Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.06.2008, Az.: 9 ME 453/07
Schaffung einer tauglichen Grundlage für die Heranziehung von Fremdanliegern im Vertragsgebiet zu Erschließungsbeiträgen als Modifizierung eines Erschließungsvertrages durch eine Kostenvereinbarung; Anlage einer späteren Kostenvereinbarung im Erschließungsvertrag als Voraussetzung der Rechtswirksamkeit einer Modifizierung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 25.06.2008
- Aktenzeichen
- 9 ME 453/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 20326
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2008:0625.9ME453.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 16.11.2007 - AZ: 1 B 3064/07
Rechtsgrundlagen
- § 124 Abs. 1 BauGB
- §§ 127 ff. BauGB
Fundstellen
- FStNds 2008, 630-633
- NVwZ-RR 2009, 260-262 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Modifizierung eines Erschließungsvertrages durch eine Kostenvereinbarung mit dem Ziel, eine taugliche Grundlage für die Heranziehung der Fremdanlieger im Vertragsgebiet zu Erschließungsbeiträgen zu schaffen, ist zulässig.
- 2.
Nachträglich kann eine solche Modifizierung nur rechtswirksam erfolgen, wenn die spätere Kostenvereinbarung bereits im Erschließungsvertrag angelegt ist.
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag gerichteten Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes zu Unrecht abgelehnt. An der Rechtmäßigkeit der Heranziehung der Antragstellerin bestehen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der dagegen gerichteten Klage rechtfertigende ernstliche Zweifel im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO.
Der Antragstellerin ist Eigentümerin der ein Buchgrundstück bildenden 560 qm großen Flurstücke 123/19 und 123/22 der Flur B., Gemarkung C., die mit ihrer Südwestseite an die im Geltungsbereich des rechtsverbindlichen Bebauungsplans Nr. 2 D. (3. Änderung) verlaufende Teilstrecke der Straße "E. " angrenzen und ebenfalls im Plangebiet liegen. Das Plangebiet ist Gegenstand eines zwischen der F. eG und der Antragsgegnerin am 8. April 2005 abgeschlossenen Erschließungsvertrages, durch dessen § 1 Abs. 1 die Antragsgegnerin dem Erschließungsträger nach § 124 Abs. 1 BauGB die Erschließung im Plangebiet übertragen hat. Im Plangebiet befanden sich seinerzeit außer den im Eigentum des Erschließungsträgers stehenden Grundstücken auch sechs Fremdanliegergrundstücke, darunter das der Antragstellerin. Mit deren Eigentümern hatte der Erschließungsträger mündlich eine anteilmäßige Übernahme der beitragsfähigen Erschließungskosten vereinbart.
Nachdem der Erschließungsträger im Anschluss an die Herstellung der Straßenstrecke mit Straßenentwässerung und Beleuchtung die Antragstellerin und deren Schwester - die Antragstellerin im Parallelverfahren 9 ME 454/07 - vergeblich aufgefordert hatte, für ihre Grundstücke an ihn Erschließungsaufwendungen zu zahlen, trafen die Antragsgegnerin und der Erschließungsträger unter dem 25. Mai 2007 "zur Vermeidung einer unangemessenen Kostenbelastung des Erschließungsträgers durch Fremdanliegergrundstücke an dem neu ausgebauten Abschnitt der Straße E. " die nachfolgend auszugsweise wiedergegebene besondere Kostenvereinbarung zur "Modifizierung des Erschließungsvertrages" :
"..... Durch diese Kostenvereinbarung wird der Gemeinde C. ein beitragsfähiger Erschließungsaufwand begründet und dadurch der Weg zu einer der Vorteilssituation des jeweiligen Fremdanliegergrundstücks entsprechenden Belastung mit Erschließungskosten zu eröffnen.
Die Gemeinde C. verpflichtet sich, die beitragsfähigen Erschließungskosten (siehe Anlage) in Höhe von 76.258,20 EUR an den Erschließungsunternehmer zu erstatten.
