Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 19.01.2018, Az.: 13 B 11395/17
Auswahl; Auswahlentscheidung; Konkurrentenverfahren; Vorbeurteilung; unplausible Vorbeurteilung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 19.01.2018
- Aktenzeichen
- 13 B 11395/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74488
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 33 Abs 5 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Frage der Auswahlkriterien, wenn eine Reihe von Vor-Beurteilungen der Bewerber unplausibel und damit nicht rechtmäßig sind.
Tenor:
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die Beigeladenen vorläufig nach Besoldungsgruppe A 10 NBesO zu befördern, bis entweder das Auswahlverfahren zwischen dem Antragsteller und den Beigeladenen wiederholt worden und eine weitere Rechtsschutzfrist von wenigstens 14 Tagen abgelaufen ist oder über eine – innerhalb eines Monats nach Rechtkraft dieses Beschlusse zu erhebende - Klage des Antragstellers rechtskräftig entschieden wurde oder die in diesem Verfahren streitige Auswahlentscheidung auf andere Weise Bestandskraft erlangt hat.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 23.088,00 EURO festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Auswahlentscheidung. Er ist Polizeikommissar bei der G..
Für den Bereich dieser Dienststelle standen für die Beförderungsrunde zum Dezember 2017 insgesamt 20 Beförderungsmöglichkeiten (lt. Schreiben vom 15.11.2017 nur 19 Stellen) nach BesGr. A 10 zur Verfügung. Die Antragsgegnerin wählte als Beförderungskandidaten unter anderem die Beigeladenen aus, nicht jedoch den Antragsteller.
Zum Stichtag 01.09.2017 wurden sowohl der Antragsteller als auch die Beigeladenen beurteilt. Alle vier Beteiligte erhielten als Gesamtnote „C - oberer Bereich“. Bei den Einzelmerkmalen wurden ebenfalls alle vier Beteiligte insgesamt dreimal mit „B“ und fünfmal mit „C“ eingestuft. Eine Abweichung in den Beurteilungen gibt es lediglich hinsichtlich des Beigeladenen zu 2.), dessen „Kreativität“ mit „normal ausgeprägt“ eingeschätzt wurde, während sie bei allen anderen Beteiligten mit „stärker ausgeprägt“ beurteilt wurde.
Bei den Vor-Beurteilungen zum Stichtag 01.09.2014 erhielt nur der Antragsteller die Gesamtnote „C - oberer Bereich“ bei 1 x „B“ und 7 x „C“. Die Beigeladenen wurden demgegenüber lediglich mit „C - mittlerer Bereich“ beurteilt und bei den Einzelmerkmalen insgesamt nur mit „C“.
Die Gesamtnote der Vor-Beurteilungen wurde bei allen vier Beteiligten nicht textlich begründet.
Insgesamt sollen nach eigenen Angaben der Antragsgegnerin (Schriftsatz vom 13.12.2017) acht Vor-Beurteilungen von Beamten aus der Vergleichsgruppe des Antragstellers mangels textlicher Begründung unplausibel sein.
Der Beigeladene zu 3.) bestand seine Laufbahnprüfung am 28.09.2004, die Beigeladene zu 1.) am 26.09.2005 und der Beigeladene zu 2.) am 20.09.2006. Der Antragsteller legte seine Laufbahnprüfung erst am 24.09.2010 ab.
Nach den Beförderungsrichtlinien der Antragsgegnerin (Ziff. 4.1 BefRiLiPol) ist bei der Auswahlentscheidung zunächst auf die Vollnote der aktuellen dienstlichen Beurteilung abzustellen, dann ist eine Binnendifferenzierung der aktuellen Beurteilung vorzunehmen, in dritter Stufe kommt es auf die Vollnote der Vorbeurteilung an, gegebenenfalls ist auf vierter Stufe eine Binnendifferenzierung der Vorbeurteilung vorzunehmen. Diese Kriterien sind danach vorrangig vor den Hilfskriterien heranzuziehen. Hilfskriterien sind nach Ziffer 4.2 der Richtlinien die Dienstzeit im Statusamt und das Datum der den Vorbereitungsdienst abschließenden Prüfung.
Nach dem Auswahlvorgang der Antragsgegnerin stellte die Antragsgegnerin bei der Auswahlentscheidung zwischen den Beigeladenen und dem Antragsteller ausschlaggebend auf das Kriterium „Datum der Laufbahnprüfung in Verbindung mit dem Beginn des Qualifizierungszeitraums für die Laufbahngruppe 2“ ab. Alle Bewerber seien bei den aktuellen dienstlichen Beurteilungen gleich beurteilt worden. Die Vor-Beurteilungen könnten nicht als Auswahlkriterium herangezogen werden, weil sie zum Teil nicht plausibel seien.
