Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 02.10.2008, Az.: 1 B 12/08

Vollziehbarkeit; Wirkung, aufschiebende; Suspensiveffekt; Zweifel, ernstliche; Entlassung, fristlose; Bundeswehr; Soldat; Anhörung; Offizierslaufbahn; Offiziersanwärter; Wehrdienstverhältnis; Dienstpflichtverletzung; Dienstvergehen; Disziplinlosigkeit; Kameradschaftspflicht; Schädigung des Ansehens; Würdeverletzungen; Menschenwürde; Unantastbarkeit; Ordnung, militärische

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
02.10.2008
Aktenzeichen
1 B 12/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 45892
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2008:1002.1B12.08.0A

Gründe

1

I.

Der Antragsteller setzt sich gegen die Vollziehbarkeit einer Entlassungsverfügung zur Wehr.

2

Er war im März 2007 zum 1. Juli 2007 als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes der Instandsetzungstruppe im Ausbildungsgang mit Studium (Maschinenbau) in die Bundeswehr einberufen und dem 77. Offiziersanwärterjahrgang (OAJ) zugeordnet worden. Zum 1. Januar 2008 war er zum Soldaten auf Zeit ernannt worden. Die festgesetzte Dienstzeit sollte zum 30. Juni 2011 enden.

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Im Januar 2008 wurde das folgende Dienstvergehen durch den Disziplinarvorgesetzten des Antragstellers festgestellt:

"Sie haben am 13.12.2007 gegen 20.00 Uhr in der Kaserne Panzertruppenschule in X. zusammen mit dem OGefr. (OA) B. und dem HptGefr. (OA) C. und HptGefr. (OA) D. den OGefr. (OA) E. körperlich angegangen. Während der HptGefr. (OA) C. dem Soldaten die Hose auszog und ihm ein Umhängeschloss um das freigelegte Glied legte, haben Sie ihn festgehalten. Der Soldat wehrte sich vergeblich. Erst als der Soldat aufschrie, da das Vorhängeschloss geschlossen werden sollte, ließen Sie von ihm ab. Damit haben Sie ein Dienstvergehen begangen."

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Gegen die Disziplinarverfügung wurde keine Beschwerde eingelegt, so dass sie seit dem 24. Januar 2008 unanfechtbar ist.

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Mit Schreiben vom 19. Dezember 2007 hatte der Disziplinarvorgesetzte zunächst beantragt, den Antragsteller aufgrund des gen. Vorfalls gem. § 55 Abs. 4 SG aus der Bundeswehr zu entlassen. Der Antrag wurde dem Antragsteller eröffnet, der seinen Prozessbevollmächtigten beauftragte.

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Am 21. Januar 2008 wurde dem Antragsteller dann eröffnet, dass beabsichtigt sei, ihn gem. § 55 Abs. 5 SG fristlos zu entlassen. Hierüber wurde auch dessen Prozessbevollmächtigter informiert. Diesem wurde am 23. Januar 2008 beim Kreiswehrersatzamt F. Akteneinsicht gewährt. Mit Schreiben vom 14. Februar 2008 nahm er umfänglich Stellung. Am 20. Februar 2008 beantragte er telefonisch die Anhörung der Vertrauensperson, die am 4. März 2008 gehört wurde.

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Durch ausführlich begründete Verfügung vom 19. März 2008 wurde der Antragsteller sodann fristlos aus der Bundeswehr entlassen.

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Das sachgleiche Strafverfahren wegen gemeinschaftlicher Nötigung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung - 8 Ls 2102 Js 8/08 (60/08) - wurde vom Amtsgericht G. auf die Hauptverhandlung vom 5. August 2008 gemäß § 153a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt, da es möglich sei, dass sich die Beteiligten bis zum Aufschrei im Bereich einer Scherzhandlung wähnen durften, danach aber sofort aufgehört hätten. Daher sei zweifelhaft, ob die Norm erfüllt sei. Den Angeklagten wurde aufgegeben, ratenweise eine Geldauflage in Höhe von 900,- EUR (L.) bzw. jeweils 300,- EUR - u.a. auch der Antragsteller - an die Landeskasse zu zahlen, wobei durch richterlichen Vermerk festgehalten worden war, dass der Antragsteller einen "uneinsichtigen und eher aggressiven Eindruck" bis hin zur "Unverschämtheit" gemacht habe.

