Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 14.09.2006, Az.: 2 A 473/05

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
14.09.2006
Aktenzeichen
2 A 473/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 44426
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2006:0914.2A473.05.0A

Amtlicher Leitsatz

Eine Veränderungssperre im Sinne von § 14 Abs. 1 BauGB ist unwirksam, wenn die zu sichernde Bauleitplanung nicht konkret ist, sondern erst nach Eingang mehrerer Planungsgutachten konkretisiert werden soll.

Tatbestand:

1

Aus dem Entscheidungstext

2

Die Gesellschafter der Klägerin, Herr Dr. D. und Herr Dr. C. B. sind Eigentümer eines 1397 qm großen, aus den Flurstücken S., T. und U. der Flur V. in der Gemarkung F. bestehenden Grundstücks in der Q. straße in F.. Das auf diesen Flurstücken stehende Gebäude wurde als Werkstattgebäude eines KFZ- und Elektrikhandwerkbetriebes genutzt. Derzeit ist es an den Inhaber einer KFZ-Werkstatt verpachtet. Das Grundstück grenzt nördlich unmittelbar an das Grundstück der ehemaligen Brauerei in F. an. Auf diesem Grundstück befindet sich ein Lebensmittelmarkt (Aldi) mit einer Verkaufsfläche von 932 qm und ein Backshop mit einer Verkaufsfläche von 62 qm, die von der Beklagten im April 2003 genehmigt worden sind. Südlich des Grundstücks, am Rosdorfer Weg und östlich am E., befindet sich Wohnbebauung. Westlich des Grundstücks herrscht gewerbliche Nutzung, gemischt mit Wohnnutzung vor.

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Unter dem 7. April 2003 richtete die Fa. A. B. GmbH Co. KG eine Bauvoranfrage betreffend die obigen Flurstücke an die Beklagte. Sie beabsichtigte die Änderung der Nutzung des Gebäudes in einen Getränkemarkt mit einer Verkaufsfläche von 428 qm und die Errichtung von 22 KFZ-Einstellplätzen. Durch Anzeige eines Bauherrenwechsels nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragstellerin sind die Gesellschafter der Klägerin in das Verfahren eingetreten. Die Bescheidung der Bauvoranfrage zog sich zunächst hin, weil geprüft wurde, ob durch das Bauvorhaben ein großflächiger Einzelhandel entsteht.

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Am 2. Juli 2003 beschloss der Rat der Beklagten die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 225 "Ehemalige Brauerei" und erließ gleichzeitig eine Satzung über die Veränderungssperre (im Folgenden: V-sperre) für diesen Plan, die am 17. Juli 2003 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht wurde. Als allgemeines Ziel der Planung wurde in der zunächst ausschließlich im W. Tageblatt am 10. Juli 2003 vorgenommenen Bekanntmachung die Entwicklung einer verträglichen Nutzungsmischung nach Aufgabe der Brauerei und die Steuerung der Einzelhandelsentwicklung angegeben. Die Beklagte sah nach Aufgabe der gewerblichen bzw. Sondernutzung in diesem Bereich die Chance, den Bereich städtebaulich neu zu ordnen. In der Begründung des Aufstellungsbeschlusses heißt es, es seien weitere Untersuchungen durchzuführen, damit an diesem Standort Einzelhandelsnutzungen im Sinne einer geordneten städtebaulichen Entwicklung positiv beurteilt werden könnten und somit keine negativen Auswirkungen auf die benachbarte Wohnnutzung als auch auf die infrastrukturelle Ausstattung des Stadtteils zu erwarten seien. Dazu zählten neben der verkehrlichen Erschließung des Bereichs u.a. ein übergeordnetes Gesamtkonzept für Einzelhandelsstandorte in der Gesamtstadt, das auch diesen konkreten Standort betrachten solle. Um darüber hinaus die möglichen Entwicklungslinien für dieses Quartier aufzuzeigen, sei in Abstimmung mit der W. Brauhaus AG ein Planungsauftrag für eine Rahmenplanung vergeben worden. In der Rahmenplanung sollten unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, um den Strukturwandel für F. positiv zu nutzen. Die möglichen Nutzungen müssten sich in das städtebauliche Umfeld einfügen, flexibel und in Teilschritten umsetzbar sein. Da die Rahmenplanung Grundlage einer konkreten Projektentwicklung sein solle, würden neben städtebaulichen, verkehrlichen und freiraumplanerischen Aspekten auch Marktgängigkeit und Wirtschaftlichkeit zentrale Kriterien für eine zeitnahe Umsetzung sein.

