Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 17.01.2018, Az.: 7 A 2194/16

außerorts; gegenläufiger Geh- und Radweg; Geh- und Radweg; innerorts; Leistungsklage; Radwegebenutzungspflicht; verkehrsbehördliche Anordnung; Verpflichtungsklage

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
17.01.2018
Aktenzeichen
7 A 2194/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 73928
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 23.03.2016 wird hinsichtlich der Ziffer 2) der Entscheidungsformel aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, die angeordnete Radwegebenutzungspflicht in beiden Richtungen entlang der „E. straße“ zwischen den Kreuzungen mit der „F. straße“ im Süden und der „G. straße“ im Norden aufzuheben.

Die Beklagte wird verurteilt, die Verkehrszeichen 240 mit Zusatzzeichen 1000-31 in diesem Abschnitt zu entfernen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht, die für eine ca. 500 m lange Teilstrecke der im Ortsteil H. der Beklagten und nördlich hiervon verlaufenden „E. straße“ angeordnet ist.

Nach Angaben der Beklagten erfolgte die Anordnung des gegenläufigen, gemeinsamen Geh- und Radweges (Zeichen 240 mit Zusatzzeichen 1000-31) für die besagte Teilstrecke der „E. straße“ an dessen östlicher Seite - zwischen der Kreuzung mit der „F. straße“ im Süden und der Kreuzung mit der „I. straße“ im Norden - bereits durch den bis zum 01. Mai 1989 als Verkehrsbehörde zuständig gewesenen Landkreis Hannover; eine entsprechende verkehrsbehördliche Anordnung des Rechtsvorgängers sei bei der Beklagten nicht vorhanden.

Die durchgehend zweispurig ausgebaute „E. straße“ als Teilstrecke der B 443 verläuft in dem streitgegenständlichen Abschnitt aus südlicher Richtung zunächst annähernd in gerader Linienführung; ab dem Ortsausgangsschild „H.“ beschreibt sie eine Rechtskurve. Im Bereich der Kreuzung „E. straße/F. straße“, dem Ortsmittelpunkt von H., finden sich mehrere Geschäfte, eine Gaststätte und ein Landmaschinenhandel. Östlich dieses Bereiches ist ein Parkplatz mit einer Zufahrt von der „F. straße“, die südlich des „J. Dorfladens“ (Verkaufsgeschäft) wieder auf die „E. straße“ führt, angelegt. Für eine Strecke von ca. 150 bis 200 m im Bereich zwischen dem „J. Dorfladen“ und der Einmündung der Straße „Bauernwinkel“ sind 30 km/h als Höchstgeschwindigkeit, für den streitgegenständlichen Straßenabschnitt sind innerorts im Übrigen 50 km/h angeordnet. Unmittelbar hinter dem besagten Kreuzungsbereich ist das Zeichen 240 mit Zusatzzeichen 1000-31 aufgestellt. Hier ist die Fahrbahn der „E. straße“ 7,55 m, der gemeinsame Geh- und Radweg ca. 1,80 m und ein sich anschließender, in abweichender Farbe gepflasterter Seitensicherheitsstreifen ca. 0,40 m breit. Die Fahrbahn ist in diesem Bereich mit einer durchgezogenen Linie versehen. Das Gebäude des „J. Dorfladens“ ist unmittelbar an dem gemeinsamen Geh- und Radweg errichtet, der hier eine Breite von ca. 1,70 m aufweist und durch einen breiten Grünstreifen zur Fahrbahn hin abgegrenzt ist. Im weiteren Verlauf des streitgegenständlichen Straßenabschnitts verringert sich die Breite des gemeinsamen Geh- und Radweges wegen Grasüberwuchses teilweise auf 1,70 m. Im Bereich zweier östlich und westlich der „E. straße“ errichteten Seniorenheimgebäude ist eine Querungshilfe angelegt. Hier ist die Fahrbahn der „E. straße“ verschwenkt. Nördlich des Seniorenheims mündet von Osten die Straße „Bauernwinkel“ ein; hier sind in beide Richtungen jeweils ein weiteres Zeichen 240 - in Richtung Norden mit Zusatzzeichen 1000-31 - aufgestellt. Der Geh- und Radweg ist im weiteren Verlauf ca. 1,80 m breit. Ein Sicherheitsstreifen fehlt; links und rechts des Geh- und Radweges sind Rasenflächen ebenerdig angelegt. Weiter nördlich mündet von Westen die Straße „Im Bruche“ in die „E. straße“; hier ist weder eine Querungshilfe auf der Fahrbahn bzw. über den ebenerdigen Grünstreifen von bzw. zu dem Geh- und Radweg vorhanden, noch ist ein Zeichen 240 aufgestellt. In diesem Bereich befindet sich auch der OD-Stein. Auf der Westseite der „E. straße“ verläuft von der Einmündung der Straße „Im Bruche“ in südliche Richtung ein Gehweg. In Höhe des OD-Steins wechselt der Ausbauzustand des Geh- und Radweges von roter Verbundsteinpflasterung in Betonplatten zur Breite von ca. 1,82 m. Ab der Höhe des OD-Steins wuchert Gras beidseitig auf den Betonplatten, sodass sich der befahrbare Weg auf etwa 1,25 m verengt. In diesem Bereich ist die „E. straße“ mit dem begleitenden Geh- und Radweg auf einer deutlich erkennbaren Aufschüttung geführt; östlich des Geh- und Radweges fällt das Gelände ab. An der Fahrbahn der „E. straße“ in südliche Richtung ist hier das Zeichen 460 (Bedarfsumleitung U 25 Berlin) aufgestellt. Die Fahrbahn hat in diesem Bereich - gemessen zwischen den Begrenzungslinien - eine Breite von 6,72 m; eine unterbrochene Linie trennt die beiden Fahrspuren durchgehend. Im weiteren Verlauf der „E. straße“ sind Ortsausgangs- bzw. Ortseingangsschilder aufgestellt; in nördlicher Richtung ist auf dieser Höhe durch das Zeichen 274 eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h angeordnet. Im Bereich der Kreuzung der „E. straße“ mit der „I. straße“ findet sich in südlicher Richtung das Zeichen 240 ohne Zusatzzeichen.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 25. Juni 2012 bei der Beklagten die „Überprüfung der verkehrsbehördlichen Anordnungen für den Radverkehr im Zuge der B 443“, und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, er benutze den Straßenzug regelmäßig als Radfahrer. Die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht - insbesondere für linke Radverkehrsanlagen im innerörtlichen Bereich - sei rechtswidrig, weil weder die Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Straßenverkehrs-Ordnung -StVO- noch der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung -VwV-StVO- gegeben seien. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Mai 2014 ab. Daraufhin erhob der Kläger am 19. Juni 2014 bei dem erkennenden Gericht Klage (7 A 9997/14) mit dem Begehren, die Beklagte zu verpflichten, die Radwegebenutzungspflicht in dem streitbefangenen Streckenabschnitt aufzuheben. Die Beteiligten schlossen in der vor Ort durchgeführten mündlichen Verhandlung nach Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit folgenden Vergleich:

