Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 28.04.2023, Az.: 5 A 574/19

innerstaatliche Schutzalternative; innerstaatlicher bewaffneter Konflikt; Kassala; RSF; Subsidärer Schutz; Sudan; sudanesische Armee; Asyl: Sudan: subsidiärer Schutz: innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Kassala

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
28.04.2023
Aktenzeichen
5 A 574/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 17560
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:0428.5A574.19.00

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen worden ist.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen.

Der Bescheid der Beklagten vom F. Dezember 2018 wird insoweit aufgehoben, als er der vorstehenden Verpflichtung entgegensteht.

Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, jeweils zur Hälfte.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der 1991 geborene Kläger ist sudanesischer Staatsangehöriger vom Stamm der G. und islamischer Religionszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 18. Dezember 2017 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 10. Januar 2018 einen Asylantrag.

Im Rahmen seiner Anhörung vor dem D. - Bundesamt - am 11. Januar 2018 führte er aus, er habe bis zu seiner Ausreise mit seinem Vater, seiner Stiefmutter und seinen acht Halbgeschwistern in Kassala im Haus seines Vaters gelebt. Am 15. Januar 2015 habe er den Sudan verlassen. Er habe die Kosten für die Reise selbst bezahl. Er habe als Schweißer und in der Landwirtschaft gearbeitet. Im Sudan lebten noch seine Eltern, seine beiden Brüder, seine Stiefmutter, seine Halbgeschwister sowie ein beträchtlicher Teil seiner Großfamilie. Er sei fünf Jahre zur Koranschule gegangen. Eine staatliche Schule habe er nicht besucht. Als Schweißer habe er etwa 2.000 sudanesische Pfund verdient. Sein Vater habe eigene Ländereien und habe auch in der Landwirtschaft gearbeitet. Zu seinem Verfolgungsschicksal befragt, gab er im Wesentlichen an, in einen religiös motivierten Konflikt mit arabischstämmigen Moscheebesuchern verwickelt gewesen zu sein, der in einer Schlägerei geendet habe. Ein arabischstämmiger Mann sei dabei lebensgefährlich verletzt worden. Sie seien einem korrupten Richter vorgeführt und für sieben Tage inhaftiert worden. Es sei zu Versammlung vor der Polizeistation gekommen. Im Zuge dessen hätten die Inhaftierten fliehen können. Die Menge sei dann zu Gericht gezogen und habe das Gerichtsgebäude angezündet, sowie Richter und Polizisten geschlagen. Daraufhin sei er erneut festgenommen worden und habe schließlich aus dem Gefängnis fliegen können. Es sei kurz nach Hause gegangen, um sein Geld und seine Dokumente zu holen und sei dann mit Unterstützung eines Onkels, der für die Regierung arbeite, nach Ägypten ausgereist.

Mit Bescheid vom 13. März 2018 wurde sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Italien wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).