Der Antragsteller suchte am 28.11.2017 um vorläufigen Rechtsschutz nach.
Er trägt vor: nach Ziff. 4.1 BefRiLiPol sei, wenn nicht aufgrund der Vollnote der aktuellen dienstlichen Beurteilung und ggf. aufgrund deren Binnendifferenzierung bereits eine Auswahlentscheidung getroffen werden könne, als nächstes Kriterium die Vollnote der Vor-Beurteilung und gegebenenfalls die Binnendifferenzierung der Vor-Beurteilung heranzuziehen. Erst dann könnte, wenn sich gleichwohl der leistungsstärkere Bewerber noch nicht ermitteln lasse, die Auswahlentscheidung auf leistungsbezogene Hilfskriterien gestützt werden.
Die Antragsgegnerin habe hier gegen ihre eigenen Richtlinien verstoßen, weil sie die Vor-Beurteilung ausgeblendet und sogleich sich auf Hilfskriterien gestützt habe. Richtig sei zwar, dass die Vor-Beurteilungen alle unter dem Fehler leiden würden, dass das Gesamturteil textlich nicht begründet und daher ein erheblicher Teil der Vor-Beurteilungen nicht plausibel seien. Dieses Problem könne aber nur dadurch gelöst werden, dass alle Vor-Beurteilungen aufgehoben und neu gefertigt werden. Denkbar wäre aus seiner, des Antragstellers, Sicht auch, dass die Vollnote der Vor-Beurteilung ausgeblendet und lediglich eine ausdifferenzierende Betrachtung bei den Einzelmerkmalen vorgenommen würde. Bei dieser Vorgehensweise hätte auf jeden Fall er, der Antragsteller, ausgewählt werden müssen. Da er in der Vor-Beurteilung einmal in den Einzelmerkmalen mit der Wertungsstufe „B“ beurteilt worden sei, habe er einen Leistungsvorsprung gegenüber den Beigeladenen.
Die Antragsgegnerin habe sich nur in den Fällen nicht an ihre eigenen Richtlinien gehalten, in denen in einer Vergleichsgruppe unplausible Vor-Beurteilungen vorgelegen haben. Damit seien in diesem Beförderungsauswahlverfahren unterschiedliche Auswahlkriterien berücksichtigt worden.
Der Antragsteller beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, die Beigeladenen zum 01.12.2017 nach Besoldungsgruppe A 10 NBesO zu befördern, bis über sein Beförderungsbegehren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut entschieden wurde und eine weitere Rechtsschutzfrist von wenigstens 14 Tagen abgelaufen ist.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Acht Vor-Beurteilungen seien in der hier streitbefangenen Vergleichsgruppe mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (Beschluss vom 21.12.2016) nicht plausibel, weil das Gesamturteil nicht hinreichend textlich begründet worden sei. Diese fehlende Begründung könne nach der Rechtsprechung auch nicht nachgeholt werden. Diese Vor-Beurteilungen seien deshalb rechtswidrig. Rechtswidrige Vor-Beurteilungen könnten aber nicht Grundlage einer Auswahlentscheidung sein.
Zum Stichtag 01.09.2014 seien 2497 Beurteilungen erstellt worden, von denen eine Vielzahl wegen Begründungsmangels unplausibel sein dürften. Die Neuerstellung dieser Beurteilungen sei rein vom Verwaltungsaufwand her kaum leistbar. Außerdem bezögen sich die Beurteilungen auf einen relativ weit zurückliegenden Zeitraum (2011-2014), sodass die jeweiligen Erst- und Zweitbeurteiler- sofern sie sich überhaupt noch im Amt befänden - kaum noch belastbare Erinnerungen an die Leistungen der zu Beurteilenden in dieser Zeit haben dürften.
Ein Verzicht auf die Vor-Beurteilung als Auswahlkriterium sei mit Blick auf Praktikabilität, Chancengleichheit, Transparenz, Nachvollziehbarkeit und zur Vermeidung eines monatelangen Beförderungsstillstandes zumindest in den Fällen, in denen in einer Vergleichsgruppe eine unplausible Vor-Beurteilung vorhanden und damit eine Vergleichbarkeit bei den Vor-Beurteilungen nicht herstellbar sei, angemessen und verhältnismäßig.
