Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.06.2007, Az.: 11 K 187/03

Anwendbarkeit des § 19a Abs. 2 S. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) auf den Fall der Überlassung von Aktien durch den Arbeitgeber; Zufluss steuerpflichtiger geldwerter Vorteile bei Arbeitnehmern durch die Teilnahme an einem Mitarbeiter-Beteiligungsprogramm "X PLUS"; Auslegung der Kosten der Kurssicherung als Nebenkosten; Haftung eines Arbeitgebers für die Lohnsteuer

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
14.06.2007
Aktenzeichen
11 K 187/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 34224
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2007:0614.11K187.03.0A

Fundstellen

  • DStR 2007, VIII Heft 41 (Kurzinformation)
  • DStRE 2007, 1550-1552 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2007, 1876-1878 (Volltext mit red. LS)
  • KSR direkt 2007, 12
  • KÖSDI 2007, 15776 (Kurzinformation)
  • LGP 2008, 1-2
  • NWB direkt 2007, 10
  • VP 2008, 21

Amtlicher Leitsatz

Orientierungssatz:

Haftung für Lohnsteuer

§ 19a Abs. 2 Satz 2 EStG ist nicht in jedem Fall der Überlassung von Aktien durch den Arbeitgeber anzuwenden.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob und in welcher Höhe Arbeitnehmern aus der Teilnahme am Mitarbeiter-Beteiligungsprogramm "X PLUS" steuerpflichtige geldwerte Vorteile im Zusammenhang mit dem Erwerb von Aktien der X-AG (AG) zugeflossen sind.

2

Die AG bot ihren Arbeitnehmern und den Arbeitnehmern ihrer deutschen mehrheitlichen Beteiligungsgesellschaften, wie der Klägerin, seit 1995 im Rahmen des jährlich aufgelegten Mitarbeiter-Beteiligungsprgramms "X PLUS" den Erwerb von bis zu 100 X-Aktien zu einem bestimmten Kaufpreis an. Bei den ausgegebenen Aktien handelte es sich jeweils um junge Aktien, die schon für das Jahr der Ausgabe voll dividendenberechtigt waren. Der Kaufpreis war der zu einem festgelegten Stichtag (jeweils im Oktober des Jahres) an der Börse notierte Kassakurs der Alt-Aktie (Basispreis). Von dem Kaufpreis hatte der Arbeitnehmer bei Erwerb zunächst nur einen Eigenanteil von ca. 20 v.H. zu zahlen; über den Restkaufpreis gewährte die AG dem Arbeitnehmer ein zinsloses Darlehen.

3

Für die erworbenen Aktien bestand nach den Teilnahmebedingungen eine Veräußerungssperre von zwei Jahren (bis zum jeweiligen datumsmäßig bestimmten Laufzeitende des Programms). Während dieser Sperrfrist wurden die Aktien bei der Y-Bank in einem für den Arbeitnehmer innerhalb eines gesonderten Nummernkreises eingerichteten Einzeldepot verwahrt; die Kosten der Verwahrung und Verwaltung während der Sperrfrist trug die AG. Nach Ablauf der Sperrfrist konnte der Arbeitnehmer frei über die Aktien verfügen. War der notierte Kassakurs der X-Aktie am Laufzeitende des Programms niedriger als der ursprüngliche Basiskurs, hatte der Arbeitnehmer das Recht, die erworbenen Aktien zu diesem Zeitpunkt zum Basiskurs an die Y-Bank zu verkaufen. Die Kosten dieser Kurssicherung trug die AG.

4

Das Mitarbeiterbeteiligungsprogramm hatte u.a. folgenden Inhalt (Angebot des Jahres 1995):

"I. X PLUS - Kauf mit Finanzierung

Ich möchte von der X AG 100 Aktien der X AG im Nennwert von je DM 5,00 erwerben, und zwar unter Inanspruchnahme eines zinslosen Darlehens mit einer Laufzeit bis zum 27. November 1997 und einer Kurssicherung bis zum 28. November 1997. Der Kaufpreis je Aktie entspricht dem am 31. Oktober 1995 an der A Börse notierten Kassakurs der X-Aktie, jedoch soll der Gesamtkaufpreis für alle Aktien den Höchstbetrag von DM 2.500 nicht übersteigen. Liegt der Kurs der Aktie am 31. Oktober 1995 über DM 25,00 verringert sich die Anzahl der gekauften Aktien insoweit, dass der Höchstbetrag nicht überschritten wird. Liegt der Kurs der Aktie unter DM 25,00, verringert sich der Gesamtkaufpreis für die 100 Aktien entsprechend (am 19. September 1995 betrug der Kurs der Aktie DM 22,35.

