Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 31.10.2006, Az.: 3 A 4099/04

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
31.10.2006
Aktenzeichen
3 A 4099/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 44765
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2006:1031.3A4099.04.0A

Fundstelle

  • InfAuslR 2007, 82-86 (Volltext mit amtl. LS)

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Asylrecht (Widerruf)

hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 3. Kammer - auf Grund der mündlichen Verhandlung

vom 31. Oktober 2006 ...

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. August 2004 wird aufgehoben.

    Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

    Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1

Der Kläger meldete sich am 29. August 2001 bei der Regierung von Oberbayern in München als Asylsuchender. Zur Begründung seines Asylbegehrens machte er anlässlich seiner erstmaligen Befragung sowie im Rahmen seiner persönlichen Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 31. August bzw. 6. September 2001 im wesentlichen geltend, irakischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit zu sein und vor dem Verlassen seines Heimatlandes in die D. gelebt zu haben. Dort sei er Händler gewesen. Er habe von einem Wagen aus Kleider, Gewürze und vieles andere mehr verkauft. Diesen Wagen habe er stets an einer Ecke auf dem Basar aufgestellt. Am 8. August 2001 hätten wieder Feierlichkeiten anlässlich der Beendigung des irakisch-iranischen Krieges stattgefunden. Aus diesem Anlass habe man überall Bilder von Saddam Hussein aufgehängt. Dort, wo sein Wagen gestanden habe, habe sich ebenfalls ein Bild von Saddam Hussein befunden. Dieses Bild sei mit Schriften und Schmiererein verunstaltet gewesen. Er sei zu Unrecht beschuldigt worden, damit etwas zu tun zu haben. Er sei daraufhin sofort nach Hause gegangen und habe sodann seinen Heimatort verlassen. Von seinen Eltern habe er erfahren, dass kurz zuvor die Polizei da gewesen sei und sich nach ihm erkundigt habe. In Begleitung eines Nachbarn sei er über Bagdad zu seinem Onkel nach M. gefahren. Dieser habe auch davon gesprochen, dass man einen Bericht über ihn verfasst habe. Er habe auch berichtet, dass eine weitere Person ebenfalls beschuldigt worden sei, mit ihm - dem Kläger - zusammen das Bild von Saddam verunstaltet zu haben. Diese Person sei verhaftet worden. Der Onkel habe ihm dann erklärt, dass es besser sei, den Irak zu verlassen. Am 12. August 2001 sei er mit dem Lkw in die Türkei gelangt. Am 17. August 2001 sei er anschließend von Istanbul aus mit dem Lkw nach Deutschland gebracht worden.

2

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 12. November 2001 ab (Ziff. 1). Gleichzeitig stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes hinsichtlich des Irak vorlägen (Ziff. 2). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, als Asylberechtigter könne der Kläger bereits deshalb nicht anerkannt werden, weil er auf dem Landwege und somit aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik eingereist sei. Dagegen lägen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes in seinem Falle vor. Das irakische StGB und andere Rechtsvorschriften stellten das "Verbreiten von Falschnachrichten" über den Irak im Ausland sowie Kritik und Beleidigung der Staatsorgane unter schwere Strafe. So könne nicht ausgeschlossen werden, dass irakische Sicherheits- und Justizorgane bereits das Stellen eines Asylantrages in die Nähe o.g. Straftatbestände rückten.