Der Erschließungsträger verpflichtet sich zur Übernahme des Gemeindeanteils gem. § 129 BauGB in Höhe von 10 % = 7.625,82 EUR.
Der beitragsfähige Aufwand der Gemeinde C. in Höhe von 68.632,38 EUR wird auf alle von diesem Abschnitt der Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücke (siehe Anlage) verteilt. Die Beitragsfläche beträgt 7.569 qm, der Beitragssatz somit 9,07 EUR/m².
Der Erschließungsbeitrag für die Flurstücke ..... , insgesamt 6447 qm x 9,07 (aufger.) = 58.455,84 EUR ist vom Erschließungsträger zu tragen und wird mit der Erstattungsforderung verrechnet.
Der Erschließungsbeitrag für die bebauten Grundstücke,
- ..... Flurstücke G. ..... u. H. ..... in Höhe von 5.079,20 EUR
- ......Flurstück I. ..... in Höhe von 5.097,34 EUR
Insgesamt 10.176,54 EUR
wird durch Erschließungsbeitragsbescheid der Gemeinde C. für die vorgenannten beitragspflichtigen Grundstückseigentümer festgesetzt. Dem Erschließungsträger, ....., wird innerhalb von 8 Tagen nach Eingang der angeforderte Erschließungsbeitrag durch die Gemeinde C. erstattet."
Gegen ihre daraufhin erfolgte Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 5.079,20 EUR durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. Mai 2007 hat die Antragstellerin Klage erhoben. Dem nach Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung des Bescheides durch die Antragsgegnerin von der Antragstellerin gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht nicht entsprochen und zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Der Erschließungsvertrag stehe der Beitragserhebung nicht entgegen. Dies ergebe sich daraus, dass dieser in seiner modifizierten Form eine Kostenvereinbarung zu den Fremdanliegergrundstücken enthalte. Eine derartige Kostenvereinbarung sei rechtlich zulässig und begründe einen beitragsfähigen Erschließungsaufwand der Gemeinde. Die Ansicht der Antragstellerin, hier sei die Kostenvereinbarung deshalb unzulässig, weil sie erst im Rahmen der Modifizierung des Vertrages am 25. Mai 2007 Vertragsgegenstand geworden sei, greife nicht durch. Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 22. November 2006 - 9 ME 269/06 -) sei es nicht zu beanstanden, wenn mit einem Änderungsvertrag erst im Nachhinein eine Kostenvereinbarung im Erschließungsvertrag geschaffen werde.
Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Einwendungen der Antragstellerin gegen die Richtigkeit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts sind begründet.
Allerdings folgt der Senat weiterhin nicht der in der Literatur (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl. 2007, § 6 RdNrn. 12 u. 53) vertretenen Ansicht, mit der Entscheidung, zur Herstellung einer Straße bzw. eines Straßenabschnitts einen Erschließungsvertrag gemäß § 124 BauGB abzuschließen, sei der Weg zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach §§ 127ff. BauGB generell versperrt, weil der Gesetzgeber der Gemeinde die Wahl auferlege zwischen der Herstellung einer beitragsfähigen Erschließungsanlage in eigener Regie (mit der Folge einer Beitragserhebung) einerseits und der Übertragung der Erschließung auf einen Dritten und damit der Herstellung der Anlage in dessen (Fremd-)Regie andererseits. Habe sich die Gemeinde für den letzteren Weg und in der Folge eine Abwälzung der dem Erschließungsunternehmer entstehenden Kosten auf privatrechtlicher Grundlage entschieden, dürfte es ihr verwehrt sein, gleichwohl Elemente des öffentlich-rechtlichen Rechtsregimes in das privatrechtliche Rechtsregime sozusagen zu "implantieren", da das Gesetz eine Kumulation beider Rechtsregime nicht vorsehe, sondern lediglich eine alternative Anwendung ermögliche. Diese