Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 24.08.2005, Az.: 7 W 86/05
Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Zustellung einer Streitverkündungsschrift; Einordnung der dem mutmaßlichen Willen des Zustellungsempfängers widersprechenden Zustellung als Verfahrensgesuch; Zulässigkeit einer Beschwerde des Streitverkündeten als außerordentliche Beschwerde; Nichtzustellungspflicht einer Streitverkündung für das Gericht als Konsequenz der Unzulässigkeit einer Streitverkündung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 24.08.2005
- Aktenzeichen
- 7 W 86/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 32914
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2005:0824.7W86.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - AZ: 4 OH 10/04
Rechtsgrundlagen
- § 839a BGB
- § 68 ZPO
- § 71 Abs. 2 ZPO
- § 73 S. 2 ZPO
- § 567 Abs. 1 ZPO
- § 47 GKG
- § 48 Abs. 2 GKG
Fundstellen
- BauR 2006, 140-142 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- OLGReport Gerichtsort 2006, 300-301
In dem selbständigen Beweisverfahren
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht K. und
die Richterinnen am Oberlandesgericht K. und H.
am 24. August 2005
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Sachverständigen S. gegen die Zustellung der Streitverkündungsschrift der Antragsgegnerin vom 13. Juni 2005 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 1.200 EUR.
Gründe
I.
Im selbständigen Beweisverfahren hat das Landgericht ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen S. eingeholt. Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2005 hat die Antragsgegnerin beantragt, dass sich der Sachverständige ergänzend zu vorformulierten Fragen äußert. Zugleich hat die Antragsgegnerin dem Sachverständigen den Streit verkündet mit der Aufforderung, auf ihrer Seite dem Verfahren beizutreten. Der Streitverkündungsschriftsatz ist dem Sachverständigen am 17. Juni 2005 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2005 hat der Sachverständige S. Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, die Zustellung rückgängig zu machen oder zu widerrufen, hilfsweise für unwirksam zu erklären. Das Landgericht, welches der Beschwerde durch Beschluss vom 11. Juli 2005 nicht abgeholfen hat, hat sie dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde des Sachverständigen S. ist als unzulässig zu verwerfen gewesen.
1.
Die Beschwerde ist nicht nach § 567 Abs. 1 ZPO statthaft. Nach dieser Vorschrift findet die sofortige Beschwerde gegen die im ersten Rechtzug ergangenen Entscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte statt, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder es sich um solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Zwar ist die Verweigerung der Zustellung einer Streitverkündungsschrift, die gemäß § 73 ZPO von Amts wegen zu erfolgen hat, mit der Beschwerde anfechtbar. Denn die Ablehnung einer von Amts wegen vorzunehmenden Zustellung steht der Zurückweisung eines Verfahrensgesuchs gleich (vgl. OLG Frankfurt, BauR 2001, 677, 678). Dies gilt aber nicht für den umgekehrten Fall. Es fehlt an einem Verfahrensgesuch, welches nicht darin gesehen werden kann, dass die Zustellung dem mutmaßlichen Willen des Zustellungsempfängers widerspricht. Denn der bloße Widerspruch gegen einen Antrag des Gegners ist kein das Verfahren betreffendes Gesuch im Sinne des § 567 ZPO, selbst dann nicht, wenn die Form eines Antrags auf Aufhebung einer Entscheidung gewählt wird (Baumbach/Lauterbach, ZPO, 60. Auflage, zu § 567 Rdnr. 4 m.w.N.).
2.
