Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 17.08.2005, Az.: 9 U 4/05
Ersatzanspruch eines Zimmermanns auf den Verdienstausfallschaden gegen den Betreiber eines Sägewerkes wegen eines Unfalls mit der Folge einer Unterarmamputation; Berechnungsmethode für einen Verdienstausfallschaden; Anforderungen an die Beweislast hinsichtlich der durch die Einstellung einer Ersatzkraft entstandenden Kosten; Die Behinderung eines jungen Zimmermanns als Indiz für die Erforderlichkeit der Einstellung einer Ersatzkraft; Verpflichtung eines selbstständigen Handwerkers nach Eintritt einer Behinderung zur Ergreifung eines unselbstständigen Berufs zwecks Schadensminderung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 17.08.2005
- Aktenzeichen
- 9 U 4/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 32913
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2005:0817.9U4.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 92 ZPO
- § 287 ZPO
- § 708 Nr. 10 ZPO
- § 711 ZPO
Fundstellen
- r+s 2006, 42-43 (Volltext mit amtl. LS)
- zfs 2006, 84-86 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Bei der Verletzung eines Selbstständigen, ist nicht der Ausfall der Arbeitskraft als solcher zu erstatten, sondern deren finanziellen Auswirkungen auf die Vermögenslage des Geschädigten. Dabei ist letztlich auf den Gewinn abzustellen.
- 2.
Die Ermittlung des Erwerbsschadens durch Schätzung gem. § 287 ZPO darf auf der Basis der den Gewinn mindernden Kosten einer tatsächlich eingestellten Ersatzkraft erfolgen.
In dem Rechtsstreit
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. ...
die Richter am Oberlandesgericht Prof. Dr. ... und Dr. ...
auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 1. Juni 2005
für Rechterkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts VdP Ml vom 17. November 2004 teilweise abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus an den Kläger weitere 22.954,66 Euro zu zählen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen der Beklagte 80% und der Kläger 20%. Die Kosten des Berufungsrechtszuges trägt der Beklagte in voller Höhe.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern der Kläger nicht zuvor Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages geleistet hat.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger, sein selbstständiger Zimmermann, macht gegen den Beklagten, der ein Sägewerk betreibt, Schadensersatzansprüche aus einem Unfall vom 5. Mai 1993 geltend.
Der Kläger geriet am Unfalltage, nachdem er in der Betriebshalle des Beklagten gestrauchelt war, mit dem linken Arm in eine laufende Säge. Er erlitt eine komplette Unterarmamputation links. Obwohl es gelang, den Unterarm zu replantieren, ist die linke Hand des Klägers praktisch nur als Beihand brauchbar.
Einen ersten Prozess haben die Parteien vor dem erkennenden Senat mit einem Vergleich beendet. Darin ist vereinbart worden, dass der Beklagte 37,5% der unfallbedingten materiellen Schäden des Klägers zu ersetzen hat. Ein 1998 von der Versicherung des Beklagten beauftragter Sachverständiger kam zu dem Ergebnis, dass dem Kläger durch den Unfall zusätzliche Personalkosten von 91.362,43 DM in der Zeit von Mai 1993 bis Ende 1997 entstanden seien. Der Kläger erhält von der Bauberufsgenossenschaft seit dem 25. Mai 1995 eine Unfallrente.
Der Kläger hat behauptet, er habe wegen seiner Verletzung jeweils einen Mitarbeiter beschäftigen müssen, weil er selbst in seinem kleinen im August 1992 gegründeten Betrieb nicht mehr habe tätig werden können. Nach Abzug der Zahlung der Berufsgenossenschaft und unter Anwendung der Vergleichsvereinbarung sei ein Schaden in Höhe von 23.398,49 EUR entstanden. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens und der Entscheidungsgründe des Landgerichts, das die Klage praktisch vollständig abgewiesen hat, wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.
