Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 06.05.2021, Az.: 3 Ws 89/21 (StrVollz)

Keine generelle Ermächtigungsgrundlage der JVA zur Übergabe von Schreiben an Gefangene nur in Ablichtungen; Weiterleitung von Ablichtungen auch ohne konkrete Verdachtsmomente bei schwerwiegenden Gefahren; Konkrete Gefahren für die Anstalt bei Einbringung psychogener Stoffe (hier getränktes Papier)

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
06.05.2021
Aktenzeichen
3 Ws 89/21 (StrVollz)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 26027
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2021:0506.3WS89.21STRVOLLZ.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - AZ: 17 StVK 4/21

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die §§ 30, 32 NJVollzG enthalten keine Ermächtigungsgrundlage, um Originalschreiben einzubehalten und lediglich Ablichtungen an die Gefangenen auszugeben.

  2. 2.

    Die Generalklausel des § 3 NJVollzG kann herangezogen werden, um auf neue Phänomene, die bei der Abfassung des Gesetzes noch nicht mitgedacht wurden, zu reagieren, wie etwa auf die Gefahr des Einbringens neuer psychogener Stoffe (npS) mittels getränktem Papier in die Anstalt.

  3. 3.

    Das Einbringen von nps in konsumfähiger Form in eine Anstalt kann eine konkrete Gefahr im Sinne des § 3 NJVollzG darstellen.

  4. 4.

    Eine Anordnung, von den eingehenden Schreiben an die Gefangenen lediglich Ablichtungen herauszugeben, ohne konkrete Verdachtsmomente gegen einen Gefangenen bzw. eine umgrenzte Gruppe mittels einer Allgemeinverfügung erscheint möglich. Diese muss jedoch zur Verhinderung einer schwerwiegenden Gefahr erforderlich sein, der mit milderen, ggf. auch personal- und kostenintensiven Mittel, nicht begegnet werden kann und in ihrer konkreten Durchführung auf das notwendige Maß beschränkt sein.

  5. 5.

    Die notwendigen Feststellungen einer gerichtlichen Entscheidung gemäß § 115 StVollzG i.V. m. § 102 NJVollzG haben sich in ihrem Umfang nicht zuletzt an den Voraussetzungen der dem Streitgegenstand zugrundeliegenden Rechtsgrundlage zu orientieren.

Tenor:

  1. 1.

    Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit Sitz beim Amtsgericht Lingen (Ems) vom 9. Februar 2021 wird aufgehoben.

  2. 2.

    Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

  3. 3.

    Der Streitwert wird für beide Instanzen auf bis zu 500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Gegen den Antragsteller und Beschwerdegegner wird eine Freiheitsstrafe vollstreckt.

Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat er sich gegen die konkrete Umsetzung einer Anstaltsverfügung vom 21. Dezember 2020 gewandt, aufgrund derer eingehende Post für Gefangene in deren Abwesenheit geöffnet und kopiert, den Gefangenen die Kopie ausgehändigt und das Original zur Habe genommen wird. Infolge der Anordnung erhielt der Antragsteller einen Brief seiner Ehefrau vom 21. Dezember 2020, dem auch ein selbstgemaltes Bild von seinem Sohn beigefügt war, lediglich in Kopie ausgehändigt. Die JVA begründet ihre Anordnung mit der Bekämpfung von Gefahren, die von neuen psychoaktiven Stoffen (im Folgenden npS) ausgingen, diese seien vermehrt in der Form in die Anstalt eingebracht worden, dass diese auf Papier aufgebracht und per Post als normale Eingangspost in die JVA gesandt würden. Das Papier würde mit verflüssigten sog. research chemicals (kristalline Aggregatform von npS als synthetische Cannabionide) getränkt, die npS drängen in das Papier ein, welches sich später in konsumfähige Einheiten zerschneiden ließe.

