Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 19.09.2006, Az.: 2 A 524/05
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 19.09.2006
- Aktenzeichen
- 2 A 524/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 44438
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2006:0919.2A524.05.0A
Amtlicher Leitsatz
Eine besondere Härte im Sinne von § 6 Abs. 3 RGebStV liegt nicht vor, wenn der Rundfunkteilnehmer freiwillig auf ihm zustehende Leistungen im Sinne von § 6 Abs. 1 RGebStV verzichtet.
Tatbestand
Der Kläger ist seit September 2001 beim Beklagten mit einem Rundfunk und einem Fernsehgerät angemeldet.
Im Oktober 2005 beantragte er beim Beklagten die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht. Seinerzeit erhielt er 651,90 Euro monatlich an ALG-I-Leistungen, verdiente möglicherweise 165,00 Euro hinzu, wandte für Miete 440,00, für Strom 70,00 und für Telefon 50,00 Euro monatlich auf. Ausweislich einer Bescheinigung der Stadt E. vom 3. Februar 2006 hätte er im Oktober 2005 einen Anspruch auf ergänzende Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 63,50 Euro gehabt. Diesen Anspruch hat der Kläger nicht weiterverfolgt.
Mit Bescheid vom 3. November 2005 lehnte der Beklagte den Befreiungsantrag des Klägers ab.
Hiergegen hat der Kläger am 17. November 2005 Klage erhoben, zu deren Begründung er vorträgt, seine geringen finanziellen Mittel begründeten eine besondere Härte im Sinne von § 6 Abs. 3 RGebStV.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 3. November 2005 zu verpflichten, dem Kläger für den Zeitraum November 2005 bis einschließlich April 2006 Rundfunkgebührenbefreiung zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Allein ein geringes Einkommen rechtfertige die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht. Der Kläger habe bewusst auf ihm möglicherweise zustehende Sozialleistungen im Sinne von § 6 Abs. 1 RGebStV verzichtet, so dass eine besondere Härte nicht vorliege.
Anlässlich seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht weiterverfolgt zu haben, weil seine finanziellen Mittel bei seiner sparsamen Lebensführung ausgereicht hätten und er vom Staat kein Geld gebraucht habe. Dabei sei er davon ausgegangen, von der Rundfunkgebührenpflicht befreit zu werden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 3. November 2005 ist rechtmäßig und der Kläger hat einen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht in der Zeit von November 2005 bis einschließlich April 2006 nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat einen Anspruch auf Befreiung von den Rundfunkgebühren gemäß § 6 Abs. 1 RGebStV in der Fassung des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages vom 8./15. Oktober 2004 (Gesetz zum Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages vom 25. Februar 2005, Nds. GVBl. S. 61, 66) ersichtlich nicht, weil er keine der dort in Ziffern 1 bis 10 genannten Voraussetzungen erfüllt. Dies hat auch der Kläger erkannt, der in seinem Antrag vom 20. Oktober 2005 angab, ALG-I-Leistungen zu beziehen.
Er hat auch einen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihn gemäß § 6 Abs. 3 RGebStV im Streitzeitraum von der Rundfunkgebührenpflicht befreit, nicht.
Gemäß § 6 Abs. 3 RGebStV kann die Rundfunkanstalt unbeschadet der Gebührenbefreiung nach Absatz 1 in besonderen Härtefällen auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht befreien. Zwar mag der Antrag des Klägers vom 20. Oktober 2005 auch diesen Befreiungstatbestand umfassen; es liegt jedoch ein besonderer Härtefall im Sinne der Vorschrift nicht vor.