Ich leiste hierfür einen Eigenanteil von DM 448,00 (ca. 20 v.H. des Gesamtkaufpreises). Für den Restkaufpreis von maximal DM 2.052,00 nehme ich hiermit ein für mich zinsloses Darlehen der X AG ab dem Tag der Kaufpreisabrechnung mit einer Laufzeit bis zum 27. November 1997 in Anspruch. Ich bin damit einverstanden, dass der von mir zu leistende Eigenanteil im Rahmen der Entgeltabrechnung im Zusammenhang mit der Jahresgratifikation 1995 einbehalten wird.

...

II. Kurssicherung Die X AG erwirbt zu meinen Gunsten ein für mich kostenloses, nicht übertragbares Verkaufsrecht für die erworbenen Aktien (sog. Kurssicherung). Aufgrund dieser Kurssicherung habe ich das Recht, die erworbenen Aktien einschließlich aller Erlöse aus Bezugsrechten und Berichtigungsaktien zum 28. November 1997 auf die Y- Bank zu übertragen, falls an diesem Tag der an der Börse notierte Kassakurs der X-Aktie niedriger als der entsprechende Kassakurs vom 31. Oktober 1995 liegt, und erhalte dann den ursprünglichen Kaufpreis gutgeschrieben.

...

III. Bedingungen für die Teilnahme am Mitarbeiterbeteiligungsprogramm X PLUS ...

Die X AG bezuschusst das Programm mit Leistungen von insgesamt ca. 22 v.H.des Gesamtkaufpreises, maximal DM 550,00. Dieser Zuschuss dient zur Deckung der Refinanzierungskosten des zinslosen Darlehens sowie der Kosten der Kurssicherung. Ferner zahlt die X AG die Kosten der Verwahrung und Verwaltung der von den Mitarbeitern erworbenen Aktien.

..."

5

Im Rahmen der Lohnsteuer-Außenprüfung bei der AG und den dazugehörigen Konzerngesellschaften (Klägerin) hat das Finanzamt für Großbetriebsprüfung nach Rücksprache mit der Oberfinanzdirektion und dem Finanzministerium lohnsteuerliche Konsequenzen aus diesem Sachverhalt gezogen.

6

Der Erwerb der Aktien wurde als geldwerter Vorteil angesehen, der nach § 19a Abs. 8 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) a.F. in den Streitjahren zu ermitteln sei. Die Nebenkosten, wie Zeichnungsprovisionen, Verwaltungskosten, Depotgebühren, Kosten der Zusammenführung bzw. Strukturierungsprovisionen, Börsenzulassungsgebühren etc. wurden als Arbeitslohn nach § 19 EStG i.V.m. § 2 LStDV behandelt. Hinsichtlich der Kurssicherung wurden geldwerte Vorteile in Höhe der vermiedenen Kursverluste bei Ausübung der Verkaufsoption gesehen.

7

Diese drei Feststellungen wurden zunächst in einem Nachforderungsbescheid vom 11. Dezember 2002 berücksichtigt und die errechneten Zuflüsse pauschal besteuert.

8

Nachdem die Zustimmung zur Pauschalierung durch die Klägerin widerrufen worden war, erließ der Beklagte einen Haftungsbescheid am 23. Dezember 2002. In diesem Haftungsbescheid wurde von einem Lohnsteuersatz von 37,5 v.H. brutto ausgegangen. Danach wurden u.a. folgende Haftungsbeträge festgesetzt: 21.295,18 EUR (41.649,75 DM) Lohnsteuer und 1.197,12 EUR (2.341,36 DM) Solidaritätszuschlag.