Mit Beschluss vom 9. Februar 2021 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit Sitz beim Amtsgericht Lingen (Ems) auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung das Anhalten der Post des Antragstellers, die dieser am 21. Dezember 2020 erhielt, für rechtswidrig erklärt und die Antragsgegnerin verpflichtet, die Post unverzüglich auszuhändigen. Die Strafvollstreckungskammer hat ausgeführt, dass es für das Anhalten der Post an einer Rechtsgrundlage fehle, weswegen die Hausverfügung rechtswidrig sei. Das Vorgehen werde durch die §§ 29 ff NJVollzG nicht gedeckt; es handele sich weder um ein "Anhalten von Schreiben" noch sei das Einbehalten eine Form des "Überwachens". "Anhalten" sei ein lediglich vorübergehendes Einbehalten. "Überwachung" sei lediglich eine optische Kontrolle auf verbotene Gegenstände (Sichtkontrolle) und die Wahrnehmung des Inhalts (Textkontrolle). Darüber hinaus sei ein generelles Einbehalten der Originalbriefe ohne konkreten einzelfallbezogenen Anlass nicht mehr verhältnismäßig. Um die durch das Einbringen von npS in die Anstalt verursachten Gefahr zu begegnen sei es - auch vor dem Hintergrund des Kontrollaufwandes - zumutbar, jedenfalls Bilder und Fotos auf npS zu kontrollieren und bei Unbedenklichkeit auszuhändigen und im Übrigen eine anlassbezogene Prüfung vorzunehmen. Es sei zu bedenken, dass der Erhalt von Briefen eine der wenigen Möglichkeiten zur Kontakthaltung darstelle und dadurch letztlich auch die Resozialisierung gefördert werde. Die Aushändigung von Kopien stelle keinen gleichwertigen Ersatz dar. Das Recht auf Aushändigung der Originalpost, zumindest aber von Bildern und Fotos, überwiege gegenüber einem pauschalen Sicherungsgebot ohne konkrete Verdachtsmomente.

Hiergegen hat die Antragsgegnerin Rechtsbeschwerde erhoben. Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beantragt, den Beschluss der Strafvollstreckungskammer aufzuheben und den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise den Beschluss aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Bescheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuweisen. Sie rügt, dass die Strafvollstreckungskammer ein wesentliches Argument unberücksichtigt gelassen habe, wenn sie ausführe, dass eine anlassbezogene Kontrolle zumutbar sei, da die Problematik bei auf Papier aufgebrachten npS darin liege, dass eine sichere Kontrolle nicht möglich sei. Zudem fehle eine Auseinandersetzung damit, ob die Maßnahme auf § 3 NJVollzG gestützt werden könne. Aufgrund der vorhandenen planwidrigen Regelungslücke sei die Generalklausel anwendbar.

Mit Beschluss vom 21. April 2021 hat der Senat auf Antrag der Antragsgegnerin den Vollzug des angefochtenen Beschlusses bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ausgesetzt.

Das Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 5. Mai 2021 lag dem Senat bei seiner Entscheidung vor.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat mit dem Hilfsantrag - jedenfalls vorläufig - Erfolg.

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig. Die Rechtsbeschwerde ist auch zuzulassen, wenn die tatsächlichen Feststellungen oder rechtlichen Erwägungen der angefochtenen Entscheidung so unzureichend sind, dass das Rechtsbeschwerdegericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG nicht überprüfen kann (vgl. nur Arloth/Krä StVollzG 4. Aufl. § 116 Rn. 4 mwN). So liegt es hier. Die Tatsachenfeststellungen sind unzureichend.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer gemäß § 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG.

Die Gründe der angefochtenen Entscheidung werden den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht.