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Zur Begründung seines am 6. April 2008 bei der Kammer gestellten Antrages legt der Antragsteller dar, dass es sich um einen "Spaß" gehandelt habe, den alle Beteiligten zunächst lustig gefunden hätten. Als der OGefr. (OA) E. dann jedoch geschrien habe, hätten alle sofort von diesem abgelassen und aufgehört. Eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung - gar eine schwerwiegende - liege somit nicht vor. Es habe sich um ein "allseitiges Gerangel unter gleichgestellten Soldaten" gehandelt. Eine sichtbare Verletzung habe es nicht gegeben. Zu keiner Zeit habe der Sachverhalt einen "Unwertgehalt" aufgewiesen, der die Annahme eines Dienstvergehens rechtfertige. Der durch eine gewisse Unreife geprägte Spaß unter Kameraden habe zu keiner Zeit darauf abgezielt, einen anderen Kameraden zu verletzen oder unwürdig zu behandeln. Unter diesen Umständen sei eine Gefährdung der militärischen Ordnung oder eine Ansehensschädigung der Bundeswehr nicht erkennbar. Das typische Teilstück einer als allgemeine Erscheinung auftretenden Neigung zur Disziplinlosigkeit liege nicht vor. Auch sei das Verhalten des Antragstellers mit den Erwartungen der Bevölkerung an die Integrität der Bundeswehr nicht unvereinbar. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtsstaatlichkeit der Streitkräfte sei durch diesen Vorfall nicht etwa erschüttert. Der Antragsteller beantragt,

  1. die aufschiebende Wirkung der Beschwerde des Antragstellers vom 6. April 2008 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. März 2008, zugegangen am 2. April 2008, anzuordnen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

  1. den Antrag abzulehnen.

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Sie ist der Auffassung, der Antragsteller sei gem. § 55 Abs. 5 Soldatengesetz - SG - zu entlassen, da er im Zeitpunkt des Vorfalls noch im 1. Dienstjahr gewesen sei und in erheblichem Maße die Würde und Ehre eines seiner Kameraden verletzt, also gegen seine Kameradschaftspflicht als Dienstpflicht (§ 12 S. 2 Halbs. 1 SG) verstoßen habe. Hierbei reiche eine objektive Pflichtverletzung aus, so dass unerheblich sei, dass das Geschehen zunächst mit dem Einverständnis des OGefr. (OA) E. abgelaufen sei. Auch gegen § 17 Abs. 2 S. 1 SG (Schädigung des Ansehens der Bundeswehr) habe der Antragsteller verstoßen, da insoweit die Eignung des Verhaltens zur Schädigung ausreiche. Unter diesen Umständen sei bei einem weiteren Verbleiben des Antragstellers die militärische Ordnung iSe personellen und materiellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr (Disziplin) ernstlich gefährdet. Die Kameraden des Antragstellers hätten einen "denkbar schlechten Eindruck von einem Zeitsoldaten und Offiziersanwärter erhalten", es sei eine negative Vorbildwirkung zu befürchten. Ohne Entlassung bestehe eine Nachahmungsgefahr, die nicht hingenommen werden könne. Daher müsse "mit aller gebotenen Härte" gegen ein solches Verhalten eines Zeitsoldaten vorgegangen werden. Auf eine Unverhältnismäßigkeit könne sich der Antragsteller nicht berufen, da es sich um eine intendierte Ermessensentscheidung handele.

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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Vorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

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II.

Der zulässige Antrag bleibt erfolglos.

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1. Der Antrag ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 VwGO statthaft.

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Denn das Beschwerdeverfahren der WBO tritt bei Klagen aus dem Wehrdienstverhältnis, das hier gem. § 1 S. 1 SG besteht, gemäß § 23 Abs. 1 WBO an die Stelle des Vorverfahrens der §§ 68 f. VwGO. Die gegen die Entlassungsverfügung, welche der Anfechtungsklage unterliegt, hier eingelegte Beschwerde hat derzeit nach § 23 Abs. 1 WBO i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 WBO von Gesetzes wegen (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) keine aufschiebende Wirkung. (vgl. dazu jedoch § 23 Abs. 6 S. 1 WBO idF WehrRÄndG 2008 v. 31.7.2008, gültig ab 01.02.2009 / BGBl I 2008, 1629). Der demgemäß an das zuständige Gericht gerichtete Antrag auf Anordnung dieser aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) ist gemäß § 23 Abs. 6 Satz 1 WBO schon vor Erhebung der (Anfechtungs-)Klage zulässig.

