Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 22.07.2021, Az.: 8 U 201/20

Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug; Motor der Baureihe EA 288; Zulässigkeit eines Thermofensters; Fahrkurvenerkennung in einer Motorsteuerung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
22.07.2021
Aktenzeichen
8 U 201/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 49795
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - 14.09.2020 - AZ: 5 O 297/20

In dem Rechtsstreit
AA, Ort1
Klägerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
(...)
Geschäftszeichen: (...)
gegen
BB AG, vertreten durch den Vorstand, Ort2,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 2021 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht (...), die Richterin am Oberlandesgericht Dr. (...) und den Richter am Amtsgericht (...)
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 14. September 2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Aurich wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Dieses Urteil ist wie auch das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin kaufte am 17. Februar 2017 von der Autohaus CC GmbH einen gebrauchten PKW1 zum Kaufpreis von 28.000 €, in dem ein Dieselmotor der Baureihe EA 288 und - nunmehr unstreitig - ein NSK-Katalysator eingebaut sind. Zum Zeitpunkt des Kaufs wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 14.733 km auf.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten als Herstellerin des Motors aus deliktischer Haftung im Wesentlichen die Erstattung des Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung gegen Rückgabe des Fahrzeugs und trägt vor, in ihrem Fahrzeug seien verschiedene unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut.

Wegen der Feststellungen und weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), mit dem das Landgericht die Klage abgewiesen hat.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie - unter Wiederholung und Vertiefung sowie teilweiser Abänderung ihres erstinstanzlichen Vorbringens -zuletzt folgende Anträge verfolgt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19.547,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke DD vom Typ PKW1 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ... nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein und Kfz-Brief.

Hilfsweise beantragt die Klägerin:

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. v. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 durch die Beklagte in das Fahrzeug der Marke DD vom Typ PKW1 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ... resultieren.

Weiter beantragt die Klägerin:

3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.

4. Es wird festgestellt, dass der in Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.

5. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.077,74 freizustellen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin im Hinblick auf den im Vergleich zu dem zunächst verfolgten Antrag zu 1 sich ergebenden Differenzbetrag den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem sie aufgrund der zusätzlich zurückgelegten Fahrleistung von einer höheren Nutzungsentschädigung (8.452,80 €) ausgeht. Die Beklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen.

II.

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Klägerin hat zwar die von der Beklagten bestrittene Aktivlegitimation durch die vorgelegten Vertragsunterlagen (Anlage K1) und die Zulassungsbescheinigung Teil I (S. 10 des Schriftsatzes vom 14. August 2020, GA II 108) hinreichend nachgewiesen. Ihr stehen gegen die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche aber aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB.

Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Beklagten liegt nicht vor. Im Hinblick auf die einzelnen von der Klägerin zuletzt (noch) behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen gilt Folgendes:

a) Thermofenster

Soweit die Klägerin vorträgt, in ihrem Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt eines sogenannten Thermofensters verbaut, hat sie die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht dargelegt. Zudem fehlt es jedenfalls an der für einen Anspruch nach § 826 BGB erforderlichen Sittenwidrigkeit.

aa) Die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, Rn. 19) hat Umstände, aus denen sich das Verhalten der Beklagten in Bezug auf die Verwendung eines Thermofensters als objektiv sittenwidrig qualifizieren ließe, nicht hinreichend vorgetragen.

Dabei kann dahinstehen, ob die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems bei Außentemperaturen außerhalb von +20° C bis +30°C sinkt und sich dies als eine unzulässige Abschalteinrichtung qualifizieren ließe. Denn selbst wenn man diesen Vortrag der Klägerin als richtig unterstellt, reicht dies für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben.

(1) Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung sind nämlich nicht bereits deshalb gegeben, weil die Beklagte den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat. Dieses Verhalten ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, aaO, Rn. 13). Denn der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19) zugrunde lag. Die in jener Entscheidung zu beurteilende Software war (von der BB AG in Motoren der Baureihe EA 189) bewusst und gewollt so programmiert worden, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden (Umschaltlogik); sie zielte damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ab (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, aaO, Rn. 16). Dagegen fehlt es bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems, die nicht danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im realen Fahrbetrieb befindet, an einem derartigen arglistigen Vorgehen des Herstellers. Das Thermofenster weist damit jedenfalls - auch nach dem Vortrag der Klägerin - keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern es arbeitet in beiden Fahrsituationen grundsätzlich in gleicher Weise (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, aaO, Rn. 18).