Der Antragsteller und die Beigeladenen seien aktuell gleichwertig beurteilt worden. Da in der Vergleichsgruppe des Antragstellers acht von 30 Vor-Beurteilungen nicht plausibel seien, habe man auf das nächste leistungsnahe Auswahlkriterium - Datum der Laufbahnprüfung und den Beginn des Qualifizierungszeitraumes für die Laufbahngruppe 2 - zurückgegriffen.
Auch seien neben dem Antragsteller schon zwei andere Beamte bei der Beförderungsauswahl unberücksichtigt geblieben, deren Vor-Beurteilungen das Gesamturteil „C – mittlerer Bereich“ bzw. „C – oberer Bereich“ aufwiesen und in denen bei den Einzel-Leistungsmerkmalen ebenfalls 1 bzw. 2 x die Note „B“ vergeben worden seien.
Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert und keine Anträge gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
II.
Der auf den Erlass einer Sicherungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gerichtete Antrag hat Erfolg. Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder erschwert werden könnte. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm gegenüber der Antragsgegnerin ein Anordnungsgrund zusteht und der Erlass der einstweiligen Anordnung notwendig ist, weil anderenfalls die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde.
Mit Blick auf die von der Antragsgegnerin auch für die Beigeladenen beabsichtigten Beförderungen steht dem Antragsteller ein Anordnungsgrund zur Seite. Der Antrag erweist sich als eilbedürftig, denn die Antragsgegnerin hat allein im Hinblick allein auf das vorliegende Eilverfahren vorläufig von einer Beförderung der Beigeladenen Abstand genommen.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).
Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Danach sind öffentliche Ämter nach Maßgabe des Leistungsgrundsatzes zu besetzen. Ein Beförderungsbewerber hat dementsprechend einen Bewerbungsverfahrensanspruch, d.h. einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr über seine Bewerbung ermessens- und beurteilungsfehlerfrei entscheidet wird (vgl. nur BVerwG, Beschl. vom 22.11.2012 - 2 VR 5/12 -, juris, Rdnr. 23 m.w.N.). Wegen des Organisationsermessens des Dienstherrn ist die gerichtliche Kontrolle nur eingeschränkt möglich. Sie beschränkt sich darauf, ob die Behörde bei der Auswahlentscheidung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Maßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien (Verwaltungsvorschriften) verstoßen hat (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 17.08.2005 - 5 ME 100/05 -). Ein abgelehnter Bewerber, dessen subjektives Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt worden ist, kann eine Neubescheidung seiner Bewerbung dann beanspruchen, wenn seine Erfolgsaussichten bei der erneuten Auswahl offen sind, d. h. seine Auswahl also möglich erscheint (vgl. BVerwG, Urt. vom 21.08.2003 - 2 C 14/02 -, juris). Dies ist hier der Fall. Es ist nicht auszuschließen, dass der Antragsteller in einem erneuten Auswahlverfahren um die streitgegenständliche Beförderung zum Zuge kommt.
Bei einer Beförderung hat der auswählende Dienstherr in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Dies sind regelmäßig die aktuellen Beurteilungen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 22.11.2012, a.a.O., Rdnr. 24). Haben die Bewerber dabei als Gesamturteil auf der jeweiligen Notenskala unterschiedliche Notenstufen erreicht, ist grundsätzlich der Bewerber mit der besseren Gesamtnote auszuwählen. Sind die Bewerber mit der gleichen Gesamtnote beurteilt, ist für die Auswahlentscheidung zunächst auf weitere unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Diese können sich aus sog. Binnendifferenzierungen innerhalb der Notenstufe und/oder aus der Bewertung der einzelnen Beurteilungsmerkmale oder aus älteren dienstlichen Beurteilungen ergeben, deren zusätzliche Berücksichtigung geboten ist, wenn eine Stichentscheidung unter zwei oder mehr aktuell im Wesentlichen gleich beurteilten Bewerbern zu treffen ist. Als unmittelbar leistungsbezogenes Kriterium kann der Dienstherr auch die Ergebnisse von strukturierten Auswahlgesprächen heranziehen. Ebenso können sich leistungsbezogene Auswahlkriterien aus den aktuellen dienstlichen Beurteilungen ergeben, wenn sich aus der Bewertung der einzelnen Beurteilungsmerkmale hinsichtlich Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung insbesondere auch im Hinblick auf das mit dem zu besetzenden Dienstposten verbundene Anforderungsprofil ein Leistungsunterschied ergibt (sogenannte ausschärfende Betrachtungsweise; vgl. zum Ganzen Nds. OVG, Beschl. vom 18.8.2011 - 5 ME 212/11 -, juris Rdnr. 9 m. w. N.). Erst wenn all diese unmittelbar leistungsbezogenen Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind, sind sog. Hilfskriterien heranzuziehen (vgl. auch Nds. OVG, Beschl. vom 09.08.2012 - 5 ME 141/12 -, und Beschl. vom 21.02.2007 - 5 LA 171/06 -, beide juris).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Antragsgegnerin den Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers verletzt.
