Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 12.05.2016, Az.: 2 A 385/14
Entgeltumwandlung; Gesamteinkommen; Missbrauch; Wohngeld; Zuflussprinzip
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 12.05.2016
- Aktenzeichen
- 2 A 385/14
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 43549
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs 1 S 1 EStG
- § 14 Abs 1 S 1 WoGG
- § 14 Abs 2 Nr 14 WoGG
- § 21 Nr 3 WoGG
- § 27 Abs 2 S 1 Nr 3 WoGG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Teilnahme an einem Programm der Entgeltumwandlung (sog. Zeit-Wert-Modell) ist regelmäßig missbräuchlich im Sinne des Wohngeldgesetzes, wenn sie dazu führt, dass man aufgrund der selbst verantworteten Verminderung des monatlichen Einkommens wohngeldberechtigt wird. Dies gilt umso mehr, wenn jemand bereits Wohngeld bezieht und das gestiegene Gesamteinkommen durch die Teilnahme an einem solchen Programm vermindert, um den weiteren Wohngeldbezug zu gewährleisten.
Tatbestand:
Mit der Klage wendet sich der Kläger gegen eine Rückforderung von Wohngeld und begehrt zugleich dessen Weiterbewilligung.
Der Kläger lebt mit seiner Ehefrau, seinen acht zwischen 1992 und 2008 geborenen Kindern und einem Enkelkind in einem Haushalt. Er arbeitet bei der J. als technischer Sachbearbeiter. Über einen längeren Zeitraum hinweg erhielt er Wohngeld in Form eines Mietzuschusses.
Auf seinen Weiterleistungsantrag vom 19.07.2013 wurde ihm durch Bescheid Nr. 21 der Beklagten vom 19.09.2013 für den Zeitraum vom 01.08.2013 bis zum 31.07.2014 Wohngeld in Höhe von monatlich 821,00 Euro bewilligt. In seinem Weiterleistungsantrag vom 18.07.2014 (für den Zeitraum vom 01.08.2014 bis zum 31.07.2015) legte der Kläger eine Verdienstbescheinigung seines Arbeitgebers für den Zeitraum von Juli 2013 bis Juni 2014 vor. Aus dieser ergab sich, dass er in den ersten neun Monaten ein durchschnittliches Bruttoeinkommen von 3.425,16 Euro erzielt hatte, während sich sein Einkommen ab April 2014 auf durchschnittlich 1.678,33 Euro verringert hatte. Der Kläger trug hierzu vor, sein Einkommen habe sich ab April 2014 infolge der Ansparung von Zeitwerten für einen vorgezogenen Rentenbeginn im Rahmen einer sog. Entgeltumwandlung reduziert. Außerdem teilte er mit, dass seine Ehefrau seit April ein steuerpflichtiges Bruttoeinkommen aus ihrer Tätigkeit als Lehrerin in Höhe von monatlich 1.761,15 Euro erziele.
Der Kläger legte Gehaltsabrechnungen für die Monate April bis August 2014 vor, wonach sein Arbeitgeber von seinem Bruttogehalt jeweils 2.180,00 Euro sowie im Mai und im August zusätzliche Beträge auf ein Zeit-Wertkonto eingezahlt hatte. Die Beklagte vertrat die Auffassung, die für die Entgeltumwandlung aufgewandten Beträge seien in vollem Umfang als wohngeldrechtliches Einkommen zu berücksichtigen.
Mit Bescheid Nr. 22 vom 23.10.2014 verneinte die Beklagte nach Neuberechnung einen Wohngeldanspruch für den Zeitraum von April bis Juli 2014, hob den Bescheid Nr. 21 vom 19.09.2013 für diesen Zeitraum auf und stellte fest, dass es zu einer Überzahlung von 3.284,00 Euro gekommen sei. Mit weiterem Bescheid Nr. 23 vom 23.10.2014 verneinte sie einen Anspruch ab August 2014 und lehnte den Weiterleistungsantrag ab. Gleichzeitig forderte sie den überzahlten Betrag zurück.