(2) Deshalb ist bei der Verwendung einer entsprechend temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber dem Hersteller nur gerechtfertigt, wenn zu einem etwaigen Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klägerin (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, aaO, Rn. 19).

(a) Soweit die Klägerin behauptet, die Beklagte habe ein Thermofenster entwickelt, das von Außenstehenden und dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in seiner Funktion nicht nachvollzogen werden könne und dass die Zulassung und Typgenehmigung erschlichen worden seien, lassen sich keine tragfähigen Rückschlüsse auf das Vorstellungbild der für die Beklagte handelnden Personen ziehen.

(b) Aus möglichen Angaben der Beklagten im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens, die auf eine Verschleierung des Umstands, dass die Abgasrückführungsrate in dem Fahrzeugtyp durch die Außentemperatur mitbestimmt wird, hindeuten könnten, ließen sich zwar Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen gewinnen, eine etwaig unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, aaO, Rn. 24). Hier lässt sich dem tatsächlichen Vorbringen der Klägerin aber nicht entnehmen, dass die Beklagte die Verwendung einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführungsrate gegenüber dem KBA verschleiert hätte. Dem von der Klägerin verwendeten Begriff des Erschleichens liegt bereits eine Wertung zu Grunde, ohne dass sich ihrem Vortrag entnehmen ließe, auf welcher tatsächlichen Grundlage diese Wertung beruht. Insbesondere ergibt sich nicht, ob die Klägerin in tatsächlicher Hinsicht davon ausgeht, dass die Beklagte im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens objektiv unrichtige Angaben hinsichtlich der Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht hat, oder ob sie meint, dass die Beklagte bestimmte Angaben verschwiegen hat.

(3) Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen ließe sich das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen in Bezug auf einen möglichen Schaden der Klägerin selbst dann nicht als besonders verwerflich bewerten, wenn davon auszugehen wäre, dass die Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters einen Gesetzesverstoß für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hätten. Denn insoweit wäre nicht nur auf die Entwicklung des Thermofensters und das Inverkehrbringen des Fahrzeugs abzustellen, sondern auch auf das weitere Verhalten bis zu dem Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin im Februar 2017. Denn für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln, wobei das gesamte Verhalten des (vermeintlichen) Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen ist (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, Rn. 30). Demnach ist bei der Bewertung des Verhaltens der für die Beklagte handelnden Personen auch zu berücksichtigen, dass diese nach dem unstreitigen Vortrag der Beklagten das KBA im Rahmen eines "Technik-Workshops" am 22. Januar 2016 über das verwendete Thermofenster in Kenntnis gesetzt haben. Damit lagen dem KBA jedenfalls seit Januar 2016 in tatsächlicher Hinsicht die notwendigen Informationen vor. Der nachfolgende Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin in Unkenntnis der - nach ihrer Auffassung - unzulässigen Abschalteinrichtung wäre demnach nicht auf eine unvollständige Information des KBA oder gar die Aufrechterhaltung einer etwaigen Täuschung der Beklagten zurückzuführen, sondern darauf, dass das KBA die Regelungen der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 (ebenfalls) unzutreffend ausgelegt und deshalb von Anordnungen gemäß § 25 Abs. 2 EG-FGV oder § 25 Abs. 3 Nr. 1 EG-FGV abgesehen hätte. Aus dem Unterbleiben entsprechender Anordnungen konnte die Beklagte des Weiteren schließen, dass die für das Typgenehmigungsverfahren zuständige Behörde ihre Rechtsauffassung hinsichtlich des Nichtvorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Bezug auf das verwendete Thermofenster teilt. Der Beklagten ist daher nicht vorzuwerfen, in den (unveränderten) Fortbestand der Typgenehmigung(en) vertraut und die bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge nicht zurückgerufen haben.