3

Mit Schreiben an die Ausländerbehörde des Landkreises Vechta vom 11. Juni 2004 wies die Beklagte darauf hin, dass im Falle des Klägers ein Widerrufsverfahren eingeleitet worden sei. Es werde gebeten, die aktuelle Anschrift des Klägers mitzuteilen. Die Ausländerbehörde teilte dem Bundesamt daraufhin mit Schreiben vom 11. Juni 2004 mit, dass der Kläger seit dem 1. Oktober 2002 mit der Anschrift, gemeldet sei. Das Bundesamt fertigte sodann am 15. Juni 2004 ein an den Kläger unter der Anschrift ......, adressiertes Schreiben, in dem es auf die Absicht, die Flüchtlingsanerkennung zu widerrufen, sowie auf die Möglichkeit, sich hierzu innerhalb eines Monats zu äußern, hinwies. Der Versuch einer förmlichen Zustellung dieses Schreibens mit Zustellungsurkunde scheiterte, weil laut Vermerk des Postzustellers vom 16. Juni 2004 "der Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln" sei. Anschließend bat das Bundesamt die Ausländerbehörde mit Schreiben vom 18. Juni 2004 unter Mitteilung dieses Vorganges, erneut zu überprüfen, ob der Kläger nach wie vor unter der angegebenen Anschrift wohnhaft und gemeldet sei. Nach Überprüfung des Außendienstmitarbeiters der Ausländerbehörde teilte diese daraufhin mit Schreiben vom 29. Juni 2004 dem Bundesamt mit, der Kläger sei "unbekannt" verzogen. Im Ausländerzentralregister sei der Fortzug nach unbekannt mit Datum vom 28. Juni 2004 gespeichert worden. Das Bundesamt entschied sodann, dass das Anhörschreiben vom 15. Juni 2004 öffentlich zuzustellen sei. Der Aushang erfolgte in der Zeit vom 1. Juli bis 2. August 2004. In der Zeit vom 2. bis 17. August 2004 erfolgte anschließend der Aushang eines an den Kläger gerichteten Bescheides vom 2. August 2004, mit dem die mit Bescheid vom 12. November 2001 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes vorlägen, widerrufen und gleichzeitig festgestellt wurde, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 des Ausländergesetzes nicht vorlägen.

4

Am 8. Oktober 2004 hat der Kläger Klage erhoben und die Aufhebung des Widerrufsbescheides vom 2. August 2004 begehrt. Er trägt vor: Der angefochtene Bescheid sei ihm nicht wirksam zugestellt worden. Die durchgeführte öffentliche Zustellung sei fehlerhaft gewesen, so dass frühestens durch Übermittlung des Bescheides an seinen Prozessbevollmächtigten durch den Landkreis V. mit dessen Schreiben vom 28. September 2004 (Poststempel 29. September 2004) und nach Zugang bei seinem Bevollmächtigten am 1. Oktober 2004 die Klagefrist in Gang gesetzt worden sein könne. Demgemäß sei die Klagefrist eingehalten worden. Rein hilfsweise werde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Fehlerhaftigkeit der Zustellung eines Schreibens über die beabsichtigte Durchführung eines Widerrufsverfahrens ergebe sich daraus, dass zunächst zwar die Zustellung unter seiner damals bekannt gewesenen Adresse versucht worden, allerdings gescheitert sei. Lediglich eine Nachfrage beim Landkreis Vechta, der zuständigen Ausländerbehörde, sei vorgenommen worden. Diese sei erfolglos verlaufen. Eine Nachfrage bei der Post sei nicht erfolgt, obwohl sich dies aufgedrängt hätte bzw. eine solche Nachfrage sogar zu fordern gewesen wäre. Dort wäre dann seine - des Klägers - neue Adresse zu erfahren gewesen, zumal er für die Zeit ab 10. Mai 2004 einen Nachsendeauftrag gestellt habe. Der angefochtene Bescheid sei dann ohne weitere Nachforschung öffentlich zugestellt worden. Dies sei fehlerhaft gewesen. Im übrigen lege er - der Kläger - eine Meldebescheinigung vor, aus der sich ergebe, dass er seit dem 1. August 2004 unter der Anschrift K.... gewohnt und sich am 24. August 2004 nach dorthin umgemeldet habe. Nach alledem sei die Klage schon nicht verfristet. Zur Sache selbst sei noch folgendes vorzutragen: Er komme aus der Stadt -, die etwa in der Mitte zwischen Bagdad und Basra liege. In dieser Stadt lebten etwa zur Hälfte Sunniten und Schiiten und ganz wenige yezidische Familien. Diese Yeziden hätten es in diesem Ort besonders schwer, weil sie dort nicht den Schutz durch eine yezidische Umgebung in Anspruch nehmen könnten. Sein Vater sei verstorben. Die Mutter wohne dort noch mit einer Schwester und einem Bruder. Ernährt würden die Familienangehörigen durch das Food-for-Oil-Programm. Sie trauten sich kaum auf die Straße, weil dort Gewalt herrsche, im übrigen moslemische Fundamentalisten das Heft in der Hand hätten. Er habe vor seiner Flucht seinen Lebensunterhalt als Händler verdient. Er habe einen Wagen besessen, von dem aus er Kleider, Gewürze, aber auch alkoholische Getränke, verkauft habe. Genauer gesagt sei es so gewesen, dass er bis 1994 überwiegend alkoholische Getränke verkauft habe, danach sei es nach den damaligen irakischen Gesetzen nicht mehr erlaubt gewesen, auf offener Straße Alkohol zu verkaufen. Er habe deshalb sein Warenangebot damals umstellen müssen. Es sei innerhalb der interessierten Bevölkerung aber durchaus bekannt gewesen, dass man bei ihm habe Alkohol bekommen können. Würde er heute in den Irak zurückkehren müssen, wäre er moslemischen Fundamentalisten schutzlos ausgeliefert. In anderen Gebieten des Irak habe er keine innerstadtliche Fluchtalternative, weil es dort weder soziale noch familiäre Strukturen gebe, die ihn auffangen könnten.