Am 24.11.2014 hat der Kläger hiergegen Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, die Entgeltumwandlung unterfalle nicht § 14 Abs. 2 Nr. 14 des Wohngeldgesetzes (WoGG). Er habe auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung zwischen dem Vorstand und dem Gesamtbetriebsrat seines Arbeitgebers ein sog. Zeit-Wertpapier gezeichnet. Zeit-Wertpapiere beinhalteten einen Anspruch auf bezahlte Freistellung gegenüber dem Unternehmen. Sie dienten der Verkürzung der Lebensarbeitszeit vor dem Übergang in die gesetzliche Altersrente. Er baue daher ein Wertguthaben für eine vollbezahlte Freistellung vor der Rente auf. Ein monatlicher Bruttobetrag von 2.180,00 Euro werde ab April 2014 nicht ausgezahlt, sondern dem Zeit-Wertkonto gutgeschrieben. Es handele sich nicht um Zuwendungen des Arbeitgebers im Sinne von § 3 Nr. 56 oder Nr. 63 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die monatlichen Zuweisungen auf das Zeit-Wertkonto würden nicht zum Aufbau einer kapitalgedeckten betrieblichen Altersversorgung verwandt.
Im August 2015 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mitgeteilt, der Kläger sei zum 30.04.2015 in ein eigenes Haus nach K. verzogen. Außerdem hat er Unterlagen vorgelegt, wonach der Kläger seine Zahlung auf das Zeit-Wertkonto im Dezember 2014 auf 1.000,00 Euro reduziert und den Antrag zur Einbringung von Zeit-Werten ab dem 01.01.2015 widerrufen hat. In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt, soweit Wohngeld für den Zeitraum vom 01.05.2015 bis zum 31.07.2015 geltend gemacht worden war.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid Nr. 22 der Beklagten vom 23.10.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids Nr. 23 vom 23.10.2014 zu verpflichten, ihm für den Zeitraum vom 01.08.2014 bis zum 30.04.2015 Wohngeld in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf ihre Bescheide und vertritt weiterhin die Auffassung, die zur Entgeltumwandlung aufgewandten Beträge seien als Einkommen zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber zahle die Beträge direkt an eine Altersvorsorgeeinrichtung. Damit würde die Zahlung zu einem Beitrag des Arbeitgebers im Sinne des § 3 Nr. 63 EStG und zähle gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 14 WoGG zum Jahreseinkommen. Außerdem sei ab 01.04.2014 zusätzliches Arbeitseinkommen der Ehefrau des Klägers aus ihrer Tätigkeit als Lehrerin berücksichtigt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Soweit die Beteiligten Erledigungserklärungen abgegeben haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Die zulässige Klage ist nicht begründet, denn die angefochtenen Bescheide Nr. 22 und Nr. 23 der Beklagten vom 23.10.2014 sind im Ergebnis rechtmäßig.
Gemäß § 4 WoGG richtet sich das Wohngeld nach der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder (§§ 5 bis 8), der zu berücksichtigenden Miete oder Belastung (§§ 9 bis 12) und dem Gesamteinkommen (§§ 13 bis 18) und ist nach § 19 zu berechnen. Nach § 13 Abs. 1 WoGG ist das maßgebliche Gesamteinkommen im Sinne des Wohngeldgesetzes die Summe der Jahreseinkommen der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder abzüglich der Freibeträge und der Abzugsbeträge für Unterhaltsleistungen. Das Jahreseinkommen eines zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieds ist gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 WoGG vorbehaltlich des Absatzes 3 die Summe der positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 EStG zuzüglich der Einnahmen nach Absatz 2 abzüglich der Abzugsbeträge für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge (§ 16). Nach § 27 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 WoGG ist über die Leistung des Wohngelds von Amts wegen mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an neu zu entscheiden, wenn sich das Gesamteinkommen im laufenden Bewilligungszeitraum nicht nur vorübergehend um mehr als 15 Prozent erhöht und dadurch das Wohngeld wegfällt oder sich verringert. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt im Fall des Satzes 1 Nr. 3 der Beginn des Zeitraums, für den das erhöhte Einkommen bezogen wird, das zu einer Erhöhung des Gesamteinkommens um mehr als 15 Prozent führt (§ 27 Abs. 2 S. 2 WoGG). Nach § 27 Abs. 4 WoGG gilt Absatz 2 entsprechend, wenn sich die Änderungen (u.a.) nach Abs. 2 S. 1 auf einen abgelaufenen Bewilligungszeitraum beziehen, längstens für drei Jahre vor Kenntnis der wohngeldberechtigten Person oder der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder von der Änderung der Verhältnisse; der Kenntnis steht die Nichtkenntnis infolge grober Fahrlässigkeit gleich.
