Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 30.07.2021, Az.: 6 U 92/21

Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug; Zulässigkeit eines Thermofensters; Keine Nachprüfung von Verwaltungsakten durch die ordentlichen Gerichte; Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
30.07.2021
Aktenzeichen
6 U 92/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 49799
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - 26.02.2021 - AZ: 5 O 619/20

In dem Rechtsstreit
AA, Inhaber der Firma BB, Ort1,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
gegen
CC AG, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden DD, Ort2,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht (...) und die Richter am Oberlandesgericht (...) und (...) auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juli 2021 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Aurich vom 26.02.2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger verfolgt Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte wegen einer seiner Ansicht nach erfolgten Manipulation der Abgaswerte des von ihm erworbenen Kraftfahrzeugs.

Der Kläger schloss mit der EE GmbH einen Leasingvertrag über einen Neuwagen Pkw1 ab, der von der Beklagten hergestellt und mit einem Motor des Typs Typ1 ausgestattet worden war.

Er hat gemeint, er habe gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 826 BGB auf Erstattung der bislang gezahlten Leasingraten von 8.140,00 EUR sowie Freistellung von der weiteren Ratenzahlungsverpflichtung, weil das Fahrzeug mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen sei. Hierzu hat er u.a. behauptet, die Beklagte habe eine Software (Fahrkurve, Akustikfunktion) installiert, die die Prüfungssituation erkenne und unter diesen Bedingungen die Abgasaufbereitung so optimiere, dass möglichst wenig Stickoxide entstünden. Im normalen Fahrbetrieb würden dagegen Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb gesetzt, weshalb die Stickoxidemissionen dann erheblich höher seien.

Die Beklagte hat gemeint, bei einem Leasingvertrag bestehe schon deshalb kein Schadensersatzanspruch, weil der Abschluss des Vertrags für den Kläger nicht mit einer ungewollten nachteiligen Verbindlichkeit verbunden gewesen sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil sie unschlüssig sei. Der Kläger habe nicht schlüssig vorgetragen, dass in dem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei, sondern nur Behauptungen ins Blaue aufgestellt.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiter. Er rügt insbesondere, das Landgericht habe sein Vorbringen zu Unrecht als Vortrag ins Blaue behandelt. Zur Begründung verweist er vor allem auf das Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 09.04.2021 - 8 U 68/20 - (BeckRS 2021, 8880) sowie auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020 - VII ZR 57/19 - (NJW 2020, S. 1740 [BGH 28.01.2020 - VIII ZR 57/19]).

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Aurich vom 26.02.2021

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 8.140,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.04.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Pkw Pkw1, FIN (...),

2. die Beklagte von den weiteren Raten aus dem Leasingvertrag Nr. (...) der FF GmbH, Ort3, freizustellen,

3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des unter Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet,

4. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 924,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.04.2020 freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte tritt der Berufung unter Vorlage von Auskünften des KBA gegenüber verschiedenen Gerichten entgegen.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB oder aus einem anderen Rechtsgrund gegen die Beklagte wegen der angeblichen Manipulation des in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motors des Typs Typ1.

Zwar kann, wie das Landgericht richtig ausgeführt hat, in dem Inverkehrbringen eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.d der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegen, die einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB gegen die Herstellerin begründen kann (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, juris Rn. 12 ff.). Auf seine Auffassung, die Beklagte habe das streitgegenständliche Fahrzeug mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen, kann der Kläger seine Ansprüche jedoch nicht mit Erfolg stützen, weil der Berücksichtigung seines Vorbringens die Tatbestandswirkung der uneingeschränkt gültigen Typgenehmigung des Fahrzeugs entgegensteht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt die Nachprüfung von Verwaltungsakten den ordentlichen Gerichten grundsätzlich nicht zu (vgl. BGH, Urteil vom 16.03.2021 - VI ZR 773/20 -, BeckRS 2021, 6374; Urteil vom 04.08.2020 - II ZR 174/19, z.V.b. in BGHZ 226, 329 Rn. 35; BGH, NVwZ-RR 2008, S. 154; NJW 1998, S. 3055; BGHZ 158, 19; jeweils m.w.N.), solange ein solcher Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.07.2020 - 5 U 4765/19 -, BeckRS 2020, 17693 Rn. 16; OLG Oldenburg, Beschluss vom 01.12.2020 - 11 U 58/20 -, juris Rn. 78 m.w.N.). Vielmehr besteht grundsätzlich die Pflicht, die durch den Verwaltungsakt getroffenen Regelungen bzw. Feststellungen den weiteren Entscheidungen zugrunde zu legen (vgl. Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 43 VwVfG Rn. 20 m.w.N.). Diese sog. Tatbestandswirkung tritt ein im Umfang der materiellen Bestandskraft des Verwaltungsakts und wirkt prinzipiell gegenüber jedermann, insbesondere auch gegenüber anderen Behörden und Gerichten (vgl. BGHZ 158, 19 Rn. 13; Goldhammer, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Stand Juli 2020, § 43 Rn. 75).

