Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 02.09.2020, Az.: 9 U 47/20
Haftung des Halters eines Elektrorollers wegen Schäden aufgrund Version des Akkus anlässlich eines Werkstattaufenthalts; Begriff des Schadenseintritts beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 02.09.2020
- Aktenzeichen
- 9 U 47/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 72786
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 02.04.2020 - AZ: 11 O 189/19
- OLG Celle - 13.07.2020 - AZ: 9 U 47/20
- nachfolgend
- BGH - 24.01.2023 - AZ: VI ZR 1234/20
Rechtsgrundlage
- § 7 Abs. 1 StVG
Redaktioneller Leitsatz
Der Halter eines Elektrorollers haftet nicht für Schäden aufgrund der Explosion des Akkus anlässlich eines Werkstattaufenthalts, wenn die Explosion nicht kausal auf die vorherige Entladung des Akkus als Betriebsvorgang zurückgeht.
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Vorsitzende Richterin
am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am
Oberlandesgericht ... am 2. September 2020 beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die Gegenvorstellung der Klägerin gegen den Beschluss des Senats vom 11. August 2020, mit dem ihr Antrag auf Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zu dem Hinweisbeschluss des Senats vom 13. Juli 2020 teilweise zurückgewiesen worden ist, und der damit verbundene Antrag auf Verlängerung der Stellungnahmefrist jedenfalls bis zum 30. September 2020 werden zurückgewiesen.
- 2.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 2. April 2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird einstimmig zurückgewiesen.
- 3.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
- 4.
Das angefochtene Urteil ist - wegen der Kosten - ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
Die Klägerin macht als Gebäudeversicherer aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten als Haftpflichtversicherer eines Elektrorollers geltend, dessen Akku in bei der Klägerin feuerversicherten Werkstatträumen im Rahmen eines Ladevorganges in Brand geraten bzw. explodiert ist. Dem liegt Folgendes zugrunde:
Nachdem der Halter und Versicherungsnehmer der Beklagten, der inzwischen verstorbene H. E., seinen Elektroroller des Typs Lyric A720 zur Durchführung einer Inspektion in die bei der Klägerin gegen die Risiken Feuer, Leitungswasser und Sturm versicherten Werkstatträume des Unternehmens "... H.", dessen Geschäftsgegenstand in Vertrieb und Wartung derartiger Fahrzeuge besteht, verbracht hatte, entnahm dort ein Mitarbeiter am 7. Februar 2017 den Akku des Fahrzeugs, um ihn aufzuladen. Als der Mitarbeiter bemerkte, dass der Akku sich stark erhitzte, trennte er ihn vom Stromnetz und legte ihn zur Abkühlung auf den Boden der Werkstatt. Kurz darauf explodierte der Akku indes; das Gebäude und darin befindliches Inventar gerieten in Brand, wodurch es zu erheblichen Schäden kam.
Die Klägerin behauptet, den entstandenen Gebäudeschaden und Mietausfallschäden reguliert und des Weiteren Sachverständigenkosten gehabt zu haben. In Höhe der sich aus diesen Positionen ergebenden Summe von gut € 730.000,- hält sie nunmehr die Beklagte für ersatzpflichtig. Der Schaden sei bei dem Betrieb des Elektrorollers entstanden, so dass ein gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf sie übergegangener Anspruch gemäß § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. §§ 115 VVG, 1 PflVG gegen die Beklagte bestehe. Wegen der Einzelheiten der von der Klägerin geltend gemachten Schadenshöhe wird auf die Klageschrift vom 21. Mai 2019 (Bl. 1 ff., hier Bl. 7 f. d.A.) verwiesen.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Schadenseintritt stehe nicht im Zusammenhang mit dem Betrieb des Fahrzeugs. Zudem behauptet sie, der Elektroroller habe nicht schneller als 20 km/h fahren können, weshalb sie die Ausnahme des § 8 Nr. 1 StVG für einschlägig hält. Schließlich behauptet sie, ursächlich für die Explosion des Akkus sei das verwendete Ladegerät gewesen.
Das Landgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil (Bl. 87 ff. d.A.), auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen, der erstinstanzlich gestellten Anträge und der Entscheidungsgründe verwiesen wird, abgewiesen. Zur Begründung hat die Kammer im Wesentlichen ausgeführt, der verfahrensgegenständliche Schaden sei nicht bei dem Betrieb des Elektrorollers eingetreten. Dies folge aus der fallentscheidenden Besonderheit, dass der Akku zum Laden aus dem Fahrzeug entfernt worden sei. Dadurch sei eine neue Kausalkette in Gang gesetzt worden, und es habe sich eine von dem Akku ausgehende Produktgefahr, nicht aber die Betriebsgefahr des Elektrorollers realisiert.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Argumentation den erstinstanzlich geltend gemachten Anspruch in vollem Umfang weiterverfolgt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landgerichts Hannover vom 26. Februar 2020 - Aktenzeichen 11 O 198/19 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 733.878,53 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über Basiszins ab dem 27. August 2018 zu zahlen.