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2. Der Antrag ist aber nicht begründet.

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§ 80 Abs. 5 VwGO gibt keinen Maßstab für die gerichtliche Entscheidung vor, so dass diese nach gerichtlichem Ermessen zu treffen ist.

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2.1 Die Vorstellung des Gesetzgebers, bei Verwaltungsakten einiger Rechtsgebiete, so auch bei solchen aus dem Wehrdienstverhältnis, bestehe typischerweise generell schon ein öffentliches Interesse am Sofortvollzug, steht rechtsstaatlich in einem Spannungsverhältnis zu Art. 19 Abs. 4 GG. Die gesetzgeberische (Pauschal-) Entscheidung wird daher verfassungsrechtlich stets von einer gerichtlichen Aussetzungsbefugnis überlagert und verdrängt, bei der das Gericht originär und selbstständig darüber entscheidet, ob das Gebot effektiven Rechtsschutzes es nicht erfordert, die aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) zwecks Effektivität der gegen den vollziehbaren Verwaltungsakt gerichteten Rechtsbehelfe anzuordnen. Die gesetzgeberische Gewichtung stellt mithin nicht eine gerichtlich beachtliche Risikoverteilung dar, nach der sich das öffentliche Vollzugsinteresse "regelhaft" und sozusagen präjudizierend durchsetzen müsste (Finkelnburg/Dombert/ Külpmann, NJW-Schriften 12, 5. Auflage, Rdn. 991).

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In den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, in denen dem Rechtsschutzantrag keine Vollzugsanordnung gem. § 8o Abs. 2 Nr. 4 VwGO vorausgeht, weil nach Einschätzung des Gesetzgebers auf dem Sachgebiet generell ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht (hier § 3 Abs. 1 WBO), ist somit in Analogie zu § 8o Abs. 4 Satz 3 VwGO zu entscheiden (stdg. Rechtsprg. der Kammer, vgl. VG Lüneburg, NVwZ-RR 2004, 217 [VG Lüneburg 06.10.2003 - 1 B 45/03] m.w.N.; so auch OVG Berlin, NVwZ-RR 2003, 527; VG Frankfurt, NVwZ 2000, 227; VG Potsdam, NVwZ 1999, 1254 [VG Potsdam 14.12.1998 - 5 L 81/98]). Danach hat gerichtlich eine Aussetzung bei ernstlichen Zweifeln oder bei Vorliegen einer unbilligen Härte im Regelfall zu erfolgen (VGH München, BayVBl. 1993, 691; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1991, 287 [VGH Baden-Württemberg 23.10.1990 - 8 S 2237/90]; OVG Lüneburg, NJW 1978, 672; Renck, NVwZ 1992, 339; Czermak, BayVBl. 1976, 106; Schoch, aaO. Rdn. 204; Sodan/Ziekow, Nomos-Komm. zur VwGO, Losebl., Bearb. Puttler, Rz 109; a.A. aber Kopp, VwGO-Kommentar, 15. Aufl., § 80 Rdn. 116). Ernstliche Zweifel sind dann anzunehmen, wenn Unklarheiten, Unsicherheiten und vor allem Unentschiedenheit bei der Einschätzung der Sach- und Rechtslage bestehen bzw. dann, wenn ein Erfolg im Hauptsacheverfahren gleichermaßen unwahrscheinlich wie wahrscheinlich ist (Kopp, aaO, Rdn. 116; Nds. OVG Beschl.v. 24.3.2003 - 12 LA 19/03 -). Bloße Bedenken reichen nicht aus. Solche ernstlichen Zweifel liegen hier nicht vor. Denn nach der im Eilverfahren erforderlichen summarischen Überprüfung spricht hier mehr für die Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung als dagegen. Auch eine unbillige Härte ist nicht ersichtlich.

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2.2 Die Voraussetzungen für eine fristlose Entlassung des Antragstellers gemäß § 55 Abs. 5 SG sind nach dem derzeitigen Sachstand erfüllt.