9

Im Einzelnen ergeben sich die Forderungen aus folgenden Feststellungen:

10

Der geldwerte Vorteil aus dem Erwerb der Aktien ergab sich nach Ansicht des Beklagten rechnerich aus der Kursdifferenz zwischen dem Tag der Ausgabe und dem Tag des Kapitalerhöhungsbeschlusses. Folgende Beträge ermittelte der Betriebsprüfer:

JahrAnzahl der von Arbeitnehmern der Klägerin erworbenen AktienAusgabekurs in DMDatum der AusgabeBeschlusskurs in DMDatum des BeschlussesDifferenz in DM"geldwerter Vorteil" in DM
1997150046,1021.10.199750,0112.08,19973,915.865,00
1998247538,8020.10.199852,0011.08.199813,2032.670,00
1999205038,0419.10.199938,5303.08.19990.491.004,50
2000204034,2317.10.200038,7315.08.20004,509.180,00
2001237022,3222.10.200127,3822.08.20015,0611.992,20
11

Den geldwerten Vorteil aus der Übernahme der Nebenkostenerrechnete der Betriebsprüfer aus den Gesamtkosten des Konzerns für diese Aufwendungen. Diese wurden heruntergerechnet auf den Aufwand pro am X-Programm teilnehmenden Arbeitnehmer. Der so errechnete Aufwand pro Arbeitnehmer wurde mit der Anzahl der am Programm der Klägerin teilnehmenden Arbeitnehmer multipliziert. Ein geldwerter Vorteil wurde für die Jahre 1997, 2000 und 2001 angesetzt.

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Im Einzelnen ergeben sich folgende Werte:

1997
Aufwendungen in DM
2000
Aufwendungen in DM
2001
Aufwendungen in DM
Zeichnungsprovision4.451,2511.421,7911.952,04
Verwaltungskosten63.238,505.694,155.878,78
Verwaltungskosten B-Bank7.950,00
Anteilige Beratungsgebühren B-Bank18.629,93
Börseneinführungsprovisionen4.451,25
Strukturierungsprovision179.800,00185.660,54
Summe der Kosten des Konzerns98.720,93196.915,94203.491,36
Anzahl der gesamtteilnehmenden Arbeitnehmer18333.9274.055
Nebenkosten pro Arbeitnehmer53,8650,1450,18
Anzahl der teilnehmenden Arbeitnehmer der Klägerin323440
Gesamtkosten der Klägerin1.723,461.704,902.007,32
13

Den geldwerten Vorteil aus der Kurssicherung errechnete der Betriebsprüfer aus der Differenz zwischen dem Ausgabekurs und dem Kurs am Verfallstag. Dieser pro Aktie errechnete Wert wurde mit der Anzahl der eingelösten Aktien multipliziert. Dabei wurden die eingelösten Aktien nach Durchschnittswerten ermittelt.

14

Im Einzelnen ergeben sich folgende Werte:

199920002001
durchschnittlich im Konzern eingelöste Aktien in v.H.75,7086,1296,23
Anzahl der von Arbeitnehmern der Klägerin erworbenen Aktien (im 2. Vorjahr)1.5002.4752.050
Bei Anwendung der v.H.-Sätze sich ergebende eingelöste Aktien von Arbeitnehmern der Klägerin1.1352.1311.973
Ausgabekurs der Aktien in DM (im 2. Vorjahr)46,1038,8038,04
Kurs am Verfallstag in DM38,3332,4726,58
Differenz in DM7,776,3311,46
Multiplikation der eingelösten Aktien mit diesen Differenzwerten der Kurse in DM8.818,9513.489,2322.610,58
15

Die oben genannten als geldwerte Vorteile ermittelten Beträge führten im Einzelnen im Haftungsbescheid zu folgenden Abgabenforderungen:

JahrTextBetragPausch-steuersatz v.H.Lohnsteuer in DMKirchensteuer ev.in DMKirchensteuer rk.in DMSolidaritätszuschlag in DM
1997Aktienerwerb5.865,0037,52.199,3796,3335,62164,95
1998Aktienerwerb32.67037,512.251,25536,60198,47673,81
1999Aktienerwerb1.004,5037,5376,6816,496,1020,71
2000Aktienerwerb9.180,0037,53.442,50150,7855,76189,33
2001Aktienerwerb11.992,2037,54.497,07196,9772,85247,33
1997Nebenkosten1.723,4637,5646,2928,3010,4648,47
2000Nebenkosten1.704,9037,5639,3328,0010,3535,16
2001Nebenkosten2.007,3237,5752,7432,9712,1941,40
1999Kurssicherung8.818,9537,53.307,10144,8553,57181,89
2000Kurssicherung13.489"2337,55.058,46221,5681,94278,21
2001Kurssicherung22.610,5837,58.478,96371,37137,35460,10
Summe der Abgaben41.649,751.824,22674,662.341,36
16

Gegen den Haftungsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein, der mit Einspruchsbescheid vom 14. März 2003 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Dagegen richtet sich die Klage.

