Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 29.01.2020, Az.: 3 UF 164/19
Entzug der gemeinsamen elterlichen Sorge; Vorläufige Übertragung auf einen Elternteil
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 29.01.2020
- Aktenzeichen
- 3 UF 164/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 66525
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Aurich - AZ: 30 F 27/19 SO
Rechtsgrundlagen
- § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB
- § 64 Abs. 3 FamFG
Tenor:
Dem Beteiligten zu 3. wird das Recht der elterlichen Sorge für das Kind AA, geb. am TT.MM.2014, entzogen und vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens auf die Beteiligte zu 2. zur alleinigen Ausübung übertragen.
Der Beteiligte zu 3. hat das Kind an die Beteiligte zu 2. herauszugeben.
Die Beteiligte zu 2. darf sich dabei der Hilfe der Vollstreckungsorgane und/oder der Polizei bedienen.
Der Beteiligte zu 3 erhält ein Umgangsrecht mit AA. Das Umgangsrecht soll zweimal monatlich, für mindestens zwei Stunden begleitet von einem mitwirkungsbereiten Dritten nach Maßgabe des Jugendamtes Aurich stattfinden.
Gründe
I.
Die Beteiligten zu 2 und 3 sind die rechtskräftig geschiedenen Eltern der Beteiligten zu 1. Sie streiten um Teile des gemeinsamen Sorgerechts, insbesondere das Aufenthaltsbestimmungsrecht.
Ursprünglich übten die Eltern das Sorgerecht gemeinsam aus. Noch während des laufenden Sorgerechtsverfahrens einigten sie sich auf die Ausübung eines Wechselmodells. Nachdem die erstinstanzlich beauftragte Sachverständige bei der Betreuung des Kindes durch die Kindesmutter eine Gefährdung des Kindeswohls feststellte, wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Wege der einstweiligen Anordnung vom Amtsgericht auf den Vater übertragen und ein begleitetes Umgangsrecht der Mutter eingerichtet. In der einstweiligen Anordnung wurde bestimmt, dass der Vater für die Dauer des Verfahrens nicht umziehen dürfe. Er hatte zuvor mitgeteilt, wegen drohendem ALG-II-Bezug und in Ermangelung einer Beschäftigungschance in der näheren Umgebung Ort1 verlassen zu wollen.
Der elterliche Konflikt ist im Laufe des Verfahrens eskaliert. Parallel zum Sorgerechtsverfahren streiten die Eltern auch über den Umgang.
Mit seinem im Übrigen in Bezug genommenen Beschluss hat das Amtsgericht nach Anhörung der Beteiligten, des Jugendamtes und der Sachverständigen Teile der elterlichen Sorge, insbesondere das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater übertragen. Unmittelbar nach Zustellung des Beschlusses zog der Vater mit dem Kind nach Ort2 zu seinem Bruder, ohne zunächst das Jugendamt, den Kindergarten oder die Mutter davon zu unterrichten. Diese erfuhren erst einige Tage nachdem das Verschwinden aufgefallen war von dem Umzug.
Die Mutter wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts. Sie wünscht die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht auf sich und vertritt insbesondere die Auffassung, dass der Vater sämtlichen Kontakt zwischen ihr und ihrer Tochter blockiert.
Der Senat hat die Beteiligten zu 2 bis 4, das Jugendamt und die Sachverständige in der mündlichen Verhandlung angehört. Das Verfahren ist noch nicht entscheidungsreif, da zunächst die gesundheitliche Situation der Eltern durch psychiatrische Gutachten geklärt werden muss, bevor die kinderpsychologische Begutachtung abgeschlossen werden kann.
II.
Die elterliche Sorge für AA ist im Wege der einstweiligen Anordnung auf die Mutter zu übertragen, §§ 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB, 64 Abs. 3 FamFG.
Die Eltern des Kindes leben nicht nur vorübergehend getrennt. Ihre Ehe ist im September 2019 rechtskräftig geschieden worden. Ein Zusammenleben hat auch danach nicht mehr stattgefunden.
Die Eltern sind nicht in der Lage, das Sorgerecht, insbesondere zum Aufenthaltsbestimmungsrecht gemeinsam auszuüben. Der dauerhafte Aufenthalt des Kindes ist zwischen den Eltern streitig. Eine Einigung dazu war auch vor dem Senat nicht möglich. Es bedarf einer einseitigen Zuweisung. Darüber hinaus ist die Kommunikationsfähigkeit der Eltern untereinander massiv gestört. Der Vater lehnt jede Kontaktaufnahme mit der Mutter ab. Selbst an das Kind adressierte Briefe sollen ihn nur über das Jugendamt erreichen. Daraus wird deutlich, dass es in keinem Bereich der elterlichen Sorge zu gemeinsamen Entscheidungen kommen kann.