Die Beklagte hat bislang keinen Antrag angekündigt.
Mit Beschluss vom 13. Juli 2020 (Bl. 130 ff. d.A.), auf den Bezug genommen wird, hat der Senat die Klägerin auf die Aussichtslosigkeit ihrer Berufung und deren mögliche Zurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO sowie die Gründe hierfür hingewiesen. Dazu hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 6. August 2020 (Bl. 142 ff. d.A.) Stellung genommen und zugleich beantragt, ihr für die ergänzende Befassung eines Parteigutachters die ihr zunächst gesetzte dreiwöchige Frist zur Stellungnahme bis zum 31. Oktober 2020 zu verlängern. Eine derart weiträumige Fristverlängerung hat der Senat mit Beschluss 11. August 2020 (Bl. 145 d.A.) abgelehnt und die der Klägerin ursprünglich gesetzte Frist um weitere drei Wochen bis zum 28. August 2020 verlängert. Dagegen wendet sich der Klägervertreter mit einer Gegenvorstellung vom 18. August 2020 (Bl. 149 f. d.A.), mit der er zugleich unter Verweis auf urlaubsbedingte Abwesenheit auf eine Fristverlängerung bis jedenfalls zum 30. September 2020 anträgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird neben der angefochtenen Entscheidung auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.
II.
1.) Die mit Schriftsatz vom 18. August 2020 erhobene "Beschwerde bzw. Gegenvorstellung" gegen die teilweise Zurückweisung des Fristverlängerungsantrages vom 6. August 2020 bleibt ohne Erfolg.
Eine Anfechtung des Beschlusses des Senats vom 11. August 2020, mit dem der Klägerin unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags nur eine teilweise Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zu dem Senatsbeschluss vom 13. Juli 2020 bewilligt worden ist, findet gemäß § 225 Abs. 3 ZPO nicht statt, so dass der Schriftsatz vom 18. August 2020 - seiner alternativen Überschrift entsprechend - als Gegenvorstellung anzusehen war, soweit er sich gegen die teilweise Zurückweisung des Fristverlängerungsantrages vom 6. August 2020 richtet.
Diese dringt in der Sache nicht durch. Der Senat hält an den im Beschluss vom 11. August 2020 niedergelegten Erwägungen fest. Eine derart weiträumige Fristverlängerung, wie die Klägerin sie begehrt, ist mit dem Grundsatz eines zügigen Verfahrensablaufs und den Interessen der Beklagten an angemessener Förderung und einem Abschluss des Rechtsstreits unvereinbar.
Es bleibt auch dabei, dass Fristverlängerungen nicht dazu dienen können, die Voraussetzungen für Vortrag zu schaffen, der bereits mit der Berufungsbegründung zu halten gewesen wäre. Die Berufungsbegründung nämlich muss die Berufungsangriffe und den sie untermauernden Tatsachenvortrag enthalten (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2-4 ZPO). Soweit die Klägerin meint, dass erst der Senat die Frage der Vergleichbarkeit des verfahrensgegenständlichen Fahrzeugs mit dem vom Parteigutachter der Klägerin untersuchten Fahrzeug aufgebracht habe, trifft das nicht zu, weil die Beklagte im Verfahren erster Instanz schon mit der Klagerwiderung vom 11. Juli 2019 (dort S. 3 = Bl. 24 d.A.) und noch einmal explizit mit Schriftsatz vom 28. Februar 2020 (Bl. 78 d.A.) die Höchstgeschwindigkeit des verfahrensgegenständlichen Fahrzeugs und die Frage seiner (fehlenden) Vergleichbarkeit mit dem vom Parteigutachter untersuchten Fahrzeug aufgeworfen bzw. verneint hatte. In Reaktion darauf hat die Klägerin bereits in erster Instanz auf Fristverlängerung zwecks Recherchen beim Hersteller und sachverständiger Überprüfung angetragen (vgl. Schriftsatz vom 10. September 2019, Bl. 43 f. d.A.) und schließlich mit Schriftsatz vom 21. Februar 2020 (Bl. 63 ff. d.A.) eine Stellungnahme ihres Parteigutachters (Anlage K 9 im "Anlagenband II Kläger") vorgelegt. Die zugrundeliegende Frage zieht sich mithin bereits durch den gesamten Rechtsstreit, und die Klägerin hatte mehr als ausreichend Gelegenheit, unter Befassung ihres Parteigutachters zu diesem Gesichtspunkt vorzutragen, so dass eine nochmalige (großräumige) Fristverlängerung im gegenwärtigen, bereits vorgerückten Verfahrensstadium nicht mehr in Betracht kommen kann.
2.) Das gilt der Sache nach auch für den mit der Gegenvorstellung vom 18. August 2020 verknüpften Antrag auf Verlängerung der Stellungnahmefrist jedenfalls bis zum 30. September 2020.
Sofern zur Begründung dieses Antrags ergänzend auf urlaubsbedingte Abwesenheit des Klägervertreters ab dem 24. August 2020 verwiesen wird, verfängt auch dies nicht. Insofern ist nämlich zu berücksichtigen, dass die bereits verlängerte Frist ohnehin bereits am 28. August 2020 abgelaufen wäre. Der Urlaub des Klägervertreters verkürzt die bereits einmal bis zum 28. August 2020 verlängerte Frist mithin um lediglich vier Tage. Zudem ist weder vorgetragen noch ersichtlich, was den Klägervertreter gehindert haben soll, bei erneuter Befassung mit der Sache anlässlich der Abfassung der Gegenvorstellung vom 18. August 2020 oder jedenfalls innerhalb des dann noch bis zum Urlaubsantritt verbleibenden Zeitraums von knapp einer Woche auch in der Sache ergänzend Stellung zu nehmen, und was über die im Schriftsatz vom 6. August 2020 enthaltene Stellungnahme hinaus überhaupt noch vorgetragen werden soll.
III.
1.) Die Berufung ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Soweit der mit der Berufungsbegründung vom 5. Juni 2020 angekündigte Antrag (Bl. 119 d.A.) fälschlich auf ein am 26. Februar 2020 (an diesem Tag fand die mündliche Verhandlung erster Instanz statt, vgl. Protokoll Bl. 67 f. d.A.) verkündetes Urteil Bezug nimmt und ein falsches Aktenzeichen nennt, ist dies angesichts der korrekten Angaben im Berufungsschriftsatz vom 4. Mai 2020 (Bl. 107 f. d.A.) unschädlich.
2.) Das Rechtsmittel ist jedoch gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, weil es offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und schließlich auch keine mündliche Verhandlung geboten ist.
Zur Begründung verweist der Senat zunächst gemäß § 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO auf seinen Hinweisbeschluss vom 13. Juli 2020. Die daraufhin eingegangene Stellungnahme der Klägerin vom 6. August 2020 (Bl. 142 ff. d.A.) gibt keinen Anlass, von der in diesem Beschluss niedergelegten und begründeten Auffassung abzurücken. Vor deren Hintergrund ist lediglich ergänzend, teilweise wiederholend, Folgendes zu bemerken:
1.) Der Senat hat sich für die Verneinung des tatbestandlichen Merkmals "bei dem Betrieb" aus § 7 Abs. 1 StVG nicht allein auf die Herausnahme des Fahrzeugs aus dem allgemeinen Verkehr, sondern ausweislich Nr. II.1.b der Gründe des Hinweisbeschlusses vom 13. Juli 2020 vor allem unter Bezugnahme auf entsprechende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf gestützt, dass nach dieser Herausnahme bei Schadenseintritt in der Werkstatt keine beim Betrieb des Fahrzeugs geschaffene Gefahrenlage fort- bzw. nachgewirkt hat. Dabei bleibt es. Sofern die Klägerin demgegenüber anführt, die den Ladevorgang erforderlich machende Entladung des Akkus sei beim Betrieb erfolgt, folgt daraus nichts anderes: Die Explosion des Akkus geht nämlich jedenfalls nicht kausal auf seine vorherige Entladung als Betriebsvorgang zurück.
2.) Es trifft nicht zu, dass der Hinweisbeschluss vom 13. Juli 2020 sich nicht zur Frage der Beweislast hinsichtlich der zum Brand- bzw. Explosionsereignis führenden Ursache verhält. Diesbezüglich hat der Senat unter Nr. II.2 der Beschlussgründe ausgeführt, dass er die Beweislast für die Voraussetzung der haftungsbegründenden Kausalität bei der Klägerin als Anspruchstellerin sieht. Die Klägerin ist jedoch angesichts der Behauptung eines abweichenden Kausalverlaufs durch die Beklagte (Schadhaftigkeit des verwendeten Ladegeräts) beweisfällig geblieben.
3.) Der Einholung des von der - insofern gar nicht beweisbelasteten - Klägerin angebotenen Sachverständigengutachtens zur Frage der von dem verfahrensgegenständlichen Fahrzeug erzielbaren Höchstgeschwindigkeit schließlich bedarf es nicht, weil sich diese hinreichend aus dem zugehörigen "Certificate of Conformity" ergibt, an dem die Klägerin nachvollziehbare Zweifel aus den im Hinweisbeschluss vom 13. Juli 2020 unter Nr. II.3.b genannten Gründen nicht geweckt hat.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.