17

Die Klägerin trägt vor, die Bewertung der den Arbeitnehmern gewährten Aktien nach § 19a Abs. 8 Satz 2 EStG a.F. sei unzutreffend. Den Arbeitnehmern seien mit dem X-100-Programm keine unentgeltlichen oder verbilligten Sachbezüge in Form von Vermögensbeteiligungen i.S.v. § 19a Abs. 1 EStG gewährt worden. Zwar handele es sich bei den Aktien unzweifelhaft um Vermögensbeteiligungen im Sinne dieser Vorschrift, sie seien jedoch nicht unentgeltlich oder verbilligt gewährt worden. Die Arbeitnehmer hätten den am Stichtag geltenden vollen Aktienwert bezahlen müssen. Der Wert der Aktien sei bei wirtschaftlicher Betrachtung sogar zu hoch anzusetzen, da die erst noch zu beschaffenden jungen Aktien den Wert der bisherigen Aktien sinken lassen würden.

18

Maßgeblich sei bei der Bewertung nach § 8 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 11 Abs. 1 und 38a Abs. 1 Satz 3 EStG der Zeitpunkt des Zuflusses. Dies sei der Kassa-Kurs am Stichtag, der dem Kaufpreis entspreche, so dass sich kein geldwerter Vorteil ergebe.

19

Auch die von der Klägerin übernommenen Nebenkosten seien nicht zu versteuern, da diese Nebenkosten gem. Abschn. 77 Abs. 3 Satz 3 LStR keinen Arbeitslohn darstellen. Die Anwendung dieser Ausnahmeregelung auf den Streitfall ergebe sich aus der Selbstbindungswirkung des Richtlinienerlasses.

20

Auch die Kosten der Kurssicherung seien als Nebenkosten i.S.v. Abschn. 77 Abs. 3 Satz 3 LStR anzusehen. Nicht nur die notwendigen, sondern auch# sonstige Nebenkosten würden von dieser Vorschrift erfasst. Der Begriff sei hier weit auszulegen. Die Einordnung als Verkaufsoption und die daraus hergeleitete Anlehnung an die Rechtsprechung des BFH zu Stock-Options-Programmen sei nicht zutreffend, da die Fälle nicht mit den im Streitfall vorliegenden umgekehrten Fällen vergleichbar seien.

21

Die Klägerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 23. Dezember 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2003 ersatzlos aufzuheben.

22

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

23

Der Beklagte trägte vor, die Bewertung des geldwerten Vorteils habe nicht nach § 8 EStG zu erfolgen, sondern nach § 19a Abs. 8 Satz 2 EStG aF. Dies ergebe sich daraus, dass nach dem Urteil des BFH vom 4. April 2001 (VI R 96/00, BStBl. II 2001, 813) die Berechnung nur nach § 8 EStG erfolgen könne, wenn der geldwerte Vorteil im Zeitpunkt der Beschlussfassung feststehe. Durch die abweichenden Zeitpunkte der Beschlussfassung, maßgeblichen Kurstag und Ausgabetag sei durchaus ein geldwerter Vorteil anzunehmen, der nach § 19a EStG berechnet werden müsse.

24

Für die Anwendung des A 77 LStR komme es nicht darauf an, ob § 19a EStG einschlägig sei. Das Urteil des BFH vom 4. April 2001 lasse dies ausdrücklich offen.

Entscheidungsgründe

25

I.

Die Klage ist begründet.

26

Der Haftungsbescheid vom 23. Dezember 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2003 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für eine Haftung des Arbeitgebers nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG liegen nicht vor. Der Erwerb der X-Aktien stellt keinen geldwerten Vorteil bei den Arbeitnehmern der Klägerin dar. Ebenso sind die vom Arbeitgeber getragenen Nebenkosten und die von der Bank übernommene Verpflichtung zur Kurssicherung nicht als geldwerter Vorteil lohnsteuerpflichtig.

27

Aktienerwerb

28

1.

