Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 27.01.2012, Az.: 2 A 5714/09

dienstliches Interesse; Fürsorgepflicht; Rechtsanwaltskosten

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
27.01.2012
Aktenzeichen
2 A 5714/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44514
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Beamter die Übernahme ihm in einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren entstandener Rechtsanwaltskosten durch das Land verlangen kann.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger ist als Beamter des Landes Niedersachsen beim D. tätig. Er ist im Januar E., also im Laufe des gerichtlichen Verfahrens, zum Regierungsoberamtsrat befördert worden.

Der Kläger war in seiner Behörde als Teamsprecher des Integrationsamtes eingesetzt. In dieser Funktion war er für die Vergabe von Fördermitteln zuständig. Im Zusammenhang mit seinem dienstlichen Aufgabenbereich führte die Staatsanwaltschaft F. gegen den Kläger zwei Ermittlungsverfahren. Das unter dem Aktenzeichen Js 12536/05 geführte Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Teilnahme an einen Betrug wurde am G. gemäß § 170 Abs. 2 StPO von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Das unter dem Aktenzeichen Js 1750/07 geführte Ermittlungsverfahren wegen Bestechlichkeit und Vorteilsannahme wurde von der Staatsanwaltschaft F. nach § 153 a Abs. 1 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 1.500,00 Euro eingestellt.

In beiden Verfahren ließ sich der Kläger durch einen Rechtsanwalt vertreten. Für die Vertretung in dem Verfahren Js 12536/05 stellten die Prozessbevollmächtigten dem Kläger 989,70 Euro in Rechnung. Für die Vertretung in dem Verfahren Js 1750/07 wurden dem Kläger 1.025,21 Euro berechnet.

Am H. beantragte der Kläger bei dem Beklagten, ihm die Aufwendungen für die in dem Verfahren Js 12536/05 entstandenen Rechtsanwaltskosten zu erstatten. Am I. beantragte der Kläger auch die Erstattung der Rechtsanwaltskosten, die in dem Verfahren Js 1750/07 angefallen sind.

Mit Bescheid vom J. lehnte der Beklagte die Erstattung der Kosten in Höhe von insgesamt 2.014,91 Euro ab. Zur Begründung führte er unter Bezugnahme auf die Verwaltungsvorschriften zu § 87 NBG a. F. aus, die Rechtsverteidigung des Klägers sei ausschließlich in seinem privaten Interesse, nicht aber im dienstlichen Interesse erfolgt. Dem Kläger sei als Beamtem der Besoldungsgruppe A 12 die Übernahme der Kosten auch nicht unzumutbar. Es fehle im Übrigen an einem nach den einschlägigen Vorschriften erforderlichen vorausgegangenen Darlehensantrag.

Mit Verfügung vom K. stellte der Beklagte ein gegen den Kläger eingeleitetes Disziplinarverfahren ein. In den Gründen stellte der Beklagte fest, der Kläger habe den Tatbestand eines Dienstvergehens verwirklicht, weil sich ergeben habe, dass der Kläger in den Jahren L. und M. mehrfach von Zuwendungsempfängern des Integrationsamtes in unangemessenem Umfang Geschenke entgegen genommen und sich in Restaurants habe bewirten lassen. Der Ausspruch einer Disziplinarmaßnahme sei aber nicht angezeigt in Anbetracht der Tatsache, dass der Kläger bereits im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eine Geldauflage bezahlt habe und ihm eine Reihe von durchgreifenden Milderungsgründen zuzusprechen sei. Als Disziplinarmaßnahme wäre die Erteilung eines Verweises angemessen gewesen. Der Erteilung eines Verweises stehe jedoch ein absolutes Maßnahmeverbot gemäß § 15 Abs. 2 Ziffer 1 NDiszG entgegen, da die Taten, die sowohl Gegenstand der strafrechtlichen Ermittlungen wie auch des vorliegenden Disziplinarverfahrens seien, nach Zahlung der Geldauflage nach § 153 a Abs. 1 S. 5 StPO nicht mehr als Vergehen verfolgt werden könnten und wegen desselben Sachverhalts ein Verweis als Disziplinarmaßnahme nicht mehr ausgesprochen werden dürfe.