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Die Entlassungsverfügung ist hier nicht etwa deshalb rechtswidrig, weil der Antragsteller zunächst nicht zu der Entlassung gem. § 55 Abs. 5 SG gehört worden ist, wie es § 47 Abs. 2 i.V.m. § 55 Abs. 6 Satz 1 SG erfordert. § 47 Abs. 2 SG setzt voraus, dass der Soldat vor der ihn belastenden Entscheidung angehört wird, was eine substanzielle Anhörung im Sinne der allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen verlangt. Es genügt nicht, dem Betroffenen die beabsichtigte Personalmaßnahme und einzelne Umstände mitzuteilen; vielmehr ist er umfassend über die maßgeblichen Gründe und entscheidungserheblichen Tatsachen zu informieren. Der Zweck der Regelung liegt darin sicherzustellen, dass der Soldat in Kenntnis der beabsichtigten Entscheidung alles vortragen kann, was aus seiner Sicht von Bedeutung sein kann. Vgl. Bonk/Kallerhoff, in Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 28 Rn. 34 f.; ähnlich auch Scherer/Alff, Soldatengesetz, 7. Aufl. 2003, § 47 Rn. 3. Das Schreiben vom 16. Januar 2008 erfüllt jedoch die von Gesetzes wegen zu stellenden Anforderungen: In ihm ist der Vorfall geschildert, die maßgebliche Vorschrift benannt und eine Würdigung des Fehlverhaltens vorgenommen worden. Das Schreiben ist dem Prozessbevollmächtigten zugestellt worden, der sich nach Akteneinsicht mit Schreiben vom 14. Februar 2008 umfänglich geäußert hat.

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Die im Falle einer Personalmaßnahme gem. § 55 Abs. 5 SG nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 des Soldatenbeteiligungsgesetz - SGB - vom 16. Januar 1991 (BGBl. I S. 47, i.d.F. des ersten Änderungsgesetzes vom 20. Februar 1997, BGBl. I S. 298) auf Antrag erforderliche Anhörung der Vertrauensperson ist hier erfolgt, wobei über die Anhörung - wie vorgeschrieben - eine Niederschrift gefertigt worden ist (§ 23 Abs. 4 SGB). Auch unter Berücksichtigung dessen, dass es zu dem Vorfall hier im Rahmen eines "Gruppenzwanges" gekommen sein mag, hielt die Vertrauensperson das Verhalten - zumal in der Laufbahn der Offiziere - für nicht tragbar, so dass der Antragsteller die Entlassung als Konsequenz für sein Fehlverhalten zu tragen habe.

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Die materiellen Voraussetzungen der verfügten Entlassung liegen aller Voraussicht nach ebenfalls vor:

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Nach § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit wie der Antragsteller während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Streitig ist unter den Beteiligten, ob die dem Antragsteller gemachten Vorwürfe den Tatbestand der schuldhaften Verletzung von Dienstpflichten erfüllen und ob sie eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung bzw. des Ansehens der Bundeswehr darstellen. Diese Voraussetzungen dürften in einem Verfahren der Hauptsache nach vorliegendem Erkenntnisstand aller Voraussicht nach zu bejahen sein.

25

Das Verhalten des Antragstellers dürfte sich als Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht (§ 12 SG) und auch als Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 SG) darstellen, so dass ein - schuldhaftes - Dienstvergehen iSv § 23 Abs. 1 SG gegeben sein dürfte. Gerade als angehender Offizier hätte dem Antragsteller klar sein müssen, dass - unabhängig von einer etwaigen Einwilligung des Betroffenen - die unter Anwendung körperlicher Gewalt versuchte Anbringung eines Umhängeschlosses am Genitalteil die Identität wie Integrität und die Ehre des so Behandelten und damit seine Menschenwürde verletzen könnte, dass er als angehender Offizier in dieser Situation dazu aufgerufen war, die so bedrohte Würde des gewaltsam Behandelten zu schützen - jedenfalls aber nicht an dem eingeleiteten Prozess dieser Entwürdigung seinerseits aktiv teilzunehmen und mitzuwirken. Insoweit hat sich der Antragsteller vor dem Amtsgericht G. - Jugendschöffengericht - (8 Ls 2102 Js 8/08 (60/08)) am 5. August 2008 wie folgt eingelassen:

"Ich setzte mich auf einen Stuhl und er saß dann bei mir auf dem Schoß und ich hielt seine Arme und seinen Oberkörper fest. .... Kamerad L: hielt die Beine fest." - S. 4 d. Protok.

