch § 30 Abs. 1 BauGB, sodass Widersprüche eines Bauvorhabens zu den Festsetzungen eines Bebauungsplanes ihrer bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit grundsätzlich entgegenstehen. Das streitgegenständliche Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 653, der eine Geschossflächenzahl im Sinne von § 20 Abs. 2 BauNVO von 0,3 festschreibt. Das streitgegenständliche Vorhaben bringt es auf eine Geschossflächenzahl von 0,3351 und widerspricht dem Bebauungsplan hinsichtlich der Festsetzung zum Maß der baulichen Nutzung.

Den Klägern steht jedoch insoweit ein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von dieser Festsetzung zu.

Nach dieser Vorschrift kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, die Befreiung erfordern oder die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Die begehrte Befreiung berührt die Grundzüge der Planung nicht.

Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in den mit der Planung gefundenen Interessenausgleich eingreift, desto eher liegt es nahe, dass das Planungskonzept in einem Maße berührt wird, das eine (Um-)Planung erforderlich macht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.03.1999 - 4 B 5.99 -, juris; Beschluss vom 19.05.2004 - 4 B 35.04 -, juris; Urteil vom 18.11.2010 - 4 C 10/09 -, Rn. 37, juris; Urteil vom 02.02.2012 - 4 C 14/10 -, Rn. 22, juris). Was den Bebauungsplan in seinen „Grundzügen“, was seine „Planungskonzeption“ verändert, lässt sich nur durch Planung ermöglichen und darf nicht durch einen einzelfallbezogenen Verwaltungsakt der Baugenehmigungsbehörde zugelassen werden. Denn die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach § 2 BauGB der Gemeinde und nicht der Bauaufsichtsbehörde; hierfür ist ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange vorgeschrieben, von dem nur unter engen Voraussetzungen abgesehen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.06.1978 - 4 C 54.75 -, Rn. 27, juris; Urteil vom 02.02.2012 - 4 C 14/10 -, Rn. 22, juris).

Ausgangspunkt der Betrachtung ist vorrangig der Bebauungsplan selbst und die Gesamtschau der unterschiedlichen Festsetzungen (OVG Thüringen, Beschluss vom 26.07.1996 - 1 EO 662/95 -, NVwZ-RR 1997, 596; Siegmund, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 39. Auflage 2017, § 31, Rn. 61) sowie die Planbegründung (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 05.06.2009 - 2 Bs 26/09 -, NordÖR 2009, S. 310). Ergänzend können die Planaufstellungsvorgänge herangezogen werden (BVerwG, Beschluss vom 19.05.2004 - 4 B 35/04 -, BeckRS 2004, 22801; VG Hamburg, Urteil vom 30.01.2018 – 7 K 1901/16 –, Rn. 45, juris; Siegmund, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 39. Ed., Stand: 10/2017, § 31, Rn. 61). Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein. Eine Befreiung von einer Festsetzung, die für die Planung tragend ist, darf nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.03.1999 - 4 B 5.99 -, Rn. 6, juris; Beschluss vom 29.07.2008 - 4 B 11/08 – Rn. 4, juris; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 13. Auflage 2016, § 31 Nr. 36).

Die an diesen Maßgaben orientierte Auswertung ergibt, dass die streitgegenständliche Befreiung die Grundzüge der Planung nicht zu berühren vermag.

Grundsätzlich gehören zu den Grundzügen der Planung gerade die planerischen Festsetzungen, die zu der Umsetzung des Gestaltungskonzeptes eines Baugebietes beitragen. Ein solches Konzept kann auch darauf abzielen, ein von dem Planungsgeber gewünschtes Wohnmilieu zu erhalten oder zu schaffen, sodass die Planung auch darauf gerichtet sein kann, Quartiere zu schaffen, die von einer geringen Grundstücksauslastung, niedriger Bebauungshöhe, einem ausgewogenen Verhältnis zwischen bebauten Flächen und Grün-/Freiflächen und einer geringen Bewohnerdichte geprägt sind (so z.B. der Fall bei VGH München, Beschluss vom 04.11.2009 – 9 CS 09.2422 -, BeckRS 2011, 46043, beck-online).