Die Voraussetzungen des § 27 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 WoGG sind vorliegend für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 31.07.2014 erfüllt, sodass der Bescheid Nr. 22 vom 23.10.2014, mit dem die Beklagte einen Wohngeldanspruch für diesen Zeitraum verneint und den Bewilligungsbescheid Nr. 21 vom 19.09.2013 insoweit aufgehoben hat, nicht zu beanstanden ist. Während das monatliche Gesamteinkommen im Bescheid Nr. 21 mit 2.142,09 Euro angenommen worden ist, geht der Bescheid Nr. 22 von einem Einkommen von 4.015,27 Euro aus, wobei die Änderung auf eine Erhöhung des Arbeitseinkommens des Klägers selbst und auf die erstmalige Berücksichtigung eines Arbeitseinkommens seiner Ehefrau zurückzuführen ist. Die Kammer hat gegen die Berechnung des Einkommens keine Bedenken. Insbesondere ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die vom Kläger im Rahmen der sog. „Entgeltumwandlung“ auf ein Zeit-Wertkonto geleisteten Beträge weiterhin als Einkommen berücksichtigt hat.
Allerdings folgt das Gericht nicht der Auffassung der Beklagten, bei den auf das Zeit- Wertkonto eingezahlten Beträgen handele es sich um eine steuerfreie Einnahme gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 14 WoGG. Danach gehören zum Jahreseinkommen die nach § 3 Nr. 56 EStG steuerfreien Zuwendungen des Arbeitgebers an eine Pensionskasse und die nach § 3 Nr. 63 EStG steuerfreien Beiträge des Arbeitgebers an einen Pensionsfond, eine Pensionskasse oder für eine Direktversicherung zum Aufbau einer kapitalgedeckten betrieblichen Altersversorgung. Um eine derartige Leistung des Arbeitgebers handelt es sich bei den Zahlungen auf das Zeit-Wertkonto nicht.
Die Teilnahme des Klägers am „Zeit-Wert-Modell“ der J. beruht auf einer Betriebsvereinbarung zwischen dem Vorstand und dem Gesamtbetriebsrat des Unternehmens vom 01.12.2011, die zum 01.01.2012 in Kraft trat. Danach beinhalten Zeit-Werte einen Anspruch der Beschäftigten auf bezahlte Freistellung gegenüber dem Unternehmen. Die Zeit-Wertguthaben werden im individuellen Zeit-Wertkonto geführt. Zeit-Werte dienen der Verkürzung der Lebensarbeitszeit vor dem Übergang in die gesetzliche Altersrente. Sie können auch in Anspruch genommen werden, um die in der Altersteilzeit zu erbringende Arbeitsleistung zu ersetzen. Zeit-Werte können ganz oder teilweise an die Stelle von tariflichen und/oder betrieblichen Leistungen treten. Der einzelne Beschäftigte entscheidet vor dem jeweiligen Entstehungszeitpunkt der entsprechenden Leistung, ob an deren Stelle Zeit-Werte treten sollen. Es werden individuelle Zeit-Wertkonten eingerichtet, in denen die Zeit-Werte in Geld erfasst und geführt werden. Die Gutschrift erfolgt in dem Zeitpunkt, in dem die ursprünglichen Ansprüche fällig gewesen wären. Da die Zeit-Wertguthaben erst bei ihrer Entnahme der Steuerpflicht und der Beitragspflicht in der Sozialversicherung unterliegen, erfolgt die Gutschrift mit dem entsprechenden Bruttobetrag. Rechtzeitig vor Beginn der Freistellungsphase in der Altersteilzeit bzw. rechtzeitig vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wird das aktuelle Zeit-Wertguthaben in bezahlte Freistellungszeiträume umgerechnet. Die Beschäftigten tragen die auf sie entfallenden gesetzlichen Abgaben. Es handelt sich nach alledem nicht um steuerfreie Zuwendungen des Arbeitgebers zur Alterssicherung im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 14 WoGG, denn die Zeit-Werte nach dem Modell der J. dienen der Verkürzung der Lebensarbeitszeit durch bezahlte Arbeitsfreistellung vor dem Übergang in die gesetzliche Altersrente.
