Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 10.10.2002, Az.: 3 A 1119/01
Arzneimittel; Beihilfe; Beihilfefähigkeit; chinesischer Tee; Güter des täglichen Bedarfs; Heilkräuter; Tee; traditionelle chinesische Medizin
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 10.10.2002
- Aktenzeichen
- 3 A 1119/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43624
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 1 S 2 BhV
- § 6 Abs 2 BhV
- § 6 Abs 4 BhV
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung der Beihilfefähigkeit für Heilkräuter.
Der Kläger steht als Lehrer in Diensten des Landes Niedersachsen und ist als solcher beihilfeberechtigt. Die 1984 geborene Tochter des Klägers leidet seit Jahren an der Autoimmunerkrankung Alopecia areta, einer mit Haarverlust insbesondere der Kopfhaut einhergehenden Krankheit.
Unter dem 30.7.2000 stellte der Kläger einen Beihilfeantrag, in dem unter anderem ein Betrag von 383,06 DM an Aufwendungen für chinesische Heilkräuter enthalten waren; diese hatte der behandelnde chinesische Arzt der Tochter des Klägers verschrieben. Hinsichtlich dieses Betrages lehnte das beklagte Amt mit Bescheid vom 9.8.2000 die Gewährung der Beihilfe ab und führte zur Begründung aus, dass chinesische Tees keine Medikamente im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BHV und damit nicht beihilfefähig seien.
Hiergegen erhob der Kläger fristgerecht Widerspruch. Er wies darauf hin, dass der behandelnde chinesische Arzt gemeinsam mit einer deutschen Kollegin am Institut für chinesische Medizin der St. J. Klinik in B. tätig sei. Dieser habe bereits in der Vergangenheit entsprechende Heilkräuter verschrieben, die auch mit Antrag vom 18.5.2000 beim beklagten Amt geltend gemacht worden seien; dem damaligen Antrag sei stattgegeben worden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die verschriebenen Medikamente nunmehr, obwohl Teil einer einheitlichen Therapie, nicht mehr anerkannt würden. Im übrigen sei es nur schwer nachvollziehbar, dass eine erfolgversprechende, kostengünstige und frei von schädlichen Nebenwirkungen verordnete Therapieform nicht als beihilfefähig anerkannt werde. Es sei ein Widerspruch in sich, dass kostspielige Medikamente, die Langzeitschäden mit wiederum hohen Folgekosten hervorrufen würden, als beihilfefähig anerkannt würden. Vor diesem Hintergrund könne nicht richtig sein, dass die durchgeführte und erfolgreiche Therapie hier nicht anerkannt werde. Gerade vor dem Hintergrund des Erfolgs der Therapie wolle die Tochter des Klägers die Behandlung fortsetzen. Insoweit bedeute die Ablehnung der Übernahme der Kosten eine untragbare Härte für die Tochter des Klägers.
Das Gesundheitsamt des Landkreises V., vom beklagten Amt eingeschaltet, teilte diesem mit Schreiben vom 26.4.2001 mit, dass es über Grundzüge und Angemessenheit der chinesischen Medizin keine Aussagen treffen könne. Allerdings erweckten die geltend gemachten Beträge den Eindruck, dass die Therapiekosten nicht wesentlich über den Therapiekosten für die mildeste Stufe der klassischen medizinischen therapeutischen Verfahren liegen, so dass die Höhe der Aufwendungen angemessen zu sein scheine.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.7.2001 wies das beklagte Amt den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass chinesische Heilkräuter gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BHV nicht oder nur nach Einzelfallprüfungen als Arzneimittel beihilfefähig seien. Hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit gem. § 5 BHV sei das Gesundheitsamt V. um Stellungnahme gebeten worden. Aus amtsärztlicher Sicht habe jedoch keine medizinische Notwendigkeit für die Verordnung der aufgeführten Präparate festgestellt werden können, so dass der Widerspruch zurückzuweisen sei.
Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage. Der Kläger ist der Ansicht, dass sich aus der Stellungnahme des Gesundheitsamts nicht ergebe, dass es an der medizinischen Notwendigkeit für die Behandlung mit den Heilkräutern fehle; vielmehr habe das Gesundheitsamt ausgeführt, hierzu keine Stellungnahme abgeben zu können. Im Übrigen seien die hier streitigen Aufwendungen nach den Grundsätzen der Beihilfefähigkeit einer Behandlung mit einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Methode zu übernehmen. Die Voraussetzungen der Rechtsprechung, in diesen Fällen dennoch eine Beihilfefähigkeit anzuerkennen, lägen vor, denn die Tochter des Klägers habe bereits mehrere herkömmliche Therapien erfolglos über sich ergehen lassen. Dies ergebe sich aus einem Schreiben des Instituts für chinesische Medizin an das beklagte Amt vom 20.7.2000, in dem auch auf einen ersten Behandlungserfolg hingewiesen werde.
Der Kläger beantragt, das beklagte Amt zu verpflichten, Aufwendungen für chinesische Heilkräuter in Höhe von 383,06 DM als beihilfefähig anzuerkennen und den Bescheid des beklagten Amtes vom 9.8.2000 und den Widerspruchsbescheid vom 30.7.2001 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
Das beklagte Amt beantragt,die Klage abzuweisen.
Das Amt wiederholt seine Auffassung, nachdem eine medizinische Notwendigkeit für die Verordnung der Heilkräuter nicht habe festgestellt werden können. Jedenfalls diese Aussage sei aufgrund der Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Landkreises V. zu treffen, weil der Amtsarzt die medizinische Notwendigkeit ausdrücklich nicht bestätigt habe. Im Übrigen sei auch in vergleichbaren Fällen aus amtsärztlicher Sicht eine medizinische Notwendigkeit für die Verordnung entsprechender Präparate nicht feststellbar; insoweit legt das beklagte Amt Stellungnahmen des Gesundheitsamtes des Landkreises H. vom 7.6.2001 und der Stadt H. vom 4.5.2001 vor. Zudem sei zweifelhaft, ob es sich bei Tees oder Teemischungen mit therapeutischen Wirkungen überhaupt um Arzneimittel handele. Darauf komme es jedoch abschließend nicht an, weil jedenfalls ärztlich verordnete Tees und Teemischungen zu den Mitteln gehörten, die geeignet seien, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen, so dass die Aufwendungen auch aus diesen Gründen nicht beihilfefähig seien. Schließlich sind auch Aufwendungen für vorbeugende und unterstützende Präparate sowie für Mittel mit allgemein gesundheitsfördernder Wirkung nicht beihilfefähig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des beklagten Amtes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat Erfolg. Die ergangenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger daher in seinen Rechten; er hat einen Anspruch auf Anerkennung der Beihilfefähigkeit für die verwendeten Heilkräuter ( vgl. § 113 Abs. 5 VwGO ).
Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers ist § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV. Hiernach sind u.a. die Aufwendungen für die von einem Arzt aus Anlass einer Krankheit schriftlich verordneten Arzneimittel beihilfefähig.
Die erworbenen Kräuter sind Arzneimittel im Sinne der genannten Vorschrift.
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Zwar ist der Begriff des Arzneimittels in den BhV nicht geregelt. Als Ausgangspunkt für die Definition kann jedoch auf die gleichlautenden Begriffe des Arzneimittelgesetzes zurückgegriffen werden ( so BVerwG, Urt. vom 30.05.1996, Az: 2 C 5/95, NVwZ-RR 1997, 367-368 = DVBl 1996, 1149-1150; Topka/Möhle, Kommentar zum Beihilferecht, Erl. zu § 6 Abs. 1 Nr. 2, 6/95 ).
§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG lautet:
(1) Arzneimittel sind Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper
1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen,
Hiernach erweisen sich die Kräuter jedenfalls in ihrer konkreten Zusammensetzung - die behandelnde Ärztin hatte dem Gericht gegenüber telefonisch erläutert, dass die Kräuter in Abhängigkeit von der fortschreitenden Therapie in unterschiedlicher Zusammensetzung sowohl hinsichtlich der Wirkstoffe als auch hinsichtlich ihres prozentualen Anteils verabreicht werden - als Arzneimittel, weil sie in dieser Form die Krankheit der Tochter des Klägers heilen sollen.