Der Beklagten ist auch darin beizupflichten, dass sich ein entsprechendes Konzept im hiesigen Fall dem Bebauungsplan Nr. 653 entnehmen lässt. Diesem Bebauungsplan lässt sich entnehmen, dass die Planungsgeberin im Geviert Bünteweg/E. /Steinbergstraße mit den Festsetzungen ein Konzept verfolgt hat, mit dem ein reines Wohngebiet entstehen sollte, dessen Attraktivität in geringer baulicher Auslastung und Nutzung liegen sollte. Diesem Zweck dienen erkennbar die Festsetzungen des reinen Wohngebietes, der Grundflächenzahl von 0,3, die Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen, die Beschränkung auf ein Vollgeschoss, die Begrenzung der Höhe baulicher Anlagen auf 7,5 Meter bezogen auf die nächstgelegene öffentliche Verkehrsfläche und die Beschränkung auf Wohngebäude mit maximal zwei Wohnungen. Auch Festsetzungen zur Geschossflächenzahl können in diesem Zusammenhang einen Grundzug der Planung darstellen.

Befreiungen kommen bei einer solchen Grundkonzeption des Bebauungsplanes jedoch in Betracht, wenn durch sie von Festsetzungen abgewichen werden soll, die das jeweilige Planungskonzept nicht tragen, oder wenn die Abweichung von Festsetzungen, die für die Grundzüge der Planung maßgeblich sind, nicht ins Gewicht fallen (BVerwG, Beschluss vom 19.05.2004 – 4 B 35.04 -, juris, Rn. 3) und die Befreiung das planerische Konzept, das den Festsetzungen des Bebauungsplans zu Grunde liegt, nicht verändert (BVerwG, Urteil vom 19.09.2002 – 4 C 13.01-, juris, Rn. 27, juris; EZBK/Söfker, 131. EL Oktober 2018, BauGB § 31 Rn. 36).

Vorliegend erscheint bereits zweifelhaft, ob die von der Beklagten behaupteten Ziele mit der Festsetzung der Geschossflächenzahl auf 0,3 zu erreichen sind, ob also diese Festsetzung die Verwirklichung der oben genannten planerischen Grundkonzeption tatsächlich trägt. Soweit die Beklagte nämlich darauf abstellt, dass mit dem Bebauungsplan eine bestimmte Bebauungsdichte und Nutzungsintensität für das Quartier geregelt werden soll, die den Charakter des Quartiers als gehobenes Wohnviertel mit freistehenden, großzügigen Ein- bis Zweifamilienhäusern und geringer Bevölkerungsdichte entwickeln sollen, erschließt sich nicht, welche Wirkung hierbei der Geschossflächenzahl neben der ebenfalls festgesetzten Grundflächenzahl, der Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen, der Begrenzung der Vollgeschosse, der offenen Bauweise und der Begrenzung der Gesamthöhe der Bebauung noch zukommen kann. Von den benannten Kriterien ist die Geschossflächenzahl jedenfalls diejenige Festsetzung, die sich einem Gebäude von außen am wenigstens ablesen lässt, da es für sie auf die Eignung der Räumlichkeiten im Inneren des Gebäudes für bestimmte Nutzungszwecke, insbesondere den dauerhaften Aufenthalt von Personen, ankommt. Gerade die schriftlich wie mündlich erörterte Auswertung der Geschossflächenzahlen der benachbarten Wohnhäuser zeigte eindrücklich die nur bedingte Eignung dieser Festsetzung, die benannten Ziele zu erreichen. So hat die Auswertung der Genehmigungsakten etwa ergeben, dass Räume, die über Fensterflächen verfügen, die weniger als 1/8 der Grundflächen des dazugehörigen Raumes einnehmen, von der Beklagten nicht als Aufenthaltsräume klassifiziert werden und somit nicht zur Geschossflächenzahl beitragen. Ähnliches war für Räume mit einer Deckenhöhe von 2,19 Metern festzustellen. Dieser Umgang nährt Zweifel an der Annahme, dass die festgesetzte Geschossflächenzahl die ihr von der Beklagten zugeschriebene Steuerungswirkung für die Bebauungsdichte in dem Quartier entfalten kann. So könnten die Kläger beispielsweise in ihrer gewünschten Variante auf die Fenster des zuvor als Loggia geplanten Raumes verzichten. Hierdurch verlöre nach der bisherigen Verwaltungspraxis der Beklagten das gesamte Arbeitszimmer mit einer Grundfläche von 20,80qm seine Aufenthaltsraumqualität und wäre nicht mehr im Rahmen der Geschossflächenzahl zu berücksichtigen. Damit wäre auch die Umgestaltung der Abstellräume und des Flures im Staffelgeschoss zu einer Galerie ermöglicht. Die hier streitgegenständliche Variante würde folglich eine Geschossflächenzahl von 0,30 einhalten, wenn die Kläger in ihrem Bauantrag auf einige Fenster verzichtet hätten. Eine solche Veränderung trägt nach Auffassung der Kammer nichts dazu bei, eine gewünschte Nutzungsintensität und Bebauungsdichte in dem Plangebiet zu erhalten. Zugleich erscheint es wenig überzeugend, einer Festsetzung, die sehenden Auges zur Schaffung von Umgehungstatbeständen einlädt, die Bedeutung eines Grundzuges der Planung zuzuschreiben.