„1. Die Beklagte hebt ihren Bescheid vom 15.05.2014 insoweit auf, als sie es abgelehnt hat, die Radwegebenutzungspflicht entlang der E. straße zwischen der I. straße und der F. straße in beiden Fahrtrichtungen aufzuheben.

2. Die Beklagte wird den Kläger bis zum 28.02.2016 erneut auf seinen unter dem 25.06.2012 gestellten Antrag hinsichtlich des unter Ziffer 1) dieses Vergleiches beschriebenen Streckenabschnitts bescheiden.

3. Die Beklagte wird in die Bescheidung einstellen: eine Verkehrszählung der Gestalt, dass der auf dem gemeinsamen Geh- und Radweg liegende Fußgänger- und Radverkehr berücksichtigt wird. Die Beklagte wird weiter in diese Neubescheidung einstellen: das Ergebnis einer Verkehrszählung hinsichtlich des auf der Fahrbahn der E. straße innerhalb des unter Ziffer 1) dieses Vergleiches bezeichneten Abschnitts liegenden Kraftfahrzeugverkehrs. Schließlich wird die Beklagte in die Neubescheidung das Ergebnis der Beweisaufnahme der heutigen mündlichen Verhandlung einstellen und würdigen.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.“

Die Beklagte ließ in den Zeiträumen 16. bis 19. November 2015 und 11. bis 14. Januar 2016 Verkehrszählungen durchführen; die erste ergab einen DTV-Wert (die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke) von 5.078 Fahrzeugen, die zweite einen DTV-Wert von 7.043 Fahrzeugen. Die Verkehrserhebung zum Fußgänger- und Radverkehr am 08. Dezember 2015 in der Zeit von 07:00 Uhr bis 18:00 Uhr ermittelte ein Gesamtaufkommen von 79 Fußgängern und 76 Radfahrern.

Mit vorliegend streitgegenständlichem Bescheid vom 23. März 2016 hob die Beklagte ihren Bescheid vom 15. Mai 2014 auf (Ziffer 1) und lehnte den Antrag des Klägers vom 25. Juni 2012 erneut ab (Ziffer 2). Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 2 (nunmehr Satz 3) StVO lägen vor. Aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse der B 443 bestehe auf dem Streckenabschnitt zwischen „F. straße“ und „I. straße“ eine qualifizierte Gefahrenlage. Diese ergebe sich zwar nicht aus den durchgeführten Verkehrserhebungen. Allerdings sei für den Streckenabschnitt außerhalb der geschlossenen Ortschaft zwischen Ortstafel H. und der „I. straße“ eine Geschwindigkeit von 70 km/h zulässig. Ferner beschreibe die besagte Straße von Norden kommend eine Linkskurve, sodass für die Kraftfahrzeugführer hinter der Kurve fahrende Radfahrer nicht sofort erkennbar seien. Ebenso nähmen Kraftfahrer, die die Ortslage von H. in nördlicher Richtung nach Röddensen verließen und von 50 km/h auf 70 km/h beschleunigten, Radfahrer in manchen Fällen wegen der Kurve erst spät war. Zudem müssten sich Radfahrer, die aus der Ortslage H. kommend nach links in die „I. straße“ Richtung Kolshorn einbiegen wollten, auf der Fahrbahn links einordnen; dies berge ein zusätzliches Gefahrenmoment. Im Übrigen liege auf der B 433 erheblicher Schwerlastverkehr. Es sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die B 443 zwischen A-Stadt und Burgdorf und damit auch im fraglichen Streckenabschnitt als Bedarfsumleitungsstrecke U 22/U 25 der Bundesautobahn BAB 2 zwischen den Anschlussstellen „A-Stadt“ und „Hannover-Ost“ ausgewiesen sei. Bei Staus auf der besagten Autobahn sei mit einem stark erhöhten Verkehrsaufkommen zu rechnen. Es sei nicht sinnvoll, den streitbefangenen Streckenabschnitt der „E. straße“ zwischen „F. straße“ und „I. straße“ in Höhe der Ortstafel zu teilen, auch wenn eine qualifizierte Gefahrenlage nur für den Bereich außerhalb der geschlossenen Ortschaft zu bejahen sei. Denn dann müssten Radfahrer, um auf der Fahrbahn fahren zu können, die „E. straße“ in Höhe der Ortstafel und dann erneut an der Kreuzung „F. straße“ queren, wenn sie den Radweg Richtung A-Stadt benutzen wollten. Gegen eine Herausnahme des streitbefangenen Streckenabschnitts aus der Radwegebenutzungspflicht spreche, dass dann der einheitliche Charakter des Geh- und Radweges nicht mehr gegeben wäre. Kraftfahrzeugführer müssten dann nur im Bereich dieses Abschnitts mit Radfahrern auf der Fahrbahn rechnen. Die Benutzung des gemeinsamen Geh-und Radweges in dem streitbefangenen Streckenabschnitt sei auch zumutbar. Dabei werde nicht verkannt, dass der besagte Geh- und Radweg lediglich zwischen 1,70 m und 1,80 m breit sei und sich nördlich der Ortstafel wegen Graswucherungen stellenweise auf 1,25 m verenge. Die Entscheidung sei im Einvernehmen mit der Polizeiinspektion Burgdorf sowie mit dem niedersächsischen Landesamt für Straßenbau und Verkehr getroffen worden.