Das Auswahlverfahren leidet allerdings unter keinem formellen Verfahrensfehler.
Die Begründung des Besetzungsvorschlags in den Schreiben an den Personalrat, die Gleichstellungsbeauftragte und die Vertrauensperson der schwer behinderten Menschen in Verbindung mit dem Verzeichnis der in Betracht kommenden Beförderungsbewerber genügt den rechtlichen Anforderungen. Dort ist festgehalten, nach welchen Kriterien die Auswahlentscheidung zu Gunsten des Beigeladenen getroffen wurde und aus welchen Gründen der Antragsteller gegenüber den Beigeladenen im Auswahlverfahren unterlegen war. Seine Dokumentationspflicht hat die Antragsgegnerin nach alledem erfüllt.
Im vorliegenden Rechtsstreit kommt es entgegen der Ansicht des Antragstellers nur darauf an, ob zwischen dem Antragsteller und den Beigeladenen die gleichen Auswahlkriterien zu Grunde wurden. Denn nur die Auswahl zwischen dem Antragsteller und den Beigeladenen ist streitig. In diesem Verhältnis wurden jedoch keine unterschiedlichen Auswahlkriterien angewendet.
Im Einklang mit den von der Rechtsprechung aufgestellten und auch in den eigenen Richtlinien vorgesehenen Grundsätzen hat die Antragsgegnerin rechtmäßigerweise zuerst die aktuellen Beurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen in den Blick genommen. Allein auf Grundlage der aktuellen dienstlichen Beurteilungen kann allerdings keine Auswahl zwischen den Beigeladenen und dem Antragsteller getroffen werden. Denn die vier Beteiligten wurden – abgesehen von dem nicht ausschlaggebenden Merkmal „Kreativität“ beim Beigeladenen zu 2.) - gleich beurteilt. Sowohl nach der Vollnote als auch nach der vorzunehmenden Binnendifferenzierung der letzten aktuellen Beurteilung ergeben sich keine Leistungsvorsprünge eines oder mehrerer Bewerber.
Grundsätzlich ist in derartigen Fällen als nächste Stufe die Vor-Beurteilung in den Blick zu nehmen. Ein entsprechendes Verfahren sehen die Beurteilungsrichtlinien der Antragsgegnerin auch vor.
Die Antragsgegnerin hat bei der Auswahlentscheidung gegen ihre eigene Richtlinie - Ziff. 4.1 BefRiLiPol – verstoßen, indem sie die Auswahlebene „Vor-Beurteilung“ völlig außer Acht gelassen hat, ohne dass diese Verfahrensweise durch das Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt werden kann.
Dieser Fehler wirkt sich unmittelbar auf das Ergebnis der Auswahlentscheidung aus. Würde aufgrund der vorliegenden Vor-Beurteilungen eine Auswahl erfolgen können, so wäre der Antragsteller den Beigeladenen vorzuziehen. Denn er wurde in der Beurteilung zum 01.09.2014 um eine Notenstufe besser beurteilt als die Beigeladenen (mit „C – oberer Bereich“, die Beigeladenen mit „C – mittlerer Bereich“).
Zurecht geht die Antragsgegnerin davon aus, dass sowohl die Vorbeurteilung des Antragstellers als auch die entsprechenden Beurteilungen der drei Beigeladenen nach den Grundsätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in dem Beschluss vom 21.12.2016 – 2 VR 1.16 - aufgestellt hat, an einem nicht mehr korrigierbaren Fehler leiden. Das Gesamturteil wurde textlich in den vier Beurteilungen nicht begründet. Dieser Umstand führt dazu, dass diese Beurteilungen nicht mehr als plausibel angesehen werden können. Rechtswidrige Beurteilungen können jedoch nicht, insoweit ist der Antragsgegnerin Recht zu geben, Grundlage einer rechtmäßigen Auswahlentscheidung sein. Um ein faires und objektives Auswahlverfahren durchzuführen, hätten in einem solchen Fall nach Auffassung der Kammer die Vor-Beurteilungen der Beteiligten neu erstellt werden müssen.