Die Beschwerde des Streitverkündeten ist nicht in analoger Anwendung des § 71 Abs. 2 ZPO zulässig. Ist ein Dritter gemäß § 70 ZPO oder nach erfolgter Streitverkündung dem Rechtsstreit beigetreten, hat nach § 71 ZPO auf Antrag einer am Prozess beteiligten Person ein Zwischenurteil über die Zulassung oder Zurückweisung des Beitritts zu ergehen, welches mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist. Da die Regelung in § 71 ZPO ausschließlich darauf abzielt, im Hinblick auf den weiteren Verlauf des Verfahrens und damit im Interesse der Parteien des Rechtsstreits Klarheit zu schaffen, ob der Dritter aufgrund seines Beitritts am Prozess zu beteiligen ist, verbietet sich eine analoge Anwendung des § 71 ZPO für den Fall, in dem der Dritte, dem der Streit verkündet worden ist, das Vorliegen der Voraussetzungen der Streitverkündung geklärt haben möchte. Die ZPO bürdet vielmehr die Ungewissheit über die Wirksamkeit der Streitverkündung dem Dritten als Streitverkündungsempfänger auf (vgl. Stein-Jonas, ZPO, 22. Auflage, zu § 72 Rdnr. 17). Dem Dritten steht deshalb kein Rechtsbehelf gegenüber der Streitverkündung zu; ihm bleibt lediglich die Möglichkeit, dem Verfahren beizutreten oder seine Rechte ggf. im Folgerozess geltend zu machen (vgl. Münchener Kommentar, ZPO, zu § 72 Rdnr. 21).
3.
Die Beschwerde des Streitverkündeten ist schließlich nicht als außer-ordentliche Beschwerde statthaft.
Nach allgemeiner Ansicht ist eine an sich nicht eröffnete Beschwerde unter dem Gesichtspunkt der "greifbaren Gesetzeswidrigkeit" als außerordentliche Beschwerde zuzulassen, wenn sich die Entscheidung des Ausgangsgerichts als grob fehlerhaft erweist (Zöller, ZPO, 23. Auflage, zu § 567 Rdnr. 18 ff; Baumbach/Lauterbach, a.a.O., zu § 567 Rdnr. 6ff). Vorliegend stellt sich die Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes an den Sach-verständigen indes nicht als greifbar gesetzeswidrig dar.
Von dem Streitverkündeten wird in seiner Beschwerdeschrift darauf hingewiesen, dass die ihm gegenüber erfolgte Streitverkündung unzulässig sei, weil er in dem Verfahren als gerichtlich beauftragter Sachverständiger tätig sei und er deshalb kein Dritter im Sinne des § 72 ZPO sei. Es spricht einiges dafür, dass dieser Einwand zutreffend ist (so auch Zöller/Vollkommen, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 72 Rdnr. 1). Aus der bloßen Unzulässigkeit einer Streitverkündung folgt aber nicht, dass das Gericht die Zustellung des Schriftsatzes hätte ablehnen müssen. Vielmehr gilt, dass das Gericht auch in einem selbständigen Beweisverfahren den Streitverkündungsschriftsatz dem Betroffenen zuzustellen hat, ohne die Zulässigkeit der Streitverkündung hiervon abhängig zu machen. Enthält ein Schriftsatz eine Streitverkündungserklärung und entspricht den Anforderungen eines bestimmenden Schriftsatzes, muss dieser ohne weitergehende Prüfung gemäß § 73 Satz 2 ZPO dem Streitverkündeten zugestellt werden (vgl. OLG München, NJW 1993, 2756 [OLG München 28.05.1993 - 28 W 1601/93]; OLG Celle, OLGR 1994, 44; OLG Frankfurt, BauR 2001, 677). Denn das Gericht hat nur Zustellungshilfe für die Partei zu leisten, die den Schriftsatz eingereicht hat (vgl. Stein-Jonas, ZPO, 22. Auflage, zu § 73 Rdnr. 2 a. E.). Dem steht nicht entgegen, dass die Streitverkündung im Falle ihrer Zulässigkeit prozessual und materiell-rechtliche Wirkungen auslöst. Denn die bloße Zustellung des Schriftsatzes als solche hat keine Auswirkung in Bezug auf die Beurteilung der Zulässigkeit der Streitverkündung, die regelmäßig erst in einem Folgeprozess geprüft wird.
In seiner Beschwerdeschrift hat der Streitverkündete weiter eingewandt, da die Streitverkündung an einen Gerichtsgutachter eine nicht hinnehmbare Einflussnahme auf das Gerichtsverfahren sei und die für die Gerichtsgutachtertätigkeit unverzichtbare Unparteilichkeit des Sachverständigen untergrabe, sei das Landgericht gehindert gewesen, die Streitverkündungsschrift zuzustellen. Allgemein anerkannt ist auch, dass bei rechtsmissbräuchlichen Anträgen kein Anspruch des Antragstellers auf Bearbeitung und Entscheidung besteht (Zöller, a.a.O., Einl. Rdnr. 48a). Für den Missbrauch prozessualer Befugnisse müssen aber klare und eindeutige Anhaltspunkte vorliegen (Stein-Jonas, a.a.O., vor § 3 Rdnr. 232). Diese lassen sich hier nicht feststellen.
Zwar erweckt die von der Antragsgegnerin beantragte Streitverkündung objektiv den Eindruck, dass sie hierdurch Einfluss auf den Sachverständigen und damit auf das Beweisverfahren nehmen will. Hieraus lässt sich aber nicht zwingend herleiten, dass die Antragsgegnerin von der Möglichkeit der Streitverkündung in rechtsmissbräuchlicher Weise Gebrauch machen wollte, was für eine Ablehnung der Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes Voraussetzung gewesen wäre. Der Umstand, dass eine Streitverkündung gegenüber dem gerichtlich bestellten Sachverständigen, der zur Unparteilichkeit verpflichtet ist, für diesen eine Belastung ist, reicht allein nicht aus, um die beantragte Zustellung als rechtsmissbräuchliches Vorgehen zu werten. Ein besonnener Sachverständiger, der von einem Beitritt absehen wird, wird die Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes ebenso wie ein unbegründetes Ablehnungsgesuch ohnehin nur als untauglichen Versuch werten, ihn an der Ausführung des gerichtlich erteilten Auftrags zu behindern.
Die Antragsgegnerin selbst hat die Streitverkündung gegenüber dem Sach-verständigen damit begründet, dass sie in Bezug auf die vorliegenden Gut-achten vom 20. November 2004 und 13. April 2005 Schadensersatzansprüche im Rahmen des § 839a BGB absichern wolle. Hierfür hätte es der Streitverkündung (bei unterstellter Zulässigkeit) an sich nicht bedurft. Eine zulässige Streitverkündung im selbständigen Beweisverfahren hat zur Folge, dass dem Streitverkündeten das Ergebnis der Beweisaufnahme entsprechend § 68 ZPO in einem nachfolgenden Prozess entgegengehalten werden kann (BGH, BauR 1997, 347). Vorliegend ergibt sich das Ergebnis der Beweisaufnahme ausschließlich aus den Gutachten des Streitverkündeten, an die er sich unabhängig von einer etwaigen Streitverkündung festhalten lassen muss. Dass der Antragsgegnerin dies bewusst war und sie den Verweis auf § 839a BGB nur vorgeschoben hat, um die Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes an den Sachverständigen in der Hoffnung zu erreichen, dass dieser die vorgelegten Fragen unter dem Druck der Streitverkündung nicht mehr unparteiisch beantworten wird, kann indes ohne dahingehende greifbare Anhaltspunkte nicht angenommen werden. Hiergegen spricht vielmehr, dass die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 13. Juni 2005 vorsorglich zugleich einen Ablehnungsantrag gegen den Sachverständigen gestellt hat. Dies deutet darauf hin, dass sie den Sach-verständigen aus dem Verfahren drängen will mit dem Ziel, dass von dem Gericht ein weiteres Gutachten eingeholt wird, und sie vor diesem Hintergrund die Streitverkündung veranlasst hat. Da die Streitverkündung allein für eine Stattgabe des Befangenheitsantrags nicht ausreichend ist, weil die bloße Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen nicht rechtfertigen kann, hat die Antragsgegnerin, die dies wohl erkannt hat, ergänzend vorgebracht, dass sie am 7. Juni 2006 vermeintliche Informationen erhalten habe, die Anlass zur Besorgnis der Befangenheit seitens des Sachverständigen geben würden.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren ist auf 1.200 EUR festzusetzen. Der Wert bemisst sich gemäß § 47 GKG nach dem eigenen Interesse des Streitverkündeten an der Beseitigung der Zustellung der Streitverkündigung. Er entspricht damit nicht dem Gegenstandswert des selbständigen Beweisverfahrens. In entsprechender Anwendung der Regelung des § 48 Abs. 2 GKG schätzt der Senat das Interesse des Sachverständigen an der Rückgängigmachung der Streitverkündung, die für ihn zwar belastend, aber nicht von gravierender Bedeutung ist, auf 1.200 EUR.