Der Kläger hat am 11. April 2016 die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen ausführen lässt, dass eine besondere Gefahrenlage nicht gegeben sei. In der Rechtsprechung sei geklärt, dass eine Außerortssituation mit entsprechenden Geschwindigkeitsdifferenzen keine konkrete örtliche, weit überdurchschnittliche Gefahr hervorrufe. Die Beklagte erbringe keinen Nachweis dafür, dass Radfahrer, die sich in der Kurve im nördlichen Teil des streitbefangenen Straßenabschnitts befänden, von Kraftfahrzeugführern zu spät gesehen werden könnten; dies sei auch nicht der Fall. Im Gegenteil: Der gemeinsamen Geh- und Radweg weise nicht die erforderliche Breite auf. Ein besonderes Gefahrenmoment für den Radfahrer ergebe sich aus dem Umstand der linksseitigen Radwegeführung. Die Fahrbahn der B 443 sei hingegen in dem streitgegenständlichen Bereich wenig befahren und weise keine besonderen Gefahrenpunkte auf. Die Beklagte habe das ihr eingeräumte Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt; insbesondere seien die Gefahren für Radfahrer, die den gemeinsamen Geh- und Radweg benutzten, nicht ermittelt und bewertet worden.

Der Kläger beantragt,

1. den Bescheid der Beklagten vom 23.03.2016 hinsichtlich der Ziffer 2) der Entscheidungsformel aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, die angeordnete Radwegebenutzungspflicht in beiden Richtungen entlang der „E. straße“ zwischen den Kreuzungen mit der „F. straße“ im Süden und der „I. straße“ im Norden aufzuheben sowie

2. die Beklagte zu verurteilen, die Verkehrszeichen 240 mit Zusatzzeichen 1000-31 in diesem Abschnitt zu entfernen,

hilfsweise

die Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte wiederholt und vertieft die Begründung ihres streitgegenständlichen Bescheides und weist insbesondere daraufhin, dass die ablehnende Entscheidung im Einvernehmen mit der zuständigen Polizeiinspektion sowie mit dem niedersächsischen Landesamt für Straßenbau und Verkehr getroffen worden sei.

Das Ergebnis der in dem vorausgegangenen Verfahren 7 A 9997/14 vor Ort am 22. Oktober 2015 vorgenommenen Beweisaufnahme ist zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht worden, indem der Vorsitzende insoweit die Niederschrift über die von der Kammer in jenem Verfahren durchgeführte mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme (Blatt 88 – 94 der Gerichtsakte 7 A 9997/14) in der mündlichen Verhandlung verlesen hat; zugleich sind die während dieser Beweisaufnahme aufgenommen Lichtbilder im Sitzungsaal projiziert worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden und des Verfahrens 7 A 9997/14 sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist insgesamt zulässig (I.) und begründet (II.).

I. Die Klage ist zulässig.

1. Die Verpflichtungsklage ist vorliegend die statthafte Klageart.

a. Bei der Anordnung der Radwegebenutzungspflicht handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung in der Form einer Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.09.2010 - 3 C 37/09 -, juris Rn 21). Die verkehrsrechtliche Anordnung der Straßenverkehrsbehörde, die dem Aufstellen der Verkehrszeichen zugrunde liegt, enthält noch keine Regelung mit unmittelbarer Außenwirkung gegenüber den betroffenen Verkehrsteilnehmern oder Anliegern und kann daher von diesen auch nicht durch Anfechtungsklage angegriffen werden. Erst durch das Aufstellen von Verkehrszeichen erfolgt die öffentliche Bekanntmachung (§§ 39 Abs. 2 und 3, 45 Abs. 4 der Straßenverkehrs-Ordnung - StVO -), tritt die verkehrsrechtliche Anordnung auch in Richtung auf Anlieger und Verkehrsteilnehmer nach außen hervor und betrifft sie in ihrer Rechtsstellung (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.09.2010, a.a.O., Rn 15). Die Bekanntgabe erfolgt gegenüber dem einzelnen Verkehrsteilnehmer, wenn für den Betroffenen die Möglichkeit zur Wahrnehmung des Verkehrszeichens besteht, ohne dass es darauf ankommt, ob er es tatsächlich wahrgenommen hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.09.2010, a.a.O., Rn 12). Zu diesem Zeitpunkt beginnt der Lauf der - wegen der fehlenden Rechtsmittelbelehrung (§ 58 Abs. 2 VwGO) - einjährigen Klagefrist.