Das erklärte Ziel der grundlegenden Neuregelung der Befreiungstatbestände mit dem Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist eine deutliche Erleichterung des Verfahrens. Während bisher außer Sonderfürsorgeberechtigten nach dem BVG, bestimmten Behinderten und Empfängern von Hilfe zur Pflege sowie Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz auch Personen - hierzu gehörte auch die Klägerin - befreit wurden, deren Einkommen eine bestimmte Einkommensgrenze (die höher lag als der Sozialhilferegelsatz) nicht überstieg (§ 1 Abs. 7 und 8 der bis zum 31. März 2004 gültig gewesenen Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 3. September 1992 - Nds. GVBl. S. 239 -), knüpfen nunmehr sämtliche Befreiungstatbestände des § 6 Abs. 1 RGebStV an bestehende soziale Leistungen an. Dadurch können insbesondere die bei der Befreiung wegen geringen Einkommens erforderlichen Berechnungen entfallen (vgl. die Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zum Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, Nds. Landtag, Ds 15/1485, S. 36 f.). Da die Antragsteller die Befreiungsvoraussetzungen durch Vorlage des entsprechenden Bescheides im Original oder in beglaubigter Kopie nachzuweisen haben (§ 6 Abs. 2 RGebStV), sind komplizierte Einkommensberechnungen nicht mehr erforderlich, sondern kann die Entscheidung relativ schematisch erfolgen. Diese Gesetzesänderung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Landesrundfunkanstalten anders als früher nicht mehr auf die Amtshilfe der für die Antragsteller zuständigen Sozialhilfeträger zurückgreifen können. Der Gesetzgeber ist nicht von Verfassungs wegen gehindert, die Rundfunkgebührenbefreiungstatbestände zu schematisieren. Zum einen bleibt die Befreiungsmöglichkeit für Empfänger von SGB-II oder SGB XII Leistungen erhalten, so dass dieser als sozial bedürftig anerkannte Personenkreis weiterhin begünstigt wird; zum anderen ist die Belastung mit Rundfunkgebühren in Höhe von maximal 17,03 Euro monatlich (vgl. § 8 Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag) vergleichsweise gering, so dass eine verfassungswidrige Ausgestaltung der Befreiungstatbestände gerade auch in Ansehung der besonderen Härteregel in § 6 Abs. 3 RGebStV nicht vorliegt.
Mit der Härtefallregelung in § 6 Abs. 3 RGebStV hat der Gesetzgeber allerdings trotz der grundsätzliche beabsichtigten Verfahrensvereinfachung bewusst die Möglichkeit einer Ermessensentscheidung bei der Befreiung in besonderen Härtefällen ergänzend offen gelassen. Ein solcher soll nach der Gesetzesbegründung (a.a.O. S. 37) insbesondere dann vorliegen, wenn, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 erfüllt sind, eine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden kann. Allerdings führt dies, entgegen der Rechtsansicht der Klägerin, nicht dazu, dass jeder, der eine der in § 6 Abs. 1 RGebStV enumerativ aufgeführten Sozialleistungen nicht erhält, aber ein Einkommen nachweist, das nicht höher ist als die Sozialleistung, die er - wenn denn deren Voraussetzungen vorlägen - in seiner Lebenssituation maximal erhalten könnte, ohne Weiteres von der Gebührenpflicht zu befreien ist. Vielmehr ist dem Begriff der Härte immanent, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob tatsächlich eine vergleichbare "Notlage" besteht und ob der Ausschluss von der Vergünstigung - bezogen auf die konkrete Situation des Antragstellers - unzumutbar ist (vgl. zu der rechtsähnlichen Vorschrift des § 26 Abs. 1 Satz 2 BSHG - jetzt: § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII -, etwa Brühl in: LPK-BSHG, 6. Aufl., § 26 Rn. 22 m.w.N.). Deshalb ist dann, wenn die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 RGebStV nicht vorliegen, im Einzelfall auf Antrag durchaus zu prüfen, ob dennoch nach § 6 Abs. 3 RGebStV wegen eines besonderen Härtefalles Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht zu gewähren ist (ebenso, OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. März 2006 -4 PA 38/06-, zitiert nach der Rechtsprechungsdatenbank des Gerichts).