bb) Abgesehen davon dringt die Klägerin mit ihren Behauptungen zur Ausgestaltung des Thermofensters nicht durch. Sie hat zur Funktionsweise des Thermofensters vorgetragen, die Höhe der Abgasrückführungsrate werde durch eine temperaturgestützte Abschaltvorrichtung erreicht. Dabei erfolge die Reduzierung durch die Software der Motorsteuerung in Abhängigkeit von der Außenlufttemperatur. Außerhalb des Temperaturfensters von +20° C bis +30°C sinke die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems. Es handele sich insoweit um eine temperaturgebundene Prüfstanderkennung. Demgegenüber stellt die Beklagte die Verwendung eines Thermofensters grundsätzlich nicht in Abrede. Sie trägt jedoch vor, die Abgasrückführung sei bei einer Außentemperatur zwischen -24°C und +70°C zu 100% aktiv, sodass keine Reduktion der Abgasrückführungsrate erfolge. Da die Klägerin keine greifbaren Anhaltspunkte für ihre abweichenden Behauptungen vorträgt und solche auch nicht ersichtlich sind, handelt es sich um Behauptungen ins Blaue hinein.

Auf der Grundlage des danach zu Grunde zu legenden Sachvortrags der Beklagten hinsichtlich der Ausgestaltung des Thermofensters fehlt es in Bezug auf die Deaktivierung der Abgasrückführung ab Temperaturen von mehr als 70° C bereits an einer Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, da die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems nicht bei Bedingungen eintritt, die bei normalen Betrieb des Fahrzeugs in dem Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu erwarten sind. Die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems bei Temperaturen von weniger als -24° C mag zwar (noch) als Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sein. Bei einer erst ab diesem Temperaturbereich erfolgenden Deaktivierung der Abgasrückführung bestehen aber erst Recht keine Anhaltspunkte dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben könnten, dass die Voraussetzungen des Tatbestands des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht erfüllt sein könnten.

b) Fahrkurvenerkennung

Nachdem die Klägerin zunächst behauptet hat, in ihrem Fahrzeug sei ein SCR-Katalysator verbaut, hat sie mit Schriftsatz vom 29. Juni 2021 unstreitig gestellt, dass das Fahrzeug über einen NSK-Katalysator verfügt.

Die Klägerin trägt nunmehr vor, in ihrem Fahrzeug werde eine Fahrkurve genutzt, um zu erkennen, ob sich das Fahrzeug im oder außerhalb des Prüfzyklus befinde und um Abgasnachbehandlungsevents exakt planen und auslösen zu können. So erkenne der NSK-Katalysator anhand eines internen Beladungsmodells seinen Beladungszustand. Zusätzlich erkenne das Fahrzeug durch eine Fahrkurve den Precon und den Fahrzyklus und führe eine Unterscheidung der Regenationsstrategien nach Fahrprofil durch mit der Folge, dass das Beladungsmodell auf null zurückgesetzt werde und im Vergleich zum Realbetrieb niedrigere Emissionen entstünden, da im Realbetrieb die Regeneration zu einem nicht steuerbaren, mithin beliebigen Zeitpunkt abhängig von der Beladung des NSK und der gegebenen Fahrsituation stattfinde. Die Beklagte hat die (teilweise) Verwendung von Fahrkurven in Motoren der Baureihe EA 288 grundsätzlich nicht in Abrede gestellt, geht jedoch davon aus, dass dies nicht unzulässig ist.

aa) Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich bereits nicht, wie sie zu dem Schluss kommt, dass auf dem Prüfstand niedrigere Emissionen entstehen sollen als im Realbetrieb. Denn sie legt nicht dar, wie das Emissionskontrollsystem außerhalb des Prüfstandes funktioniert, das heißt in welchen strecken- beziehungsweise beladungsabhängigen Abständen Regenerationen erfolgen, und weshalb außerhalb des Prüfzyklus zwingend stärkere Emissionen entstehen sollen. Dies ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin - allerdings noch im Zusammenhang mit ihren nunmehr hinfälligen Ausführungen zum SCR-Katalysator - vorgelegten Applikationsrichtlinie vom 18. November 2015 mit der "Applikationsanweisung Diesel Fahrkurven EA288 NSK" (Anlage K2d). Dort heißt es lediglich:

"NSK: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Fahrkurven zur Erkennung des Precon und des NEFZ, um die Abgasnachbehandlungsevents (...) nur streckengesteuert zu platzieren. Im normalen Fahrbetrieb strecken- und beladungsgesteuerte Platzierung der Events (...)".