Der Erwerb der X-Aktien aufgrund des Mitarbeiterbeteiligungsmodells "X PLUS" führte in den Streitjahren nicht zu einem geldwerten Vorteil, der gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 2 LStDV und § 38 Abs. 1 EStG als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit lohnsteuerpflichtig ist. Der geldwerte Vorteil ergibt sich nicht nach § 19a Abs. 8 Satz 2 EStG (ab VZ 2002 § 19a Abs. 2 Satz 2 EStG nF) aus der Differenz des Ausgabekurses zum maßgeblichen Kurs am Tag der Beschlussfassung.

29

Steht fest, dass der Arbeitnehmer aus der Überlassung von Wertpapieren i.S. des § 19a Abs. 3 Nr. 1 EStG im Zeitpunkt der Überlassung tatsächlich kein Vorteil erwächst, so findet die Bewertungsvorschrift des § 19a Abs. 8 Satz 2 EStG keine Anwendung. Der Anwendungsbereich des § 19a Abs. 8 Satz 2 EStG ist auf die Fälle der verbilligten oder unentgeltlichen Überlassung von Wertpapieren i.S. des § 19a Abs. 3 Nr. 1 bis 3 EStG durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer zu beschränken, in denen im Zeitpunkt des Überlassungsbeschlusses der geldwerte Vorteil noch nicht feststeht (BFH-Urt. v. 4. April 2001 VI R 96/00, BStBl. II 2001, 813, 814).

30

Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck des § 19a Abs. 8 Satz 2 EStG. Dieser besteht darin, es dem Arbeitgeber zu ermöglichen, bereits in dem Überlassungsangebot dem Arbeitnehmer die steuerlichen Auswirkungen einer unentgeltlichen oder verbilligten Überlassung der Wertpapiere i.S. des § 19a Abs. 3 Nr. 1 bis 3 EStG mitteilen zu können. Dies zeigt die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Die Bewertungsregelung in § 19a Abs. 8 Satz 2 EStG, die dazu auf den Kurswert des Wertpapiers am Tag des Überlassungsbeschlusses abstellte, galt zunächst nur für eigene Aktien des Arbeitgebers. Wollte der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer dagegen fremde Aktien überlassen, war deren Wert am Tage der Überlassung an den Arbeitnehmer anzusetzen (§ 19a Abs. 6 Satz 1 EStG in der bis zum In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Kapitalbeteiligungen (2.VermBetG) vom 19. Dezember 1986 (BGBl. I 1986, 2595) geltenden Fassung. Erst durch das 2.VermBetG ist der Anwendungsbereich des § 19a Abs. 8 Satz 2 EStG auf alle überlassenen Vermögensbeteiligungen i.S. des § 19a Abs. 3 Nr. 1 bis 3 EStG - also auch auf die Überlassung fremder Aktien durch den Arbeitgeber - erweitert worden. In der Einzelbegründung zur Novellierung des § 19a Abs. 8 EStG (BTDrucks 10/5981, 32 zu Buchstabe g) wird dazu ausgeführt, es habe sich gezeigt, dass die geltenden Vorschriften in den Fällen zu praktischen Schwierigkeiten führten, in denen der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer fremde Aktien überlassen wolle. Da die fremde Aktie mit ihrem Wert am Tag der Überlassung an den Arbeitnehmer anzusetzen sei, könne der Arbeitgeber in dem Überlassungsbeschluss die steuerlichen Auswirkungen einer unentgeltlichen oder verbilligten Überlassung nicht abschließend benennen, dies gelte insbesondere bei stark schwankenden Börsenkursen während der Zeichnungsfrist. Im Interesse einer praktikablen Handhabung werde deshalb in § 19a Abs. 8 Satz 2 EStG allgemein für die Bewertung von Wertpapieren i.S. des Abs. 3 Nr. 1 bis 3, die starken Wertschwankungen unterliegen können, der Tag der Beschlussfassung über die Überlassung für maßgebend erklärt, wenn zwischen diesem Tag und dem Tag der Überlassung nicht mehr als 12 Monate liegen (s. BFH-Urt. v. 4. April 2001 VI R 96/00, BStBl. II 2001, 813, 814).

