Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 22.09.1999, Az.: 9 U 360/98

Verpflichtung zur Beaufsichtigung eines Jugendlichen zu seinem eigenen Schutz; Ansprüche eines Jugendlichen gegen einen Aufsichtspflichtigen wegen einer Aufsichtspflichtverletzung; Fertigung eines Sprengkörpers durch einen Jugendlichen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
22.09.1999
Aktenzeichen
9 U 360/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 30779
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1999:0922.9U360.98.0A

Fundstellen

  • FamRZ 2000, 1214-1215 (Volltext mit red. LS)
  • VersR 2000, 457 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. S. und
die Richter am Oberlandesgericht Dr. W. und Prof. Dr. A.
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. September 1999
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Berufung des Klägers gegen das am 9. November 1998 verkündete Urteil des Landgerichts B. wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  4. 4.

    Beschwer: 20.000 DM.

Tatbestand

1

Der am 10.11.1981 geborene Kläger macht wegen einer Handverletzung, die er infolge der Explosion einer selbst gebastelten Rohrbombe in der Silvesternacht 1997/98 erlitten hat, einen deliktischen Schadensersatzanspruch geltend, weil die Beklagte ihn als Übernehmerin der Aufsichtspflicht nächtens des Hauses verwiesen und daher nicht ausreichend beaufsichtigt habe. Der Kläger feierte den Jahreswechsel zusammen mit Freunden im Hause der Beklagten. Die Mutter des Klägers hatte von der Beklagten die telefonische Bestätigung erhalten, dass in deren Wohnung gefeiert werden dürfe, der Kläger dort beaufsichtigt werde und er dort übernachten dürfe. Zu der Feier baute der Kläger eine "Rohrbombe", die er heimlich im Rucksack bei sich führte und von deren Existenz, die Beklagte nichts wusste. Die Jugendlichen tranken Alkohol. Gegen 24.00 Uhr verließen sie vorübergehend das Haus und zündeten Feuerwerkskörper an. Gegen Morgen des Neujahrstages verwies die Beklagte den Kläger nach wiederholtem Lärmen des Hauses. Der Kläger und ein Freund fuhren in den Wald, um dort zu nächtigen. Dort zündete der Kläger seinen Sprengkörper und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

2

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen.

3

Der Anspruch kann nicht auf § 832 BGB gestützt werden, der allein den Schutz Dritter bezweckt. Als Anspruchsgrundlage kommt nur eine Verkehrspflichtverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht, die auch zum Schutz eines zu beaufsichtigenden Jugendlichen selbst bestehen kann. Die Beklagte hat jedoch offensichtlich keine Pflichtverletzung begangen.

4

Den Übernehmer der Aufsichtspflicht können keine höheren Pflichten treffen als die gesetzlich zur Aufsicht verpflichtete Person. Ein im 17. Lebensjahr stehender Jugendlicher bedarf grundsätzlich nur noch einer sehr eingeschränkten Aufsicht. Ohne besondere Anhaltspunkte muss ein Aufsichtspflichtiger nicht davon ausgehen, dass sich ein Jugendlicher heimlich selbst einen Sprengkörper bastelt und zur Explosion bringt. Derartige Anhaltspunkte, die sich aus zuvor beobachteten Verhaltensauffälligkeiten des Klägers hätten ergeben können und auf die seine Mutter ggf. bei Verabredung der Gestaltung des Silvesterabends die Beklagte hätte hinweisen müssen, hatte die Beklagte nicht. Für allgemeine erzieherische Ermahnungen über den Umgang mit gefährlichen Gegenständen war die Mutter des Klägers, nicht aber die Beklagte zuständig. Spezielle Verdachtsmomente aufgrund des Ablaufs der Unfallnacht sind nicht vorgetragen worden. Eine Pflicht zur Durchsuchung des Klägers bzw. seines Gepäcks vor Verlassen des Hauses der Beklagten bestand (selbstverständlich) nicht. Die Beklagte hatte keine Kenntnis vom Mitführen der Rohrbombe, wie sich aus der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ergibt und zugleich aufgrund des Geständnisses des Klägers (GA Bl. 35) verbindlich feststeht. Sie brauchte somit keine Gegenmaßnahmen zu treffen.

5

Inwieweit die Beklagte es zulassen durfte, dass die Minderjährigen - insoweit offenbar mit Einverständnis der Mutter des Klägers - in ihrem Hause Alkohol tranken, und ob sie den alkoholisiert lärmenden Kläger - der aber nicht etwa stark betrunken und deshalb hilflos war - und dessen Freund im Hinblick auf sonstige drohende Gefahren aus dem Hause schicken durfte, bedarf keiner Entscheidung. Soweit darin eine Verletzung von Aufsichtspflichten zu sehen sein könnte, haben sich derartige Pflichtverletzungen in dem Unfall nicht gefahrerhöhend ausgewirkt. Vielmehr stellt sich die in eine Verletzung umgeschlagene Selbstgefährdung des Klägers unter dem Gesichtspunkt der Haftung für übernommene Aufsicht als Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos dar; allenfalls kann eine Mitverantwortung seiner Mutter gegeben sein. Jedenfalls aber hat die Beklagte hinsichtlich einer etwaigen Gefahrerhöhung nicht schuldhaft gehandelt, weil sie mit der Zündung eines versteckt mitgeführten und unprofessionell selbst hergestellten Sprengkörpers nach Weggang des Klägers aus ihrem Haus nicht zu rechnen brauchte.

6

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Beschwer: 20.000 DM.