Am N. hat der Kläger Klage erhoben, mit der er nur noch die Erstattung der Rechtsanwaltskosten in Höhe von 989,70 Euro aus dem Ermittlungsverfahren Js 12536/05 begehrt. Zur Begründung trägt der Kläger vor: Die Erstattung der Rechtsanwaltskosten sei im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn geboten. Die Voraussetzungen für die Erstattung der Anwaltskosten, die sich aus den Verwaltungsvorschriften zu § 87 NBG a. F. ergäben, lägen vor. Es habe ein dienstliches Interesse an einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung bestanden, weil im Falle einer Verurteilung mit Schadensersatzansprüchen gegen das Land zu rechnen gewesen wäre. Hätte er nicht durch seinen Vortrag in dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren die Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO erreicht, wären Schadensersatzansprüche auf das Land zugekommen. Das dienstliche Interesse ergebe sich noch aus einem weiteren Grund. Die Mitwirkung an dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und die Beauftragung eines Rechtsanwalts habe dazu gedient, den Sachverhalt aufzuklären und sei letztendlich die Grundlage dafür gewesen, dass das Land Rückforderungsansprüche gegen die Empfänger der Fördergelder habe durchsetzen können. Nur durch die anwaltliche Tätigkeit sei dem Land die Geltendmachung von Rückforderungs- und Schadensersatzansprüchen gegen den Zuwendungsempfänger möglich geworden. Im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren werde nur dem Rechtsanwalt Akteneinsicht gewährt, nicht dem Beschuldigten in Person. Auch deshalb sei es nötig gewesen, einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Hierzu hätten ihm im Übrigen auch seine Vorgesetzten ausdrücklich geraten. Er habe sich gegen den Betrugsvorwurf deshalb auch im Interesse seiner Behörde gewehrt.

Es sei wichtig, beide staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren auseinander zu halten. Insoweit hätten keine identischen Sachverhalte vorgelegen.

Ihm sei die Übernahme die Rechtsanwaltskosten auch im Hinblick auf seine wirtschaftliche Situation nicht zumutbar. Als Regierungsamtsrat habe er etwa 3.400,00 Euro netto verdient. Von diesem Betrag hätten noch die Kosten für die private Krankenversicherung abgezogen werden müssen. Als die Anwaltskosten angefallen seien, habe er Unterhalt für zwei Kinder zu leisten gehabt, die auswärts studieren. Seine Frau sei lediglich in Teilzeit beschäftigt gewesen und habe dort ca. 1.000,00 Euro verdient. Zwar sei er im Januar E. zum Regierungsoberamtsrat (Besoldungsgruppe A 13) befördert worden, ohne dass sich seine wirtschaftliche Situation wesentlich geändert habe.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, ihm in dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft des Landgerichts O. k Js 12536/05 entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 989,70 € nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz seit dem P. zu erstatten und den Bescheid des Beklagten vom J. aufzuheben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor: Eine Erstattung er Rechtsanwaltskosten sei auch hinsichtlich des reduzierten Betrages nicht möglich. Die Entscheidung darüber, ob und inwieweit die Übernahme von Rechtsanwaltskosten, die einem Landesbediensteten entstanden seien, in Betracht komme, richte sich nach den Verwaltungsvorschriften zu § 87 NBG a. F. Die Tatbestandsvoraussetzungen lägen insoweit nicht vor. Es fehle ein dienstliches Interesse an einer entsprechenden Rechtsverteidigung. In den Ermittlungsverfahren sei dem Kläger vorgeworfen worden, im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit im Integrationsamt Geschenke, exklusive Bewirtungen sowie die Finanzierung von Fernreisen für die Bewilligung von Fördermitteln entgegen genommen zu haben. Ein solches Verhalten würde dem Land erheblichen Schaden zufügen, weil öffentliche Mittel nicht zweckentsprechend verwendet worden seien. Hinzu käme ein Ansehensverlust der betroffenen Dienststelle im Besonderen und des öffentlichen Dienstes im Allgemeinen. Schadensersatzansprüche gegen das Land wären jedoch nicht zu erwarten gewesen. Im Gegenteil, im Falle einer Verurteilung wäre eher die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Kläger in Betracht zu ziehen gewesen. Die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsberatung und Rechtsverteidigung erfolgte damit ausschließlich in seinem privaten, persönlichen Interesse.