Der bereits im vorangegangenen gerichtlichen Verfahren (7 A 9997/14) anwaltlich vertretene Kläger hat nicht vorgetragen, erst innerhalb eines Jahres vor Antragstellung bei der Beklagten am 29. Juni 2012 erstmalig Kenntnis von den streitigen Zeichen 240 erlangt zu haben; in jenem Klageverfahren ließ er einen Verpflichtungsantrag stellen. Es ist daher anzunehmen, dass die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht gegenüber dem Kläger seinerzeit bereits bestandskräftig geworden war, sodass eine Anfechtungsklage nach § 74 Abs. 1 VwGO nicht fristgerecht erhoben wäre.

b. Der Umstand, dass die streitige Anordnung gegenüber dem Kläger bereits Bestandskraft erlangt hat, steht der Zulässigkeit seiner Verpflichtungsklage jedoch nicht entgegen. Da es sich - wie ausgeführt - bei der Verkehrsregelung durch ein Verkehrszeichen um einen Dauerverwaltungsakt handelt, obliegt es der Behörde, die (fortdauernde) Rechtmäßigkeit der Regelung zu kontrollieren. Dem trägt auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) Rechnung, indem sie zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO in ihrer Rn 29 bestimmt, dass die Straßenverkehrsbehörde, die Straßenbaubehörde und die Polizei gehalten sind, bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Radverkehrsanlagen auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen und den Zustand der Sonderwege zu überwachen. Den von der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung Betroffenen ist daher auch nach Eintritt der Bestandskraft die Möglichkeit eröffnet, bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Überprüfung der durch ein Verkehrszeichen getroffenen Regelung zu stellen und dieses Begehren gegebenenfalls in der Form der Verpflichtungsklage gerichtlich weiterzuverfolgen (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. v. 01.12.2009 - 14 K 5458/08 -, juris Rn 41; im Ergebnis: VG Braunschweig, Urt. v. 16.04.13 - 6 A 64/11-, juris Rn 44).

c. Der Statthaftigkeit des Verpflichtungsantrages steht auch nicht etwa entgegen, dass nach Angaben der Beklagten eine verkehrsbehördliche Anordnung ihrer Rechtsvorgängerin zum Aufstellen der streitgegenständlichen Zeichen nicht vorhanden ist. Zwar ist ein Verkehrszeichen unwirksam, wenn seiner Aufstellung keine verkehrsrechtliche Anordnung durch die zuständige Behörde zugrunde liegt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 22.042013 - 11 B 12.2671 -, juris Rn 24). Die Beklagte hat aber die Anordnung nachgeholt, indem sie mit dem nunmehr streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid vom 23. März 2016 entschied, dass die Radwegebenutzungspflicht für den streitgegenständlichen Straßenabschnitt bestehen bleibt.

2. Der Kläger ist klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. Er hat glaubhaft versichert, regelmäßig den gemeinsamen Geh- und Radweg zu befahren.

3. Auch der Antrag zu 2) ist statthaft. Nach § 113 Abs. 4 VwGO ist die Verurteilung zur Leistung zulässig, wenn neben der Aufhebung eines Verwaltungsaktes im gleichen Verfahren eine Leistung verlangt werden kann. Hierzu zählt die Vornahme eines durch Verwaltungsakt abgelehnten Realaktes (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 113 Rn 172), wie etwa die Entfernung von Verkehrszeichen. Diese Vorschrift ist analog auf Verpflichtungsklagen anwendbar (Kopp/Schenke, VwGO, a.a.O., Rn 177). Dafür spricht in Fällen wie dem vorliegenden, dass ein Verkehrszeichen jedenfalls den Rechtsschein einer entsprechenden verkehrsrechtlichen Regelung erzeugt, solange es aufgestellt ist.

II. Die Klage hat sowohl mit dem Verpflichtungs- (1.) als auch mit dem Leistungsantrag (2.) Erfolg, weil bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht nicht gegeben sind. Im Übrigen wäre die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht in dem Bescheid der Beklagten vom 23. März 2016 auch ermessensfehlerhaft (3.)

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, die angeordnete Radwegebenutzungspflicht in beiden Richtungen entlang der „E. straße“ zwischen den Kreuzungen mit der „F. straße“ im Süden und der „I. straße“ im Norden aufzuheben; der Bescheid der Beklagten vom 23. März 2016 unterliegt demnach insoweit der Aufhebung, als mit ihm der entsprechende Antrag des Klägers vom 25. Juni 2012 (erneut) abgelehnt wurde.

Der Anspruch des Klägers folgt aus § 45 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 9 Satz 3 StVO hinsichtlich der innerorts verlaufenden Teilstrecke (a.) sowie aus § 45 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO (jew. i. d. Fassung vom 16.12.2016, BGBl I S., 2938) bezüglich der außerörtlichen Streckenteils (b.) - und nicht etwa aus den Vorschriften über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten (§§ 48, 49 VwVfG); diese sind bei der Aufhebung von Verkehrszeichen nicht anwendbar (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 05.12.2003 - 12 LA 467/03 -, juris Rn 11, m.w.N.; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 01.12.2009, a.a.O., Rn 59).

Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Zuständig für die Anordnung ist gemäß § 45 Abs. 3 StVO die Straßenverkehrsbehörde, hier die Beklagte. Gemäß § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO regelt, dass insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden dürfen, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Nach § 45 Abs. 9 S. 4 Nr. 3, Alt. 1 StVO gilt Satz 3 allerdings nicht für Sonderwege außerhalb geschlossener Ortschaften (Zeichen 237, 240, 241) - also auch nicht für Radwege.

Die Radwegebenutzungspflicht nach Zeichen 240 (Gemeinsamer Fuß- und Radweg) ist - ebenso wie bei Zeichen 237 (Radfahrer) und Zeichen 241 (Getrennter Rad- und Fußweg) - eine Beschränkung des fließenden Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO und eine Beschränkung der Benutzung der Straße im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. Diese Zeichen bedeuten nach § 41 Abs. 1 StVO - danach hat, wer am Straßenverkehr teilnimmt, die durch Vorschriftzeichen nach Anlage 2 angeordneten Ge- oder Verbote zu befolgen -, dass Radfahrer die für sie bestimmten Sonderwege nutzen müssen. Dem entspricht § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO; danach müssen Radfahrer Radwege benutzen, wenn die jeweilige Fahrtrichtung mit Zeichen 237, 240 oder 241 gekennzeichnet ist. Kehrseite dieses Nutzungsgebotes ist das Verbot für Radfahrer, auf den so gekennzeichneten Strecken die Fahrbahn zu benutzen. Ob dieses Verbot nur mittelbare Folge oder Reflex des Gebotes ist, wirkt sich auf die rechtliche Einordnung des Verkehrszeichens nicht aus. Entscheidend ist vielmehr die reglementierende Wirkung für den Fahrradverkehr. Das Verkehrszeichen begründet zwar kein Verbot der Benutzung der Straße (zu der auch Radwege zählen), wohl aber einen Ausschluss der Fahrradfahrer von der Benutzung der Fahrbahn (§ 2 Abs. 1 StVO) und damit eine Beschränkung in Bezug auf die allgemeine Verkehrsregel, dass Fahrzeuge einschließlich Fahrräder die Fahrbahn benutzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2010 - 3 C 42/09 -, juris Rn 18). Ist § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO anwendbar, scheidet damit zugleich § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO als Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht aus. Als in Bezug auf Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs speziellere Regelung konkretisiert und verdrängt § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO in seinem Anwendungsbereich die allgemeine Regelung in § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO (vgl. für die seinerzeitige Rechtslage zu § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO a. F.: BVerwG Urt. v. 18.11.2010, a.a.O., Rn 23).

Die von der Beklagten durch Aufstellung der Verkehrszeichen 240 mit Zusatzzeichen 1000-31 (gegenläufiger, gemeinsamer Geh- und Radweg) für den Streckenabschnitt der „E. straße“ an dessen östlicher Seite zwischen der Kreuzung mit der „F. straße“ im Süden und der Kreuzung mit der „I. straße“ im Norden angeordnete Radwegebenutzungspflicht ist rechtswidrig, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen für deren Anordnung nicht vorliegen.

a. Für den Teilabschnitt von der Kreuzung „E. straße“ mit der „F. straße“ bis zur Ortstafel gilt danach:

§ 45 Abs. 9 Satz 3 StVO setzt für Verbote und Beschränkungen des fließenden Verkehrs - auch bei Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht - eine Gefahrenlage voraus, die - erstens - auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und - zweitens - das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter (insbesondere: Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern sowie öffentliches und privates Sacheigentum) erheblich übersteigt. In solchen Fällen dient die Trennung von motor- und muskelbetriebenen Fahrzeugen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO können bei verkehrsbehördlichen Maßnahmen insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen (z.B. Nebel, Schnee- und Eisglätte), der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein. Im Übrigen kommt nach den einschlägigen Regelungen der VwV-StVO die Anlage von Radwegen im Allgemeinen dort in Betracht, wo es die Verkehrssicherheit, die Verkehrsbelastung und der Verkehrsablauf erfordern(vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2010, a.a.O., Rn 17 ff, m.w.N.). Eine Beeinträchtigung im Sinne von § 45 Abs. 1, Abs. 9 Satz 3 StVO ist allerdings nicht erst dann anzunehmen, wenn ohne ein Handeln der Straßenverkehrsbehörde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle zu erwarten sind. Vielmehr ist ausreichend und erforderlich, dass eine auf den besonderen örtlichen Verhältnissen beruhende konkrete Gefahr besteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.09.10 - 3 C 32/09 -, juris Rn 22).Der Gesetzgeber hat mit dieser Norm eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass Radwegbenutzungspflichten nur restriktiv angeordnet werden sollen. Durch die Aufgabe der bis dahin generell bestehenden Benutzungspflicht für rechte Radwege und die Freistellung, ob die Fahrbahn oder ein rechts davon verlaufender Radweg benutzt wird, ist es grundsätzlich der eigenverantwortlichen Entscheidung der Verkehrsteilnehmer überlassen, welcher Verkehrsweg für sie vorteilhafter ist (vgl. Bay. VGH, Urt. v. 11.08.2009 - 11 B 08.186 -, juris Rn 53 f.).