31

§ 19a Abs. 8 Satz 2 EStG greift nach dem Regelungszweck mithin nur dann ein, wenn der aus der verbilligten oder unentgeltlichen Überlassung von Wertpapieren i.S. des Abs. 3 Nr. 1 bis 3 dem Arbeitnehmer erwachsende geldwerte Vorteile zwischen dem Tag des Überlassungsbeschlusses und dem Tag der Überlassung an den Arbeitnehmer - wie im Regelfall - Veränderungen unterliegt. Im Regelfall ist dem Arbeitgeber im Zeitpunkt des Überlassungsbeschlusses der dem Arbeitnehmer aus der verbilligten oder unentgeltlichen Überlassung von Wertpapieren i.S. des § 19a Abs. 3 Nr. 1 bis 3 EStG erwachsende tatsächliche Vorteil im Zeitpunkt der Überlassung nicht bekannt, da die Wertpapiere Kursschwankungen unterliegen können. Deshalb ordnet § 19a Abs. 8 Satz 2 EStG für die Wertpapiere i.S. des § 19a Abs. 3 Nr. 1 bis 3 EStG an, dass auf den Kurswert des Wertpapiers im Zeitpunkt des Überlassungsbeschlusses abzustellen ist (BFH-Urt. v. 4. April 2001 VI R 96/00, BStBl. II 2001, 813, 814).

32

Steht dagegen - wie im Streitfall - fest, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmern keine verbilligten oder unentgeltlichen Wertpapiere zuwenden will, so kommt die Bewertungsvorschrift des § 19a Abs. 8 Satz 2 EStG a.F. nicht zur Anwendung. Die Überlassung der Aktien an die Arbeitnehmer der Klägerin erfolgte zum Kurswert der Alt-Aktien am Tag der Abgabe. Der Abgabekurs war mithin der Kaufpreis, den die Arbeitnehmer zu zahlen hatten. Ein geldwerter Vorteil für die Arbeitnehmer der Klägerin läßt sich insoweit nicht feststellen. Dabei ist unerheblich ob sie den Kaufpreis - wie vereinbart - zum Teil durch Eigenkapital und zum anderen Teil durch Hingabe eines Darlehens der AG - zahlten.

33

Der Senat kann dahingestellt lassen, ob in der Hingabe des zinslosen Darlehens - wofür viel spricht - ein geldwerter Vorteil lag. Insoweit ist dieser Lebenssachverhalt nicht Gegenstand des vorliegenden Haftungsbescheides.

34

Der Senat ist zugleich der Auffassung, dass es für die Anwendung des § 19a Abs. 8 Satz 2 EStG a.F. (ab VZ 2002 § 19a Abs. 2 Satz 2 EStG nF) darauf ankommt, ob die Voraussetzungen nach § 19a Abs. 1 EStG gegeben sind. Vom Arbeitgeber überlassene Aktien sind nicht generell mit dem Wert am Tag der Beschlussfassung über die Überlassung anzusetzen, sondern nur dann, wenn es sich um eine verbilligte oder unentgeltliche Überlassung im Rahmen eines Dienstverhältnisses handelt. Die Vorschrift des § 19a Abs. 8 Satz 2 EStG a.F. (ab VZ 2002 § 19a Abs. 2 Satz 2 EStG nF) ist daher nicht eine spezielle - § 8 EStG insoweit verdrängende - Bewertungsvorschrift, die für jedwede den Arbeitnehmern überlassene Vermögensbeteiligung i.S.d. Vorschrift gilt (offen gelassen BFH-Urt. v. 4. April 2001 VI R 96/00, BStBl II 2001, 813, 814; a. A. h.M. FG Köln Urt. v. 6. April 2000 7 K 1193/97, EFG 2000, 737; von Twickel in Blümich, EStGKStGGewStG (Loseblatt), § 19a EStG Tz. 35; Pflüger in Hermann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz (Loseblatt), § 19a Tz. 35; Kirchhof/Söhn, EStG § 19a Tz. D 3; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer-LSt, Stichwort Aktien; Eisgruber in Kirchhof, EStG 7. Aufl. 2007, § 19a Tz. 28, 7 und Tz. 2; vgl. auch BFH-Urt. v. 1. Februar 2007 VI R 72/05; BFH/NV 2007, 898 zu der Regelung in § 19a Abs. 2 Satz 1 EStG; zweifelnd Drenseck in Schmidt, EStG, 26. Aufl. 2007, § 19a. Tz. 26).

35

Übernahme der Nebenkosten

36

2.