Mit Bescheid vom F. Dezember 2018 hob das Bundesamt den Bescheid vom 13. März 2018 wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf (Nr. 1), lehnte die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 2) und die Asylanerkennung (Nr. 3) ab. Der subsidiäre Schutzstatus wurde nicht zuerkannt (Nr. 4). Zudem wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 5). Der Kläger wurde mit diesem Bescheid aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Ihm wurde für den Fall, dass er die Ausreisefrist nicht einhalte, die Abschiebung in den Sudan, oder in einen anderen Staat, in den er einreisen könne, oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 6). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, aus seinem Vortrag ergebe sich kein Anknüpfungsmerkmal. Auch kriegsbedingte Gefahren bestünden in der Region Kassala nicht (§ 4 AsylG). Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Sudan führten auch nicht zu der Annahme, dass bei seiner Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK drohe. Der Kläger sei jung, arbeitsfähig und vor seiner Ausreise erwerbstätig gewesen. Er verfüge zudem über zahlreiche Verwandte im Sudan. Seine Angaben zu der Inhaftierung seien unglaubhaft. Bei Wahrunterstellung des Vortrages sei zu berücksichtigen, dass die Zerstörung von Häusern, Autos und die Angriffe auf Menschen auch in Deutschland strafbar und haftbedroht seien. Selbst eine drohende Inhaftierung führte daher nicht zu einer Schutzgewährung.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 17. Januar 2019 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass er sich exilpolitisch betätigt habe. Er legt Fotos von sich auf Versammlungen vor, die am 2. Februar 2019 und am 6. April 2019 stattgefunden haben sollen. Er sei Mitglied der New JEM. Dies sei bei Rückkehr ein gefahrerhöhendes Moment. Ihm drohe außerdem Haft und Folter. Jede Person, die gegen das Regime opponiere oder diesem verdächtigt werde, werde gefoltert und erniedrigend behandelt. Der EGMR habe 2014 entschieden, dass ein Asylbewerber, der sich bei seinem politischen Engagement im Sudan nicht besonders exponiert hatte, aufgrund der prekären Menschenrechtssituation bei Rückkehr gefährdet sei. Außerdem trägt der Kläger zur aktuellen Lage im Sudan vor. Dem Kläger drohe ein Leben unterhalb des Existenzminimums. Er habe lediglich fünf Jahre lang die Koranschule besucht. Er verfüge über keinerlei anderweitige Qualifikationen, die es ihm ermöglichen würden, einer anderen in der derzeitigen Situation nachgefragten Tätigkeit nachzugehen.

Soweit der Kläger beantragt hat, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hat er die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

Der Kläger beantragt zuletzt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom F. Dezember 2018 zu verpflichten,

ihm den subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen,

hilfsweise, zu seinen Gunsten ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 bzw. § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen,

weiter hilfsweise über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des Verwaltungsvorgangs der Beklagten und auf die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismittel Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Beklagten verhandeln und entscheiden, weil diese hierauf in der Ladung hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO.

Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

Der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.

Gemäß § 4 AsylG ist subsidiär Schutzberechtigter, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 S. S. Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG). Eine solche Bedrohung kann gemäß § 4 Abs. 3 S. 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder die Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten.

Hier liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Kassala einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt sein würde.

Zur Feststellung, ob eine "ernsthafte individuelle Bedrohung" im Sinne dieser Vorschrift gegeben ist, ist eine umfassende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der die Situation des Herkunftslands des Klägers kennzeichnenden Umstände, erforderlich (EuGH, Urteil vom 21.6.2021, - C 901/19, juris).

Derzeit herrscht im Sudan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Die sudanesische Armee unter General Abdel Fattah al-Burhan und die RSF unter General Mohamed Hamdan Daglo, genannt Hemedti, liefern sich seit dem 15. April 2023 schwere Gefechte in der Hauptstadt Khartoum und anderen Landesteilen (insbesondere auch in Darfur, Al Fashir/El Fasher, Al-Dschunaina/El Geneina, Al-Ubayyid/El Obeid, Bur Sudan/Port Sudan, Kassala und Al Qadarif/Gedaref). Bereits am 16. April 2023 berichteten internationale Medien von 17 getöteten Zivilisten in Khartoum und 56 getöteten Zivilisten landesweit. Mindestens 595 Menschen seien verletzt worden (BBC, Sudan: Army and RSF battle over key sites, leafing 56 civilians dead, vom 16.4.23, https://www.bbc.com/news/world-africa-65284945?at_medium=RSS&at_campaign=KARANGA; Zugriff am 24.4.23; Auswärtiges Amt, Sudan: Reise- und Sicherheitshinweise (Reisewarnung), vom 24.4.23, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/sudansicherheit/203266; Zugriff am 24.4.23; Zeit Online, Worum geht es bei den Kämpfen im Sudan, vom 20.4.23, https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-04/sudan-kaempfe-miliz-armee-rsf#wo-genau-wird-im-sudan-gekaempft, Zugriff am 27.4.23; Aljazeera, More air strikes in Sudas as ceasefire expiry looms, vom 27.4.23, https://www.aljazeera.com/news/2023/4/27/more-air-strikes-in-sudan-as-ceasefire-expiry-looms, Zugriff am 27.4.23; OCHA, Sudan: Clashes between SAF and RSF - Flash Update No. 5 vom 23.4.23, https://reliefweb.int/report/sudan/sudan-clashes-between-saf-and-rsf-flash-update-no-5-23-april-2023-enar, Zugriff am 27.4.23; USIP, What's behind the Fighting in Sudan?, vom 20.4.23, https://www.usip.org/publications/2023/04/whats-behind-fighting-sudan, Zugriff am 28.4.23).