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Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. August 2004 aufzuheben,

6

hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie erwidert: Die Klage sei unzulässig. Der Kläger habe die Klagefrist versäumt. Ihm könne auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Der angefochtene Bescheid vom 2. August 2004 sei am 16. August 2004 öffentlich zugestellt worden. Die Klagefrist sei demgemäß am 30. August 2004 abgelaufen gewesen, so dass am 31. August 2004 Bestandskraft eingetreten sei. Die Klage sei jedoch erst am 8. Oktober 2004 erhoben worden. Die öffentliche Zustellung sei auch zu Recht erfolgt. Der Kläger habe es versäumt, seinen Wohnungswechsel dem Bundesamt mitzuteilen. Auch der Ausländerbehörde gegenüber habe der Kläger es nicht für erforderlich gehalten, seine neue Anschrift anzugeben. Das Bundesamt sei auch nicht verpflichtet gewesen, bei der Post nachzufragen, ob der Kläger einen Nachsendeauftrag gestellt habe. Insofern könne dem Kläger auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Er sei nicht ohne Verschulden verhindert gewesen, die Klagefrist einzuhalten. Im übrigen sei die Klage auch unbegründet. Insoweit werde auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides Bezug genommen.

9

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie der Ausländerbehörde verwiesen. Er ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger nicht die Klagefrist (§ 74 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG -) versäumt. Denn diese Frist hatte zum Zeitpunkt der Klageerhebung (8. Oktober 2004) noch gar nicht zu laufen begonnen. Dem Kläger war der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 2. August 2004 entgegen der Vorschrift des § 31 Abs. 1 AsylVfG nicht wirksam förmlich zugestellt worden. Eine öffentliche Zustellung, wie sie das Bundesamt eingeleitet und nach Maßgabe des hierfür gemäß § 15 VwZG a.F. vorgesehenen Verfahrensganges auch schon vollzogen hatte (Aushang in der Zeit vom 2. bis 17. August 2004), kam nicht in Betracht, da der Aufenthaltsort des Klägers zum Zeitpunkt dieses Zustellversuches nicht im Rechtssinne objektiv unbekannt gewesen ist (§ 15 Abs. 1 a VwZG a.F.).

11

Bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzung des unbekannten Aufenthaltes des Zustellungsempfängers ist zu berücksichtigen, dass die öffentliche Zustellung als "letztes Mittel" der Bekanntgabe nur zulässig ist, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln. Danach ist der Aufenthaltsort eines Empfängers nicht bereits dann unbekannt, wenn die Behörde seine Anschrift nicht kennt; die Anschrift muss vielmehr allgemein unbekannt sein. Deshalb muss die Behörde vor der öffentlichen Zustellung Ermittlungen nach der Anschrift des Zustellungsempfängers anstellen. Welcher Art diese Ermittlungen sein müssen, richtet sich zwar grundsätzlich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Da bei einer öffentlichen Zustellung von Verwaltungsakten, die eine Rechtsbehelfsfrist in Gang setzen, die erhöhte Gefahr der sachlichen Nichtüberprüfbarkeit des Verwaltungsakts wegen Eintritts der Bestandskraft besteht, müssen hierfür mit Rücksicht auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf rechtliches Gehör jedoch strenge Maßstäbe gelten. Demgemäß ist die Behörde, bevor sie sich des Mittels der öffentlichen Zustellung bedient, gehalten, allen erfolgversprechenden Hinweisen zur Ermittlung des tatsächlichen Aufenthalts des Zustellungsempfängers nachzugehen, soweit dieser Ermittlungsaufwand im Einzelfall zumutbar ist. Sie hat sich durch gründliche und sachdienliche Bemühungen um Aufklärung des Aufenthaltsortes Gewissheit darüber zu verschaffen, dass der Aufenthaltsort des Empfängers allgemein unbekannt ist. Insoweit kommen nicht nur Anfragen an das Einwohnermeldeamt, andere Registerbehörden oder auch sonstige über die Verhältnisse des Zustellungsempfängers möglicherweise informierte Ämter oder Behörden, sondern beispielsweise auch Erkundigungen bei privaten Dritten (Nachbarn, Angehörigen) oder etwa auch bei den örtlichen Postdienststellen in Betracht (vgl. zum ganzen BVerwG, Beschluss vom 25. April 1994 - 1 B 69/94 -, Buchholz 340 § 15 VwZG Nr. 2; Thüringisches OVG, Urteil vom 14. Dezember 2000 - 3 KO 1242/97 - DVBl. 2001, 1012; Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 14. Mai 2002 - 3 V 109/02 - V.n.b.; jeweils m.w.N.).