Die EG-Typgenehmigung ist die für einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union in Anwendung der Richtlinie 2007/46/EG, der Richtlinie 2002/24/EG sowie der Richtlinie 2003/37/EG erteilte Bestätigung, dass der zur Prüfung vorgestellte Typ eines Fahrzeuges, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbständigen technischen Einheit die einschlägigen Vorschriften und technischen Anforderungen erfüllt (so die Begriffsbestimmung in § 2 Nr. 4 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung). Mit der Erteilung der Typgenehmigung hat das Kraftfahrtbundesamt somit dem Hersteller, hier der Beklagten, bestätigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell die Anforderungen der "einschlägigen Vorschriften" erfüllt, mithin auch diejenigen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 hinsichtlich der Schadstoffemissionen. Es handelt sich hierbei um einen Verwaltungsakt des Kraftfahrtbundesamtes gegenüber dem Fahrzeughersteller, dem hierdurch ermöglicht wird, die dem genehmigten Typ entsprechenden einzelnen Fahrzeuge unter Ausstellung und Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung (§ 22 EG-FGV) in den Verkehr zu bringen. Hat aber die zuständige Behörde in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt dem Hersteller bescheinigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell insbesondere im Hinblick auf die Schadstoffemissionen den Anforderungen genügt, so sind die Zivilgerichte aufgrund der Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes daran gehindert, in einem Rechtsstreit zwischen einem Fahrzeugkäufer und dem Hersteller etwas anderes anzunehmen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.07.2020 - 5 U 4765/19 -, BeckRS 2020, 17693 Rn. 16). Mit der Tatbestandswirkung der vom Kraftfahrtbundesamt bestandskräftig erteilten und unverändert - also nicht durch nachträgliche Nebenbestimmungen eingeschränkten - wirksamen Typgenehmigung wäre die Annahme nicht vereinbar, die Beklagte habe (auch) dem Kläger gegenüber mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges, das dem genehmigten Typ entspricht, gegen die guten Sitten verstoßen, weil das Fahrzeug mit einer nicht zulässigen Abschalteinrichtung versehen sei, die der Erteilung einer Genehmigung entgegenstünde (OLG Nürnberg, a.a.O.; OLG Celle, Hinweisbeschluss vom 07.08.2019 - 7 U 726/19 -; OLG Frankfurt, Urteil vom 12.06.2020 - 10 U 193/19 -; OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss vom 27.01.2020 - 5 U 395/19 -; Beschluss vom 01.12.2020 - 11 U 58/20 - juris Rn. 77 f.).

Zwar könnte sich die Beklagte auf die Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung nicht berufen, wenn sie diese Genehmigung durch eine arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörde, also des Kraftfahrtbundesamtes, erschlichen hätte; ein solcher Fall lag der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 zu dem Motortyp Typ2 zugrunde (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, juris Rn. 2 f.). Ebenso kann sich ein Hersteller nicht auf die Tatbestandswirkung der Typgenehmigung berufen, wenn er - möglicherweise - das KBA oder sonst zuständige Behörden und Einrichtungen im Typgenehmigungsverfahren getäuscht und die Typgenehmigung auf diese Weise erschlichen hat, obwohl eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem Fahrzeug vorhanden ist, wovon das KBA noch keine Kenntnis hat. Das ist die Situation, die dem Beschluss des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Frage der Überspannung der Substantiierungsanforderungen an die Darlegung des Vorhandenseins eines Sachmangels wegen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Dieselmotor zugrunde lag; der Bundesgerichtshof hat dort betont, dass greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auch dann gegeben sein können, wenn das KBA eine Rückrufaktion gegenüber dem Hersteller noch nicht angeordnet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 28.01.2020 - VIII ZR 57/20 -, juris Rn. 13; Hervorhebung durch den Senat).