Die wirtschaftliche Situation des Klägers und der geltend gemachte Umstand, dass er nach seinem Vorbringen nur etwa 255,00 Euro monatlich für sich zur freien Verfügung hat, rechtfertigen allein die Annahme einer besonderen Härte nicht. Von der Überprüfung des konkret zur Verfügung stehenden Einkommens des Rundfunkteilnehmers sollten die mit dem Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vorgenommenen Neuregelungen den Beklagten gerade entlasten. Dieses Ziel würde verfehlt, wenn diese Prüfung in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 RGebStV verlagert würde. Allein ein geringes Einkommen kann daher nie eine besondere Härte im Sinne dieser Vorschrift begründen (OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Juli 2006 -12 LC 87/06-; das abweichende Urteil des VG Oldenburg vom 25.1.2006 -3 A 3050/05- ändernd, zitiert nach der Rechtsprechungsdatenbank des Nds. OVG).
Hinzutreten muss vielmehr zunächst die Betrachtung der Frage, warum ein Antragsteller von der Sozialleistung ausgeschlossen ist, die Personen seiner Vergleichsgruppe erhalten. Denn eine besondere Härte im Sinne von § 6 Abs. 3 RGebStV lässt sich nicht unabhängig von der individuellen Lebenssituation des Antragstellers annehmen. So muss von den Personen, die sich auf ein sozialhilfeähnliches geringes Einkommen berufen, verlangt werden, dass sie sich im Wege der Selbsthilfe zunächst darum bemühen, staatliche Sozialleistungen, etwa ergänzende Leistungen nach § 23 SGB II oder § 37 SGB XII, zu erhalten (grundlegend die Kammer in ihrem Urteil vom 27.4.2006 -2 A 552/05-; ebenso: OVG Lüneburg, Beschluss vom 1.2.2006 -12 PA 408/05-, zitiert nach der Rechtsprechungsdatenbank des Nds. OVG). Dieses Verlangen ist für den Betroffenen nicht unzumutbar, denn er begehrt von dem Beklagten eine Befreiung aus sozialen Gründen. Auf derartige Sozialleistungen hat indes nur der Anspruch, der sich selbst - ggf. unter Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen oder durch Realisierung bestehender anderer, etwa Unterhaltsansprüche - nicht helfen kann. Der dem Antragsteller sodann zu erteilende Bescheid enthält eine Einkommens- und Bedarfsberechnung, die es dem Beklagten ohne weiteres ermöglicht, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 RGebStV oder - wenn das Einkommen den Bedarf nur geringfügig überschreitet - eines Härtefalles im Sinne von § 6 Abs. 3 RGebStV zu prüfen. Wollte man dies anders sehen, würde dem Beklagten die Prüfung einer fiktiven Sozialhilfebedürftigkeit auferlegt, die er nach der gesetzlichen Intention nicht leisten soll und unmöglich leisten kann. Denn dies würde z.B. die Überprüfung der den Antragstellern entstehenden Mietkosten auf sozialhilferechtliche Angemessenheit für jeden Einzelfall erfordern. Eine Aufgabe, die bereits den einzelnen Kommunen als Sozialhilfeträgern schwer fällt, für den Beklagten jedoch, der rundfunkgebührenrechtlich für die Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Niedersachsen zuständig ist, unmöglich ist.
Der Kläger hat aus durchaus sehr anerkennenswerten Motiven freiwillig auf (ergänzende) Leistungen nach dem SGB II verzichtet. Die Folgen dieses Verzichts hat der Kläger dann auch rundfunkgebührenrechtlich zu tragen und kann sie nicht auf die Gemeinschaft der Rundfunkteilnehmer abwälzen, indem er sich hier auf eine besondere Härte im Sinne von § 6 Abs. 3 RGebStV beruft (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 1.2.2006 -12 PA 408/05-, Beschluss der erkennenden Kammer vom 13.2.2006 -2 A 393/05-).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.