Die Anordnung eines Zweirichtungsradwegs verlangt innerorts besondere Anforderungen bezüglich der Verkehrssicherheit. Nach der VwV-StVO zu § 2 zu Abs. 4 Sätze 3 und 4 StVO Rn 33 f. ist die Benutzung von in Fahrtrichtung links angelegten Radwegen in Gegenrichtung insbesondere innerhalb geschlossener Ortschaften mit besonderen Gefahren verbunden und soll deshalb grundsätzlich nicht angeordnet werden; auf baulich angelegten Radwegen kann nach sorgfältiger Prüfung die Benutzungspflicht auch für den Radverkehr in Gegenrichtung (u. a.) mit Zeichen 240 angeordnet werden.

Hieran gemessen liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 45 Abs. 1 Satz i.V.m. Abs. 9 Satz 3 StVO nicht vor. Es fehlt sowohl an einer Gefahrenlage, die auf die besonderen örtlichen Verhältnisse zurückzuführen ist, als auch an einem Risiko, welches das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter erheblich übersteigt.

Nach den Erkenntnissen, die aus der in dem Verfahren 7 A 9997/14 durchgeführten Ortsbesichtigung gewonnen worden sind, liegt hinsichtlich dieses Abschnitts des streitbefangenen Teilstücks der „E. straße“ eine besondere Gefahrenlage für den Straßenverkehr bereits nicht vor. Wie die im Rahmen des Ortstermins zu dem besagten Vorprozess gefertigten Lichtbilder zeigen, verläuft die „E. straße“ hier aus südlicher Richtung kommend annähernd gerade. Die Straße befindet sich in diesem Bereich in einem guten Ausbauzustand; Schlaglöcher, Wellen in der Fahrbahn oder sonstige Erschwernisse für den Radfahrer sind nicht zu erkennen. Die Fahrbahn weist keine nennenswerten Steigungen auf, die einen Radfahrer besonders langsam werden lassen oder den Blick auf dahinterfahrende Radfahrer für den Autofahrer versperren könnten.

Die Verkehrsbelastung ist nicht derart hoch, dass eine Trennung von motor- und muskelbetriebenem Verkehr geboten ist. Die von der Beklagten im Bereich des Seniorenheims an der „E. straße“ durchgeführten Verkehrserhebungen ergaben im November 2015 einen DTV-Wert von 5.078 und im Januar 2016 einen DTV-Wert von 7.043 Fahrzeugen. Die Beklagte selbst ist der Ansicht, dass die Höhe des Verkehrsaufkommens nicht ausreicht, um eine erhöhte Gefahr zu rechtfertigen. Für dieses Ergebnis sprechen auch die von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen herausgegebenen „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, Ausgabe 2010“ (ERA 2010). In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass für die Wertung, ob eine besondere Gefahrenlage im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO vorliegt, neben der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO die in der ERA enthaltenen technischen Regelwerke zumindest Anhaltspunkte liefern (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 01.02.2016 – 12 LA 211/16 -, juris Rn 20, unter Bezugnahme auf: BVerwG, Urt. v. 18.11.2010 - 3 C 42.09 -, juris Rn 27 u. Beschl. v. 16.04.2012 - 3 B 62.11 -, juris Rn 15; VGH BW, Urt. v. 10.02.2011 - 5 S 2285/09 -, juris Rn 44; BayVGH, Urt. v. 06.04.2011 - 11 B 08.1892 -, juris Rn 36). Die Aussagen der ERA 2010 können als Auslegungshilfe zur Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe herangezogen werden (vgl. BVerwG, Beschl. vom 16.04.12, a.a.O.). Die ERA 2010 gliedert „zweistreifige“ Stadtstraßen in vier Belastungsbereiche auf, beurteilt nach der jeweiligen Verkehrsstärke pro Stunde und der Geschwindigkeit (ebenda, S. 19, Bild 7). Die im November 2015 und im Januar 2016 durchgeführten Verkehrserhebungen ergaben für den Tageszeitraum von 06:00 Uhr bis 18:59 Uhr eine durchschnittliche Verkehrsstärke von 317 KFZ/h bzw. von 440 KFZ/h. Bei einer an dieser Stelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h - für eine Strecke von ca. 150 bis 200 m im Bereich zwischen dem „J. Dorfladen“ und der Einmündung der Straße „Bauernwinkel“ sind (nur) 30 km/h als Höchstgeschwindigkeit angeordnet - ist lediglich der Grenzbereich von Belastungsbereich I zu Bereich II betroffen. Der Belastungsbereich I stellt das Regeleinsatzgebiet für gemischten Verkehr auf der Fahrbahn dar. Selbst für den Belastungsbereich II werden Radwege ohne Benutzungspflicht empfohlen.

Im Ergebnis gilt dies auch bezüglich der außerörtlichen Teilstrecke des streitgegenständlichen Straßenabschnitts, wenn die ermittelte Verkehrsstärke hierfür ebenfalls zugrunde gelegt wird. Auch unter Berücksichtigung des Anteils des Schwerlastverkehrs ergibt sich kein anderes Ergebnis. Dieser lag bei den Verkehrserhebungen im November 2015 bei 6% und im Januar 2016 bei 2%.

