Landgericht Hannover
Urt. v. 02.04.2020, Az.: 11 O 189/19

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
02.04.2020
Aktenzeichen
11 O 189/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 72168
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2020:0402.11O189.19.00

In dem Rechtsstreit
L.
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
S.
gegen
V.
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte:
R.
hat das Landgericht Hannover - 11. Zivilkammer - durch den Richter am Landgericht als Einzelrichter auf die mündliche Verhandlung vom 26.02.2020 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

  3. 3.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

  4. 4.

    Der Streitwert wird auf 733.878,53 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Erstattung einer Versicherungsleistung aus einem Brandschadensereignis an welchem ein Elektroroller des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Halters beteiligt war.

Herr E. war Halter eines Elektrorollers der Marke Freeliner (Lyric A720) mit der FIN:XXX, welcher bei der Beklagten haftpflichtversichert war. Hierbei handelte es sich um ein dreirädriges Leichtfahrzeug mit starrer Hinterachse, das als Universalfahrzeug für Senioren und Menschen mit körperlichen Einschränkungen konzipiert wurde. Das Fahrzeug verfügte über einen Elektromotor, der von Lithium-Ionen-Akkus gespeist wurde. Es gehörte zur Fahrzeugklasse der Kleinkrafträder und weist laut Hersteller eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h auf. Der Halter brachte das Fahrzeug, welches er etwa drei Jahre zuvor gekauft hatte, am 07.02.2017 zu einer Inspektion in das Fachgeschäft O. in einem Gebäude in der O-Straße in H. Eigentümerin des Gebäudes, in welchem sich dieses Geschäft befand, ist die U. GmbH. Der Akku des Rollers war vollständig entleert. Der bei der Firma angestellte Herr A. begann die Inspektion damit, den Akku des Rollers zu laden. Hierzu entnahm er einen der beiden in dem Fahrzeug verbauten Akkus und schloss diesen an ein vom Hersteller zertifiziertes Ladegerät an. Eine vollständige Aufladung dauert etwa vier Stunden. Nach rund einer bis eineinhalb Stunden stellte Herr A. fest, dass sich der Akku stark erhitzte. Daraufhin trennte er den Akku vom Ladegerät und stellte diesen zum Abkühlen auf den Betonboden in der Werkstatt. Rund eine Minute später explodierte der Akku mit einem lauten Knall. Durch die Explosion wurde ein Feuer ausgelöst, welches schnell das gesamte Geschäft erfasste. Die herbeigerufene Feuerwehr benötigte etwa eine Stunde zum Löschen. Durch das Feuer brannte das Geschäft vollständig aus und es wurden auch Teile des Gebäudes, in welchem sich unter anderem ein Parkhaus und andere Geschäfte befanden, in Mitleidenschaft gezogen. Die Brandermittler der Polizei (beigezogene Akte X) kamen zu dem Ergebnis, dass ein technischer Defekt brandursächlich gewesen sei.

Die Klägerin behauptet, sie sei Gebäudeversicherer der Eigentümerin U. GmbH. In dieser Eigenschaft habe sie zur Regulierung des Brandschadens und für Mietausfälle einen Betrag in Höhe von 732.691,70 € gezahlt. Ferner macht sie Sachverständigenkosten in Höhe von 1.186,83 € geltend. Sie ist der Ansicht, der Brand sei beim Betrieb des Kraftfahrzeugs entstanden, so dass eine verschuldensunabhängige Halterhaftung vorliege. Zudem weise das Fahrzeugs eine tatsächliche Höchstgeschwindigkeit von mehr als 20 km/h auf. Daher sei die Beklagte als Versicherung für diesen Schaden einstandspflichtig. Sie hat die Beklagte -was unstreitig ist- außergerichtlich zur Zahlung aufgefordert, was die Beklagte abgelehnt hat.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 733.878,53 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.08.2018 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, das versicherte Fahrzeug habe eine maximale Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h aufgewiesen. Daher scheide eine verschuldensunabhängige Halterhaftung aus. Zudem sei nicht der Akku, sondern das Ladegerät defekt gewesen. Sie ist der Ansicht, dass Aufladen des Akkus falle nicht unter den Begriff "bei Betrieb", so dass eine Haftung von vorneherein ausscheide.