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Deshalb hatte die Beklagte bereits im Juni 2003 ein externes Planungsbüro mit der Rahmenplanung für den Bereich beauftragt. Es bestand aus ihrer Sicht ein Planungserfordernis und der Rahmenplan sollte die Grundlage für künftige Bebauungspläne sein. Dieser Rahmenplan sollte verschiedene Szenarien für die künftige städtebauliche Entwicklung darstellen, die anschließend auch politisch in der Stadt diskutiert werden müssten. Im Februar 2004 gab die Beklagte auch die Erstellung eines Einzelhandelskonzepts für ihren Stadtbereich in Auftrag. Das erarbeitete Einzelhandelskonzept wurde vom Rat der Beklagten am 16. Dezember 2005 beschlossen. Das aus der im September 2003 fertiggestellten Rahmenplanung entwickelte Planungskonzept, das sich in einem städtebaulichen Gutachterverfahren durchgesetzt hatte, bildete im Juli 2006 die Grundlage weiterer Planungen der Beklagten. Des weiteren holte die Beklagte im Laufe der Entwicklungen ein schalltechnisches Gutachten und ein Gutachten über Altlastenstandorte im Plangebiet ein.

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Am 21. Juli 2003 verfügte die Beklagte auf Veranlassung ihres Planungsamtes, das zugleich das gemeindliche Einvernehmen zu dem Vorhaben verweigert hatte, die Zurückstellung der Bauvoranfrage gemäß § 15 BauGB für 12 Monate. Dieser Bescheid wurde später mit Verfügung vom 17. November 2003 auf den Widerspruch der Gesellschafter der Klägerin hin aufgehoben.

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Mit Bescheid vom 30. September 2003 lehnte die Beklagte den beantragten Bauvorbescheid ab. Dem Vorhaben stehe die am 17. Juli 2003 bekannt gemachte V-sperre entgegen. Ziel der beabsichtigten Bebauungsplanung sei der Schutz der vorhandenen Wohnbebauung und den Einzelhandel am konkreten Bedarf zu orientieren. Dem laufe das Vorhaben der Klägerin zuwider. Eine Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB komme nicht in Betracht, da die Gemeinde ihr Einvernehmen zu dem Vorhaben versagt habe. Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 13. Oktober 2003 im Wesentlichen mit der Begründung Widerspruch ein, die V-sperre sei unwirksam, weil ein schlüssiges Planungskonzept nicht vorliege.

8

Die Beklagte veröffentlichte sowohl den Aufstellungsbeschluss zum Bebauungsplan Nr. 225 als auch die dazugehörige V-sperre in ihrem Amtsblatt vom 27. November 2003 inhaltsgleich erneut. Sie tat dies, weil sie davon ausging, dass die Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses für den Bebauungsplan Nr. 225 "Ehemalige Brauerei" im Juli 2003 unwirksam gewesen sei. In der Folgezeit führten die Beteiligten Vergleichsgespräche, die scheiterten. Mitte 2004 baten die Gesellschafter der Klägerin um Bescheidung ihres Widerspruchs. Nachdem die Beklagte die Akten unbearbeitet von der vormaligen Bezirksregierung Braunschweig zurückerhielt, wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2005, zugestellt am 26. Oktober 2005, zurück. Sie berief sich nach wie vor auf die bestehende V-sperre und meinte, auch eine Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB könne nach wie vor nicht erteilt werden. Zwar dürfe sie sich, wie das Bundesverwaltungsgericht mittlerweile entschieden habe, nicht mehr auf das versagte gemeindliche Einverständnis berufen. Öffentliche Interessen geböten jedoch die Einhaltung der Veränderungssperre durch das klägerische Bauvorhaben. Das streitbefangene Grundstück spiele für die Erschließung des Bereichs der alten Brauerei und damit für die gesamte Planung eine Schlüsselrolle.

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Bereits am 20. Oktober 2005 hatte die Klägerin (Untätigkeits-) Klage erhoben.