Mit der Berufung will der Kläger lediglich den Zahlungsanspruch für die Zeit von Mai 1993 bis Dezember 2002 weiterverfolgen. Das Landgericht habe im Urteilstatbestand unzutreffend als Behauptung des Beklagten beurkundet, der Kläger habe keine Ersatzkräfte eingestellt. Tatsächlich habe der Beklagte in seiner Klageerwiderung jedoch lediglich bestritten, dass der Einsatz der Personen, deren Lohnkosten geltend gemacht worden waren, dem Ausgleich der vom Kläger nicht mehr durchzuführenden handwerklichen Tätigkeiten diene und tatsächlich erforderlich war. Damit sei nur die Notwendigkeit der Einstellung von Ersatzkräften bestritten worden, nicht aber die Einstellung als solche. Unzutreffend seien die Ausführungen im angefochtenen Urteil, das Gericht habe mehrfach darauf hingewiesen, dass der Kläger den vermehrten Personaleinsatz zu beweisen habe.
Das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger unstreitig in der Zeit vom 5. Mai 1995 bis 24. Mai 1995 zu 100% arbeitsunfähig gewesen sei. Der Beklagte habe nicht in Zweifel gezogen, dass der Kläger seinen erlernten Beruf als Zimmermann nicht mehr ausüben könne. Der Grad der Behinderung betrage laut Bescheid des Versorgungsamtes 60%. Das Attest des Chirurgen Dr. ... vom 20. Juli 2004 bescheinige, dass die Verletzung dauerhaft einer Unterarmamputation gleichzustellen sei. Der Sachverständige ... habe auf Vorhalt bei seiner Vernehmung erklärt, dass wegen des Ausfalls des Klägers als Arbeitskraft ein Mitarbeiter zwingend habe eingestellt werden müssen.
Für einen Zeitraum von fast 10 Jahren habe der Kläger angefallene Lohnkosten durch Vorlage der Lohn- bzw. Gehaltsabrechnungen der jeweiligen Mitarbeiter nachgewiesen. Diese Zahlungen seien nicht bestritten worden.
Der Kläger beantragt,
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus 23.573,74 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Über den streitigen Verdienstausfallschaden habe kein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen. Streitig sei wie bereits in erster Instanz, dass der Kläger Ersatzkräfte zum Ausgleich seines unfallbedingten Ausfalls tatsächlich eingestellt habe. Bestritten worden sei ebenfalls, dass der Einsatz entsprechender Ersatzkräfte objektiv erforderlich gewesen sei. Der Beweisantritt "Zeugenvernehmung des Sachverständigen" sei nicht geeignet gewesen, den Nachweis für den behaupteten Einsatz von Ersatzkräften zu erbringen. Der Zeuge habe bei seiner Vernehmung auch keinerlei Angaben darüber gemacht, ob und inwieweit es tatsächlich zur Einstellung von Ersatzkräften zum Ausfall des Klägers als Arbeitskraft gekommen sei.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig und im Wesentlichen begründet, weil der Klage hinsichtlich der Berechnung des entgangenen Gewinns unter Heranziehung von Kosten einer Ersatzkraft stattzugeben ist.
1.
Nicht in Betracht kommt eine abstrakte Schadensberechnung nach fiktiven Aufwendungen für eine gleichwertige Ersatzkraft (BGHZ 54, 45, 50 ff. [BGH 05.05.1970 - VI ZR 212/68] = NJW 1970, 1411, 1412 f.; BGH VersR 1992, 973; VersR 1994, 316, 319 [BGH 07.12.1993 - VI ZR 152/92]; OLG Celle (14. ZS) OLGR 2000, 254; MünchKommBGB/Oetker, 4. Aufl., § 252 Rdnr. 27; kritisch Palandt/Heinrichs, 64. Aufl., § 252 Rdnr. 16). Zu erstatten ist nicht der Ausfall der Arbeitskraft als solcher, sondern deren finanzielle Auswirkung auf die Vermögenslage des Geschädigten. Daher kommt es bei einem selbstständig Tätigen letztlich auf die Gewinnergebnisse des Unternehmens an. Eine Berechnung entgangenen Gewinns durch Vergleich von Betriebsergebnissen vor und nach dem Unfall scheidet indessen im Streitfall aus, weil der Betrieb erst wenige Monate vor dem Unfall gegründet worden ist. Die Ermittlung des Erwerbsschadens durch Schätzung gem. § 287 ZPO darf jedoch auf der Basis der den Gewinn mindernden Kosten einer tatsächlich eingestellten Ersatzkraft erfolgen.