Die Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter entspricht dem Kindeswohl am besten, wobei hier klarstellend festgestellt werden muss, dass die Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter das Kindeswohl am wenigsten beeinträchtigt.
Nach der Anhörung der Sachverständigen steht für den Senat vorläufig Folgendes fest:
AAs Wohl wird von beiden Elternteilen gefährdet, wobei eine tatsächliche Beeinträchtigung noch nicht festgestellt werden kann. AA zeigt sich ausgesprochen resilient, sie verkraftet die bisherigen negativen Einflüsse erstaunlich gut und entwickelt sich altersentsprechend trotz der negativen Einflüsse der Eltern. Einzuschränken ist dies unter dem Gesichtspunkt der neueren Entwicklungen, denn wie das Kind den plötzlichen Umzug nach Ort2 und den damit verbundenen vollständigen Abbruch der Kontakte zur Mutter verkraftet hat, konnte die Sachverständige nicht feststellen.
Das Wohl AAs wird durch den Vater wegen seiner vollständigen Bindungsintoleranz zur Mutter gefährdet. Der Umzug des Vaters ist getrieben durch den Wunsch, den Kontakt zwischen Tochter und Mutter zu unterbinden. Die von ihm geäußerte Motivation, der drohende ALG-II-Bezug und die fehlenden Erwerbschancen, sind nur vordergründige Schutzbehauptungen. Der Vater hat es unter nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt, eine Arbeitsstelle in Ort3 anzutreten. Nach seiner Einlassung soll das daran gelegen haben, dass das Amtsgericht ihm einen Umzug untersagt hat. Tatsächlich wertet der Senat das als Schutzbehauptung. Der Vater hat darüber hinaus dafür gesorgt, dass seine Wohnung fristlos gekündigt worden ist und er unmittelbar nach der erstinstanzlichen Entscheidung alle Verbindungen nach Ort1 abbrechen konnte. Die ehemalige Vermieterin hat angegeben, dass lediglich ein Zahlungsrückstand für den Monat November 2019 bestanden hat und der Vater wünschte, dass das Mietverhältnis sofort beendet wird. Dass der Umzug zum Bruder nach Ort2 beruflich motiviert gewesen ist, wie er wiederholt behauptet hat, ist ebenfalls unzutreffend. Der Vater hat keine Stelle in Ort2 oder Umgebung in Aussicht. Die Arbeitsvermittlung sieht eine Fortbildungsmaßnahme denn auch eher im Bereich Ort4, wodurch ein weiterer Umzug in eine ungewisse Umgebung anstünde. Es ist danach kein vernünftiger Grund für den sofortigen Umzug nach Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts erkennbar.
Vielmehr hat der Vater im Zuge und nach dem Umzug gezeigt, warum er tatsächlich weggezogen ist, nämlich um den Kontakt zwischen Mutter und AA möglichst zu unterbinden. Er hat die Mutter zunächst nicht davon unterrichtet, wo er mit dem Kind hinzieht. Danach hat er postalischen Kontakt zwischen Mutter und Kind unterbrochen. Er hat die Sendungen schlicht nicht abgeholt. Als Begründung hat er ausgeführt, es gehe ihm um die Kontinuität, die er, so wertet der Senat seine Einlassungen, in einer Fortsetzung des Lebens des Kindes ohne die Mutter sieht. Auch mögliche Unterstützungen für die Umgänge der Mutter mit dem Kind konnte der Vater erst gedanklich entwickeln, als er von seiner Verfahrensbevollmächtigten dazu befragt worden ist. Zuvor meinte er auf Fragen des Senats, das Kind nach Ort5 bringen zu wollen, damit die Mutter dort Umgang habe, ohne näher darlegen zu können, warum denn ein Umgang in Ort5 stattfinden solle. Insgesamt ist die Haltung des Vaters zur Mutter und zum Verhältnis zwischen Mutter und Tochter als destruktiv zu bewerten.
Die Mutter gefährdet das Wohl des Kindes wegen der bei ihr bestehenden psychischen Erkrankung. Sie begründet nach wie vor erhebliche Zweifel an der Erziehungsfähig der Mutter. Durch die von der Mutter selbst geschilderten Handlungen, wie beispielsweise das Filmen und Befragen wird das Kind massiv verunsichert und beeinträchtigt. Das Kind ist aufgrund seines noch jungen Alters nicht in der Lage, die Krankheit der eigenen Mutter zu erkennen und das Verhalten der Mutter entsprechend einzuordnen. Die Kindesmutter hegt bei ihren körperlichen Beobachtungen einen ständigen Verdacht gegen den Kindesvater und bezieht das Kind darin ein, ohne diesen Verdacht zu benennen. Dies begründet nach Überzeugung des Senats im Einklang mit den Ausführungen der Sachverständigen ein Entwicklungsrisiko für das seelische Wohl des Kindes. Die Befragungen in diese Richtung und mit dieser Intensität sind kindeswohlgefährdend. Es ist allerdings auch festzustellen, dass AA trotz des bisherigen Verhaltens der Mutter nach den Feststellungen der Sachverständigen noch nicht in ihrem Wohl beeinträchtigt worden ist. Eine weitere Gefährdung ist durch flankierende Maßnahmen einzudämmen.