Radfahrer sind bei Überholvorgängen nicht in dem von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO vorausgesetzten erhöhten Maß gefährdet. Die beiden Fahrspuren sind - abgesehen von dem Bereich des Ortskerns von H. - durch eine unterbrochene Linie getrennt, sodass bei einem Ausbleiben von Gegenverkehr die gegenläufige Fahrspur genutzt werden kann. Bei der festgestellten Straßenbreite von 7,50 m bzw. 6,72 m ist unter Einhaltung eines ausreichenden Seitenabstandes ein Überholen hier rechtlich zulässig und tatsächlich möglich. Dabei geht die Kammer von der Regelung in § 32 Abs. 1 Nr. 1 StVZO aus, wonach die allgemeine Fahrzeugbreite von 2,55 m nicht überschritten werden darf. Unter Zugrundelegung eines Verkehrsraums für Radfahrer von 1,00 m (bei beengten Verhältnissen 0,80 m) und eines i. d. R. zum Radfahrer einzuhaltenden Seitenabstandes von 1,50 m (vgl. dazu König in: Hentschel/König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43 Aufl., § 5 StVO Rn 54, 55 m.w. Nachw. zur Rechtsprechung) und davon ausgehend, dass ein Kraftfahrzeug einschließlich Rückspiegel etwa 2,00 m breit ist, bietet die genannte Fahrbahnbreite ausreichend Raum für einen Überholvorgang unter Einhaltung eines nach § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO ausreichenden Seitenabstandes. Im Hinblick auf die oben genannte geringe Verkehrsbelastung steht auch nicht zu befürchten, dass regelmäßig Situationen auftreten, in denen Autofahrer unter Missachtung des erforderlichen Sicherheitsabstandes überholen werden/würden (vgl. hierzu: VG Hannover, Urt. v. 24.04.2014 - 7 A 5659/13 -, juris Rn 31). Zwar sind die beiden Fahrspuren im Bereich des Ortskerns von H. mittels einer durchgehenden Linie getrennt, sodass in diesem Bereich ein Überholen unter Einhaltung des Sicherheitsabstandes nicht möglich ist. Diese Teilstrecke ist aber derart kurz, dass die beschriebenen gefährlichen Überholmanöver nicht in erheblicher Zahl zu erwarten sind.

Die nur geringe Anzahl von Radfahrern - die Verkehrserhebung zum Fußgänger- und Radverkehr am 08. Dezember 2015 erfasste in der Zeit von 07:00 Uhr bis 18:00 Uhr 76 Radfahrer - spricht ebenfalls gegen ein zwingendes Bedürfnis, hier eine zusätzliche verbindliche Regelung zu treffen. Für die Frage, ob eine erhöhte Gefahrenlage anzunehmen ist, kommt es insbesondere auch auf die Häufigkeit der Begegnungen an (vgl. BayVGH, Urt v. 03.07.2015 - 11 B 14.2809 -, juris, Rn 26).

Der Umstand, dass die B 443 zwischen A-Stadt und Burgdorf und damit auch im fraglichen Streckenabschnitt als Bedarfsumleitungsstrecke U 22/U 25 der BAB 2 zwischen den Anschlussstellen A-Stadt und P. ausgewiesen ist, schafft keine qualifizierte Gefahrenlage. Es liegt auf der Hand, dass die Verkehrsbelastung im Fall der Aktivierung der Umleitung in dem streitgegenständlichen Streckenabschnitt ganz erheblich ansteigt. Die Beklagte hat aber nicht dargelegt, dass der Abschnitt der BAB 2 zwischen den beiden genannten Anschlussstellen einen besonderen Unfallschwerpunkt mit der Folge einer häufigen Inanspruchnahme der Umleitungsstrecke durch ihr Stadtgebiet darstellt. Die Beklagte hat entsprechende Zahlen nicht vorgetragen oder gar nachgewiesen. Es kann angenommen werden, dass sich die jährliche Anzahl erforderlicher Umleitungen in Grenzen hält, so dass die im Einzelfall auftretenden Spitzenbelastungen eine (dauerhaft) qualifizierte Gefahrenlage nicht begründen können (vgl. VG Bayreuth, Urt. v. 12.09.2014 - B 1 K 13.837 -, juris Rn 28; VG München, Urt. v. 18.09.2012 - M 23 K 11.3049 -, juris Rn 40).

b. Für den Teilabschnitt von der Kreuzung Ortstafel bis zur Kreuzung der „E. straße“ mit der „I. straße“ gilt:

Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht ist hier § 45 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 9 S. 1 StVO. Gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Dabei sind gemäß § 45 Abs. 9 S. 1 StVO Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten ist.

Die Regelung des § 45 Abs. 9 S. 1 StVO zielt ihrem Sinn und Zweck nach darauf ab, dem zunehmenden Trend zur Regelung von Verkehrssituationen durch Verkehrszeichen und der damit verbundenen Gefahr der Überforderung und Ablenkung der Verkehrsteilnehmer sowie den hierdurch drohenden Akzeptanzproblemen entgegenzuwirken. Die Regelungen sollen die allgemeinen Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer aufwerten und die „Subsidiarität der Verkehrszeichenanordnung“ verdeutlichen (vgl. Begründung des Bundesrates, VkBl. 1997, 687, 689 Nr. 9 und 690 Nr. 22). Danach sind die Verkehrsbehörden verpflichtet, bei der Anordnung von Verkehrszeichen restriktiv zu verfahren. Zwingend geboten ist ein Verkehrszeichen unter Berücksichtigung dieses Regelungszwecks und des Wortlauts der Vorschriften nach § 45 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Abs. 9 S. 1 StVO daher nur dann, wenn das Verkehrszeichen die zur Gefahrenabwehr unbedingt erforderliche und allein in Betracht kommende Maßnahme ist. Das ist nicht der Fall, wenn die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrs-Ordnung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf gewährleisten (BayVGH, Beschl. v. 21.12.2011 - 11 ZB 11.1841 -, juris Rn 4; VG Braunschweig, Urt. v. 18.07.2006 - 6 A 389/04 -, juris Rn 23).