Dieser Anweisung kann nicht entnommen werden, dass die Wirkung von Emissionskontrollsystemen durch die Verwendung einer Fahrkurve verringert wird. Vielmehr deutet eine streckengesteuerte Platzierung der Abgasnachbehandlungsevents beziehungsweise Regenerationen darauf hin, dass eine vollständige Entladung vor dem Durchlaufen des Prüfzyklus erfolgt, da es ansonsten vom Zufall abhängen würde, in welchem Beladungszustand der NSK-Katalysator sich bei Beginn des Prüfzyklus befindet und eine konkrete Abbildung der allein (und insoweit maßgeblich) während des Prüfzyklus entstehenden Emissionen verfälscht würde, wenn nicht (zufällig) unmittelbar vor Beginn des Prüfzyklus eine strecken- oder beladungsgesteuerte Abgasnachbehandlung im Realbetrieb stattgefunden hätte.

Im Übrigen hat das KBA unter anderem in einer Auskunft gegenüber dem Landgericht Berlin vom 1. Februar 2021 (Anlagenkonvolut BB1; GA III 32) zu einem unstreitig mit einem NSK-Katalysator ausgestatteten Fahrzeug aus der Motorbaureihe EA 288 ausgeführt:

"Die Fahrkurvenerkennung in der Motorsteuerung der Aggregate des Entwicklungsauftrags (EA) 288 wird nach den Untersuchungen des KBA nicht als unzulässige Abschalteinrichtung beurteilt. Der bloße Verbau einer Fahrkurvenerkennung ist nicht unzulässig, solange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Abs. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 genutzt wird. Prüfungen im KBA zeigen, dass auch bei Deaktivierung der Funktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden, sodass es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt."

Es fehlt damit an Anhaltspunkten für die von der Klägerin gezogene Schlussfolgerung, die Verwendung der Fahrkurve führe zu niedrigeren Emissionswerten im Prüfzyklus. Mangels Darlegung greifbarer Anhaltspunkte ist auch keine Beweisaufnahme angezeigt, da diese auf eine unzulässige Ausforschung hinausliefe.

bb) Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen lässt sich in Bezug auf den Schaden, den die Klägerin durch den Erwerb des Fahrzeugs im Februar 2017 erlitten haben will, eine objektiv sittenwidrige Schädigungshandlung der für die Beklagte handelnden Personen aber auch deshalb nicht feststellen, weil diese das KBA im Oktober 2015 über die Fahrkurvenerkennung und die daran geknüpften Funktionen in Kenntnis gesetzt haben.

Dies ergibt sich bereits aus einer E-Mail des Senior Counsel und Diplom-Ingenieurs Fahrzeugtechnik vom 1. Oktober 2015 gegenüber dem KBA, die Bestandteil der von dem EE e.V. veröffentlichten und von der Klägerin selbst auf Seite 9 des Schriftsatzes vom 29. Juni 2021 (GA III 150) in Bezug genommenen "KBA-Dieselgate-Akten" ist. In dieser E-Mail (Seite 59 des Berichts des Deutsche Umwelthilfe e.V.) bestätigt die Beklagte das Vorliegen einer Fahrkurve: "Die Motor-Software enthält eine Fahrkurve zur Präkonditionierung sowie eine Temperatur- und eine Weg-Zeit-Sensierung, die mit Toleranzzugabe die Weg-Zeit-Funktion des NEFZ erkennt..."; wenngleich sie eine Manipulation der Abgaswerte auf dem Prüfstand bestreitet: "Die Motorapplikation für beide Funktionsmodi ist identisch." Ebenfalls Bestandteil der Veröffentlichung sind Präsentationsunterlagen der Beklagten vom 2. Oktober 2015, die gegenüber dem KBA veröffentlicht wurden und im Rahmen der Grafik zur "Umschaltstrategie EA288 EU6 NSK" (Seite 75 des Berichts des EE e.V.) die Funktionsweise darstellen. Dem KBA war mithin der Einbau einer Fahrkurve bereits im Jahr 2015 und damit über ein Jahr vor dem Kauf des Fahrzeugs durch die Klägerin bekannt.

Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen in Bezug auf einen (möglichen) Schaden, der der Klägerin durch den Abschluss des hier fraglichen Kaufvertrages am 17. Februar 2017 entstanden sein könnte, nicht als besonders verwerflich zu bewerten, und zwar auch dann nicht, wenn die Fahrkurvenerkennung und die daran geknüpften Funktionen (entgegen der Bewertung des KBA) als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehen sein sollten. Denn für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln, wobei das gesamte Verhalten des (vermeintlichen) Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen ist (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020, aaO, Rn. 30). Bei dieser Würdigung ist nicht nur auf die Entwicklung und Verwendung der Motorsteuerungssoftware abzustellen, sondern auch die Offenlegung des Sachverhalts durch die Beklagte gegenüber dem KBA und die Bewertung durch diese Behörde zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Erwerbs des Fahrzeugs durch die Klägerin und eines gegebenenfalls hierdurch bedingten Schadenseintritts im Februar 2017 kann daher keine Rede davon sein, dass dieser Schaden auf (der Aufrechterhaltung) einer Täuschung des KBA durch die für die Beklagte handelnden Personen zurückzuführen wäre. Denn das KBA hat für das in Streit stehende Fahrzeugmodell nach der Offenlegung weder einen Rückruf noch irgendwelche anderen Maßnahmen (Software-Updates) angeordnet, sodass die Beklagte jedenfalls von der Gesetzmäßigkeit der Software ausgehen und darauf vertrauen durfte, dass diese den Vorgaben von Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 genügt. Da die zuständige Typgenehmigungsbehörde durch ihre Verwaltungspraxis die öffentlich-rechtlichen Verhaltensanforderungen an die Fahrzeughersteller in Bezug auf die Sicherheit und das Umweltverhalten der Fahrzeuge konkretisiert, kann das von der zuständigen Typgenehmigungsbehörde gebilligte Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen nicht zugleich als ein Verhalten qualifiziert werden, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, wie es für das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB erforderlich wäre (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris, Rn. 15).

Bei dieser Würdigung berücksichtigt der Senat, dass die Offenlegung gegenüber dem KBA im Oktober 2015 nicht freiwillig erfolgt ist, sondern in einer Situation, in der die Beklagte - nach Aufdeckung der Abgasmanipulation bei Dieselmotoren der Baureihe EA 189 - auch im Hinblick auf die Nachfolge-Baureihe EA 288 zu einer Erklärung gezwungen war, weil zahlreiche Fahrzeugmodelle der im Herbst 2015 aktuellen Produktion mit EA 288-Motoren ausgestattet wurden und auch diese Motorbaureihe deshalb unmittelbar nach Bekanntwerden der Abgasmanipulation bei EA 189-Motoren ebenfalls Gegenstand der Kommunikation zwischen dem KBA und der Beklagten war. Der Senat teilt insoweit auch nicht die Auffassung des Oberlandesgerichts Naumburg, dass die Offenlegung der Fahrkurvenerkennung gegenüber dem KBA im Oktober 2015 nicht mit den Fällen vergleichbar sei, in denen Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA 189 erst nach der Adhoc-Mitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 erworben wurden und in denen der Bundesgerichtshof eine Sittenwidrigkeit verneint hat, weil sich die Beklagte hinsichtlich der Motoren der Baureihe EA 288 darauf beschränkt habe, dem KBA offenzulegen, dass auch im Nachfolgemodell EA 288 eine Abschalteinrichtung verbaut wurde, wovon die Öffentlichkeit aber - anders als bei den Motoren der Baureihe EA 189 - nichts erfahren habe (OLG Naumburg, Urteil vom 9. April 2021 - 8 U 68/20, BeckRS 2021, 8880 Rn. 29).