Die Übernahme der Nebenkosten durch die Klägerin sind ebenfalls nicht als Arbeitslohn nach § 19 EStG i.V.m. § 2 LStDV zu behandeln. Die Aufwendungen für die Zeichnung der Aktien (Zeichnungsprovisionen, Börseneinführungsprovisionen usw.) stellen keinen geldwerten Vorteil der Arbeitnehmer dar. Die Arbeitnehmer hätten die überlassenen (jungen) Aktien auch am freien Kapitalmarkt erwerben können, ohne dass ihnen dadurch Aufwendungen dieser Art entstanden wären. Gleiches gilt für die Strukturierungsprovisionen. Diese Aufwendungen sind Aufwendungen des Arbeitgebers für die umfangreichen Dienstleistungen im Rahmen der Umstellung des Programms. Auch diese Aufwendungen stellen beim Arbeitnehmer keinen geldwerten Vorteil dar, da sie beim Kauf durch die Arbeitnehmer am freien Kapitalmarkt nicht entstanden wären.

37

Entsprechendes gilt auch für die Verwaltungs- und Depotkosten, die durch den Arbeitgeber übernommen worden sind. Diese Übernahme führte nicht zu einem geldwerten Vorteil bei den Arbeitnehmern, da es sich um einen Fall der aufgedrängten Bereicherung handelt. Dem Erwerber von Aktien steht es im Allgemeinen frei, die Aktien in einem Depot verwahren und verwalten oder sie sich ohne Entstehung von Verwaltungs- und Depotkosten effektiv aushändigen zu lassen. Der Erwerb der Aktien im Rahmen des Programms "X PLUS" enthielt aber einen Depotzwang bei der Emissions-Bank für die ersten zwei Jahre. Ein Erwerb der Aktien ohne Verwahrung der Aktien bei der Bank innerhalb der Sperrfrist sah das Programm "X PLUS" nicht vor. Wird aber einem Arbeitnehmer ein "Vorteil" aufgedrängt, ohne dass er sich ihm, wenn er keine Nachteile in Kauf nehmen will, entziehen kann, so spricht dies gegen die Annahme von steuerpflichtigem Arbeitslohn (BFH-Urt. v. 17. September 1982 VI R 75/79, BStBl. II 1983, 39, 42; Drenseck in Schmidt, EStG, 26. Aufl. 2007, § 19 Tz. 21; Pflüger in Hermann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz - Loseblatt -, § 19 Tz. 185 Stichwort "Abgrenzungskriterien" m.w.Nachw.).

38

Kurssicherung durch die Bank

39

3.

Auch die Vorteile aus den Rückkauf der Aktien durch die Bank sind nicht als Arbeitslohn zu erfassen. Die Zahlungen sind nicht durch das Dienstverhältnis veranlaßt. Es handelt sich insoweit um eigene unmittelbare Zahlungsansprüche der Arbeitnehmer der Klägerin gegenüber der Bank. Sie resultieren aus der Kurssicherungsvereinbarung der AG mit der Bank. Insofern können diese Zahlungen der Bank auch nicht als Leistung von Arbeitslohn durch einen Dritten i.S.v. § 38 Abs.1 Satz 2 EStG angesehen werden (Drenseck in Schmidt, EStG, 26. Aufl. 2007, § 19 Tz. 39; Pflüger in Hermann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz - Loseblatt -, § 19 Tz. 171; Barein in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht - Loseblatt -, § 19 Tz. 146). Ob die Stillhalterprämien der AG dagegen als Arbeitslohn zu beurteilen sind - wofür nach Ansicht des Senats einiges spricht (s. zur vergleichbaren Rechtslage bei Zukunftssicherungen durch den Arbeitgeber wie z.B. durch Direktversicherungen § 19 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG, BFH-Urt. v. 30. Mai 2001 VI R 159/99, BStBl. II 2001, 815, 817 unter Punkt II. 1. a. m.w.Nachw. u. Drenseck in Schmidt, EStG, 26. Aufl. 2007, § 19 Tz. 51 "Zukunftssicherungsleistungen") - kann jedoch dahingestellt bleiben. Insoweit handelt es sich um einen anderen Lebenssachverhalt, der vom angefochtenen Haftungsbescheid nicht umfasst wird.

40

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

41

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 151 Abs. 1 u. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

42

Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.