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Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens beschloss der Rat der Beklagten am 11. November 2005 die Verlängerung der V-sperre um ein weiteres Jahr ab einem Tag nach Bekanntgabe der Satzung. Diese erfolgte im Amtsblatt der Beklagten vom 18. November 2005. In der Beschlussvorlage für den Rat heißt es u.a., die Steuerung des Einzelhandels als eines der Ziele des Bebauungsplanes genieße weiterhin hohe Priorität. Aussagen über die künftige Einzelhandelsnutzung hätten damals auf das zu erarbeitende Einzelhandelsgutachten für die Stadt F. gestützt werden sollen, um im Kontext der Gesamtstadt die Entwicklung zu steuern. Die Erarbeitung des Einzelhandelsgutachtens habe erhebliche Zeit in Anspruch genommen, so dass ein Beschluss durch den Rat der Beklagten über die künftige Umsetzung der Inhalte des Gutachtens erst für Ende des Jahres 2005 erwartet würde. Um das weitere Ziel der verträglichen Nutzungsmischung umsetzen zu können, müssten weiterhin Einzelentscheidungen zu Vorhaben, die die mit dem (Anm. des Gerichts: beabsichtigten) Bebauungsplan verfolgten Ziele unterlaufen könnten, abgelehnt werden können. Über das Stadium des Aufstellungsbeschlusses ist das Bebauungsplanverfahren nach wie vor nicht hinaus gelangt. Die Beklagte hat aber den Entwurf einer 80. Flächennutzungsplanänderung F. " E." in die kommunalen Beschlussgremien eingebracht, ohne dass ein Ratsbeschluss in den Akten dokumentiert ist. Der F-plan ist in seiner räumlichen Ausdehnung mit der im Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan dargestellten Fläche identisch. In ihm wird die Flächenbezeichnung von bisher "G" in "W" bzw. "M" geändert. Das streitgegenständliche Grundstück befindet sich auf der mit "W" ausgewiesenen Fläche.

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Zur Begründung ihrer Klage wiederholt die Klägerin das Vorbringen ihrer Gesellschafter aus dem Verwaltungsverfahren und macht darüber hinaus geltend, die Wirkung der V-sperre sei im Juli 2005 ausgelaufen. Wenn und soweit die V-sperre vom 17. Juli 2003 unwirksam gewesen sei, handele es sich um einen Fall der faktischen Zurückstellung ihrer Bauvoranfrage. Die Zeiten einer derartigen Zurückstellung seien bei der Bemessung der Fristen des § 17 BauGB mit zu berücksichtigen.

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Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 30. September 2003 und ihres Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2005 zu verpflichten, der Klägerin einen positiven bauplanungsrechtlichen Bauvorbescheid für die Nutzungsänderung eines Werkstattgebäudes in einen Getränkemarkt und die Errichtung von 22 KFZ-Einstellplätzen auf dem Grundstück Q. straße Gemarkung F., Flur R., Flurstücke S., T. und U. zu erteilen, sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorfahren für notwendig zu erklären.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

14

Sie verweist im Wesentlichen auf die bis 18. November 2005 verlängerte V-sperre, der eine sicherungsfähige Bauleitplanung zugrunde liege und die der positiven Verbescheidung der Bauvoranfrage der Klägerin entgegenstehe. Unabhängig davon stünden dem Vorhaben auch immissionsschutzrechtliche Bedenken entgegen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig.

17

Die Klägerin ist als Gesellschaft bürgerlichen Rechts parteifähig und klagebefugt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2.9.2002 -1 BvR 1103/02-, DVBl 2003, 130 unter Hinweis auf die Rspr. des BGH). Die als Untätigkeitsklage erhobene Klage ist gemäß § 75 Satz 1 VwGO statthaft.

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Die Klage ist auch begründet.

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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung eines positiven Bauvorbescheides für ihr Bauvorhaben, so dass die entgegenstehenden Bescheide der Beklagten vom 30. September 2003 und 19. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu verpflichten ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Gemäß § 74 Abs. 1 NBauO ist auf Antrag (Bauvoranfrage) für eine Baumaßnahme über einzelne Fragen, über die im Baugenehmigungsverfahren zu entscheiden wäre und die selbständig beurteilt werden kann, insbesondere, ob eine Baumaßnahme nach städtebaulichem Planungsrecht zulässig ist, durch Bauvorbescheid zu entscheiden. Bauplanungsrecht, das allein vom Klagebegehren umfasst ist, steht dem klägerischen Vorhaben nicht entgegen.

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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist derjenige der mündlichen Verhandlung. Zu diesem Zeitpunkt steht die am 18. November 2005 bekannt gemachte Verlängerung der V-sperre der Beklagten für den Bebauungsplan Nr. 225 "Ehemalige Brauerei" dem Vorhaben nicht entgegen.

22

Gemäß § 3 der Satzung über die V-sperre dürfen während ihrer Geltungsdauer Vorhaben im Sinne von § 29 BauGB nicht durchgeführt oder bauliche Anlagen nicht beseitigt werden. Die geplante Nutzungsänderung des Werkstattgebäudes in einen Getränkemarkt und die Errichtung von 22 KFZ-Stellplätzen ist ein derartiges Bauvorhaben und die Satzung misst sich im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts noch Geltung zu. Die Klägerin muss sich dies jedoch nicht entgegenhalten lassen, weil die Satzung unwirksam ist. Sie ist nicht durch § 14 Abs. 1 BauGB gedeckt.

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Gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB kann die Gemeinde zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre mit dem Inhalt beschließen, dass Vorhaben im Sinne von § 29 BauGB nicht durchgeführt oder bauliche Anlagen nicht beseitigt werden dürfen, wenn ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplanes gefasst ist. Zweck der Veränderungssperre ist es, eine bestimmte Bauleitplanung zu sichern. Sie muss daher zur Sicherung der Planung erforderlich sein. Dass es um die Sicherung einer bestimmten Bauleitplanung gehen muss, ergibt sich auch aus § 14 Abs. 2 BauGB, wonach eine Ausnahme von der Veränderungssperre zugelassen werden kann, wenn überwiegende öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Will man in diesem Sinne abwägen, muss das Abwägungsmaterial hinreichend bestimmt sein. Daraus ist in der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Nds. Oberverwaltungsgerichts abgeleitet worden, dass die Planung ein Mindestmaß dessen erkennen lassen muss, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplanes ist. Das erfordert nicht Aussagen über den Inhalt der beabsichtigten Planung, wohl aber mindestens Vorstellungen über die Art der geplanten baulichen Nutzung. Fehlen solche, ist der Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplanes offen und eine V-sperre nicht zulässig. Diese darf nicht eingesetzt werden, um lediglich die Planungszuständigkeit, die Planungshoheit der Gemeinde zu sichern. Die Absicht zu planen genügt nicht. Eingesetzt werden darf dieses Rechtsinstitut nur, wenn die Gemeinde ein bestimmtes Planungsziel und zwar ein positives Planungsziel besitzt oder aus Anlass eines Bauantrags entwickelt und deshalb das Entstehen vollendeter Tatsachen verhindern will (grundlegend, BVerwG, Urteil vom 10.9.1976 -IV C 39.74-, BVerwGE 51, 121, 128 [BVerwG 10.09.1976 - 4 C 39/74]; ferner Beschluss vom 5.2.1990 -4 B 191/89-, NVwZ 1990, 558; Beschluss vom 27.7.1990 -4 B 156/89-, NVwZ 1991, 62; Urteil vom 19.2.2004 -4 CN 16.03-, DVBl 2004, 950 952; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 18.6.2003 -1 KN 56/03-, NUR 2003, 771; 19.12.2002 -1 MN 297/02-, BauR 2003, 508; 21.1.2004 -1 MN 295/03-, NVwZ-RR 2004, 332, 333).

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Eine derartige Planung liegt der ursprünglichen, das heißt der im Jahre 2003 bekannt gemachten, V-sperre nicht zugrunde (zweifelnd auch schon die innerdienstliche Mitteilung des Rechtsamtes der Beklagten vom 29. Oktober 2003). Dies schlägt auf die im November 2005 beschlossene Verlängerung der Sperre durch. Denn ohne die ursprüngliche V-sperre wäre die neue Satzung nicht lebensfähig. Wenn die ursprüngliche V-sperre an einem Rechtsfehler leidet, ist die Verlängerungssatzung schon aus diesem Grunde unwirksam (BVerwG, Urteil vom 19.2.2004, a.a.O., S. 950).

25

Zum damaligen Zeitpunkt im Jahre 2003 hatte die Beklagte keinerlei konkrete Vorstellungen über die Art der im Plangebiet vorgesehenen Nutzung. Die Vorstellungen der Beklagten gingen über die in dem bekannt gemachten Aufstellungsbeschluss zum Bebauungsplan genannten allgemeinen Ziele, Entwicklung einer verträglichen Nutzungsmischung nach Aufgabe der Brauerei und Steuerung der Einzelhandelsentwicklung nicht hinaus. Ausweislich der Begründung zum Beschluss über die Aufstellung des Bebauungsplanes F. Nr. 225 "Ehemalige Brauerei" sollten zunächst Untersuchungen zur verkehrlichen Erschließung des Bereichs und ein übergeordnetes Gesamtkonzept für Einzelhandelsstandorte in der Gesamtstadt in Auftrag gegeben werden. Ferner sollte ein Rahmenplan in Auftrag gegeben werden, um unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Konkrete Vorstellungen sollten erst nach Eingang eines im Juni 2003 in Auftrag gegebenen (Einzelhandels-) Gutachtens erarbeitet werden, das erst Ende 2005 vorlag. Konkrete Planungsabsichten sind erst seit Mitte 2006 zu erkennen. Folglich handelte es sich im Jahre 2003 um den vom BVerwG beschriebenen, eine V-sperre nicht rechtfertigenden Fall, dass die Gemeinde eine V-sperre erlässt, um erst Zeit für die Entwicklung eines bestimmten Planungskonzepts zu gewinnen, auf dessen Basis die eigentliche Planung erst beginnen soll. Die in der mündlichen Verhandlung abgegebene Einlassung der Beklagten, aus der im Aufstellungsbeschluss enthaltenen Äußerung, es solle eine verträgliche Nutzungsmischung erreicht werden, sei zu schließen, dass ein MI-Gebiet im Sinne von § 6 BauNVO geplant gewesen sei, überzeugt die Kammer nicht. Diese Aussage ist weder fachlich noch rechtlich haltbar. Denn im Bebauungsplan kann zwar gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB die Art und das Maß der baulichen Nutzung festgesetzt werden. Dies hat jedoch nach Maßgabe der in § 1 Abs. 2 und 3 BauNVO vorgeschriebenen Baugebietstypen zu geschehen. Soll ein Mischgebiet im Sinne von § 6 BauNVO geplant werden, ist dies selbstverständlich als solches auszuweisen. Eine Nutzungsmischung ermöglicht mit Ausnahme der Industrie- und Sondergebiete im Sinne von §§ 9 ff. BauNVO demgegenüber auch die Ausweisung anderer Baugebietstypen als die eines Mischgebiets.

26

Der Beschluss des Rates der Beklagten vom 14. November 2005 über die Verlängerung der V-sperre von 2003 lässt sich in Ansehung der im November 2005 deutlich konkreteren Planungen der Beklagten nicht in einen solchen über den Neuerlass einer Veränderungssperre nach § 16 BauGB umdeuten. Das Bundesverwaltungsgericht erwägt in der zitierten Entscheidung derartiges nicht, obwohl es nahe gelegen hätte. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird diese Möglichkeit im Einklang mit der Fachliteratur wegen unterschiedlicher Tatbestandsvoraussetzungen einhellig verneint (OVG Lüneburg, Beschluss vom 15.10.1999 -1 M 3614/99-, NUR 2000, 232; OVG Berlin, Urteil vom 2.12.1988 -2 A 3.87-, ZfBR 1989, 173; Literaturnachweise bei Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 17 Rn. 40, 51, 54, die selbst eine andere Meinung vertreten). Dieser überzeugenden Rechtsprechung folgt die Kammer.

27

Die Kammer kann daher die Frage offen lassen, ob die im November 2005 beschlossene Veränderungssperre auch deshalb unwirksam ist, weil sie für das klägerische Grundstück wegen der im Jahre 2003 für einige Monate erfolgten Rückstellung ihres Baugesuchs oder wegen faktischer Zurückstellung nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 BauGB möglich gewesen wäre und die dort geforderten besonderen Umstände nicht vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.9.1976, a.a.O., S. 136 f.; Ernst u.a., a.a.O. § 17 Rn. 43).

28

Kann dem Bauvorhaben der Klägerin die V-sperre somit nicht entgegen gehalten werden, stehen ihm auch andere bauplanungsrechtliche Belange nicht entgegen.

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Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des klägerischen Vorhabens richtet sich nach § 34 BauGB, da sich das Grundstück, auf dem das Bauvorhaben unternommen werden soll, innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles befindet.

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Das Vorhaben fügt sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die umgenutzt und überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung ein und die Erschließung ist gesichert. Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 BauGB sind demnach erfüllt.

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Dies kann schon aus der planungsrechtlichen Beurteilung des Vorhabens durch die Beklagte selbst vom 15. Mai 2003 gefolgert werden, die mit der Formulierung schließt, für sich allein betrachtet sei das Vorhaben zulässig (Bl. 21 ff. der Beiakten A). Diese Einschätzung ist durch die in mündlicher Verhandlung vor Ort gewonnenen Eindrücke bestätigt worden. Insbesondere ist zu bedenken, dass in unmittelbarer räumlicher Nähe bereits ein Einzelhandelsgeschäft existiert, das, so wie es besteht, von der Beklagten im April 2003 genehmigt worden ist. Soweit die Beklagte hier von einer Agglomeration von Einzelhandelsunternehmen spricht, kommt dieser Bezeichnung eigenständige rechtliche Bedeutung nicht zu. Nur als Einkaufszentrum oder großflächiger Einzelhandel im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO wäre das Vorhaben der Klägerin nur eingeschränkt bauplanungsrechtlich zulässig. Um einen solchen Einzelhandel geht es hier indes nicht. Zur Begründung verweist das Gericht auf die zutreffenden Ausführungen des Rechtsamtes der Beklagten im Verwaltungsverfahren in der innerdienstlichen Mitteilung vom 12. Juni 2003.

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Legt man für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Bauvorhabens § 34 Abs. 2 BauGB zugrunde, ergibt sich ein abweichendes Ergebnis nicht.

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Entspricht danach die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der Baunutzungsverordnung - BauNVO - bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit seiner Art allein danach, ob es nach der BauNVO in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre. Die Eigenart der näheren Umgebung entspricht nach dem oben Gesagten einem Mischgebiet im Sinne von § 6 BauNVO. Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO sind Einzelhandelsbetriebe dort zulässig.

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Es ist ferner nicht zu erwarten, dass von dem klägerischen Vorhaben unzumutbare Belästigungen und Störungen, insbesondere immissionsschutzrechtlich relevanter Natur, für das Baugebiet oder dessen Umgebung ausgehen. Ein Verstoß gegen das aus § 15 Abs. 1 BauNVO abzuleitende Rücksichtnahmegebot liegt daher nicht vor.

35

Schon der bereits zitierte Vermerk des Bauplanungsamtes der Beklagten macht immissionsschutzrechtliche Bedenken, die auch im Klageverfahren nicht näher substantiiert werden, nicht geltend. Mit einer nennenswerten Zunahme von Kundenverkehr durch den von der Klägerin beabsichtigten Getränkemarkt ist realistischer Weise nicht zu rechnen. In Anbetracht des Umstandes, dass sich in unmittelbarer Nähe zum geplanten Bauvorhaben schon ein - wesentlich größerer als der von der Klägerin geplante - Lebensmittelmarkt befindet und die Kunden dieses Marktes zu den potentiellen Kunden des von der Klägerin geplanten Getränkemarktes gehören werden, erscheint die Zunahme sowohl des Kunden- als auch des Zulieferverkehrs vernachlässigenswert. Zudem ist der konkrete Standort lärmvorbelastet, weil dort derzeit eine KFZ-Reparaturwerkstatt betrieben wird und in näherer Umgebung ein weiterer Gewerbebetrieb ansässig ist. Schließlich grenzt das als Markt vorgesehene Gebäude nicht unmittelbar an Wohnbebauung an.

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Schließlich steht der Baumaßnahme nicht § 34 Abs. 3 BauGB, der mit der BauGB-Novelle 2004 eingeführt wurde und im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung Beachtung verlangt, entgegen. Danach dürfen von Vorhaben nach Abs. 1 oder 2 keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein. Als wichtigsten Anwendungsfall dieser Vorschrift bezeichnet die Gesetzesbegründung großflächige Einzelhandelsbetriebe (BT Ds. 15/2550 S. 55). Allerdings ist die Vorschrift weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinn und Zweck auf großflächige Betriebe beschränkt (vgl. Ernst u.a., a.a.O., § 34 Rn. 84). Entscheidend ist aber, dass der in Aussicht genommene Einzelhandelsbetrieb zentrenrelevant und -schädlich ist. Davon kann hier weder nach der Art des Sortiments (Getränke) noch nach der beabsichtigten Größe (Nutzfläche von 428 qm) die Rede sein. Bestätigung findet diese Einschätzung in dem von der Beklagten in Auftrag gegebenen und seit Ende 2005 vorliegenden Einzelhandelskonzept der Beklagten (vgl. zu dessen Bedeutung für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 3, Ernst u.a., a.a.O., § 34 Rn. 86 d). Danach ist das Sortiment der Nahrungs- und Genussmittel der Nahversorgung zugewiesen, ohne dass eine Innenstadtrelevanz festgestellt worden ist.

37

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist für notwendig zu erklären, da die rechtsunkundigen Gesellschafter der Klägerin der anwaltlichen Unterstützung bedurften (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

38

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 709 ZPO.