Die Bestreitung der Rechtsanwaltskosten sei für den Kläger auch nicht unverhältnismäßig oder unzumutbar. Ihm sei die Bezahlung der geltend gemachten Anwaltskosten aus eigenen Mitteln im Hinblick auf sein Statusamt zumutbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage entscheidet der Einzelrichter, dem der Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO übertragen worden ist.

Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass ihm die Kosten erstattet werden, die ihm für die Beauftragung eines Rechtsanwalts in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft F. zum Aktenzeichen Js 12536/05 entstanden sind.

Ein Anspruch auf Übernahme der Rechtsanwaltskosten kann sich nur aus der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht (§ 45 BeamtStG) ergeben. Das Land Niedersachsen hat in Verwaltungsvorschriften (im Folg.: VV) zu § 87 NBG a. F. konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen das Land Kosten übernimmt, die einem Beamten durch seine Rechtsverteidigung entstehen, wenn gegen ihn (unter anderem) ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen einer dienstlichen Verrichtung oder eines Verhaltens, das mit der dienstlichen Tätigkeit im Zusammenhang steht, geführt wird. Der Beklagte hat erklärt, dass diese Verwaltungsvorschriften bis zu einer Neuregelung auch nach der Dienstrechtsreform weiterhin anwendbar sind. Über das Gleichheitsgebot - Artikel 3 Abs. 1 GG - kann der Kläger verlangen, dass die Regelungen der VV zu § 87 NBG a. F. auf seinen Antrag auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten Anwendung finden. Dies wird von dem Beklagten auch nicht in Abrede gestellt.

Ein Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten in Höhe von 989,70 Euro ergibt sich danach aber nicht, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der VV zu § 87 NBG a. F. nicht vorliegen.

Grundsätzlich kann der Beamte zur Bestreitung der notwendigen Kosten seiner Rechtsverteidigung nach Ziffer 1.1 VV zu § 87 NBG a. F. nur ein zinsloses Darlehen verlangen. Darum geht es dem Kläger aber nicht; er begehrt vielmehr die Übernahme seiner Rechtsanwaltskosten. Nach Ziffer 1.7 können die notwendigen Kosten dann auf schriftlichen Antrag des Beamten "auf den Landeshaushalt übernommen" werden, wenn ein "besonders begründeter Fall" vorliegt. In den Verfahren haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass hier ein "besonders begründeter Fall" gegeben ist; auch der Klagebegründung lässt sich insoweit nichts entnehmen.

