Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.04.2004, Az.: 4 OB 178/04

Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung eines Prozessbevollmächtigten als Bevollmächtigte des Klägers; Voraussetzungen an die Wahrung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung im Rahmen der Auslegung des Art. 1 § 7 Rechtsberatungsgesetz (RBerG); Ausnahmeregelung zum Grundsatz der Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten Art. 1 § 1 Abs. 1 S. 1 Rechtsberatungsgesetz (RBerG)

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.04.2004
Aktenzeichen
4 OB 178/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 34868
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2004:0429.4OB178.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 31.03.2004 - AZ: 7 A 1177/04

Fundstelle

  • NVwZ-RR 2004, 703-704 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Sozialhilfe (Heimkosten); - Zurückweisung von Bevollmächtigten -

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 4. Senat -
am 29. April 2004
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 7. Kammer - vom 31. März 2004 aufgehoben.

Gründe

1

Die zulässige Beschwerde der Klägerin hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht mit Beschluss vom 31. März 2004 die Prozessbevollmächtigten als Bevollmächtigte der Klägerin zurückgewiesen.

2

Nach § 173 VwGO i.V.m. § 157 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann das Gericht u.a. Bevollmächtigten, die nicht Rechtsanwälte sind, den weiteren Vortrag untersagen, wenn ihnen die Fähigkeit zum geeigneten Vortrag mangelt. Zwar werden danach Bevollmächtigte, deren Tätigkeit gegen das Rechtsberatungsgesetz verstößt, nicht ausdrücklich angesprochen. Gleichwohl kommt in dieser Regelung zum Ausdruck, dass ein Bevollmächtigter nicht nur wegen mangelnder Fähigkeit zum geeigneten Vortrag, sondern erst recht auszuschließen ist, wenn er keine Befugnis hat, als Bevollmächtigter tätig zu werden. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßen wird. Dieses Gesetz dient dem Schutz des Rechtssuchenden vor einer Rechtsberatung durch persönlich ungeeignete oder nicht sachkundige oder unzuverlässige Beratungspersonen, dem Schutz der Rechtspflege vor einer Beeinträchtigung ihrer Abläufe durch Beratungspersonen und dem Schutz der Rechtsanwälte und zugelassenen Rechtsberater vor einem Wettbewerb mit anderen Rechtsberatung betreibenden Personen, die keinen standesrechtlichen, gebührenrechtlichen und ähnlichen im Interesse der Rechtspflege gesetzten Schranken unterliegen (BVerwG, Urt. v. 29.9.1998 - 1 C 4/97 -, NJW 1999, 440 = DVBl 1999, 469). Dem daraus zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, unerlaubte Rechtsberatung zu verbieten, muss Geltung verschafft werden, weshalb Gerichte eine gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßende Tätigkeit nicht hinnehmen dürfen (BVerwG, Beschl. v. 27.8.1987 - 1 WB 34/87 -, BVerwGE 83, 315 = NVwZ 1988, 157; Meißner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, Stand: September 2003, § 67 Rdnr. 48). Demzufolge müssen auch in verwaltungsgerichtlichen Verfahren Prozessbevollmächtigte nach § 173 VwGO i.V.m. § 157 Abs. 2 ZPO entsprechend zurückgewiesen werden, wenn deren Tätigkeit gegen das Rechtsberatungsgesetz verstößt.

3

Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht die Prozessbevollmächtigten der Klägerin als Vertreter zurückgewiesen. Diese verstoßen mit ihrer Prozessvertretung nicht gegen das Rechtsberatungsgesetz.

4

Nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 des Rechtsberatungsgesetzes - RBerG - vom 13.12.1935 (RGBl. I S. 1478), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 21.06.2002 (BGBl. I S. 2010) darf die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten geschäftsmäßig nur von Personen betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Stelle die Erlaubnis erteilt ist. Nach Art. 1 § 7 Satz 1 RBerG bedarf es einer Erlaubnis nicht, wenn auf berufsständischer oder ähnlicher Grundlage gebildete Vereinigungen oder Stellen im Rahmen ihres Aufgabenbereichs ihren Mitgliedern Rat und Hilfe in Rechtsangelegenheiten gewähren. Dabei hat eine Vereinigung dann eine der berufsständischen Grundlageähnliche Grundlage, wenn die Vereinigung auf der Grundlage der gleichen oder ähnlichen wirtschaftlichen oder sozialen Stellung ihrer Mitglieder zur Wahrnehmung der für diese Stellung bezeichnenden wirtschaftlichen und sozialen Interessen gebildet ist (OVG Koblenz, Beschl. v. 04.08.1987 - 12 A 51/86 -, Amtliche Sammlung von Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz und Saarland Band 21, S. 396, 397 m.w.N.). Hierzu ist erforderlich, dass die Mitglieder der Vereinigung durch ein bestimmtes und gemeinschaftlich verfolgtes Interesse verbunden sind, das für die Mitglieder von gleichem Gewicht ist wie die Interessen, die von einem Berufsstand verfolgt werden (OVG Koblenz a.a.O.).