12

Im Falle des Klägers sind so weitgehende Nachforschungen behördlicherseits nicht angestellt worden. Vielmehr hatte sich das Bundesamt darauf beschränkt, sich bei der Ausländerbehörde des Landkreises Vechta, in dessen Zuständigkeitsbereich sich der Kläger nach dem damaligen Kenntnisstand des Bundesamtes zuletzt aufgehalten hatte, nach dessen aktueller Anschrift zu erkundigen. Zwar hatte das Ausländeramt seinerseits das Melderegister überprüft, in dem die neue Anschrift des Klägers noch nicht verzeichnet war. Auch hatte es offenbar mit Hilfe eines Außendienstmitarbeiters vor Ort festgestellt, dass der Kläger unter seiner bisher bekannt gewesenen Anschrift tatsächlich nicht mehr wohnhaft gewesen ist. Indessen ist schon nicht ersichtlich, ob bei dieser Gelegenheit etwa auch die früheren Nachbarn des Klägers oder sein Vermieter befragt worden waren, obwohl dies zumindest nahegelegen hätte. Da es sich jedenfalls nicht aufdrängen musste, dass der Kläger etwa inzwischen untergetaucht sein könnte, zumal er über eine noch bis zum 20. Dezember 2005 gültig gewesene Aufenthaltsbefugnis verfügte und wohl auch erwerbstätig war, hätten darüber hinaus aber auch noch weitere Möglichkeiten der Sachaufklärung in Betracht gezogen werden müssen, als welche sich namentlich noch Erkundigungen beim örtlichen Postamt oder anderen Postdienststellen angeboten hätten. Dortige Anfragen hätten auch tatsächlich Aufschluss über die neue Anschrift des Klägers gegeben. Denn es trifft zu, dass er, wie er bereits bei Klageerhebung angegeben hat, bereits im Mai 2004 einen Nachsendeauftrag erteilt hatte. Das Original der ihm von der Post von diesem Nachsendeauftrag ausgehändigten "KOPIE" hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegt. Zweifel an dessen Authentizität sind nicht begründet. Aus dieser "KOPIE" ergibt sich, dass er eine Nachsendung von Briefsendungen, Päckchen, Paketen und Infopost wegen Umzugs von der ...., zur ....., für die Dauer von 6 Monaten, beginnend ab 10. Mai 2004, beantragt hatte.

13

Demnach wäre die neue Anschrift des Klägers ohne unzumutbaren Ermittlungsaufwand durch das Bundesamt selbst oder mit Hilfe der Ausländerbehörde feststellbar gewesen. In Anbetracht der aufgezeigten strengen Anforderungen an die Zulässigkeit einer öffentlichen Zustellung konnte somit der Aufenthalt des Klägers nicht im Sinne des Gesetzes als (objektiv und allgemein) unbekannt gelten, so dass die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung nicht erfüllt gewesen sind.