Die Übernahme der Rechtsanwaltskosten - sei es als Darlehen, sei es als Erstattung - setzt außerdem voraus, dass ein dienstliches Interesse an einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung besteht (Ziffer 1.1 a) VV). Als Beispielsfall führt die Verwaltungsvorschrift insoweit an, dass im Falle einer Verurteilung des Beamten mit Schadensersatzansprüchen gegen das Land zu rechnen wäre. An einem dienstlichen Interesse im Sinne dieser Vorschrift fehlt es hier. In dem Verfahren Js 12536/05, für das der Kläger Kostenübernahme begehrt, ging es um den Verdacht der Teilnahme an einem Betrug von Zuwendungsempfängern zu Lasten des Landes Niedersachsen. Durch betrügerisches Erschleichen von Fördergeldern durch die Zuwendungsempfänger, die Firma Q., dürfte dem Land Niedersachsen ein Schaden entstanden sein. Es ist aber nicht erkennbar, dass im Falle einer Verurteilung des Klägers wegen Teilnahme an dem Betrug das Land Niedersachsen Schadensersatzansprüchen ausgesetzt gewesen wäre. Auch der Klägerpartei ist es nicht gelungen, darzulegen, wer mit welcher Begründung einen Schadensersatzanspruch gegen das Land hätte geltend machen können.

Ein dienstliches Interesse an einer Rechtsverteidigung des Klägers lässt sich auch nicht damit begründen, die Beauftragung eines Rechtsanwalts habe der Aufklärung des Sachverhalts gedient und sei Grundlage dafür gewesen, dass das Land Rückforderungs- und Schadensersatzansprüche gegen die Empfänger der Fördergelder habe durchsetzen können. Das Vorbringen der Klägerseite hierzu ist unsubstantiiert geblieben. Anhaltspunkte dafür, dass die Tätigkeit des klägerischen Rechtsanwalts die Rechtsposition des Landes gegenüber den Zuwendungsempfängern verbessert hat, haben sich nicht ergeben. Dem Kläger ist es mit der Beauftragung seines Rechtsanwalts nach Auffassung des Gerichts allein darum gegangen, sich gegen den strafrechtlichen Vorwurf der Teilnahme an einem Betrug zu Lasten des Landes zu wehren; auf dieses Ziel war seine Rechtsverteidigung ausgerichtet. Der Kläger hat damit ausschließlich seine privaten Interessen verfolgt. Eventuelle Rückforderungs- und Schadensersatzansprüche hat das Land, worauf die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, von Amts wegen geprüft und Ermittlungen aufgenommen, als das Ministerium - u. a. wegen der polizeilichen Durchsuchung der Büroräume des Klägers - Kenntnis von den Geschehnissen erlangte.

Schließlich fehlt es an der weiteren, sich aus Ziffer 1.1 c) VV zu § 87 NBG a. F. ergebenden Voraussetzung, dass die Verauslagung der Kosten dem Beamten nicht zugemutet werden kann. Bei der Frage der Zumutbarkeit sind unter anderem die wirtschaftliche Situation des Beamten sowie die finanziellen Belastungen, die für den Beamten mit der Rechtsverteidigung verbunden waren, in den Blick zu nehmen. Der Kläger hat angegeben, dass er, als die Rechtsanwaltskosten entstanden sind, 3.400,00 Euro monatlich netto verdient hat. Auch wenn von diesem Verdienst Unterhaltskosten für die Kinder und Kosten für die private Krankenversicherung abgezogen werden müssen, so dürfte den Kläger die Übernahme der Kosten im Hinblick auf sein Gehalt und den Zuverdienst seiner Ehefrau nicht übermäßig belastet haben. Es kommt hinzu, dass der Kläger zwei Monate nach Einstellung des Disziplinarverfahrens, in dem festgestellt wurde, dass er ein Dienstvergehen begangen hat, zum Regierungsoberamtsrat befördert worden ist. Der dem Kläger im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und im Disziplinarverfahren nachgewiesene wiederholte Verstoß gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken (§ 42 Abs. 1 BeamtStG), haben das berufliche Fortkommen des Klägers nicht behindert, obwohl das Dienstvergehen, das der Kläger begangen hat, in anderen Teilen der Landesverwaltung nach den Erfahrungen der auch mit Disziplinarsachen befassten Kammer zu ganz erheblichen disziplinarrechtlichen Konsequenzen geführt hätte. Auch deshalb ist es dem Kläger durchaus zumutbar, für die ihm im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren entstandenen Kosten selbst aufzukommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO.