Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.07.1988, Az.: 7 Sa 1915/87

Zur Wirksamkeit einer Kündigung im Falle vorausgegangener mehrfacher Ermahnungen bzw. Abmahnungen wegen angeblicher Schlechterfüllung von Dienstpflichten; Anforderungen an Substantiierung des Vortrages der Kündigungsgründe

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
13.07.1988
Aktenzeichen
7 Sa 1915/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 10665
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1988:0713.7SA1915.87.0A

Verfahrensgegenstand

Feststellung

In dem Rechtsstreit
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 1988 ...
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts ... - 9 Ca 174/87 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand:

1

Der Kläger ist seit dem 01.06.1981 Angestellter der Beklagten, wird seit dem 01.12.1981 als stellvertretender Leiter der Zivildienstgruppe ... des Bundesamtes für Zivildienst beschäftigt. Er bezieht Gehalt nach Vergütungsgruppe V c des das Arbeitsverhältnis der Parteien regelnden Bundesangestelltentarifvertrages (BAT).

2

Mit der Klage wendet sich der Kläger gegen die von der Beklagten mit Schreiben vom 30.03. zum 30.06.1987 ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Der Kündigung vorausgegangen waren mehrfache Ermahnungen bzw. Abmahnungen wegen angeblicher Schlechterfüllung von Dienstpflichten durch den Kläger sowie das Angebot der Beklagten an den Kläger, diesen auf einem anderen Arbeitsplatz beim bezeichneten Bundesamt einzusetzen. Die Beklagte ist der Ansicht, daß der Kläger die angebotene Umsetzung mit Schreiben vom 13.03.1987 (Bl. 54, 55 d.A.) abgelehnt hat.

3

Der Kläger bestreitet die ordnungsgemäße Beteiligung der Personal Vertretung vor Ausspruch der angefochtenen Kündigung sowie deren sachliche Berechtigung. Die Beklagte hält im Gegensatz dazu die Kündigung für sachlich begründet, die Voraussetzungen einer dem Gesetz entsprechenden Beteiligung der Personal Vertretung für erfüllt. Sie ist im übrigen der Ansicht, daß sie angesichts Ablehnung der Umsetzung durch den Kläger nicht mehr gehalten gewesen sei, zunächst eine Änderungskündigung auszusprechen. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts (Bl. 67 bis 69 d.A.) und damit den Inhalt der dem Arbeitsgericht vorgelegten vorbereitenden Schriftsätze.

4

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Klägers entsprechend die Nichtauflösung des Arbeitsverhältnisses der Parteien durch die streitbefangene Kündigung festgestellt und die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen. Wegen der Entscheidungsgründe wird Bezug genommen auf Bl. 69 bis 75 d.A..

5

Gegen das ihr am 20.11.1987 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts richtet sich die Berufung der Beklagten, eingelegt am 16.12.1987, begründet mit einem am 14.01.1988 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz.

6

Die Beklagte wirft dem Arbeitsgericht unterlassene bzw. mangelhafte Prüfung der angeblichen Kündigungsgründe vor, vertritt im übrigen nach wie vor die Ansicht, angesichts des Vorverhaltens des Klägers zum Versuch zunächst einer Änderungskündigung nicht mehr verpflichtet gewesen zu sein. Wegen der Einzelheiten des berufungsbegründenden Vertrages wird Bezug genommen auf den Inhalt der Schriftsätze der Beklagten vom 11.01.1988 (Bl. 83 bis 90 d.A.) und 23.03.1988 (Bl. 102 bis 106 mit Anlagen Bl. 107 bis 110 d.A.).

7

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Er verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Wegen seines berufungserwidernden Vertrages wird Bezug genommen auf den Inhalt der Schriftsätze vom 19.02.1988 (Bl. 93 bis 99 d.A.) und 14.04.1988 (Bl. 111, 112 d.A.).

Entscheidungsgründe:

10

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig, in der Sache jedoch ohne Erfolg.