Letztlich kann diese Frage dahingestellt bleiben. Selbst wenn die Geschossflächenzahl, wie die Beklagte meint, zu den eingangs dargestellten Grundzügen der Planung beiträgt, sind diese jedenfalls nicht durch die angestrebte Befreiung berührt. Die Kläger verweisen hier zutreffend darauf, dass die begehrten Änderungen, die zu der Erhöhung der Geschossflächenzahl führen, ohne eine Veränderung der Kubatur und damit des Volumens des Bauvorhabens umgesetzt werden. Die Erhöhung der Geschossflächenzahl ergibt sich aus der Zusammenlegung von Abstellräumen und einem Flur zu einer Galerie, weil diese als Aufenthaltsraum zu klassifizieren wäre, die Räume für sich aber aufgrund ihrer Größe keine Aufenthaltsraumqualität bieten. Ähnliches gilt für die Loggia im Erdgeschoss, die bereits vorhanden ist, aber erst durch ihre Verbindung mit dem angrenzenden Arbeitszimmer Aufenthaltsraumqualität erlangt und in die Geschossflächenzahl einfließt. Beide Umgestaltungen betreffen damit alleine die Raumausschnitte innerhalb des Hauses in diesem, ohne dass diese Veränderungen dem Gebäude von außen anzusehen wären. Das Gebäude ist von außen nahezu identisch, insbesondere das Volumen des Baukörpers bleibt gänzlich unverändert und damit auch die mit seiner Massivität verbundenen Auswirkungen auf die Bebauungsdichte des Gevierts. Es ist daher nicht erkennbar, dass eine entsprechende Befreiung sich überhaupt auf das Interessengeflecht der Planung hinsichtlich der Nutzungs-, Bebauungs- und Bewohnerdichte auswirken würde, da diese Faktoren gänzlich unberührt blieben. In diesem Zusammenhang erscheint auch der Einwand der Beklagten, dass die entstehende Fläche einer kleinen Einliegerwohnung entspricht, konstruiert. Aus den Bauunterlagen ergibt sich, dass gerade keine Einliegerwohnung errichtet, sondern ein Arbeitszimmer und ein Flur erweitert werden sollen. Insbesondere werden keine zusätzliche Küche und keine weiteren sanitären Einrichtungen geschaffen. Aus Sicht der Kammer ist eine Vermietung, die zu einer Bevölkerungsverdichtung führen könnte, nicht zu befürchten. Im Übrigen lässt der Bebauungsplan Nr. 653 ausdrücklich auch Wohnhäuser mit zwei Wohnungen zu.

Als weiteres Indiz dafür, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, kann herhalten, dass bei einer Parallelbetrachtung nach § 34 Abs. 1 BauGB sich das Vorhaben in die Umgebung einfügen würde (Schrödter, Baugesetzbuch, BauGB, 9. Auflage 2019, § 31 Rn 21a m.w.N., beck-online). Es hält sich sowohl in der genehmigten, als auch in der streitgegenständlichen Variante an die durch die unmittelbare Umgebung gesetzten Maßstäbe. Der Geschossflächenzahl kommt auch im Rahmen von § 34 Abs.1 BauGB nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur eine eingeschränkte Bedeutung zu, da es sich nicht um eine Festsetzung handelt, die äußerlich Wahrnehmbar ist (BVerwG, 23.03.1994, Rn. 14).

Auch die Einwände der Beklagten hinsichtlich der Vorbildwirkung greifen nicht durch. Hier ist zum einen festzuhalten, dass sich die Auswirkungen der Befreiung an dem Gebäude äußerlich nicht zeigen, sodass sich die Frage stellt, wie ein Nachahmungseffekt sich überhaupt ausprägen könnte. Hinzu kommt aber auch, dass in der Umgebung zum einen die für eine Nachahmung in Frage kommenden Baulücken weitgehend geschlossen sind und ohnehin eine Vielzahl der in der Umgebung tätigen Bauherren bereits Möglichkeiten gefunden haben, auch unter teilweise formeller Einhaltung der Geschossflächenzahl die Bebaubarkeit ihrer Grundstücke auszureizen, sodass für sie weder Anlass noch Raum für eine Nachahmung besteht. Aus diesem Grunde ist auch nicht davon auszugehen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Befreiung um einen Eingriff in das örtliche Interessengeflecht handelt, der in seiner Umgebung nur durch Planung zu bewältigende Spannungen hineinträgt, weil sich die Gründe für die Befreiung auf eine Vielzahl vergleichbarer Vorhaben übertragen ließen.