Danach liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 9 S. 1 StVO hier nicht vor. Nach den in dem besagten Ortstermin getroffenen Feststellungen ist für die Kammer nicht erkennbar, dass eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs, insbesondere für die Radfahrer selbst, entlang dieser Teilstrecke besteht. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist auch vor dem Hintergrund der unterschiedlich erlaubten Höchstgeschwindigkeit - 50 km/h innerorts vor dem Ortsschild, 70 km/h außerorts - die Streckenführung der „Q.“ in diesem Bereich nicht geeignet, eine solche Gefahrenlage anzunehmen. Der Geschwindigkeitsunterschied erweist sich als gering. Der Überlegung der Beklagten, dass Fahrzeugführer beim Verlassen des Ortsbereichs ihr Kraftfahrzeug beschleunigen und dadurch eine Gefährdung vorausfahrender Radfahrer entstehe, vermag das Gericht daher nicht zu folgen. Der Radius der Kurve, die die „E. straße“ nördlich der Ortstafel zum Kreuzungsbereich mit der „I. straße“ beschreibt, ist nach den im Ortstermin getroffenen Feststellungen derart groß, dass Radfahrer noch rechtzeitig erkannt werden können. Vor der Kurve fahrende Radfahrer sind bereits aus größerer Entfernung sichtbar, sodass der Kraftfahrer in der Lage ist, sich der Verkehrssituation entsprechend zu verhalten. Auch für Radfahrer, welche aus nördlicher Richtung die „E. straße“ befahren, vermag das Gericht eine besondere Gefahr nicht zu erkennen. Vielmehr realisierte sich in diesem Bereich lediglich die allgemeine Gefahr der Teilnahme am Straßenverkehr.

Hinsichtlich der Verkehrsbelastung und der potentiellen Häufigkeit des Begegnungsverkehrs zwischen Kraftfahrzeugen und Radfahrern gilt das zu den innerörtlichen Verhältnissen Ausgeführte entsprechend.

3. Im Übrigen wäre die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht in dem Bescheid der Beklagten vom 23. März 2016 auch ermessensfehlerhaft. Der streitgegenständliche Abschnitt des gemeinsamen Geh- und Radweges an der „E. straße“ entspricht nicht den Vorgaben der VwV-StVO. Nach der VwV-StVO zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO Rn 20 soll die lichte Breite eines gemeinsamen Fuß- und Radweges in der Regel durchgehend innerorts mindestens 2,50 m und außerorts mindestens 2,00 m betragen. Die in dem vorangegangenen Verfahren 7 A 9997/14 durchgeführte Ortsbesichtigung hat ergeben, dass der streitige gemeinsame, gegenläufige Geh- und Radweg in dem streitigen Straßenabschnitt durchgehend nur etwa 1,70 m bis 1,80 m breit ist und sich außerorts bedingt durch Graswucherungen teilweise auf ca. 1,25 m verengt. Im Falle einer Abweichung von den Vorgaben der VwV-StVO - wie hier - bedarf es der Feststellung, ob Umstände vorhanden sind, die die Gefährdungslage in besonderer Weise noch weiter erhöhen, sodass eine Abweichung von den Vorgaben der VwV-StVO - beispielsweise denjenigen zur Mindestbreite - gerechtfertigt sein kann, weil die Mitbenutzung der Fahrbahn durch Radfahrer zu einer Gefährdungssituation im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO führen würde, die auch mit Blick auf den Ausbauzustand des Radwegs nicht hinnehmbar ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.04.2012 - 3 B 62/11 -, juris Rn 8). Zwar hat die Beklagte diese Abweichung von den Vorgaben der VwV-StVO in ihre Ermessenserwägungen eingestellt. Die Beklagte benennt aber keine Umstände, die die Gefährdungslage in besonderer Weise in dem oben genannten Sinne soweit erhöhen, dass die Radwegebenutzungspflicht gerechtfertigt wäre.

Zu dem Umstand, dass im Bereich der Einmündung der Straße „Im Bruche“ in die „E. straße“ weder eine Querungshilfe auf der Fahrbahn bzw. über den ebenerdigen Grünstreifen von bzw. zu dem Geh- und Radweg vorhanden, noch ein Zeichen 240 (mit Zusatzzeichen 1000-31) aufgestellt ist - sodass der aus der Straße „Im Bruche“ kommende Radverkehr von der Radwegebenutzungspflicht keine Kenntnis erlangt - verhält sich der Bescheid vom 23. März 2016 nicht.

2. Hat der Anfechtungsantrag danach Erfolg, ist die Beklagte zugleich zu verurteilen, die streitigen Verkehrszeichen zu entfernen, § 113 Abs. 4 VwGO analog. Die Straßenverkehrsbehörden bestimmen nach § 45 Abs. 3 S. 1 StVO, wo und welche Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen anzubringen und zu entfernen sind. Die Beklagte bedarf bei der Entfernung des Zeichens 240 auch nicht der Zustimmung des Straßenbaulastträgers (VwV-StVO zu § 45 Abs. 1 StVO Rn 3 ff.); der Straßenbaulastträger ist lediglich vorher zu hören (VwV-StVO zu § 45 Abs. 1 StVO Rn 1).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.