Die Tochter des Klägers ist aufgrund des eindeutig feststehenden Krankheitsbildes auch an „einer Krankheit“ im Sinne des § 6 Abs. 1 BhV erkrankt; ob entsprechendes auch bei dem diffusen Krankheitsbild des Klägers in dem vom VG Bremen entschiedenen Verfahren ( AZ. 1 K 704/01 ) so zu sehen wäre, bedarf aus Anlass des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung.
Auf den Begriff „und dergleichen“ in § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV ließe sich die beihilferechtliche Berücksichtigung der Kräuter im übrigen nicht stützen, weil dieser Zusatz nur eine Ergänzung des unmittelbar vorangehenden Begriffs der „Verbandmittel“ darstellt ( so BVerwG, aaO ).
Die Heilkräuter sind auch keine Mittel, die geeignet sind, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen ( § 6 Abs. 1 Ziffer 2 Satz 4 BhV ). In diesem Zusammenhang geht es darum, Kosten für Mittel, die dem allgemeinen Lebensbereich oder einer besonderen Lebensführung zuzuordnen sind, von der Beihilfefähigkeit auszunehmen, weil die Beihilfe als ergänzende Hilfeleistung den Berechtigten und seine Angehörigen nur von den notwendigen und angemessenen Kosten im Krankheitsfall entlasten soll. Vor diesem Hintergrund geht die Kommentierung von Schadewitz/Röhrig ( zu § 6 Abs. 1 Nr. 2 Anm. 5b a. E., 68.4 ) von einem Ausschluss der Beihilfefähigkeit für ärztlich verordnete Tees und Teemischungen, auch für chinesische Tees, aus, und zwar auch dann, wenn diesen eine therapeutische Wirkung zukommt.
Dieser Auffassung ist hier nicht zu folgen. Zweifelhaft ist bereits, ob allein die Darreichungsform die Annahme rechtfertigt, es handele sich um einen Tee. Es kann, mit anderen Worten, nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein, ob die Kräuter etwa nach einem Aufguss als Tropfen eingenommen oder, was angesichts des Krankheitsbildes denkbar wäre, als Tinktur verwendet werden; in diesen Fällen würde sich die Frage nach der Möglichkeit eines Ersatzes für Güter des täglichen Bedarfs nicht stellen. Zudem sprechen die nicht unerheblichen Kosten der Kräuter - die hier angefallenen stammen aus dem Zeitraum 18.05. bis 06.07.2000 - dagegen, diese in ihrer Zubereitung und Einnahme als Tee und damit als reines Getränk, wenn auch mit therapeutischen Nebenwirkungen anzusehen. Auch die Tatsache, dass, wie Fr. Dr. J. dem Gericht gegenüber tel. erläutert hat, die Verwendung der Kräuter auf ärztliche Verordnung und unter ständiger Aufsicht - insoweit wurde auf Vorstellungstermine etwa im 2-Wochen-Abstand hingewiesen - erfolge, spricht gegen die Einschätzung, dass es sich um ein reines Getränk handelt. Schließlich ändert sich im Rahmen der Therapie üblicherweise die Zusammensetzung der Mittel sowohl von der Anzahl als auch von der Menge, wie bereits erwähnt. Auch dieser Gesichtspunkt spricht für die ausschließliche Anwendung der Kräuter als Arzneimittel. Eine ausschließlich allgemeine gesundheitsfördernde Wirkung kommt den Kräutern nicht zu; für diese Annahme fehlen einerseits jegliche Hinweise, andererseits spricht die schriftliche Stellungnahme von Fr. Dr. J. gegenüber dem beklagten Amt vom 20.07.2000 dafür, dass in gewissen Grenzen durchaus die erwünschte Wirkung eingetreten ist. Hiernach sind die verordneten Mittel nicht als Ersatz für Güter des täglichen Bedarfs anzusehen.
