Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.06.2008, Az.: 8 ME 34/08

Möglichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Verfahrenseinstellung bei Erledigung zwischen den Instanzen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.06.2008
Aktenzeichen
8 ME 34/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 20295
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2008:0627.8ME34.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 08.05.2008 - AZ: 5 B 9/08

Amtlicher Leitsatz

Orientierungssatz:

Verfahrenseinstellung bei Erledigung zwischen den Instanzen

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um die Rechtsnatur der Abberufung des Antragstellers als Hauptgeschäftsführer und um die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme.

2

Die Antragsgegnerin zu 1) berief in ihrer Sitzung vom 7. April 2008 den Antragsteller zu 1) als Hauptgeschäftsführer ab. Diese Abberufung wurde dem Antragsteller - soweit ersichtlich - zunächst nur mündlich mitgeteilt. Da die Antragsgegnerinnen die Abberufung nicht als Verwaltungsakt ansahen, gingen sie von der sofortigen Wirksamkeit der Abberufung aus, ließen die Aufgaben des Antragstellers von seinem Stellvertreter wahrnehmen und begannen mit der Nachfolgeplanung. Der Antragsteller ist demgegenüber der Ansicht, dass es sich bei seiner Abberufung um einen Verwaltungsakt handele, so dass seiner am 22. April 2008 vor dem Verwaltungsgericht dagegen erhobenen Anfechtungsklage (5 A 64/08) aufschiebende Wirkung zukomme und die Antragsgegnerinnen ihn deshalb unverändert als mit allen Rechten und Pflichten im Amt befindlich zu behandeln hätten. Ergänzend zu der Erhebung der Anfechtungsklage hat er deshalb am 25. April 2008 bei dem Verwaltungsgericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit den folgenden Anträgen nachgesucht, die überschrieben sind mit der Formulierung "nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO analog zur Unterbildung der faktischen Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes":

I.
Es wird festgestellt, dass die Anfechtungsklage des Antragstellers vom 22. April 2008 aufschiebende Wirkung hat und dass die Abberufung vom 7. April 2008 während der aufschiebenden Wirkung nicht vollzogen werden darf.

II.
Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens dem Antragsteller Zugang zu seinem Büro zu verschaffen und ihn in den Stand zu setzen, seine organschaftlichen Rechte und Pflichten wieder auszuüben.

III.
Den Antragsgegnerinnen wird untersagt, vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens einen neuen Hauptgeschäftsführer zu bestellen bzw. einen Geschäftsführer oder Dritten kommissarisch mit der Hauptgeschäftsführung bzw. der Vertretung des Hauptgeschäftsführers zu beauftragen.

3

Das Verwaltungsgericht hat diese Anträge mit Beschluss vom 8. Mai 2008 abgelehnt. Bei der von der Antragsgegnerin zu 1) beschlossenen Abberufung des Antragstellers handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt, so dass der dagegen erhobenen Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung zukomme. Ein Verwaltungsakt müsse von einer Behörde erlassen werden und eine unmittelbare Außenwirkung haben. An beiden Merkmalen mangele es hier, da es der Antragsgegnerin zu 1) als Organ der Antragsgegnerin zu 2) an der für eine Behörde erforderlichen organisatorischen Selbstständigkeit mangele und die Abberufung unmittelbar nur Auswirkungen auf die Stellung des Antragstellers innerhalb der Kammer habe. Damit seien alle Anträge unbegründet. Dies gelte auch für den Fall der Umdeutung der zu den Ziffern II und III gestellten Anträge dahin, dass es sich bei diesen Anträgen nicht um solche nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO analog, sondern um solche nach § 123 VwGO handele. In diesem Falle fehle es schon an den notwendigen Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache. Voraussichtlich reiche es für die Rechtmäßigkeit der Abberufung aus, dass die Antragsgegnerin zu 2) das Vertrauen zum Antragsteller verloren habe. Hierauf habe sich die Antragsgegnerin zu 1) in ihrem Abberufungsbeschluss auch berufen. Dem Antragsteller sei es nicht gelungen, die Richtigkeit dieses Vorbringen zu erschüttern. Außerdem müsse er es jedenfalls für die Dauer des Hauptsacheverfahrens ohnehin hinnehmen, dass er seine Funktionen als Hauptgeschäftsführer vorläufig nicht wahrnehmen dürfe. Unveränderliche Tatsachen zu seinen Lasten würden nicht geschaffen, da die Antragsgegnerinnen zugesichert hätten, zunächst keinen Nachfolger des Antragstellers zu bestellen.

4

Dieser Beschluss ist dem Antragsteller am Mittag des 8. Mai 2008 zugestellt worden. Am Nachmittag desselben Tages hat die Antragsgegnerin zu 1) beschlossen, die Abberufung des Antragstellers für sofort vollziehbar zu erklären. Ausschlaggebend hierfür war die Überlegung, dass sie sich hinsichtlich der rechtlichen Qualifikation der Abberufung nicht (mehr) sicher war und deshalb vorsorglich für den Fall, dass die Abberufung (doch) als Verwaltungsakt angesehen werden sollte, nicht wegen der dann grundsätzlich gegebenen aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ggf. für längere Zeit an der Umsetzung des Abberufungsbeschlusses gehindert sein wollte. Die Antragsgegnerin zu 2) gab dem Antragsteller den Beschluss der Antragsgegnerin zu 1) einschließlich Begründung am Abend des 8. Mai 2008 schriftlich bekannt.

5

Der Antragsteller ist der Ansicht, dass sich dadurch seine am 25. April 2008 gestellten Anträge erledigt haben, und er hat deshalb mit der Einlegung seiner Beschwerde am 22. Mai 2008 diesen Rechtsstreit insgesamt für erledigt erklärt.

6

Die Antragsgegnerinnen haben sich dieser Erledigungserklärung nur hinsichtlich des Antrages zu Ziffer I aus der Antragsschrift vom 25. April 2008 angeschlossen. Im Übrigen ist ihrer Ansicht nach keine Erledigung eingetreten, da der Antragsteller inzwischen am 20. Mai 2008 beim Verwaltungsgericht erneut um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht habe (5 B 12/08). Dabei habe er zwar einen neuen Hauptantrag mit dem Inhalt gestellt, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 22. April 2008 (nunmehr) wiederherzustellen. Der ergänzende Hilfsantrag, den Antragsgegnerinnen aufzugeben, bis zur Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens ... alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Durchsetzung einer klagegemäßen Hauptsacheentscheidung vereiteln oder wesentlich erschweren können, insbesondere keinen neuen Hauptgeschäftsführer zu bestellen, stimme aber inhaltlich mit den ursprünglich am 25. April 2008 unter den Ziffern II und III gestellten Anträgen überein und stehe deshalb insoweit der Annahme einer Erledigung entgegen.

7

II.

Das Verfahren wird in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO eingestellt, soweit die Beteiligten hinsichtlich des Antrages zu Ziffer I aus der Antragsschrift vom 25. April 2008 übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist insoweit unwirksam, § 173 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO.

8

Im Übrigen, d.h. hinsichtlich der unter den Ziffern II und III der Antragsschrift vom 25. April 2008 gestellten Anträge, haben sich die Antragsgegnerinnen der Erledigungserklärung des Antragstellers nicht angeschlossen, die Erledigungserklärung des Antragstellers ist also einseitig geblieben. In einem solchen Fall wandelt sich das Begehren des Antragstellers dahin festzustellen, dass sich der Rechtsstreit erledigt hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.12.1993 - 3 B 134/92 -, Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 103). Der Antragsteller beantragt mithin nun die Feststellung, dass sich die zu Ziffer II und III der Antragsschrift vom 25. April 2008 gestellten Anträge erledigt haben. Dieser Antrag ist statthaft (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 2.12.2003 - 2 ME 368/03 -, Nds.RPfl. 2004, 86 f.; Beschl. v. 8.1.2007 - 7 ME 187/06 -, [...], m. w. N.) und auch im Übrigen zulässig und begründet.

9

Der Rechtsstreit ist insgesamt erledigt. Dies folgt zum einen aus der von den Antragsgegnerinnen am 8. Mai 2008 beschlossenen bzw. bekannt gegebenen Erklärung, dass die Abberufung des Antragstellers als Hauptgeschäftsführer sofort vollziehbar sei. Zum anderen hat der Antragsteller auf diese neue Sachlage dadurch reagiert, dass er bei dem Verwaltungsgericht ein neues Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes anhängig gemacht hat, dessen Anträge sich von denen in dem hier zur Entscheidung stehenden Verfahren unterscheiden (5 B 12/08). Der Antragsteller hat den ursprünglich unter Ziffer I gestellten Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage in dem neuen Eilverfahren durch einen solchen auf Beseitigung der angeordneten sofortigen Vollziehung ersetzt. Der Antragsteller hat auch seinen Anträgen zu Ziffern II und III aus der Antragsschrift vom 25. April 2008 dadurch eine neue rechtliche Qualität verliehen, dass er die entsprechenden Begehren nicht mehr als Ergänzungen zu seinem Hauptantrag zu Ziffer I, sondern nur noch hilfsweise für den Fall verfolgt, dass seiner Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung zukommen sollte. Ein Bedürfnis für eine Entscheidung in der Sache ist nach alledem in dem hier zur Entscheidung stehenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in keiner Hinsicht mehr gegeben.

10

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist daher auch insoweit unwirksam (vgl. BVerwG, a. a. O.), als darin die ursprünglich zu Ziffer II und III gestellten (Sach-)Anträge abgelehnt worden sind.