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Unter Einbeziehung seiner weiteren Aussage,

"ich habe P. festgehalten und dann kam erst die Überlegung, etwas mit ihm zu machen" - S. 5 d. Protok.,

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ergibt sich, dass der von seinen Kameraden festgehaltene Obergefreite (OA) H. zu einem Objekt "gemacht" und ihm eine Behandlung zugemutet werden sollte, die dieser noch nicht kannte und die allein in der Entscheidungsgewalt der ihn gemeinsam Behandelnden lag. Angesichts dessen, dass der Betroffene "das Schloss nicht gesehen hat, weil er nach oben guckte oder seine Augen geschlossen hatte" (S. 4 des Sitzungsprotokolls des Amtsgerichts G), ist letztlich eher davon auszugehen, dass er zu diesem Ablauf sein Einverständnis gerade nicht erteilt hat, wie dann sein unstreitiger Aufschrei gezeigt hat. Zu dieser unmittelbaren Behandlung des gen. Obergefreiten (OA) tritt als Entwürdigung noch hinzu, dass ein Hauptgefreiter von seinem Bett aus versucht hat, das gesamte Geschehen mit seinem Handy zu filmen und technisch festzuhalten, wofür das Einverständnis des Betroffenen ebenfalls gefehlt haben dürfte.

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Würdeverletzungen aller Art sind verfassungsrechtlich strikt untersagt (Art. 79 Abs. 3 GG), auch im Gleichordnungsverhältnis von Kameraden. Denn die Achtung der Menschenwürde (Art. 1 GG) ist oberstes Prinzip des Grundgesetzes und kann von niemandem und durch niemanden angetastet oder gar eingeschränkt werden. Auch Gründe der Staatsnotwehr oder des Staatsnotstandes rechtfertigen keinen Eingriff in die menschliche Würde.

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Der Verweis der Antragsgegnerin auf die Unantastbarkeit der menschlichen Würde (Art. 1 GG), der sich auf dem Hintergrund von Vorkommnissen sowohl im Irak als auch in Afghanistan im vorliegenden Zusammenhang aufdrängt, macht auch hinreichend deutlich, dass die Dienstpflichtverletzungen ihrer Art nach durchaus geeignet sind, den Kernbereich militärischer Ordnung zu berühren. Ein Verbleiben des Antragstellers in der Bundeswehr würde sowohl die militärische Ordnung als auch das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden. Ob dies jeweils der Fall ist, haben die Verwaltungsgerichte in einer "objektiv nachträglichen Prognose" (selbst) nachzuvollziehen. Vgl. BVerwG, z.B. Urteile vom 31. Januar 1980 - 2 C 16. 78 -, BVerwGE 59, 361, [BVerwG 31.01.1980 - 2 C 16.78] und vom 24. September 1992 - 2 C 17.91 -, BVerwGE 91, 62.

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Eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung ist regelmäßig zu bejahen, wenn die Einsatzbereitschaft der Soldaten erheblich vermindert und im Gefolge dessen die Verteidigungsbereitschaft der Truppe, d.h. der einzelnen betroffenen Einheit bzw. letztlich auch der Bundeswehr insgesamt, in Frage gestellt wird. Insoweit ist der Bewertung im angefochtenen Bescheid zu folgen. Krasses Fehlverhalten und erst recht entwürdigende Behandlungen von Kameraden sind in besonderem Maße dazu angetan, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Soldaten und ihre Bereitschaft, füreinander einzustehen, zu zerstören. Sie wirken sich unmittelbar nachteilig auf die Verteidigungskraft der Truppe aus. Die Handlungen des Antragstellers sind als erhebliche militärische Disziplinlosigkeit einzuordnen und wegen ihrer möglichen Vorbildwirkung auf andere Soldaten mit Nachdruck zu bekämpfen. Mit seiner Disziplinlosigkeit hat der Antragsteller das Vertrauen, er werde seine Aufgaben künftig - zumal als Offizier - jederzeit und in jeder Lage in Orientierung an den Grundwerten der deutschen Verfassung verantwortungsbewusst erfüllen, schwer und nachhaltig erschüttert. Nicht zuletzt würde das Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit erheblichen Schaden nehmen, wenn dort angenommen werden könnte, die Bundeswehr dulde in ihren Reihen Offiziersanwärter oder gar Offiziere, die Menschen unter Missachtung des Art. 1 GG in der hier zum Ausdruck gelangten Form behandeln und entwürdigen.