Am 26.02.2020 hat vor der Kammer die mündliche Verhandlung stattgefunden. Hierbei ist die Verhandlung zusammen mit der Parallelsache 11 O 215/18 durchgeführt worden, welche dieselben Beteiligten und dasselbe Schadensereignis betreffen. Für nähere Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Die Kammer hat zudem die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft mit dem Aktenzeichen X in dem Parallelverfahren beigezogen und auch zum Gegenstand im hiesigen Verfahren gemacht.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 733.878,53 € aus § 7 StVG i.V.m. § 86 VVG.

Denn nach Auffassung der Kammer ist der Schaden nicht "bei Betrieb" eines Kfz entstanden.

Der zu Grunde liegende Sachverhalt ist in weiten Teilen zwischen den Parteien unstreitig. Die hier zunächst entscheidende Frage war, ob das Aufladen des Akkus in dem Ladegerät ein Vorgang war, der unter den Begriff "bei Betrieb" fällt. Dies ist im Ergebnis zu verneinen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist dieses Merkmal weit auszulegen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, das heißt die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (BGH Urteil vom 21.01.2014 - VI ZR 253/13-; BGH Urteil vom 26.03.2019 - VI ZR 236/18-).

Grundsätzlich geht die Kammer davon aus, dass bei Elektrofahrzeugen der Aufladevorgang ein wesentliches Merkmal des Betriebs derartiger Fahrzeuge ist. Denn ohne ein Aufladen ist das Fahrzeug nicht fahrbereit, so dass dieser Vorgang etwa dem Betanken eines kraftstoffbetriebenen Fahrzeugs gleichsteht. Da allgemein bekannt ist, dass Lithium-Ionen-Akkus bei einem Defekt im Akku oder im Ladegerät überhitzen, in Brand geraten oder sogar explodieren können, wäre ein dadurch verursachtes Feuer grundsätzlich der Betriebsgefahr des Fahrzeugs zuzurechnen.

Im vorliegenden Fall besteht jedoch die Besonderheit, dass der Akku zum Laden aus dem Fahrzeug entfernt wurde, von diesem also räumlich getrennt wurde. Da sich aus der in den Akten befindlichen Bedienungsanleitung ergibt, dass der Akku auch im Fahrzeug geladen werden kann, war ein Ausbau nicht zwingend erforderlich. Die Kammer geht daher davon aus, dass mit dem Ausbau eine neue Kausalkette in Gang gesetzt wurde. Hier hat sich nun vielmehr eine von dem Akku ausgehende Produktgefahr realisiert, die unabhängig von der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs zu werten ist. Dies ist bei einer wertenden Betrachtung vergleichbar mit dem Ausbau von Teilen eines Pkw. So könnte ein Schaden, der durch ein bereits räumlich vom Fahrzeug getrenntes Bauteil verursacht wird, der Betriebsgefahr nur zugerechnet werden, wenn die Grundlage für den Schaden schon beim Betrieb gelegt wurde. So beispielsweise in Anlehnung an den der oben genannten BGH Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt, wenn die Batterie in Brand gerät, weil sie durch einen vorhergehenden Unfall des Fahrzeugs beschädigt wurde. Ein derartiges Vorgeschehen hat im vorliegenden Fall nicht stattgefunden. Damit ist das Brandereignis nicht auf den Betrieb des Fahrzeugs zurückzuführen.

Überdies ist in diesem Fall auch denkbar, dass der Defekt, der zum Überhitzen des Akkus führte, nicht vom Akku selbst, sondern von dem Ladegerät ausging, wie die Beklagte behauptet hat. Da sowohl der Akku als auch das Ladegerät bei dem Feuer vollständig zerstört wurde, lässt sich dies nicht mehr nachvollziehen.

Da folglich bereits das Tatbestandsmerkmal "bei Betreib" nicht erfüllt war, kam es auf die streitige Frage der tatsächlichen Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeugs im Sinne von § 8 Nr. 1 StVG nicht mehr an.

II.

Da die Klägerin keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte hat, hat sie auch keinen Anspruch auf Ersatz von Zinsen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 12, 39 ff. GKG, 3 ff. ZPO.