Dass die Öffentlichkeit von der Beklagten nicht über die Offenlegung der Fahrkurvenerkennung bei Motoren der Baureihe EA 288 informiert wurde, schließt eine Berücksichtigung dieser Offenlegung bei der erforderlichen Gesamtwürdigung des Verhaltens der Beklagten bis zum Eintritt des - vermeintlichen - Schadens nicht aus. Vielmehr ist eine Zusammenarbeit mit dem KBA als der zuständigen Genehmigungsbehörde insofern ein maßgeblicher Umstand (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020, aaO, Rn. 30, 37). Dass im Hinblick auf EA 288-Motoren nicht zusätzlich eine Information der Öffentlichkeit erfolgte, fällt demgegenüber nach den vom Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung dargestellten Grundsätzen nicht entscheidend ins Gewicht. Denn über die Manipulationen bei Motoren der Baureihe EA 189 hat die Beklagte die Öffentlichkeit nicht freiwillig informiert, sondern weil sie sich im Herbst 2015 in einer Lage befand, in der die Abgasmanipulation aufgedeckt und sie zu einer Reaktion gezwungen war. Auch die umfassende mediale Berichterstattung ist der Beklagten nicht als eigene Aufklärungsarbeit zuzurechnen, sondern lediglich bei der Beurteilung zu berücksichtigen, welche Anstrengungen von der Beklagten zu unternehmen waren, um ihr Verhalten im Rahmen der notwendigen Gesamtbetrachtung als nicht sittenwidrig erscheinen zu lassen. Die Beklagte hat auch nicht selbst die Abschalteinrichtung bei Motoren der Baureihe EA 189 als illegal gebrandmarkt, sondern ist im Gegenteil dieser (zutreffenden) Bewertung in der Folgezeit entgegengetreten. Sie hat eine bewusste Manipulation geleugnet und hätte - möglicherweise - weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung unternehmen können, was aber für die Begründung des gravierenden Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung gegenüber potenziell geschädigten Fahrzeugkäufern nicht ausreicht. Insbesondere war bei Motoren der Baureihe EA 189 ein aus moralischer Sicht tadelloses Verhalten der Beklagten oder eine Aufklärung, die tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung sicher verhindert, zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit nicht erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020, aaO, Rn. 38). Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf EA 288-Motoren ist zu berücksichtigen, dass das KBA die Fahrkurvenerkennung und die an diese Funktion geknüpften Umschaltungen bei den betroffenen Motoren nicht als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet und deshalb von nachträglichen Anordnungen in Bezug auf die Typgenehmigungen der entsprechenden Fahrzeugtypen abgesehen hat. Deshalb bestand bei Motoren der Baureihe EA 288 keine Notwendigkeit, die Öffentlichkeit über die Offenlegung der Fahrkurvenerkennung zu informieren. Das Unterlassen einer entsprechenden Information kann deshalb nicht den gravierenden Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigung gegenüber potenziell geschädigten Fahrzeugkäufern begründen.

c) Manipulation des On-Board-Diagnose-Systems

Zu dem On-Board-Diagnose-System (OBD) - dessen Existenz die Beklagte nicht bestreitet, aber behauptet, es erfülle seine gesetzlich vorgesehene Funktion - hat die Klägerin vorgetragen, die Beklagte habe dieses so programmiert, dass im Rahmen einer Inspektion fälschlicherweise gemeldet werde, die Abgassysteme funktionierten ordnungsgemäß. So melde das OBD keinen Fehler, obwohl die gesetzlich vorgesehenen Grenzwerte überschritten würden. Das OBD sei an das Thermofenster "gekoppelt" und zeige außerhalb des vorprogrammierten Temperaturfensters keine Fehlermeldung trotz unzureichender Abgasreinigung. Diese Schlussfolgerung erweist sich nicht als tragfähig, weil sich den einschlägigen Regelungen nicht entnehmen lässt, dass das OBD so zu programmieren wäre, dass eine reine Grenzwertüberschreitung durch die Fehlfunktionsanzeige angezeigt werden müsste.

Durch die Verweisung in Anhang XI Abs. 2.1. der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 ergeben sich die Anforderungen an das OBD im Wesentlichen aus Anhang 11 Abs. 3 der UN/ECE-Regelung Nr. 83, soweit der Anhang XI der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 keine hiervon abweichenden Regelungen aufweist. Entsprechende abweichende Regelungen sind in Anhang XI Abs. 2.3 der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 insbesondere für die OBD-Grenzwerte vorgesehen, wonach der hier relevante vorläufige OBD-Stickoxid-Grenzwert für der Abgasnorm Euro 6 unterfallende Fahrzeuge 240 mg/km beträgt (Abs. 2.3.2).

