Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 28.05.2021, Az.: 2 Ss 38/21

Ausbleiben einer Mitteilung der Jugendgerichtshilfe kein Rechtsmangel; Fehlende Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe mit Verfahrensrüge angreifbar

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
28.05.2021
Aktenzeichen
2 Ss 38/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 28076
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2021:0528.2SS38.21.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 13.01.2021 - AZ: 31 Ns 14/20

Fundstellen

  • RPsych 2021, 472-473
  • StV 2022, 51

Amtlicher Leitsatz

Die fehlende Mitteilung der Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe in den Urteilsgründen stellt nicht bereits für sich genommen einen sachlich-rechtlichen Mangel dar.

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der Jugendkammer 1 des Landgerichts Hannover vom 13.01.2021 wird als unbegründet verworfen, (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens und die der Nebenklägerin G. B. im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Die von der Revision erhobene allgemeine Sachrüge deckt keinen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Mangel des angefochtenen Urteils zum Nachteil des Angeklagten auf.

Der Erörterung bedarf insoweit lediglich folgendes: Ob bei der Verurteilung eines Heranwachsenden Jugendrecht anzuwenden ist, weil er - wie im vorliegenden Fall vom Landgericht angenommen - zum Tatzeitpunkt noch einem Jugendlichen gleichstand, ist im Wesentlichen Tatfrage. Dem Jugendgericht steht bei der Beurteilung der Reife des Heranwachsenden grundsätzlich ein erheblicher Ermessensspielraum zu (BGH, Urt. v. 09.08.2001 - 1 StR 211/11 - juris; OLG Celle, Beschl. v. 26.06.2012 - 32 Ss 78/12 - juris). Um dem Revisionsgericht die Überprüfung der getroffenen Entscheidung zu ermöglichen, müssen die für die Entwicklung des Heranwachsenden maßgeblichen tatsächlichen Umstände und die hieraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen dargelegt und in einer Gesamtschau gewürdigt werden (Senat, Beschluss vom 20. September 2019, Az.: 2 Ss 112/19). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht, wenngleich es an der Mitteilung des Inhalts der Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe in der Berufungsverhandlung fehlt. Letzterer Umstand und seine rechtlichen Folgen werden von der Rechtsprechung unterschiedlich bewertet. Teilweise wird die fehlende Mitteilung bereits auf die allgemeine Sachrüge hin berücksichtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2011 - 5 StR 35/11 -, juris; KG Berlin, Beschluss vom 23. August 2012 - (4) 121 Ss 170/12 (202/12) -, juris). Allerdings handelte es sich in den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen um mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare Sachverhalte: Bei der angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs war in den Gründen des angefochtenen Urteils lediglich ausgeführt worden, dass die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe in der Hauptverhandlung zur Frage etwaiger Reifeverzögerungen des Angeklagten eine von der Beurteilung des Tatgerichts abweichende Einschätzung abgegeben hatte, ohne dass den Urteilsgründen die von ihr vorgetragenen Argumente und eine Auseinandersetzung mit diesen zu entnehmen war. In der zitierten Entscheidung des Kammergerichts waren in dem zugrundeliegenden Urteil keine ausreichenden Feststellungen zur Entwicklung des Angeklagten getroffen worden, was als sachlich-rechtlicher Mangel gewertet wurde. Für die Annahme solcher Mängel der vorgenannten Art ist vorliegend indes angesichts der umfassenden Darlegung und sorgfältigen Würdigung der von der Jugendkammer zur Begründung der Anwendung von Jugendrecht auf den Angeklagten angeführten Gesichtspunkte sowie mangels Anhaltspunkten für gegenteilige Erkenntnisse oder Ausführungen der Jugendgerichtshilfe kein Raum gegeben.

In Fällen der vorliegenden Art, in denen in den Gründen des angefochtenen Urteils die für die Beurteilung des Vorliegens von Reifeverzögerungen maßgeblichen tatsächlichen Umstände der Entwicklung des Angeklagten sowie die hieran anknüpfenden rechtlichen Erwägungen des Tatgerichts dargelegt worden sind und es lediglich an der Mitteilung der Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe fehlt, ist die unterbliebene Mitteilung nicht als sachlich-rechtlicher Mangel angesehen worden (vgl. BGH, NZtZ-RR 1999, 26; OLG Hamm, Beschl. v. 25.11.2004 - 2 Ss 413/04 -, juris). Es handele sich vielmehr um einen Verfahrensmangel, der nur mit einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge der Verletzung der gerichtlichen Amtsaufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO geltend gemacht werden könne (vgl. hierzu BGH Urteil vom 01. Juli 1998 - 1 StR 182/98, NStZ-RR 1999, 26; OLG Hamm, Beschluss vom 25. November 2004 - 2 Ss 413/04 -, juris). Dies wird mit dem allgemein geltenden Grundsatz begründet, dass allein die fehlende Erwähnung eines erhobenen Beweises nicht belege, dass das Ergebnis dieser Beweiserhebung nicht in die Überzeugungsbildung eingeflossen sei, was für die Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe in der Hauptverhandlung entsprechend gelte (vgl. BGH aaO). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Eine entsprechende Verfahrensrüge ist im vorliegenden Fall durch den Angeklagten nicht erhoben worden.