14

Zu demselben Ergebnis führen - wie ergänzend noch anzumerken ist - letztlich folgende weitere, unmittelbar an den "ultima ratio - Charakter" der öffentlichen Zustellung (vgl. Sächsisches FG, a.a.O.) anknüpfende Erwägungen: Nach der aus Anlass des vorliegenden Falles und im Rahmen dieses Verfahrens vom Gericht eingeholten Auskunft der zentralen Zustellungsstelle der Post ist ein Nachsendeauftrag von den jeweils zuständigen Postdienststellen nach den für sie geltenden Vorschriften und Anordnungen grundsätzlich auch bei der Ausführung von Zustellungsaufträgen zu beachten, d.h. der Zusteller hat das zuzustellende Schriftstück bei Vorliegen eines Nachsendeauftrages im Regelfall selbst dann unter der Nachsendeanschrift zu übergeben oder, wenn eine Übergabe nicht möglich ist, in den dortigen Briefkasten einzulegen, wenn das Schriftstück von dem Absender und Auftraggeber noch an die frühere Anschrift des Empfängers adressiert worden ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich aus der Postzustellungsurkunde dem entgegenstehende, ausdrücklich vermerkte Weitersendungsbeschränkungen ergeben. Um etwaigen Nachsendeaufträgen durch diese Verfahrensweise Rechnung tragen zu können, hat sich der Zusteller vor Beginn des Zustellvorganges oder -versuches darüber zu informieren, ob derartige Aufträge erteilt worden sind.

15

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass eine Zustellung des angefochtenen Bescheides vom 2. August 2004 von Anfang an und ohnehin in Form der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde gemäß § 3 VwZG möglich gewesen wäre. Denn ein ordnungsgemäßer, insbesondere zum maßgeblichen Zeitpunkt (August 2004) auch noch wirksam gewesener Nachsendeauftrag lag - wie festgestellt - vor. Gründe, die Nachsendung ausdrücklich auszuschließen oder auch nur zu beschränken, bestanden ebenfalls nicht. Jedenfalls hatte das Bundesamt solche Beschränkungen anlässlich des früheren Versuches, das Anhörschreiben vom 15. Juni 2004 mit Zustellungsurkunde durch die Post zustellen zu lassen, auf der (bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen) Zustellungskunde nicht vermerkt. Zwar hatte der Zusteller diese Zustellung seinerzeit dennoch nicht ausgeführt und zur Begründung vermerkt, der Adressat sei unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln. Dies kann jedoch, wie die um Auskunft gebetene zentrale Zustellungsstelle der Post auf Befragen des weiteren noch erläutert hat, nur darauf beruht haben, dass sich der Zusteller nicht in der gebotenen Weise über etwa vorliegende Nachsendeaufträge informiert hatte. Zwar mag nicht auszuschließen sein, dass auch der Versuch einer Zustellung des angefochtenen Bescheides in dieser Form aus denselben Gründen gescheitert wäre. Dies bedeutet indes nicht, dass eine Zustellung mit Zustellungsurkunde objektiv nicht möglich gewesen wäre. Denn ebenso wie das Scheitern eines Zustellungsversuches aufgrund einer fehlerhaften Sachbehandlung durch den Absender selbst nicht die Eignung der gewählten Zustellungsform an sich in Frage stellt, sind solche Zweifel auch nicht dann begründet, wenn die Zustellung infolge von Versäumnissen innerhalb des Postzustellungsbetriebes misslingt. Daran ändert nichts, dass der Absender und Zustellungsauftraggeber hierauf regelmäßig keine Einfluss haben wird. Vielmehr muss er sich im Zweifel die Versäumnisse des in seinem Auftrage tätig werdenden Zustellungsorgans wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (Rechtsgedanke aus § 278 BGB).

16

Demnach ist hier die öffentliche Zustellung auch und schon deshalb unzulässig gewesen, weil sie - ungeachtet der Unkenntnis des Bundesamtes von der neuen Anschrift des Klägers - von vornherein nicht das einzige und letzte Mittel der Bekanntgabe des Verwaltungsakts gewesen ist.

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Die Unwirksamkeit der Zustellung des Bescheides vom 2. August 2004 bedeutet allerdings andererseits, abgesehen von den Folgen für den Lauf der Klagefrist, nicht, dass der Bescheid im Rechtssinne noch gar nicht existent und somit noch nicht anfechtbar gewesen ist. Vielmehr war dem (seinerzeitigen) Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Ausfertigung des Bescheides auf ausdrückliche Anforderung hin von dem Ausländeramt des Landkreises Vechta übersandt worden. Der Kläger hatte damit nicht nur gleichsam zufällig von unbeteiligter dritter Seite erfahren, dass ein solcher Bescheid vorliege, was für sein Existentwerden im verfahrensrechtlichen Sinne nicht ausgereicht hätte, sondern auf Veranlassung einer mit dem Sachvorgang zumindest mittelbar befassten Behörde (Ausländeramt) von dem Bescheid selbst Kenntnis erlangt. Der Bescheid konnte demgemäß mit Rechtsmitteln bereits angegriffen werden, während wegen des Zustellungsmangels die Rechtsmittelfrist jedoch noch nicht in Gang gesetzt worden war (vgl. zum ganzen Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Auflage, § 57 Rdnr. 16 f. und vor § 124 Rdnr. 19 f.). Demgemäß konnte die Klagefrist bei Klageerhebung auch noch nicht verstrichen sein.