Literaturmeinung führt zu dem unbefriedigenden Ergebnis, dass der Erschließungsträger versuchen muss, durch einen privatrechtlichen Vertrag eine Zahlungsaufforderung gegen die Fremdanlieger zu begründen. Gelingt ihm dies nicht, hat er weder aus Geschäftsführung ohne Auftrag noch aus ungerechtfertigter Bereicherung einen Anspruch auf anteiligen Ersatz der Erschließungskosten (vgl. BGH, Urt. v. 8.11.1973 - VII ZR 246/72 - BGHZ 61, 359 [BGH 08.11.1973 - III ZR 129/71] = NJW 1974, 96). Da bei privatrechtlicher Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Erschließungsträger und Fremdanliegern allein der Erschließungsunternehmer das Risiko trägt, die den Fremdanliegergrundstücken zuzuordnenden Anteile an den Erschließungskosten selbst übernehmen zu müssen, liegt es nahe, durch eine andere Gestaltung des mit der Gemeinde abzuschließenden Vertrages die Möglichkeit zu eröffnen, den Fremdanlieger durch seine Veranlagung zu einem Erschließungsbeitrag an den für die Erschließung entstehenden Kosten zu beteiligen und diesen Beitrag an den Erschließungsunternehmer weiterzugeben. Aus eben diesem Grunde ist es nach der im folgenden wörtlich wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 22.3.1996 - 8 C 17/94 - BVerwGE 101, 12 = NVwZ 1996, 794 = DVBl 1996, 1057 = KStZ 1997, 214), der sich der Senat in seinem in der erstinstanzlichen Entscheidung zitierten Beschluss vom 22. November 2006 (- 9 ME 269/06 - NVwZ-RR 2007, 241) bereits angeschlossen hat,
"angezeigt, in den auf die Erschließung eines Baugebiets ausgerichteten Vertrag eine besondere Kostenvereinbarung aufzunehmen, die einen beitragsfähigen Erschließungsaufwand der Gemeinde begründet und auf diesem Weg eine der Vorteilssituation seines Grundstücks entsprechende Belastung des Fremdanliegers mit Erschließungskosten ermöglicht. Ein solchermaßen ergänzter Vertrag bleibt seiner Qualität nach ein - wenn auch durch die Kostenabrede modifizierter Erschließungsvertrag, der - soweit das in Betracht kommt - den Regeln des § 124 BauGB unterliegt. Eine angemessene Belastung des Fremdanliegers mit Erschließungskosten setzt eine Kostenvereinbarung voraus, in der sich die Gemeinde dem Erschließungsunternehmer gegenüber verpflichtet, die gesamten für die betreffende Erschließungsanlage entstehenden beitragsfähigen Aufwendungen nach entsprechendem Nachweis zu erstatten".
Eine diesen Anforderungen entsprechende Modifizierung des hier in Rede stehenden Erschließungsvertrages vom 8. April 2005 haben die Vertragsparteien durch die spätere Kostenvereinbarung vom 25. Mai 2007 vorgenommen. Denn darin hat sich die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Erschließungsträger die beitragsfähigen Erschließungskosten zu erstatten und den nach Abzug des Gemeindeanteils von 10% verbleibenden Erschließungsaufwand auf alle durch die Teilstrecke der Straße "E. " im Vertragsgebiet erschlossenen Grundstücke zu verteilen. Hinsichtlich der Abwicklung des Erstattungsanspruchs wurde vereinbart, dass bezüglich der Grundstücke des Erschließungsträgers und der Fremdanliegergrundstücke, deren Eigentümer die Erstattungsforderung des Erschließungsträgers erfüllt hatten, die Erschließungsbeiträge vom Erschließungsträger zu tragen sind und mit dessen Erstattungsforderung gegen die Antragsgegnerin verrechnet werden und dass die von der Antragstellerin und ihrer Schwester erhaltenen Erschließungsbeiträge dem Erschließungsträger erstattet werden. Auch diese nähere Ausgestaltung der Abwicklung des dem Erschließungsunternehmer zustehenden Erstattungsanspruchs ist nicht zu beanstanden (BVerwG, Urt. v. 22.3.1996, a.a.O.; vgl. ferner Driehaus, a.a.O., § 6 RdNrn. 54 u. 55).