Die Zahlungen sind vielmehr den Einkünften im Sinne von § 14 Abs. 1 S. 1 WoGG zuzurechnen. Die Norm verweist hinsichtlich des Begriffs der positiven Einkünfte auf § 2 Abs. 1 EStG. Nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 EStG unterliegen der Einkommensteuer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Einnahmen sind alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 bis 7 EStG zufließen (§ 8 Abs. 1 EStG). Sie sind innerhalb des Kalenderjahrs bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind (§ 11 Abs. 1 S. 1 EStG). Nach diesem sog. Zuflussprinzip sind Einnahmen in dem Zeitpunkt zugeflossen, in dem der Empfänger die wirtschaftliche Verfügungsmacht über das Geld bzw. die Güter in Geldeswert erlangt. Entscheidend ist der wirtschaftliche Gesichtspunkt der tatsächlichen Verfügungsmacht und nicht etwa der zivilrechtliche Grund der Zahlung oder - im Fall des Arbeitslohns - das Bestehen eines Anspruchs gegen den Arbeitgeber (vgl. Schmidt, EStG, 33. Aufl. 2014, § 19 Rn. 76; VG Braunschweig, Urteil vom 26.02.2015 - 3 A 166/14 -, juris).
Zwar wäre nach diesem Maßstab der Teil des Gehalts des Klägers, der Gegenstand der Entgeltumwandlung war, dem Kläger nicht zugeflossen, denn er hat den wirtschaftlichen Vorteil aus der Zahlung jeweils nicht erlangt. Vielmehr wurde ein Teil seines Bruttogehalts mit dem Ziel einbehalten, ihm später - vor Eintritt der gesetzlichen Rentenversicherung - ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsleben zu ermöglichen. Erst dann wird ihm der angesparte Teil des Arbeitslohns im oben genannten Sinn zufließen. Ungeachtet dessen erweist sich die Entscheidung der Beklagten, die auf das Zeit-Wertkonto gezahlten Beträge in die Wohngeldberechnung einzustellen und einen Wohngeldanspruch für die streitigen Zeiträume zu verneinen, unter dem Gesichtspunkt eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers als rechtmäßig.
Gemäß § 21 Nr. 3 WoGG besteht ein Wohngeldanspruch nicht, soweit die Inanspruchnahme missbräuchlich wäre, insbesondere wegen erheblichen Vermögens. Mit dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber erreichen, dass Wohngeld nicht gewährt wird, wenn besonders vorteilhafte, nach den Regeln über die Einkommensermittlung noch nicht erfasste vermögenswerte Rechtspositionen oder sonst zu missbilligende Verhaltensweisen vorliegen (BT-Drs. 8/3903, S. 83). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass staatliche Leistungen dann nicht gewährt werden sollen, wenn der Antragsteller aus objektiver Sicht seine finanziellen Verhältnisse von der Einnahmen- und der Ausgabenseite her so gestalten kann, dass er aus eigenen Mitteln die Belastung aufzubringen vermag, und wenn es - objektiv betrachtet - keine unbillige Härte darstellt, ihn darauf zu verweisen. Auch unter Geltung des Sozialstaatsprinzips muss vom Einzelnen gefordert werden, dass er zur Befriedigung seines Bedarfs nicht sofort Hilfe durch die Allgemeinheit in Anspruch nimmt (BayVGH, Beschluss vom 04.10.2005 - 9 ZB 05.1654 -, juris, zur Vorgängervorschrift in § 18 Nr. 6 WoGG a.F.; Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, WoGG, Stand: März 2015, § 21 Rn. 23). Die Erfüllung des Missbrauchstatbestands setzt nicht voraus, dass dem Antragsteller ein sittenwidriges, anderweitig vorwerfbares oder gar auf einen versuchten Betrug hinauslaufendes Verhalten vorzuwerfen ist. Vielmehr hängt sie davon ab, ob die Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls den Schluss gebieten, die Gewährung von Wohngeld widerspreche der Intention des Gesetzes. Das wiederum ist der Fall, wenn sich der Antragsteller im Zusammenhang mit der isolierten oder doch isolierbaren Verfolgung wohngeldrechtlicher Zwecke in einer Weise verhält, die qualitativ oder in gesteigertem Ausmaß quantitativ ungewöhnlich ist, und sich dieser Ungewöhnlichkeit wegen die Annahme aufdrängt, die Grundlage des Wohngeldanspruchs sei (ggf. insoweit) gleichsam "künstlich" oder "konstruiert" (BVerwG, Urteil vom 25.09.1992 - 8 C 68 und 70/90 -, BVerwGE 91, 82).
Vorliegend hat der Kläger, dessen Haushalt aus 11 Personen besteht und der bei Erlass des Bescheids vom 19.09.2013 ein durchschnittliches monatliches Bruttoeinkommen von 3.425,16 Euro hatte, aufgrund dessen er bereits wohngeldberechtigt war, dieses Einkommen durch die Teilnahme am Programm der Entgeltumwandlung um jeweils 2.180,00 Euro (und damit um mehr als 63 %) vermindert. Zwar handelt es sich bei derartigen Entgeltumwandlungen grundsätzlich um gesellschaftlich und rechtlich akzeptierte Modelle, die (allerdings meist im Rahmen betrieblicher Altersversorgung) von verschiedenen Arbeitgebern angeboten werden, um ihren Mitarbeitern einen früheren Ausstieg aus dem Berufsleben oder den Bezug einer höheren Rente zu ermöglichen. Die Kammer bewertet es jedoch als regelmäßig rechtsmissbräuchlich, an einem solchen Programm teilzunehmen, wenn dies dazu führt, dass man aufgrund der selbst veranlassten und verantworteten Verminderung des monatlichen Einkommens wohngeldberechtigt wird. Eine derartige Möglichkeit zu eröffnen, ist nicht Aufgabe des Wohngeldgesetzes. Umso mehr muss dies gelten, wenn jemand, der - wie der Kläger - bereits Wohngeld bezieht und dem bewusst ist, dass dessen Bewilligung von der Höhe seines Einkommens abhängig ist, auf einen erheblichen Teil dieses Einkommens verzichtet, um sich den Vorteil zu verschaffen, einige Zeit früher aus dem Arbeitsleben auszuscheiden. Ein solches Verhalten bewertet das Gericht im Regelfall als „ungewöhnlich“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und damit als missbräuchlich gemäß § 21 Nr. 3 WoGG. Würde man dem Kläger gestatten, sein Einkommen zur Verbesserung seiner wohngeldrechtlichen Position im Interesse des Erwerbs von Freistellungsansprüchen zu vermindern, so würde dies in nicht zu