11

Dem Urteil des Arbeitsgerichts ist im Ergebnis zuzustimmen. Bei dieser Entscheidung läßt auch das Berufungsgericht außer Betracht, ob die Personalvertretung bei der streitbefangenen Kündigung in der dem Gesetz entsprechenden Weise beteiligt wurde oder nicht. Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits deshalb nicht aufgelöst, weil von der Beklagten ausgesprochen, ohne zuvor "andere nach den Umständen mögliche und angemessene mildere Mittel" auszuschöpfen. Die Berechtigung dieser Feststellung ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten. Danach ist die Beklagte zunächst selbst davon ausgegangen, daß eine Umsetzung des Klägers auf einen anderen Arbeitsplatz im Bereich des Bundesamtes im Rahmen des das gesamte Kündigungsschutzrecht beherrschenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gelegen und damit dem Interesse der Beklagten an zukünftig beanstandungsfreier Arbeitsleistung des Klägers in ausreichendem Maße Rechnung getragen hätte. Zu Recht weist die Beklagte in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, daß das Angebot zunächst einer "Änderungskündigung" nicht auch eine Verpflichtung begründet, dieses unter Verzicht auf andere personalrechtliche Maßnahmen in dem Sinne aufrechtzuerhalten, daß nach Weigerung des Arbeitnehmers, den geänderten Arbeitsbedingungen nachzukommen, auch nur eine Änderungskündigung ausgesprochen wird. Diese Feststellung ist jedoch im vorliegenden Falle nicht entscheidungserheblich, denn die Beklagte hat dem Kläger eine "Änderungskündigung" nicht angeboten. In ihrem Schreiben vom - 06.03.1987 ist lediglich von Umsetzung die Rede. In seinem beantwortenden Schreiben vom 13.03.1987 erklärt der Kläger zwar, daß er der geplanten Umsetzung nicht zustimmen könne, bittet jedoch ausdrücklich, von "einer Kündigung oder Umsetzung keinen Gebrauch" machen zu wollen. Damit und durch die weiteren Erklärungen des Klägers im bezeichneten Antwortschreiben wird deutlich, daß der um die Möglichkeit der Bewährung nachsuchende Kläger die Erfüllung seiner Dienstpflichten nach einer trotz seiner Gegenvorstellungen erfolgten Umsetzung oder auf welchem rechtlichen Wege auch immer herbeigeführten Änderung seiner Arbeitsbedingungen nicht verweigern wollte. Die mangelnde Zustimmung zum Umsetzungsangebot ist jedenfalls nicht ohne weiteres als Ablehnung der Erfüllung der geänderten Arbeitsbedingungen bzw. Dienstpflichten für den Fall einer Umsetzung und damit der Maßnahme zu qualifizieren, die die Beklagte selbst als verhältnismäßig und angemessen angesehen hat. Etwa bestehende Zweifel hätte die Beklagte vor Ausspruch der streitbefangenen Kündigung unschwer ausräumen können, gehen jedenfalls zu ihren Lasten.