Dessen ungeachtet gilt ein weiteres:
Aus den Hinweisen des BMI zu den BhV ( hier: Nr. 4 zu § 6 Abs. 1 Nr. 2 ) ergibt sich, dass, entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 4 BhV, in Ausnahmefällen etwa Aufwendungen für vollbilanzierte Formeldiäten ( ansonsten unzweifelhaft Nahrungsmittel als Güter des täglichen Bedarfs ) beihilfefähig sind, wenn die Notwendigkeit durch entsprechende ärztliche Bescheinigung bei bestimmten Krankheitsbildern belegt ist. Dies rechtfertigt, da die Beihilfevorschriften „nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz ihres Charakters als Verwaltungsvorschriften im Hinblick auf ihre besondere rechtliche Form und ihre ungewöhnliche rechtliche Bedeutung wie Rechtsvorschriften auszulegen sind (u.a. Urteile vom 21. November 1994 - BVerwG 2 C 5.93 - Buchholz 270 § 6 Nr. 8 und vom 30. März 1995 - BVerwG 2 C 9.94 - Buchholz 270 § 8 Nr. 2)“ ( so BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1999, Az: 2 C 29/98, in NVwZ-RR 2000, 99 ), den Schluss, dass auch in anderen Fallkonstellationen Ausnahmefälle denkbar sind.
Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier vor. Insoweit ist der Rückgriff auf die Erwägungen, die zur Anerkennung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für eine wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode gelten, zulässig. Dort kann eine Behandlung u.a. dann als beihilfefähig anerkannt werden, wenn eine andere mögliche Behandlung bereits erfolglos angewandt wurde oder aus medizinischen Gründen nicht in Betracht kommt. Dies ist hier der Fall, wie sich insbesondere aus der Stellungnahme der Fr. Dr. J. gegenüber dem beklagten Amt vom 20.07.2000 ergibt; dass das Krankheitsbild bei der 1984 geborenen Tochter des Klägers der Behandlung bedarf, liegt auf der Hand.
Demgegenüber kann sich das beklagte Amt nicht auf die eingeholte Stellungnahme des Gesundheitsamtes V. berufen. Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass das Gesundheitsamt mangels eigener Sachkenntnis keine Aussagen über die Notwendigkeit und Angemessenheit der Aufwendungen treffen konnte ( vgl. § 5 Abs. 1 S. 4 BhV ), so dass die Festsetzungsstelle, die ohnehin selbst entscheidet, sich hierauf nicht stützen kann. Ebenso wenig kommt es auf die vorgelegten Stellungnahmen der Gesundheitsämter des Landkreises sowie der Stadt H. an, weil diese entweder keine Aussage über die zu behandelnde Krankheit treffen oder aber mit Kopfschmerzen und HWS-Syndrom ein völlig anderes Krankheitsbild betreffen.
Einer Anerkennung der Beihilfefähigkeit steht auch nicht § 6 Abs. 2 BhV entgegen. Nach dieser Vorschrift kann das Bundesministerium des Innern die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für bestimmte Untersuchungen oder Behandlungen ausschließen, was den Ausschluss der für diese Behandlungen verwendeten Arzneimittel nach sich zöge. Die Behandlungsmethode der „Traditionellen Chinesischen Medizin“, die zur Verwendung der hier verordneten Mittel führt, ist von den Ausschlüssen im Sinne der genannten Vorschrift jedoch nicht erfasst, wie auch das VG Bremen in seiner zitierten Entscheidung vom 07.08.2002 hervorhebt.
Ein Ausschluss auf der Grundlage des § 6 Abs. 4 BhV - die Vorschrift ermöglicht Ausschlüsse für die Anerkennung der Beihilfefähigkeit für bestimmte Arzneimittel - liegt ebenfalls nicht vor. Einen derartigen Ausschluss hat das BMI in den Hinweisen zu der genannten Vorschrift nur für Präparate zur Behandlung von erblich bedingtem Haarausfall bei Männern ausgesprochen.