Für die Berechnung kommt es darauf an, dass der eingestellte Arbeitnehmer an die Stelle der ausgefallenen Arbeitskraft des geschädigten Selbständigen getreten ist. An den Vortrag dazu hat das Landgericht überhöhte Substantiierungs- und Beweisanforderungen gestellt. Zweckmäßig wäre es zwar gewesen, den Arbeitsanfall vor und nach dem Unfall miteinander in Beziehung zu setzen, um die Feststellung zu erleichtern, ob Mitarbeiter wegen gestiegenen Arbeitsanfalls oder zur Kompensation des Ausfalls der Arbeitskraft des Klägers beschäftigt wurden (vgl. BGH VersR 1992, 973). Dies ist aber nicht die einzig mögliche Schätzungsmethode. Sie würde nicht nur die Existenz entsprechender Aufzeichnungen und Belege voraussetzen, sondern bei steigendem Umsatz eines wachsenden Unternehmens auch einen schwierigen Vergleich der Relation von Umsatzsteigerung zu Personalkostensteigerung verlangen.
Für die Schätzung ist davon auszugehen, dass der Kläger in seinem Betrieb mitgearbeitet hat. Darauf beruht der Unfall, und eine Mitarbeit des Handwerkerunternehmers hat der Sachverständige als für kleine Handwerksbetriebe wie den des Klägers üblich bezeichnet (GA Bl. 16). Bei einem verhältnismäßig jungen Geschädigten - der am 11. September 1956 geborene Kläger war zur Unfallzeit 36 Jahre alt - ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass er die ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten für eine gewinnbringende Erwerbstätigkeit nutzen wird (vgl. BGH NJW 1998, 1634, 1636) [BGH 03.03.1998 - VI ZR 385/96]. Dass ein Zimmermann mit beiden . Händen zupacken können muss, entspricht der Lebenserfahrung. Diese Fähigkeit hat der Kläger nach dem ärztlichen Attest Dr. ... .Angesichts des Lebensalters des Klägers ist es unwahrscheinlich, dass sich der Kläger in dem für den geltend gemachten Anspruch relevanten Zeitraum, also bis Dezember 2002, aus der aktiven handwerklichen Mitarbeit in seinem Betrieb zurückgezogen hätte. Daher fiel seine Eigenleistung als Zimmermann in dem Unternehmen aus und musste durch die Leistung einer bezahlten Ersatzkraft kompensiert werden. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger kein überflüssiges Personal beschäftigen wollte und daher eine fremde Arbeitskraft, die er tatsächlich im Umfang des Arbeitskräftebedarfs nach Auftragsentwicklung beschäftigt hat, entweder gar nicht eingestellt hätte oder sie gegebenenfalls entlassen hätte, wenn er seine eigene Arbeitsleistung als Zimmermann an ihrer Stelle hätte verwerten können.
Der Senat hat erwogen, ob auch ein anderer Unternehmer das Unternehmen bei rationaler betriebswirtschaftlicher Kalkulation angesichts der Betriebsergebnisse fortgeführt hätte, ob der Kläger zu dieser Entscheidung also nicht nur durch die Aussicht auf Schadensersatz verleitet wurde. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgelegten jährlichen Gewinn- und Verlustrechnungen ergeben, dass der Kläger in dem Zeitraum, auf den sich die vorliegende Klage bezieht, zwar schwankende Ergebnisse erzielt und teilweise mit Verlust gearbeitet hat. Er hat jedoch auch nicht unbeträchtliche Gewinne erzielt, sodass er davon ausgehen durfte, sein Unternehmen mittelfristig erfolgreich führen zu können. Das pauschale Bestreiten dieses klägerischen Vorbringens durch den Beklagten ist nicht ausreichend. Es gibt demnach keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zwecks Schadensminderung verpflichtet gewesen sein könnte, einer ertragreicheren anderweitigen, eventuell unselbständigen Beschäftigung nachzugehen.
