Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 16.10.2002, Az.: 4 B 1770/02
Begleichung; einmalige Leistung; freie Entfaltung der Persönlichkeit; Freiheitsgrundrecht; Isomatte; Menschenwürde ; Nichtsesshafter; Regelsatz; Schlafsack; Sozialhilfe
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 16.10.2002
- Aktenzeichen
- 4 B 1770/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43653
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG - 06.11.2002 - AZ: 12 PA 717/02
Rechtsgrundlagen
- § 21 Abs 1a BSHG
- § 1 RegSatzV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Anspruch auf Unterstützung eines Verhaltens das der Menschenwürde widerspricht. Grundrechtlich geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit begründet auch seinen Rechtsanspruch auf Beihilfe für Schlafsack, Isomatte u. ä.
Gründe
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß den §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO hat der Antragsteller sowohl die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) als auch seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) glaubhaft darzulegen.
Hiervon ausgehend hat der Antragsteller das Bestehen eines Anordnungsanspruches und damit seine materielle Anspruchsberechtigung nicht glaubhaft gemacht. Er hat nicht dartun können, dass er einen Rechtsanspruch auf Bewilligung einmaliger Leistungen für die von ihm beantragten Bekleidungsstücke sowie Hausratgegenstände besitzt. So hat der Antragsgegner bzw. die in seinem Auftrag handelnde Stadt Stade dem geltend gemachten Bedarf im Hinblick auf Bekleidung entsprochen: Dem Antragsteller ist für die Beschaffung von Schuhwerk ein Gutschein über 30,00 € ausgehändigt worden. Mit diesem Betrag ist die Beschaffung geeigneter Schuhe auch für die Winterzeit nach Auffassung der Kammer möglich. Dem steht nicht entgegen, dass es sicher wünschenswert sein dürfte, qualitativ hochwertigere und damit auch teurere Schuhe zu beschaffen, bei denen zudem von einer längeren Haltbarkeitsdauer auszugehen ist. Die Sozialhilfe dient aber regelmäßig nur dazu, einen aktuellen Bedarf im erforderlichen Umfang zu decken. Darüber hinausgehenden Wünschen des Hilfeempfängers kann unter Berücksichtigung des Einzelfalles stets nur dann Rechnung getragen werden, wenn von einer sozialhilferechtlichen Erforderlichkeit auszugehen ist, woran es hier fehlt.
Im Übrigen hat der Antragsgegner den Antragsteller rechtsfehlerfrei darauf verwiesen, gebrauchte Bekleidung aus der Kleiderkammer des Deutschen Roten Kreuzes in Anspruch zu nehmen. Dies ist bei Oberbekleidung regelmäßig zumutbar. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt die Kammer Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Antragsgegners in seinem Schriftsatz vom 5. Oktober 2002. Soweit der Antragsteller einmalige Beihilfen für die Beschaffung von Strümpfen und Unterwäsche begehrt, so ist dieser Bedarf mit den gewährten Regelsatzleistungen als abgegolten anzusehen, da es sich hierbei um Bekleidung von geringem Anschaffungswert handelt (§ 1 Absatz 1 Regelsatzverordnung).
Darüber hinaus kann der Antragsteller einmalige Beihilfen für die Beschaffung eines wintertauglichen Schlafsackes, einer Isomatte , einer Thermoskanne, eines Spirituskochers sowie eines Rucksackes nicht beanspruchen. Zwar sieht § 21 Absatz 1 a BSHG grundsätzlich die Gewährung einmaliger Leistungen für Hausrat und Gebrauchsgüter von längerer Gebrauchsdauer und von höherem Anschaffungswert vor. Einer Hilfegewährung steht im vorliegenden Fall jedoch insbesondere die mit diesen Gegenständen beabsichtigte Verwendung entgegen. Denn der Antragsteller beabsichtigt, als Nichtsesshafter auch im Winter im Freien zu nächtigen, und ist offenbar nicht bereit, eine Wohnung zu beziehen oder jedenfalls vorübergehend sich in einer Notunterkunft aufzuhalten. Die allgemeine Zielsetzung der Sozialhilfe geht nach § 1 BSHG dahin, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Demgegenüber kann sich der Hilfeempfänger nicht auf das grundgesetzlich geschützte Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit berufen. Hieraus erwächst kein Anspruch, den Träger der Sozialhilfe zu verpflichten, ein Verhalten zu unterstützen, das offensichtlich die körperliche und seelische Gesundheit des Hilfesuchenden gefährdet und zudem - insbesondere wegen des Fehlens sanitärer Einrichtungen im Freien - auch eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. hierzu OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 05.12.1990 - FEVS 41, Seite 252 f.). Der Antragsteller hat es vielmehr selbst in der Hand, die Führung eines menschenwürdigen Lebens durch Anmietung einer Wohnung oder durch Beziehen einer von der zuständigen Wohnortgemeinde bereitgestellten Unterkunft sicherzustellen. Für diesen Fall wäre der Sozialhilfeträger gehalten, die notwendigen Kosten des Hilfeempfängers zu berücksichtigen und zu gewähren. Dass diese Kosten im Einzelfall deutlich höher lägen, als die vom Antragsteller beantragten Leistungen, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich. Daraus folgt, dass der Antragsteller die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zu der beantragten Hilfegewährung nicht beanspruchen kann, zumal damit auch eine im Verfahren der einstweiligen Anordnung regelmäßig unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache verbunden wäre.
Im Übrigen spricht gegen den geltend gemachten Anspruch der Umstand, dass dem Antragsteller Regelsatzleistungen zufließen, die - soweit sie ungekürzt gewährt werden - möglicherweise über den Regelbedarf hinausgehen. Denn bei einem Nichtsesshaften kann davon ausgegangen werden, dass dieser einen vom Regelfall abweichenden Bedarf z.B. in Bezug auf Kochfeuerung, Beleuchtung, Wohnungsreinigung und Betrieb elektrischer Geräte hat. Soweit dem Antragsteller hierdurch frei verfügbare Mittel zur Verfügung stehen, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, diese im Rahmen der von ihm gewollten Lebensgestaltung einzusetzen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es hierzu eines längeren Zeitraumes bedarf. Gleichwohl ergibt sich aus diesem Umstand kein Anordnungsanspruch für den geltend gemachten Bedarf. Denn dieser Anspruch scheitert an den vorstehend dargelegten Erwägungen.