Dennoch wurde hier durch die zwei Jahre nach Zustandekommen des Erschließungsvertrages erfolgte Modifizierung keine wirksame Möglichkeit für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen durch die Antragsgegnerin geschaffen. Denn die Modifizierung eines Erschließungsvertrags durch eine Kostenabrede mit dem Ziel, eine taugliche Grundlage für die Heranziehung der Fremdanlieger zu Erschließungsbeiträgen mittels Begründung eines umlagefähigen Aufwands der Gemeinde zu schaffen, muss nach der höchstrichterlichen Entscheidung vom 22. März 1996 grundsätzlich bereits in dem auf die Erschließung des Baugebiets ausgerichteten Vertrag erfolgen. Ist dies nicht geschehen, so kann nach der Entscheidung des Senats vom 22. November 2006 (- 9 ME 269/06 - a.a.O.) nachträglich eine solche Modifizierung nur erfolgen, wenn bereits im Erschließungsvertrag der übereinstimmende Wille der Vertragsparteien zum Ausdruck kommt, "dem Grunde nach eine Basis für die Heranziehung der Fremdanlieger sicherzustellen", so dass sich der Erschließungsvertrag insoweit "als ergänzungsfähig" durch eine spätere modifizierende Kostenvereinbarung erweist. Die missverständliche Ausführung des Senats in seinem damaligen Beschluss, "wenn eine solche Kostenvereinbarung in dem ursprünglichen Erschließungsvertrag von Anfang an zulässig gewesen wäre, ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Beteiligten gehindert sein sollten, eine solche Kostenvereinbarung nachträglich zu treffen", mag die von der Antragsgegnerin vorgenommene Auslegung zulassen, eine nachträgliche Modifizierung des Erschließungsvertrages sei stets zulässig, soweit dem kein gesetzliches Verbot entgegenstehe. Der Senat stellt deshalb hiermit ausdrücklich klar, dass er eine solche uneingeschränkte Möglichkeit der "Nachbesserung" schon in seinem Beschluss vom 22. November 2006 nicht als zulässig angesehen, sondern schon seinerzeit verlangt hat, dass die nachträgliche Kostenvereinbarung bereits im Erschließungsvertrag angelegt ist. Hieran fehlt es im Streitfall. Denn die Erschließung der Fremdanliegergrundstücke wird lediglich in § 3 Abs. 4 des Erschließungsvertrages vom 8. April 2005 wie folgt behandelt:
"Durch die Verkehrsanlage (Anlage 2 A zu diesem Vertrag) werden auch nachstehend aufgeführte Grundstücke erschlossen, die nicht im Eigentum des Erschließungsträgers stehen (Fremdanliegergrundstücke): Teilfläche des Flurstücks 123/28 zur Größe von ca. 700 qm sowie die Flurstücke 123/27, 123/25, 123/23, 123/20, 123/19, 123/22 u. 123/13. Dem Erschließungsträger bleibt das Recht vorbehalten, die Fremdanlieger anteilig an den Herstellungskosten zu beteiligen."
Der letzte Satz kann nicht dahingehend verstanden werden, dass durch eine spätere Kostenvereinbarung ein Herstellungsaufwand der Antragsgegnerin für die Anlage begründet und damit für sie die Möglichkeit der Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach §§ 127ff. BauGB nachträglich geschaffen werden sollte. Er besagt stattdessen vielmehr eindeutig, dass der Erschließungsträger berechtigt sein soll, die Fremdanlieger anteilig zu belasten. Damit waren ersichtlich privatrechtliche Zahlungsvereinbarungen gemeint, wie sie mündlich getroffen und von den Eigentümern der übrigen im Gebiet des Erschließungsvertrags gelegenen Fremdanliegergrundstücken später auch eingehalten worden sind.