Keine Anhaltspunkte sind dafür vorhanden, dass der Kläger durch eine Verlagerung seiner betrieblichen Mitarbeit auf die Erledigung gestiegener Verwaltungsarbeit ein anderes Betätigungsfeld gefunden haben könnte. Bei seiner informellen Anhörung vor dem Senat hat er erklärt, dass die Verwaltungsarbeit zwar zugenommen habe, dass er die Büroarbeit aber auch weiterhin in den Abendstunden und an den Wochenenden erledige und während der Werktage die Arbeit auf den Baustellen anleite und überwache. Das ist angesichts der Höhe der Umsatzerlöse und der Beschäftigung wechselnder Mitarbeiter plausibel. Der Beklagte ist dem nicht substantiiert entgegengetreten.
Ebenfalls sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Kläger den Schwerpunkt seiner unternehmerischen Betätigung von der Ausführung von Werkleistungen auf eine Handelstätigkeit verschoben hat. Dazu hat er erklärt, dass er sich auf ökologische Bauausführung spezialisiert habe, für die er Baustoffe verwenden müsse, die im örtlichen Handel nicht zu beziehen seien. Die Beschaffung einschlägiger Materialien aus Süddeutschland zwinge zur Abnahme von Mengen, deren Überschüsse er durch Weiterverkauf absetze. Auch das hat der Beklagte nicht substantiiert in Zweifel gezogen.
2.
Die Berechnung der Kosten einer Ersatzkraft ist zu unterteilen in die Zeit bis Dezember 1997, für die das Sachverständigengutachten vorliegt, und die Zeit von Januar 1998 bis Dezember 2002, für die nur die Gehaltsabrechnungen existieren. Der Beklagte hat nicht bestritten, dass jeweils ein Arbeitnehmer entsprechend den vorgelegten Lohnabrechnungen (GA 1/123 ff. und 167 ff) für Zimmermannsarbeiten beschäftigt worden ist (vgl. das beschränkte Bestreiten GA I/99). Jeweils abzusetzen sind die Lohnersatzleistungen der Berufsgenossenschaft, die ab dem 25. Mai 1995 einsetzten. Prognoserisiken, die einen Abschlag von den auf dieser Schätzungsbasis ermittelten Zahlen gebieten würden (vgl. BGH NJW 1998, 1634, 1636) [BGH 03.03.1998 - VI ZR 385/96], sind für den gesamten Schadenszeitraum bis Ende 2002 nicht erkennbar.
a)
Oktober 1993 bis Dezember 1997
Der Sachverständige hat die für Personal in der Zeit von Oktober 1993 bis Ende 1997 getätigten Aufwendungen als der wirtschaftlichen und personellen Entwicklung des Betriebes entsprechend bezeichnet (GA Bl. 17). Er hat aber die Ersatzkraft nicht ab Mai 1993, sondern erst ab Oktober 1993 in Ansatz gebracht, woraus sich ein Betrag von 91.362,43 DM statt von 93.461,31 DM ergibt. Dagegen haben die Parteien keine Einwendungen erhoben. Allerdings hat der Kläger ohne Auseinandersetzung mit dem von ihm vorgelegten Gutachten den Betrag von 93.461,31 DM in Ansatz gebracht. Die Berechnung lautet in Eurobeträgen:
Personalkostenaufwand | 46.712,87 Euro |
---|---|
abzüglich Rente | 34.714,10 Euro |
11.998,77 Euro | |
davon 37,5% | 4.499,54 Euro |
b)
Januar 1998 bis Dezember 2002
Der Vergleichsvorschlag des Landgerichts, dessen rechnerische Richtigkeit von den Parteien nicht in Zweifel gezogen worden ist, ging von den Zahlen GA Bl. 4 bzw. 119 f. aus. Dort sind die Personal kosten für je einen Mitarbeiter in Ansatz gebracht worden.
Personalkostenaufwand | 118,355,81 Euro |
---|---|
abzüglich Rente | 69.142,16 Euro |
49.213,65 Euro | |
davon 37,5% | 18.455,12 Euro |
Summe aus a und b: | 22.954,66 Euro |
In Höhe der Gesamtsumme ist die Klage begründet. Über die Mehrforderung ist die Berufung vom Kläger nicht begründet worden; insoweit blieb die Berufung hinsichtlich eines geringfügigen Betrages erfolglos.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.