Die Abweichung ist im Sinne von § 31 Abs. 2 Nr. 2 städtebaulich vertretbar. Städtebauliche Vertretbarkeit bedeutet zunächst die Vereinbarkeit mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung gemäß den Anforderungen des § 1 BauGB (Begründung zum Regierungsentwurf zum BauGB, BT-Drs. 10/4630 S. 85). Das Merkmal beinhaltet also, dass die Befreiung mit den Grundsätzen des § 1 BauGB, insbesondere der Abwägung, vereinbar ist (BVerwG, Beschluss vom 20.11.1989 – 4 B 163.89 -, vor Rn. 1, beck-online; OVG Berlin, Urteil vom 13.06.1991 – 2 B 29.88 -, NVwZ-RR 1992, 228, beck-online). Die Abweichung müsste also in einem Planungsänderungsverfahren zum Inhalt des Bebauungsplans gemacht werden können, von dem abgewichen werden soll (BVerwG, Urteil vom 17.12.1998 – 4 C 16.97, vor Rn. 1, beck-online; EZBK/Söfker, 131. EL Oktober 2018, BauGB § 31 Rn. 47). Vorliegend spricht nichts dagegen, entsprechende Festsetzungen zu treffen.

Die Abweichung ist auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Wie erläutert werden durch die Befreiung die mit dem Bebauungsplan verfolgten Ziele und Zwecke und insbesondere die mit den Festsetzungen geschaffenen Ausgleiche an Belangen nicht berührt. Die Befreiung hat insbesondere keine Auswirkungen auf die Nachbarschaft, da die bauliche Veränderung für die Nachbarn weder sichtbar, noch in sonst irgendeiner Weise wahrnehmbar ist, sodass keine nachbarlichen Interessen mit der Befreiung betroffen werden.

Schließlich kann dahingestellt bleiben, ob für die Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB auch eine Atypik des Sachverhaltes erforderlich ist (siehe zum Streitstand EZBK/Söfker, 131. EL Oktober 2018, BauGB § 31 Rn. 29ff; BeckOK BauGB/Siegmund, 44. Ed. 1.2.2019, BauGB § 31 Rn. 37). Die Besonderheit des hier zu entscheidenden Sachverhaltes liegt darin, dass die Kläger mit der Baumaßnahme ihre Geschossflächenzahl um 0,3351 erhöhen würden, ohne äußerlich sichtbare Veränderungen an ihrem Gebäude vorzunehmen. Hierbei handelt es sich um eine Besonderheit, welche die Plangeberin bei der Festsetzung der Geschossflächenzahl auf 0,3 nicht vorhergesehen haben dürfte. Dass sich im Plangebiet noch weitere Wohngebäude befinden, bei der in gleicher Art eine Befreiung von der Geschossflächenzahl ernstlich in Betracht käme, ist von der Beklagten nicht substantiiert vorgetragen.

Die Sache ist auch spruchreif, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Grundsätzlich steht die Entscheidung über Befreiungen im gemäß § 31 Abs. 2 BauGB zwar im Ermessen der Behörde. Dies steht vorliegend der Spruchreife jedoch nicht entgegen, weil das behördliche Ermessen in dieser Konstellation auf null reduziert ist.

Eine Ermessensreduzierung auf null kommt im Rahmen einer Befreiung insbesondere in Betracht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Befreiung erfüllt sind und für die Gemeinde Nachteile durch die Zulassung des Vorhabens nicht in Betracht kommen. Dies berücksichtigt, dass wegen des Umfangs der Anwendungsvoraussetzungen für die Erteilung von Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB die Spielräume für zusätzliche Erwägungen bei Ausübung des Ermessens tendenziell gering sind. Die für die drei Befreiungstatbestände verlangten Voraussetzungen, die Wahrung der Grundzüge der Planung sowie die Beachtung sonstiger öffentlicher und privater Belange sind – jedenfalls in städtebaurechtlicher Hinsicht – nahezu erschöpfend. (OVG Münster, Beschluss vom 02.04.2004 – 10 A 3502/02 -, BeckRS 2004, 25863, beck-online; EZBK/Söfker, 131. EL Oktober 2018, BauGB § 31 Rn. 61 m.w.N.). So ist auch hier der Fall. Neben den bereits im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzungen erörterten Fragen ist nichts ersichtlich oder vorgetragen, was der Befreiung noch entgegenstehen könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.