Dass die tatsächlichen Emissionen im realen Fahrbetrieb zu messen und Überschreitungen des OBD-Grenzwerts durch die Fehlfunktionsanzeige anzuzeigen wären, lässt sich weder aus Anhang 11 Abs. 3.5.2 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 noch aus den folgenden Definitionen der Fehlfunktion und der Fehlfunktionsanzeige in Anhang 11 Abs. 2.6 und Abs. 2.5 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 herleiten. Danach bezeichnet:

"2.6 "Fehlfunktion" den Ausfall oder das fehlerhafte Arbeiten eines emissionsrelevanten Bauteils oder Systems, der bzw. das ein Überschreiten der in Absatz 3.3.2. dieses Anhangs genannten Emissionsgrenzwerte zur Folge hätte, oder den Fall, dass das OBD-System nicht in der Lage ist, die grundlegenden Anforderungen dieses Anhangs an die Überwachungsfunktion zu erfüllen"

und

"2.5 "Fehlfunktionsanzeige" (Malfunction Indicator - MI) ein optischer oder akustischer Anzeiger, mit dem dem Fahrzeugführer eine Fehlfunktion in einem mit dem OBD-System verbundenen abgasrelevanten Bauteil oder in dem OBD-System selbst angezeigt wird."

Demnach knüpfen die Begriffe der Fehlfunktion und der Fehlfunktionsanzeige nicht an eine tatsächlich zu messende Überschreitung eines Grenzwerts, sondern an den Ausfall oder das fehlerhafte Arbeiten eines Bauteils oder Systems an, der oder das zu einer Überschreitung des OBD-Grenzwerts führt. Davon werden aber schon begrifflich nicht solche Situationen erfasst, in denen es im realen Fahrbetrieb ohne eine Fehlfunktion eines abgasrelevanten Bauteils zu einer Überschreitung des OBD-Grenzwerts kommt.

Weitergehende Anforderungen an das OBD-System, aus denen sich eine Verpflichtung zur Messung der tatsächlichen Emissionen und zur Anzeige von OBD-Grenzwertüberschreitungen herleiten ließe, lassen sich schließlich auch nicht der Regelung in Anhang 11 Abs. 3.5.2. der UN/ECE-Regelung Nr. 83 entnehmen.

Nach alledem lässt sich aus dem Unterbleiben einer Fehlermeldung bei einer OBD-Grenzwertüberschreitung nicht schließen, dass das OBD nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechend ausgestaltet worden wäre (so im Ergebnis auch: OLG Karlsruhe, Urteil vom 30. Oktober 2020 - 17 U 296/19, juris, Rn. 71 f.). Da demnach schon der Rückschluss der Klägerin auf eine "Manipulation" des OBD nicht tragfähig ist, fehlt es auch an dem Anknüpfungspunkt, aus dem die Klägerin auf ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung schließen will.

d) Akustikfunktion

Soweit die Klägerin vorträgt, das Fahrzeug verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt einer sogenannten Akustikfunktion, bezieht sich dieses Vorbringen maßgeblich auf insoweit nicht aussagekräftige Applikationsrichtlinien für die Motorbaureihe EA 189. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass damit etwas anderes gemeint wäre als die bereits dargestellte Fahrkurvenerkennung im Zusammenhang mit dem NSK-Katalysator.

2. Die Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB liegen ebenfalls nicht vor. Insoweit fehlt es bereits an tragfähigem Vorbringen der Klägerin in Bezug auf etwaige, von ihr nicht näher bezeichnete Verrichtungsgehilfen.

3. Ein Schadensersatzanspruch steht der Klägerin auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB zu, da es aufgrund der unter II. 1. genannten Erwägungen jedenfalls an der Voraussetzung einer vorsätzlichen Täuschung fehlt.