Soweit die Antragsgegnerin die Auffassung vertritt, dass vorliegend die Auswahlebene „Vor-Beurteilung“ insgesamt ausgeblendet und auf ein leistungsnahes Hilfskriterium zurückgegriffen werden kann, ist es nicht auszuschließen, dass es Situationen geben kann, in denen es einem Dienstherrn nicht zugemutet werden kann, die Vor-Beurteilungen neu zu erstellen, etwa weil dies mit tatsächlich kaum zu bewältigenden, unzumutbaren Schwierigkeiten verbunden wäre. Derartige außergewöhnliche Umstände liegen hier indes nicht vor.
Die Antragsgegnerin hat zwar vorgetragen, dass in der hier in Rede stehenden Beförderungsrunde insgesamt 2497 Vor-Beurteilungen zu berücksichtigen seien, von denen eine Vielzahl nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als „nicht plausibel“ eingestuft werden müssen. In dem hier zu entscheidenden Fall kommt es jedoch lediglich auf die Vor-Beurteilungen des Antragstellers und der drei Beigeladenen an - möglicherweise, im Fall einer neuen Auswahlentscheidung unter allen noch nicht beförderten Beamten für die drei freigehaltenen Stellen auch auf die Vor-Beurteilungen der weiteren neun bislang nicht ausgewählten Beamten.
Nach eigenen Angaben der Antragstellerin sind danach maximal acht Vor-Beurteilungen neu zu erstellen, um eine ordnungsgemäße Auswahlentscheidung für die restlichen drei zur Verfügung stehenden Beförderungsstellen nach A 10 bei der G. sicherzustellen.
Die Antragsgegnerin hat nicht dargelegt, weshalb es ihr nicht möglich oder nicht zumutbar ist, maximal acht Vor-Beurteilungen neu zu erstellen. Der Verwaltungsaufwand und der zeitliche Rahmen sind jedenfalls nicht so groß, dass es gerechtfertigt wäre, von der nach dem Leistungsgrundsatz gebotenen Berücksichtigung der Vor-Beurteilung auf der zweiten Auswahlebene abzusehen. Mit der Neu-Erstellung von höchstens acht, möglicherweise sogar weniger Beurteilungen wird die Antragsgegnerin nicht übermäßig belastet. Andere Aspekte, die einer Neuanfertigung der Vor-Beurteilungen entgegenstehen könnten, hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen.
Der nach alledem sich ergebende Verzicht auf die Einbeziehung einer rechtsfehlerfreien Vor-Beurteilung ist auch nicht etwa unbeachtlich, sondern kann sich durchaus sich auf das Ergebnis des Auswahlverfahren ausgewirkt haben. Denn es erscheint nicht ausgeschlossen, dass bei nachgeholten Vor-Beurteilungen der Antragsteller auf dieser Stufe der Auswahlentscheidung sich sowohl gegenüber mindesten einem der Beigeladenen und ggf. auch gegenüber den anderen restlichen Mitbewerbern als der Leistungsstärkerer erweisen wird. Selbst wenn sich letztendlich an der Vollnote und den vergebenen Noten bei den einzelnen Leistungsmerkmalen bei allen neu zu erstellenden Vor-Beurteilungen, die durch textliche Bestandteile plausibel gemacht worden sind, im Ergebnis nichts gegenüber den bisherigen unplausiblen Vor-Beurteilungen ändern würde, gäbe es nach eigenen Angaben der Antragsteller wohl nur einen bislang ebenfalls nicht ausgewählten Beamten, der dann – mit 2x „B“ bei den Einzelmerkmalen - möglicherweise Vorrang vor dem Antragsteller genießen könnte. Da letztendlich aber die Besetzung von drei Beförderungsstellen offen ist, spricht dies ebenfalls nicht gegen die Chancen des Antragstellers bei einer neuen Auswahlentscheidung, nunmehr ein Beförderungsamt erhalten zu können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen waren nach § 162 Abs. 3 VwGO nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil der Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit nicht ebenfalls einem Kostenrisiko (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 und 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG. Danach ist die Hälfte der Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge der Besoldungsgruppe A 15 NBesO anzusetzen. Der somit zugrunde zu legende sechsfache Betrag des Endgrundgehalts der angestrebten Besoldungsgruppe A 10 NBesO beträgt einschließlich der allgemeinen Stellenzulage und der Polizeizulage 23.088,00 € (= 6 x 3.631,05 € + 89,57€ + 127,38 €). Eine Halbierung des so ermittelten Streitwertes für das Eilverfahren findet nicht statt (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 16.05. 2013, - 5 ME 92/13 -, Rn. 29, juris).