Für einen Aufenthalt bei der Kindesmutter streitet ungeachtet ihres Gesundheitszustandes, der in der Folgezeit im Übrigen auch noch aufgeklärt werden muss, dass AA hierdurch in ihre bislang gewohnte Umgebung in Ort1 zurückkommt und insbesondere den Besuch des Kindergartens wieder als Konstante in ihrem Leben erfährt. Hingegen besteht beim Vater die Gefahr eines weiteren, dann berufsbedingten Wechsels der Umgebung in eine sodann ungewisse Betreuungssituation.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist eine Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter tragfähig, denn sie wird mit weiteren Maßnahmen zu flankieren sein. So bedarf es einer Unterstützung der Mutter durch das Jugendamt, insbesondere die Einrichtung einer SPFH erscheint notwendig. Darüber hinaus findet der Umgang zwischen Vater und Tochter nur begleitet statt. Das ist zwar für AA erneut ein Bruch in der Wahrnehmung ihrer Bezugspersonen, denn der Vater ist derzeit die Hauptbezugsperson, dennoch wird die Mutter dadurch entlastet. Ihr Misstrauen in die Person des Vaters kann dadurch jedenfalls in Bezug auf AA gemindert werden. Durch diese Entlastungen soll es der Mutter ermöglicht werden, für AA eine das Kindeswohl beachtende Umgebung zu schaffen in der ihr auch die nötige Ruhe gewährt wird.
Auf Seiten des Vaters wäre es hingegen nur möglich, den Bindungsintoleranzen durch ein Umgangsrecht der Mutter zu begegnen. Selbst wenn dieses Umgangsrecht vom Vater toleriert und unterstützt würde, woran der Senat bei der Einlassung des Vaters erhebliche Zweifel hat, besteht derzeit kein Grund zu der Annahme, dass der Vater AA ein angemessen positives Bild der Mutter vermitteln kann, damit ihre Bindungen zur Mutter nicht weiter beeinträchtigt werden.
Der Wille des Kindes spricht nicht gegen einen Aufenthaltswechsel. AA hat sich für einen Verbleib beim Vater ausgesprochen, weil es dort ruhiger sei. Mit den vom Senat vorgesehenen Maßnahmen sollte die Mutter in der Lage sein, AA eine ebenso ruhige Umgebung zu ermöglichen.
Der Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter steht auch eine anderweitig notwendige Regelung nicht entgegen, § 1671 Abs. 4 BGB. Ein Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrecht und Übertragung auf einen Dritten nach §§ 1666, 1666a BGB, einhergehend mit einer Trennung von Vater und Mutter ist tatbestandlich begründbar. Der Senat schließt sich aber der Auffassung der Sachverständigen an, dass die sekundären Belastungen des Kindes eine Herausnahme nicht rechtfertigen würde. AA wäre es gänzlich unverständlich, weder bei ihrer Mutter, noch bei ihrem Vater leben zu können. Sie würde durch eine Fremdunterbringung traumatisiert. Angesichts des Umstandes, dass sie derzeit noch keine Beeinträchtigungen zeigt, würde dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu führen.
Die Übertragung des Sorgerechts im Wege der einstweiligen Anordnung ist erforderlich, weil ein dringendes Regelungsbedürfnis besteht. Der weitere Aufenthalt des Kindes bei dem bindungsintoleranten Vater ohne Kontakt zur Mutter würde nach den Feststellungen der Sachverständigen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Kindeswohlgefährdung führen. Da der Senat davon ausgeht, dass der Vater keine adäquate Bindung zwischen Mutter und Tochter zulässt und das Verfahren voraussichtlich noch etwa 6 Monate bis zur Entscheidungsreife benötigt, ist eine Regelung für die Zwischenzeit auszusprechen. Der erneute Aufenthaltswechsel des Kindes ist dabei unumgänglich. Da es sich aber um einen Wechsel zwischen den noch bis vor Monaten in einem Wechselmodell lebenden Elternteilen handelt und der künftige Aufenthalt des Vaters in Ort2 ebenfalls unsicher ist, war entsprechend zu verfahren.