Eine dieser Ausnahmesituationen liegt hier aber nicht vor. Weder steht auf Grund einer bestandskräftigen Entscheidung des KBA fest, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem Motor Typ1 installiert ist, noch kann auf Grund des Vorbringens des Klägers die Möglichkeit bestehen, dass das KBA künftig eine solche Entscheidung noch treffen wird. Vielmehr hat das KBA den Motortyp bereits umfassenden Untersuchungen unterzogen und dabei keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt. Wie aus zahlreichen dem Senat vorliegenden KBA-Auskünften gegenüber verschiedenen Gerichten zu ersehen ist, sieht sich das KBA nicht getäuscht, sondern hält an der erteilten Typgenehmigung fest, und das nach eingehenden Untersuchungen. Die Tatbestandswirkung dieser Typgenehmigung haben die Zivilgerichte zu beachten. Darauf, ob sich das KBA in diesem Zusammenhang möglicherweise einer ursprünglich von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung "angeschlossen" hat, wie der Kläger meint, kommt es nicht an. Eine Rechtsauffassung wird nicht dadurch falsch, dass sie (möglicherweise) zuerst von der Beklagten vertreten worden ist. Die Typgenehmigung ist vom KBA in seiner Eigenschaft als dafür zuständige Fachbehörde erteilt worden. Das KBA hält die vom Kläger und anderen kritisierten Funktionen des Motors ausdrücklich nicht für unzulässige Abschalteinrichtungen. Unter diesen Umständen bestand und besteht keine Gefahr des Widerrufs der Zulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, das von dem Kläger vielmehr jederzeit uneingeschränkt genutzt werden konnte und kann.

Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, ist dem Senat aus einer Vielzahl amtlicher Auskünfte gegenüber Gerichten im ganzen Bundesgebiet bekannt, dass das KBA die Motoren des Typs Typ1 umfangreichen Untersuchungen unterzogen hat. Dabei wurde in keinem Fall eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. Das KBA hat wiederholt ausgeführt, dass nicht jede Funktion, die der Erkennung des Prüfstands dient, unzulässig ist. Eine unzulässige Abschalteinrichtung liegt vielmehr nur vor, wenn die Erkennung des Prüfstands Auswirkungen auf die Steuerung der Abgasemissionen des Fahrzeugs hat, wenn also - wie bei dem ebenfalls von der Beklagten entwickelten Motor Typ2 - auf dem Prüfstand ein anderes (besseres) Emissionsverhalten bewirkt wird als im sonstigen Fahrbetrieb. Das ist bei den Motoren des Typs Typ1 nach den Feststellungen des KBA jedoch nicht der Fall.

So hat das KBA etwa mit Schreiben vom 11.02.2021 (Anlage zur Terminsladung) gegenüber dem 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg u.a. ausgeführt:

Jedes Fahrzeug mit Dieselmotor und AGR verfügt über eine temperaturgeführte AGR-Regelung (sog. "Thermofenster"). Diese führt in der Regel zu einer Reduktion der AGR-Raten bei niedrigen Umgebungs-, Ansaugluft- oder Ladelufttemperaturen. Für das betroffene Fahrzeug wurde mit Bezug auf die temperaturgeführte AGR-Regelung keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt.

In einer anderen amtlichen Auskunft des KBA gegenüber dem Landgericht Berlin vom 01.02.2021, die dem Senat ebenfalls vorliegt, hat das KBA u.a. erklärt:

Das KBA führte insgesamt sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des Entwicklungsauftrags (EA) Typ1 durch. Es wurde weder bei dem streitgegenständlichen Fahrzeugtypen Pkw1 noch bei einem anderen Fahrzeug, welches ein Aggregat des Typ1 aufweist, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. Es wurden daher weder Nebenbestimmungen angeordnet noch besteht ein behördlich angeordneter Rückruf aufgrund als unzulässig eingestufter Abschalteinrichtungen.

Dem Senat liegen noch zahlreiche weitere amtliche Auskünfte des KBA vor, die alle bestätigen, dass nach umfangreichen Untersuchungen von Fahrzeugen mit Motoren des Typs Typ1 keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde. Auch in dem angefochtenen Urteil des Landgerichts wird eine entsprechende Auskunft des KBA gegenüber dem Landgericht Aurich vom 11.01.2021 zitiert. Weitere derartige Auskunftsschreiben des KBA hat die Beklagte als Anlagen zur Berufungserwiderung vorgelegt.

Der Kläger stützt seine Rechtsauffassung, die Beklagte habe in seinem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen installiert, allein auf die von dem KBA im Rahmen seiner Untersuchungen überprüften Funktionen zur Erkennung des Prüfstands sowie insbesondere das sog. Thermofenster. Diese Funktionen sind aber nach den maßgeblichen Feststellungen des KBA als der zuständigen Fachbehörde keine unzulässigen Abschalteinrichtungen. An diese Bewertung sind die Zivilgerichte wegen der Tatbestandswirkung der Typgenehmigung gebunden.