Am 20. April 2023 berichtete "Zeit Online" unter Berufung auf die Schätzungen von Botschaften von bereits von 270 getöteten Zivilisten (Konfliktparteien ignorieren erneut Zeitplan für Waffenruhe, https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-04/sudan-kaempfe-waffenruhe-scheitert-tausende-fliehen; Zugriff am 24.4.23). Die Nutzung von schweren Waffen, gepanzerten Fahrzeuge und Kampfflugzeugen im dicht besiedelten Khartoum hat viele zivile Todesopfer zur Folge (Amnesty International, Sudan: Parties tot he conflict must ensure protection of civilians as deaths mount, vom 17.4.23, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2023/04/sudan-conflict/, Zugriff am 24.4.23).

Die Tagesschau berichtet am 24. April 2023, dass nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Borrell bereits mehr als 1000 EU-Bürger evakuiert worden seien. Während westliche Staaten ihr diplomatisches Personal ausfliegen, versuchten Einheimische nach Angaben der Nachrichtenagentur AP, auf dem Landweg vor den anhaltenden Kämpfen zu fliehen. Am Übergang Arkin an der ägyptischen Grenze stauten sich demnach etwa 30 Busse mit jeweils mindestens 55 Menschen (ARD, Mehr als 100 EU-Bürger evakuiert, vom 24.4.23 https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/sudan-evakuierungen-105.html; Zugriff am 24.4. 23). Die Weltgesundheitsorganisation habe mittlerweile Hunderte Tote und Tausende Verletzte gezählt. Alyona Synenko vom Internationalen Roten Kreuz habe in einer Sprachnachricht berichtet, dass einige mittlerweile so verzweifelt seien, dass sie das große Risiko auf sich nehmen und aus dem Haus gehen würden. Dabei werde immer noch gekämpft - es sei sehr gefährlich, rauszugehen. "Was wir jetzt sehen, sind jeden Tag mehr und mehr getötete Zivilisten", zitiert die Tagesschau (ARD, "Es ist einfach, uns zu vergessen", vom 24.4.23, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/sudan-evakuierungen-103.html, Zugriff am 24.4.23).

Die Bundesregierung teilte in ihrer Regierungspressekonferenz am 21. April 2023 mit:

"Insgesamt ist die Lage vor Ort unverändert drastisch. Die Kampfhandlungen in Khartum und in anderen Landesteilen gehen unvermindert weiter. Von einer Feuerpause ist am Boden nichts erkennbar. Die Vereinten Nationen gehen mittlerweile von über 400 Toten und über 3500 Verletzten aus. Humanitäre Organisationen können kaum mehr dringend benötigte Hilfe leisten, weil sie selbst Ziel von Angriffen werden. Deshalb bemühen wir uns mit unseren Partnern um eine sofortige humanitäre Feuerpause. Nachdem bisherige Versuche leider gescheitert sind, bietet jetzt das Ende des Fastenmonats Ramadan, die Feiertage zum Eid al-Fitr, ein weiteres Fenster für eine mögliche Waffenruhe. Das wäre die Voraussetzung dafür, dass sich Zivilisten in Sicherheit bringen können, sich mit Wasser, Nahrung und Treibstoff versorgen können, dass dringend benötigte humanitäre Hilfe geleistet werden kann und auch, dass hochrangige Vermittlerteams der Regionalorganisationen IGAD und der Afrikanischen Union einreisen können, um vor Ort politisch zu vermitteln" (https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/regierungspressekonferenz-vom-21-april-2023-2185564, Zugriff am 24.4.23; vgl. zur Lage auch: Auswärtiges Amt, Sudan: Reise- und Sicherheitshinweise (Reisewarnung), vom 24.4.23, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/sudansicherheit/203266; Zugriff am 24.4.23).