18

Die Klage ist deshalb zulässig, ohne dass es einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf.

19

Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; er kann deshalb keinen Bestand haben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

20

Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung (Ziff. 1 der Entscheidung in dem angefochtenen Bescheid vom 02. August 2004) ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil dem Kläger das von dem Bundesamt gefertigte Schreiben vom 15. Juni 2004, mit dem ihm gemäß § 73 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG die Einleitung des Widerrufsverfahrens mitgeteilt und Gelegenheit gegeben werden sollte, sich hierzu innerhalb eines Monats zu äußern, unter Verletzung der Vorschriften des § 73 Abs. 4 Satz 3, Abs. 5 AsylVfG nicht wirksam förmlich zugestellt worden ist. Insoweit gilt das zum Scheitern des Versuchs einer öffentlichen Zustellung des Bescheides vom 2. August 2004 oben Gesagte. entsprechend. Damit liegt ein Verstoß gegen das durch § 73 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG bezogen auf das Widerrufs- und Rücknahmeverfahren nach § 73 AsylVfG gegenüber der allgemeineren Vorschrift des § 28 VwVfG gesondert und eigenständig geregelte (vgl. hierzu VG München, Urteil vom 29. Juni 2004 - M 2 K 04.50845 -, V.n.b.) Anhörungsgebot vor. Dieser Verfahrensfehler kann auch nicht etwa durch § 46 VwVfG als unbeachtlich angesehen werden. Denn diese Vorschrift ist neben der asylverfahrensrechtlichen Sondervorschrift des § 73 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG nicht anwendbar (auch insoweit folgt das Gericht der Entscheidung des Verwaltungsgerichts München, a.a.O.). Darüber hinaus ist hier auch eine Heilung des Verfahrensfehlers gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG (vgl. zu dessen Anwendbarkeit: GK-AsylVfG, Stand: Juni 2006, § 73 Rdnr. 126) nicht eingetreten. Nach dieser Vorschrift ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die (was hier nicht in Betracht zu ziehen ist) nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Nach § 45 Abs. 2 VwVfG können Handlungen nach Abs. 1 bis zum Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Dies bedeutet - bezogen jedenfalls auf den Fall des § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG - allerdings nicht, dass eine Nachholung stets noch "im" gerichtlichen Verfahren möglich ist. Sie kann vielmehr nach dem Willen des Gesetzgebers und nach dem Sinn der Vorschrift grundsätzlich nur in einem Verwaltungsverfahren mit der Verwertung der dort vorgebrachten Tatsachen erfolgen (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 6. Auflage, § 45 Rn. 85, m.w.N.). Bei einer Nachholung der vor Erlass des Verwaltungsaktes unterbliebenen Anhörung handelt es sich mit anderen Worten um eine Handlung des Verwaltungsverfahrensrechts, die nur zeitlich mit dem Gerichtsverfahren zusammentreffen kann, aber (bei einem solchen Zusammentreffen) nicht dessen Bestandteil bildet (vgl. Stelkens u.a., a.a.O., Rn. 80). In der Rechtsprechung ist indessen anerkannt, dass dieser Grundsatz nicht ausnahmslos, sondern dass vielmehr unter engen, dem verfassungsrechtlichen Rang der Anhörungspflicht Rechnung tragenden Voraussetzungen ausnahmsweise etwas anderes gelten kann. Nach dieser Rechtsprechung, welcher das hier erkennende Gericht folgt, ist eine zunächst unterbliebene Anhörung als innerhalb des gerichtlichen Verfahrens wirksam nachgeholt zu betrachten, wenn die durch den Austausch von Schriftsätzen und Stellungnahmen der Beteiligten erfolgende Kommunikation in ihrer Qualität nicht hinter dem zurückbleibt, was im Normalfall im Rahmen eines Anhörungsverfahrens nach § 28 VwVfG stattfinden kann. Hierzu muss dem Betroffenen grundsätzlich - wie auch im Falle der außerhalb des Gerichtsverfahrens durchgeführten Nachholung - durch die Behörde erkennbar gemacht werden, dass er die Gelegenheit erhält, abschließend vorzutragen und dass die Behörde unter Würdigung des evtl. erfolgenden Vortrags über die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts entscheiden wird. Eines besonderen Hinweises auf die Anhörung bedarf es allerdings ausnahmsweise dann nicht, wenn der Betroffene schon von sich aus umfassend vorgetragen hat. In jedem Falle ist es erforderlich, dass die Behörde eine Entscheidung über die Einwendungen trifft und dem Antragsteller das Ergebnis mitteilt (vgl. zum ganzen VGH Kassel, Beschluss vom 20. Mai 1988 - 4 TH 3616/87 -, NVwZ-RR 1989, 113 f.; dem folgend OVG Lüneburg, Beschluss vom 31. Januar 2002 - 1 MA 4216/01 -, NordÖR 2002, 180).