rechtfertigender Weise zu Lasten der Allgemeinheit und des Staatshaushalts gehen, aus dem die Wohngeldzahlungen gewährt werden. Es wäre dem Kläger zuzumuten gewesen, auf die Teilnahme am Zeit-Wert-Modell der J. zu verzichten, sofern er beabsichtigte, weiterhin öffentliche Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Vorliegend drängt sich ein Missbrauch zudem auf, nachdem der Kläger seine Motive für die Teilnahme an dem Zeit-Wert-Modell in der mündlichen Verhandlung erläutert hat. Dabei stellte sich heraus, dass das mit diesem Modell verfolgte Ziel eines früheren Ausscheidens aus dem Berufsleben für ihn bei dem Einkommensverzicht nicht im Vordergrund stand, sondern nur ein willkommener Nebeneffekt war. Der Kläger hat mitgeteilt, die Wohngeldzahlungen seien Teil der Finanzierung eines im Jahr 2013 erworbenen Hauses gewesen. Als seine Frau ab April 2014 berufstätig geworden sei und sich dadurch das Familieneinkommen erhöht habe, habe man auf das Wohngeld nicht verzichten wollen. Man habe daher versucht, das gemeinsame Einkommen durch die Entgeltumwandlung wieder auf ein Niveau zu bringen, das den weiteren Bezug von Wohngeld ermöglichte. Im Jahr 2015 habe er die Teilnahme am Zeit-Wert-Modell wieder beendet, weil die Finanzierung des Hauses nach Einstellung der Wohngeldzahlungen nicht mehr gesichert gewesen sei. Diesen Äußerungen ist zu entnehmen, dass maßgebliches Kriterium für den Einkommensverzicht des Klägers nicht die Teilnahme am Zeit-Wert-Modell, sondern die Sicherung des Wohngelds war. Er hat in Kenntnis des Umstands, dass das ab April 2014 erwirtschaftete Familieneinkommen den Bezug von Wohngeld nicht mehr rechtfertigte, den Versuch unternommen, dieses Einkommen durch die Teilnahme an dem Arbeitszeitmodell auf ein geringeres Niveau abzusenken. Vorrangiges Ziel seines Verhaltens war dabei nicht der Wunsch, vorzeitig aus dem Berufsleben auszuscheiden, sondern die Gewährleistung eines weiteren Wohngeldbezugs. Die Kammer ist davon überzeugt, dass dem Kläger dabei bewusst war und er billigte, dass der von ihm angestrebte Vorteil sich zu Lasten der öffentlichen Kassen auswirken würde. Sein Handeln weicht nach den Gesamtumständen deutlich von der Intention des Wohngeldgesetzes ab und stellt sich als Missbrauch einer rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit dar.
Die Kammer folgt der vom Kläger nicht angezweifelten Berechnung der Beklagten, wonach beim Ansatz des ermittelten Einkommens unter Zugrundelegung des maximalen Höchstbetrags der zu berücksichtigenden Miete und elf Haushaltsmitgliedern nach der Formel gemäß § 19 Abs. 1 WoGG für Wohnraum in Göttingen (Mietenstufe 4) kein Wohngeldanspruch bestand.
Der Bescheid Nr. 22 der Beklagten vom 23.10.2014 bezieht sich auf einen abgelaufenen Bewilligungszeitraum. Die in § 27 Abs. 4 WoGG genannte Frist ist gewahrt, denn der Kläger hatte von den Änderungen spätestens im April 2014 Kenntnis.
Gemäß § 50 Abs. 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Ein Ermessen steht der Behörde insoweit nicht zu. Da die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 19.09.2013 für die Monate April bis Juli 2014 zu Recht aufgehoben und einen Wohngeldanspruch für diesen Zeitraum verneint hat, ist der von ihr mit Bescheid Nr. 23 vom 23.10.2014 angeforderte Erstattungsbetrag in Höhe von 3.284,00 Euro nicht zu beanstanden.
Der Bescheid Nr. 23 erweist sich des Weiteren aus den vorgenannten Gründen gleichfalls als rechtmäßig, soweit er einen Wohngeldanspruch für die Zukunft verneint.
Soweit die Hauptsache erledigt ist, weil der Kläger ab 01.05.2015 aus dem Bereich der Beklagten verzogen ist, beruht die Kostenentscheidung auf § 161 Abs. 2 S. 1 VwGO. Es erscheint angemessen, dem Kläger insoweit die Kosten aufzuerlegen, weil die Änderung der Verhältnisse in seiner Sphäre lag. Im Übrigen hat der Kläger die Kosten gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.