12

Trotz des vom Kläger bereits in erster Instanz erhobenen und mit der Berufungserwiderung wiederholten Vorwurfs unsubstantiierten und daher nicht einlassungsfähigen Vortrages im Hinblick auf die angeblichen Kündigungsgründe verzichtet die Beklagte insofern im übrigen auch in zweiter Instanz auf eine prüfungsfähige Darlegung. Bei dem Katalog der angeblichen Gründe gemäß Kündigungsschreiben vom 30.03.1987 handelt es sich zunächst ganz überwiegend um eine Zusammenstellung vorweggenommener Urteile der Beklagten die angeblichen Fehlleistungen des Klägers betreffend. Der Vorwurf "mangelhafte Bearbeitung des Posteingangs" ist ebenso viel- oder nichtssagend wie der der angeblich unvollständigen Vermerke, des nicht nachvollziehbaren Bearbeitungsstandes, der fehlenden Eintragungen in der Anschreibungsliste, der zu späten Auffüllung des Handvorschusses und der verspäteten Fertigung der Soldabrechnungen. Entsprechendes gilt für die angeblichen Fehlleistungen des Klägers, die nach "Abschluß der erneut geführten dienstaufsichtlich geführten Ermittlungen" festgestellt wurden. Zu Recht weist der Kläger berufungserwidernd darauf hin, daß die Vorwürfe zu allgemein gehalten sind, um eine substantiierte Einlassung auch nur zu ermöglichen. Jedenfalls trägt die Beklagte die angeblichen Fehlleistungen derart pauschal vor, daß das Gericht die Berechtigung der Vorwürfe angesichts Fehlens insbesondere auch von präzisen Angaben über Zeit. Häufigkeit und Art der angeblichen Fehler des Klägers (Nichtbeachtung von Anweisungen, Nichtvorlage von Anträgen, verweigernde Standardantworten, unnötige Sachstandsanfragen etc.) gar nicht prüfen kann. Dies gilt auch für den Vorwurf der "vorsätzlichen Ausstellung einer falschen Dienstzeitbescheinigung", und zwar umsomehr, als es sich bei Vorsatz um einen ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff handelt, dessen Ausfüllung keinesfalls im Wege einer prozessual unzulässigen Ausforschung von Zeugen zur Ergänzung mangelhaften Sachvortrages erfolgen darf. Demgemäß ist im vorliegenden Falle auch unerheblich, ob die allgemeine Bezugnahme der Beklagten auf "alle nicht erledigten Beweisanerbieten" als berufungsrechtlich zulässig zu qualifizieren ist oder nicht. Schließlich bedarf es einer weiteren Erörterung dieser Frage auch deshalb nicht, weil die streitbefangene Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits aus den im ersten Teil der Entscheidungsgründe beschriebenen Erwägungen nicht aufgelöst hat, folgerichtig und letztlich daher die Antwort auf die Frage der Schlüssigkeit des kündigungsbegründenden Vortrages dahingestellt bleiben kann. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann sich die Schlüssigkeit nicht aus dem vom Kläger vor Ausspruch der Kündigung am 13.03.1987 verfaßten Schreiben ergeben. Dieses auf besonderer Motivationslage beruhende Schreiben ersetzt keinen kündigungsbegründenden Sachvortrag, denn die bekundete Einsicht, Fehlleistungen erbracht zu haben und deshalb Konsequenzen in Kauf nehmen zu müssen, ist keine Darlegung von Tatsachen, die sich die Beklagte als ihr günstig zu eigen machen könnte. Ein Einverständnis mit der streitbefangenen Kündigung vor Ausspruch, das ohnehin rechtsunwirksam wäre, enthält das bezeichnete Schreiben ebensowenig wie ein Zugeständnis der Berechtigung der mit der Kündigung und zuvor erhobenen Vorwürfe. Nicht entscheidungsrelevant ist überdies, ob und in welchem Umfang welche Vorwürfe der Kläger vor Ausspruch der Kündigung als berechtigt anerkannt hat oder nicht. Insofern ist jedenfalls eine spezifizierte, prüfungsfähige Darlegung und damit rechtserhebliche Einführung entsprechenden Tatsachenvortrages in den Rechtsstreit unterblieben.

13

Der streitbefangene Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers ergibt sich aus der Feststellung der Nichtauflösung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird insoweit Bezug genommen.

14

Eine Neufestsetzung des Gegenstandswertes kommt im Hinblick auf die Vorschrift des § 69 Abs. 2 ArbGG nicht in Betracht. Eine zweitinstanzliche Wertänderung hat nicht stattgefunden. Im übrigen ist die vom Arbeitsgericht der Wertfestsetzung zugrundegelegte Ansicht zumindest vertretbar, daher die Wertfestsetzung keinesfalls offensichtlich unrichtig.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.