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Auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit dürfte die Entlassungsverfügung, die ohnehin nur während der ersten 4 Dienstjahre in Betracht kommt und damit unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bereits eingegrenzt ist, in einem Verfahren der Hauptsache Bestand haben: Die Ernstlichkeit der genannten Gefährdungen für Ordnung und Ansehen der Bundeswehr ist von der Antragsgegnerin hinreichend dargetan und überzeugend begründet worden, so dass darauf Bezug genommen werden kann.

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2.3 Auch die weitere, unabhängig von den Erfolgsaussichten der Hauptsache vorzunehmende Interessen- und Folgenabwägung fällt zum Nachteil des Antragstellers aus. Das öffentliche, von der Antragsgegnerin vertretene Interesse, den Antragsteller möglichst ohne Aufschub aus dem Soldatenverhältnis zu entfernen, überwiegt die privaten Aufschubinteressen des Antragstellers daran, vorläufig in seinem Dienstverhältnis als Soldat auf Zeit zu verbleiben.

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In Fällen fristloser Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG besteht, wie die Antragsgegnerin hervorhebt, grundsätzlich ein erhebliches öffentliches Interesse daran, bei entsprechend gravierendem Anlass den befürchteten Auswirkungen auf die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr möglichst umgehend entgegenzutreten. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass "solches Fehlverhalten um sich greift und damit letztendlich die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte beeinträchtigt wird" (S. 4 d. Schr.v. 17.4.2008). Die Antragsgegnerin könnte dieses schutzwürdige Interesse nicht effektiv zur Geltung bringen, wenn Soldaten, die auch nur den ernst zu nehmenden Verdacht der Kameradenentwürdigung und damit einer massiven Grundrechtsverletzung (Art. 1 GG) gegen sich gelten lassen müssen, nicht sofortige Konsequenzen zu erwarten hätten, sondern während eines möglicherweise langjährigen Streits um die Entlassung ihrem Dienst als Soldat unverändert nachgehen könnten. Das hätte negative Folgen für den auf eine wirksame Prävention zielenden Schutzzweck der Entlassungsbefugnis. Es würde die "negative Vorbildwirkung", auf welche die Antragsgegnerin verweist, nicht annähernd gleichgewichtig mindern, wenn Zeitsoldaten mit dem Eintritt der tatsächlichen Entlassungswirkungen erst nach Abschluss eines Hauptsacheverfahrens rechnen müssten.

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Demgegenüber wiegen die Folgen einer sofortigen Vollziehung für den Antragsteller deutlich geringer: Sollten sich die Vorwürfe im Hauptsacheverfahren als unberechtigt, die Entlassungsverfügung also als rechtswidrig erweisen, so würde dem Antragsteller in finanzieller Hinsicht kein Schaden entstehen. Er wäre so zu stellen, als wäre die Entlassung nicht verfügt worden. Negative Folgen ergeben sich für den Antragsteller daher vor allem aus dem Zwang, sich umgehend beruflich neu orientieren zu müssen. Sonstige unzumutbare persönliche Folgen aus der vorzeitigen Beendigung des Zeitsoldatenverhältnisses sind nicht konkret dargetan worden und auch nicht ersichtlich. Zu seinen persönlichen Verhältnissen hat sich der Antragsteller bislang nicht geäußert. Im Übrigen wäre aber auch gegenüber gewichtigen persönlichen Nachteilen zu Lasten des Antragstellers zu berücksichtigen, dass seine Entlassung Folge eines bewussten, Grundrechte und -werte missachtenden und allein in seinen persönlichen Verantwortungsbereich fallenden Verhaltens war. Der Antragsteller hat sich mit dem Anstreben der Offizierslaufbahn in einen Bereich begeben, für den seit je besondere Anforderungen gelten; er musste daher wissen, dass die Bundeswehr gerade auf die entwürdigende Behandlung von Kameraden mit schwerwiegenden Konsequenzen reagiert.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 (vgl. Nr. 40.2 des Streitwertkataloges 2004 / 1/2 der letzten Stufe des Jahreseinkommens BesGr. A 4 BBesO).