Aus diesem Grund kann auch der vom Kläger zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg (OLG Naumburg, Urteil vom 09.04.2021 - 8 U 68/20 -, BeckRS 2021, 8880) nicht gefolgt werden. Das Oberlandesgericht Naumburg hat entschieden, dass dem dortigen Kläger ein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB zustehe; dort ging es um einen ebenfalls von der Beklagten hergestellten Pkw Pkw3 mit einem Motor des Typs Typ1. Die Beklagte habe, so das Oberlandesgericht Naumburg, potentielle Erwerber von Fahrzeugen getäuscht, indem sie mit dem Inverkehrbringen des Motors Typ1 EU6 mit NSK-Technologie konkludent erklärt habe, dass die Fahrzeuge im Zeitpunkt des Vertragsschlusses über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügen würden, deren Fortbestand nicht dadurch gefährdet sei, dass die erforderliche EG-Typgenehmigung durch eine Täuschung des KBA erschlichen worden sei. Diese Erklärung sei unzutreffend gewesen, weil es sich bei der streitgegenständlichen Software um eine gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung gehandelt habe (vgl. OLG Naumburg, a.a.O., Rn. 15). Das unter Bezugnahme auf verschiedene Landgerichtsurteile erfolgte Vorbringen des Klägers sei hinreichend substantiiert, mit der Folge, dass die Beklagte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast gehalten gewesen sei, vorzutragen, dass und warum hier keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege (OLG Naumburg, a.a.O., Rn. 16). Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass (auch) nach Auffassung des KBA eine Abschalteinrichtung nicht unzulässig sei, sofern auch bei ihrer Deaktivierung die Grenzwerte eingehalten würden, denn insoweit sei nicht die Beklagte bei der Installierung der Abschalteinrichtung einer diesbezüglich bereits bestehenden Rechtsauffassung des KBA gefolgt; vielmehr habe sich das KBA der von der Beklagten nach Offenlegung der im Typ1 verbauten Abschalteinrichtung hierzu vertretenen und "jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrenden Rechtsauffassung" angeschlossen (OLG Naumburg, a.a.O., Rn. 31).

Dem Urteil ist zu entnehmen, dass dem Oberlandesgericht Naumburg (wie dem Senat) KBA-Auskünfte gegenüber verschiedenen Gerichten vorlagen (vgl. OLG Naumburg, a.a.O, Rn. 23). Aus den dazu erfolgten sowie den vorstehen zitierten Ausführungen ist zu ersehen, dass das Oberlandesgericht Naumburg die rechtliche Bewertung der Motorkonstruktion des Typ1 durch das KBA für falsch hält und eine eigene umfassende rechtliche Würdigung der Fahrzeugfunktionen des von der Beklagten hergestellten Pkw vornimmt (vgl. OLG Naumburg, a.a.O., Rn. 17-25). Das Oberlandesgericht Naumburg setzt sich gewissermaßen an die Stelle des KBA und begründet im Einzelnen, warum seine Rechtsauffassung derjenigen des KBA vorzuziehen sei; die abweichende rechtliche Bewertung des KBA habe "keinerlei Grundlage" in der VO (EG) Nr. 715/2007 und sei "auch sonst haltlos" (OLG Naumburg, a.a.O., Rn. 25).

Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Der eigenständigen Feststellung, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege, steht die Tatbestandswirkung der bestandskräftigen und auch nicht durch nachträgliche Nebenbestimmungen eingeschränkten Typgenehmigung entgegen. Bei der Einstufung einer Motorfunktion oder eines Bauteils eines Fahrzeugs etc. als unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. VO (EG) 715/2007 handelt es sich nicht um tatsächliche Feststellungen, sondern um die rechtliche Bewertung tatsächlicher Umstände. Diese Bewertung steht dem KBA als der zuständigen Verwaltungsbehörde zu. Die Verwaltungsakte, die von dieser zuständigen Behörde erlassen worden sind, unterliegen gegebenenfalls der Prüfung durch die Verwaltungsgerichte. Zivilgerichten kommt eine solche Prüfung hingegen grundsätzlich nicht zu, wie oben im Einzelnen ausgeführt.

Im Ergebnis möchte der Kläger erreichen, dass ein ihm günstiger Verwaltungsakt - die Typgenehmigung zu Gunsten seines Fahrzeugs - entgegen der ausdrücklichen Beurteilung der zuständigen Behörde von den Zivilgerichten für rechtswidrig erklärt wird, damit er sodann einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte geltend machen kann, den er auf die Gefahr des Widerrufs der Betriebszulassung seines Fahrzeugs wegen der (vermeintlichen) Unwirksamkeit der Typgenehmigung stützen will. Diesem Ansinnen kann kein Erfolg beschieden sein.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird zugelassen, weil gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.