5

Vor diesem Hintergrund verstößt die Prozessvertretung der Bevollmächtigten nicht gegen das Rechtsberatungsgesetz. Der Senat folgt nicht der Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Sozialverband Deutschland (SoVD), Landesverband Niedersachsen, bedürfe eine Erlaubnis nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG, da er eine Vereinigung i.S.v. Art. 1 § 7 RBerG nicht sei. Bei dem SoVD handelt es sich - auch soweit er die Interessen von Mitgliedern vertritt, die Probleme in Zusammenhang mit der Sozialhilfe haben - um eine Vereinigung, die auf einer ähnlichen Grundlage im Sinne von Art. 1 § 7 RBerG gebildet ist. Der SoVD ist auf der Grundlage der ähnlichen sozialen Stellung seiner Mitglieder im Sinne von § 4 Nr. 1 der Satzung - insb. Sozialrentner, Menschen mit Behinderungen, Arbeitsunfallverletzten, Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten, Sozialhilfeempfänger, Sozialversicherten - zur Wahrnehmung der für diese Stellung bezeichnenden sozialen Interessen gebildet. Insbesondere hat das von dem SoVD gegenüber seinen Mitgliedern verfolgte Interesse ein Gewicht, das dem gleichkommt, das von einem Berufsstand verfolgt wird. Seine Mitglieder heben sich nämlich durch ihre gleichgerichteten Interessen, ihre Ansprüche auf dem Gebiet des Sozialleistungsrechts zu verfolgen, deutlich von der übrigen Bevölkerung ab, wobei die anzunehmende besondere Stellung der Mitglieder in ihrem Verband durch die in der Satzung des SoVD verankerten Zielsetzung, ein Höchstmaß an sozialer Gerechtigkeit zu erreichen (§ 3 der Satzung), bekräftigt wird.

6

Es kommt hier folgende Überlegung hinzu:

7

Bei der Auslegung des Art. 1 § 7 RBerG sind zur Wahrung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung die Verfahrensvorschriften im Sozialgerichtsgesetz (SGG) und der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund lässt sich insbesondere mit Blick auf die aktuelle Fassung der Verwaltungsgerichtsordnung (vom 19. März 1991 - BGBl. I S. 686 -, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2001 - BGBl. I S. 3987 -) feststellen, dass der Gesetzgeber es als zulässig ansieht, dass Sozialverbände berechtigt sind, ihre Mitglieder in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu vertreten. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Neufassung der VwGO zeige, dass der Gesetzgeber zum Aufgabenbereich von Verbänden die Prozessvertretung in Sozialhilfesachen nur in einem sehr begrenzten Bereich zähle. Die erstmals in dem 6. VwGOÄndG vom 1. November 1996 (BGBl. 1996 I, S. 626) enthaltene Ergänzung des § 67 Abs. 1 Satz 4 ist vielmehr lediglich als Einschränkung der Vertretungsmöglichkeiten der Sozialverbände in Verfahren vor den Oberverwaltungsgerichten zu verstehen. Für das erstinstanzliche Verfahren sollten ersichtlich Veränderungen nicht eintreten. Wenn also die Sozialverbände ihre Mitglieder - vor den Oberverwaltungsgerichten in den Grenzen des § 67 Abs. 1 Satz 4 VwGO und vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 73 Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) uneingeschränkt - bei Prozessen vertreten können, ist es folgerichtig, dass die Prozessvertretung in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, in denen kein Vertretungszwang besteht, einen Verstoß gegen das RBerG nicht begründen kann.

8

Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen (vgl. § 161 Abs. 1 VwGO), da es im vorliegenden Verfahren keinen unterliegenden Beteiligten gibt und Gerichtskosten nicht entstanden sind (§ 188 Satz 2 VwGO). Wie im Falle eines Beschwerdeverfahrens gegen die Zurückweisung eines Richterablehnungsgesuchs nach altem Recht (vgl. Sächs. OVG, Beschl. v. 03.08 1992 - II S 129/92 -, NVwZ-RR 1993, 448), gegen die Ablehnung einer Beiladung (vgl. hierzu VGH Mannheim, Beschl. v. 19.09.2000 - 5 S 1843/00 -, NVwZ-RR 2001, 543) oder gegen die Ablehnung eines Sachverständigen (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 21.07.1997 - 9 S 1580/97 -, NVwZ-RR 1998, 689) stellt das vorliegende Beschwerdeverfahren ein nichtstreitiges Zwischenverfahren dar, in dem sich die Beteiligten nicht als Gegner gegenüberstehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - der andere Beteiligte den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen, nicht gestellt hat.

9

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 VwGO).

Klay
Dr. Berthold
Dr. Menzel