UN-Vermittler Volker Perthes sagte am 25. April 2023 bei der Sitzung des Sicherheitsrates: "Beide Kriegsparteien haben die Gesetze und Normen des Angriffs auf dicht besiedelte Gebiete missachtet, mit wenig Rücksicht auf Zivilisten, Krankenhäuser oder sogar Fahrzeuge, die Verwundete und Kranke transportieren." Er forderte beide Seiten auf, den Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts nachzukommen und den Schutz der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastruktur sicherzustellen. Zudem gebe es "beunruhigende Berichte über versuchte sexuelle Übergriffe" (UNRIC, Sudan: UN sehen keine Verhandlungsbereitschaft der Konfliktparteien vom 26.4.23, https://unric.org/de/sudan26042023/; Zugriff am 27.4.23; ARD, Kaum Hoffnung auf baldiges Ende der Kämpfe vom 26.4.23, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/sudan-evakuierungen-108.html, Zugriff am 27.4.23).

Nach alledem liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Kassala einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des dort herrschenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt sein würde (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG), während kein Schutz nach § 3d AsylG besteht.

Der Kläger ist auch nicht auf eine innerstaatliche Schutzalternative im Sudan zu verweisen. Gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keiner tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist oder Zugang zu Schutz vor der Gefahr eines ernsthaften Schadens nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).

Der Kläger kann nicht sicher und legal in den Sudan reisen. Der NDR berichtet, das niedersächsische Innenministerium setze sich für einen Abschiebestopp in den Sudan ein. Es gebe absolut keine Möglichkeit, dort gerade Abschiebeflüge durchzuführen, wird der Sprecher des Innenministeriums zitiert. Die Innenministerin sei der Ansicht, dass man sich auf Bundes- und Länderebene auf einen formalen Abschiebestipp nach dem Aufenthaltsgesetz verständigen sollte (Innenministerium für Abschiebestopp in den Sudan, vom 21.4.23, https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Innenministerium-fuer-Abschiebestopp-in-Sudan,abschiebung970.html, Zugriff am 24.4.23). Dies steht im Einklang mit dem Umstand, dass die Bundeswehr die erste Rettungsmission in den Sudan am 19. April 2023 wegen der Kämpfe in der Hauptstadt Khartoum abbrechen musste (NDR, Wunstorf: Luftwaffe muss Sudan-Rettungsmission abbrechen, vom 19.4.23, https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Wunstorf-Luftwaffe-startet-zu-Rettungsmission-in-den-Sudan,wunstorf638.html, Zugriff am 24.4.23).

Die in dem angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen, ist gegenstandslos (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.06.2002 - 1 C 17.01 - juris. zu § 53 AuslG).

Schließlich erweist sich die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung als rechtswidrig, da das Bundesamt in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur Gewährung subsidiären Schutzes verpflichtet und daher nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a AsylG nicht zum Erlass einer Abschiebungsandrohung ermächtigt ist.

Die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes ist ebenfalls aufzuheben, weil Voraussetzung für die Befristung nach § 11 Abs. 6 AufenthG die Ausreisepflicht des Ausländers ist, die hier aufgrund der Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht vorliegt.

Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich des zurückgenommenen Begehrens aus § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.