21

Die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Nachholung einer Anhörung sind im vorliegenden Falle offensichtlich nicht erfüllt. Die Beteiligten haben sich im Verlaufe des Verfahrens in den von ihnen eingereichten Schriftsätzen nahezu ausschließlich mit der Frage der Zulässigkeit der Klage auseinandergesetzt. Lediglich im Schriftsatz des Klägers vom 20. Oktober 2006 ist noch, gleichsam ergänzend und vorsorglich, auch zu den materiellen Widerrufsvoraussetzungen Stellung genommen worden. Hierzu hat sich die Beklagte nicht mehr geäußert. Eine nachträgliche Durchführung des Anhörungsverfahrens ist darin schon im Ansatz nicht zu erkennen. Sie ist von den Beteiligten auch ersichtlich gar nicht beabsichtigt gewesen oder auch nur in Betracht gezogen worden.

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Dieser Anhörungsmangel stellt einen erheblichen Verfahrensfehler dar, der ohne weitere Sachprüfung zur Aufhebung der Widerrufsentscheidung führen muss (vgl. auch insoweit VG München, a.a.O.).

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Unter diesen Umständen kann auch die Feststellung des Bundesamtes in dem angefochtenen Bescheid, es lägen die Voraussetzungen des § 53 AuslG (jetzt § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG) nicht vor (Ziff. 2) keinen Bestand haben. Die Aufhebung des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung mit diesem Urteil hat zur Folge, dass der Bescheid des Bundesamtes vom 12. November 2001 (Ablehnung des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter und Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG) weiterhin Bestand hat. Ziff. 2 der in diesem Verfahren angefochtenen Entscheidung des Bundesamtes stellt somit eine zu der bestandskräftig gewordenen früheren Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nachträglich hinzutretende, isolierte Entscheidung zu § 53 AuslG dar. Solche Entscheidungen sieht das Asylverfahrensgesetz nicht vor. Sie lassen sich auch nicht auf eine Rechtsanalogie zu den Regelungen in §§ 24 Abs. 2, 31 Abs. 2 Satz 1, 31 Abs. 3 Satz 1, 32, 39 Abs. 2 und 73 Abs. 1 - 3 AsylVfG stützen, wie sie das Bundesverwaltungsgericht (allein) für den Fall eines nicht der Aufhebung unterliegenden gleichzeitigen Widerrufs gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG herangezogen hat (BVerwG, Urteil vom 20. April 1999 - 9 C 29/98 - ,NVwZ - Beilage 1999, 113 f.; im Ergebnis wie hier: OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. Januar 2000 - A 1 S 174/99 -, V.n.b.). Der Klage ist nach alledem schon im vollen Umfange des Hauptantrages stattzugeben. Einer Entscheidung über den Hilfsantrag bedarf es demgemäß nicht. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11 ZPO.

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Rechtsmittelbelehrung

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Gegen dieses Urteil ist die Berufung nur statthaft, wenn sie von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung dieses Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem

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Verwaltungsgericht Oldenburg, Schloßplatz 10, 26122 Oldenburg

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zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist (§ 78 Abs. 3 AsylVfG).

28

Der Antragsteller muss sich von einem Rechtsanwalt oder einem Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt oder einer nach § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO berechtigten Person als Bevollmächtigten vertreten lassen.