4. Ebenso wenig lässt sich ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV beziehungsweise in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1, Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 herleiten, da entsprechende Ansprüche schon mangels denkbarer Verletzung eines Schutzgesetzes ausscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020, aaO, Rn. 10 ff.; OLG München, Beschluss vom 29. August 2019 - 8 U 1449/19, juris, Rn. 76 ff.).

5. Entgegen der Ansicht der Klägerin scheiden auch ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 16 UWG aus.

Nach § 16 Abs. 1 UWG macht sich strafbar, wer in der Absicht, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, in öffentlichen Bekanntmachungen oder Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, durch unwahre Angaben irreführend wirbt. Zu diesen Voraussetzungen hat die Klägerin nicht schlüssig vorgetragen. Es mangelt bereits an einer konkreten Darlegung besonders günstiger Angebote, mit denen die Beklagte in Bezug auf das Fahrzeug der Klägerin geworben haben soll.

6. Eine Haftung der Beklagten kommt auch nicht gemäß § 311 Abs. 3 BGB in Verbindung mit § 280 Abs. 1 BGB in Betracht.

Durch das Ausstellen der EG-Übereinstimmungserklärung hat die Beklagte nicht nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen. Ein so weitgehender Erklärungsgehalt kommt der EG-Übereinstimmungsbescheinigung nicht zu. Denn mit der Ausstellung gibt die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs dem Halter lediglich dasjenige Dokument an die Hand, welches er benötigt, um sein Fahrzeug bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde zuzulassen. Nach dem objektiven Empfängerhorizont ist einer solchen Erklärung keine besondere persönliche Inanspruchnahme von Vertrauen durch den Hersteller zu entnehmen, insbesondere wenn - wie hier - keine Umstände ersichtlich sind, aufgrund derer ein über die Erfüllung der Voraussetzungen der §§ 6, 27 EG-FGV hinausgehender Erklärungsgehalt der EG-Übereinstimmungsbescheinigung anzunehmen wäre (vgl. u.a. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 29. Januar 2021 - 11 U 113/20, Rn. 57; OLG München, Beschluss vom 28. Mai 2021 - 8 U 6521/20, Rn. 15 mwN).

7. Der Zinsanspruch teilt das Schicksal der Hauptforderung.

8. Soweit die Klägerin hilfsweise Feststellung begehrt (Hilfsantrag zu 2.), dass die Beklagte für Schäden ersatzpflichtig ist, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ihrem Fahrzeug resultieren, ist die Klage bereits unzulässig.

Denn es ist schon unklar und damit entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht hinreichend bestimmt, was mit "Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung (...) resultieren" gemeint ist. Die Klägerin macht eine Vielzahl von ihrer Auffassung nach unzulässigen Eingriffen der Beklagten in die Motorsteuerungssoftware geltend, sodass nicht ersichtlich ist, welche Art von Schäden, die aus welcher Abschalteinrichtung herrühren sollen, von dem Antrag erfasst sein sollen.

Im Übrigen wäre die Klage insoweit aus den Gründen zu II. 1 bis 6 unbegründet, da die Klägerin das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht nachgewiesen hat.

9. Ansprüche auf Feststellung des Annahmeverzuges (Antrag zu 3.) und des Herrührens des im Antrag zu 1. bezeichneten Anspruchs aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung (Antrag zu 4.) sowie auf Freistellung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten (Antrag zu 5.) stehen der Klägerin schon mangels Vorliegen eines Hauptanspruchs nicht zu.

10. Der in der Erledigungserklärung der Klägerin liegende Antrag auf Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise erledigt ist, ist ebenfalls unbegründet. Denn aus den oben genannten Gründen war der im Berufungsverfahren zunächst gestellte Antrag zu 1 von Anfang an unbegründet.

11. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 97 Abs. 1, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Das gilt auch im Hinblick auf das dargestellte Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 9. April 2021 (8 U 68/20, BeckRS 2021, 8880; siehe oben unter 1 b bb). Dass ein Gericht einen identischen Sachverhalt anders beurteilt als ein anderes gleich- oder höherrangiges Gericht, begründet für sich allein nicht die Notwendigkeit, die Revision zuzulassen (vgl. Musielak/Voit/Ball, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 543 Rn. 8 mwN).