a) In dem revisionsähnlich ausgestalteten Rechtsbeschwerdeverfahren nimmt das Rechtsbeschwerdegericht lediglich eine Rechtskontrolle auf der Grundlage der in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Tatsachenfeststellungen vor. Ein Rückgriff auf weitere, ggf. neue Tatsachenbehauptungen der Verfahrensbeteiligten ist dem Senat nicht möglich. Aus diesem Grund muss das erstinstanzliche Gericht in dem Beschluss nach § 115 StVollzG die entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte so vollständig wiedergegeben, dass eine hinreichende Überprüfung des Beschlusses im Rechtsbeschwerdeverfahren möglich ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 22. Juni 2012 - 1 Ws 205/12 [StrVollz] -, Nds. Rpfl. 2012, 378; OLG Hamburg NStZ 2005, 592 [OLG Hamburg 12.05.2005 - 3 Vollz(Ws) 28/05]; OLG Nürnberg ZfStrVo 2006, 122 [OLG Nürnberg 21.12.2005 - 1 Ws 1055/05]; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 325 [OLG Karlsruhe 13.03.2007 - 1 Ws 183/06]; Arloth/Krä, StVollzG, § 115 Rn. 6 mwN). Ausdrücklich sieht § 115 Abs. 1 Satz 2 StVollzG vor, dass der Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammengestellt werden muss. Danach muss der Tatbestand insgesamt eine sowohl für die Beteiligten als auch für außenstehende Dritte verständliche, klare, vollständige und richtige Grundlage der Entscheidung bieten (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 8. Juni 2005 - 1 Ws 185/05 [StrVollz] -, Nds. Rpfl. 2005, 379 mwN). Der Tatbestand des Beschlusses muss das Antragsvorbringen des Gefangenen in seinem Kerngehalt wiedergeben, weil andernfalls nicht geprüft und entschieden werden kann, ob das Gericht in Beachtung von Art. 103 Abs. 1 GG dieses Vorbringen zur Kenntnis genommen und erwogen hat (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 325 [OLG Karlsruhe 13.03.2007 - 1 Ws 183/06]). Nur hinsichtlich der Einzelheiten lässt § 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG die Bezugnahme auf bei den Gerichtsakten befindliche Schriftstücke, die nach Herkunft und Datum genau zu bezeichnen sind, zu. Die Entscheidungsgründe müssen die Gründe wiedergeben, die für die richterliche Überzeugungsbildung zum Sachverhalt und für dessen rechtliche Beurteilung im Einzelnen maßgebend gewesen sind (ebenda). Möglich ist hier zwar auch die Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung, allerdings nur, soweit dadurch die Verständlichkeit der Darstellung und der Begründung aus sich heraus nicht in Frage gestellt wird, und - wie § 115 Abs. 1 Satz 4 StVollzG auch ausdrücklich herausstellt - deutlich wird, dass sich das Gericht diese Überlegungen zu eigen macht (vgl. Senatsbeschluss vom 29. März 2017, 3 Ws 142/17 [StrVollz]). Von dieser Möglichkeit hat die Strafvollstreckungskammer keinen Gebrauch gemacht.

b) Gemessen hieran erweist sich der angefochtene Beschluss als nicht ausreichend begründet.

Es fehlt bereits an einer hinreichenden Darstellung des Sach- und Streitstandes. Es wurde schon der Wortlaut und der vollständige Inhalt der der Maßnahme zugrundeliegenden Anordnung nicht mitgeteilt. In der landgerichtlichen Entscheidung hat sich in den Feststellungen zudem die unzureichende Stellungnahme der Antragsgegnerin fortgesetzt, mit der Folge, dass sich die Strafvollstreckungskammer vorliegend nicht mit einer vollständigen Tatsachengrundlage der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt hat, was zu einer rechtsfehlerhaften Sachentscheidung führt. Dabei haben sich die notwendigen Feststellungen in ihrem Umfang nicht zuletzt an den Voraussetzungen der zugrundeliegenden Rechtsgrundlagen zu orientieren.

aa) Die Gefangenen haben gemäß § 29 NJVollzG das Recht, grundsätzlich unbeschränkt Briefe und Postkarten zu versenden und zu empfangen. Dabei dienen die Schreiben dem schriftlichen Gedankenaustausch (vgl. BeckOK Strafvollzug Nds/Reichenbach NJVollzG § 29 Rn. 2 mwN). Dem Schreiben beigefügte Anlagen, wie etwa Fotos oder Zeitungsartikel, sind solange nach § 29 NJVollzG und nicht nach § 34 NJVollzG zu behandeln, wie diese einen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Schreiben aufweisen. Für die Beantwortung der Frage, ob der Inhalt einer Postsendung nach den rechtlichen Voraussetzungen des privilegierten Schriftverkehrs oder gemäß den allgemeinen Regeln für die Erlaubnis der Annahme von Gegenständen zu beurteilen ist, kommt es nicht auf die Einordnung der Postsendung nach postalischen Gesichtspunkten, sondern allein darauf an, ob der Gegenstand dem schriftlichen Gedankenaustausch dient (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2002, 315 [316] [OLG Karlsruhe 04.07.2002 - 1 Ws 171/02][OLG Karlsruhe 04.07.2002 - 1 Ws 171/02]; OLG Nürnberg, NStZ 1997, 382 [Matzke]; OLG Hamburg, ZfStrVO 1987, 247 [248]; OLG Koblenz, NStZ 1991, 304 [OLG Hamm 13.11.1990 - 1 Vollz (Ws) 70/90]; ZfStrVO 1985, 121; KG, ZfStrVO 1983, 59 [L]; Senat, Beschl. v. 21. 8. 2002 - 5 Ws 426/02 Vollz und v. 26. 4. 1999 - 5 Ws 196/99 Vollz; Calliess/Müller-Dietz, § 28 Rn 1; Arloth/Krä, StVollzG, § 28 Rn 3). Denn § 29 NJVollzG gewährleistet nur den schriftlichen Gedankenaustausch mit der Außenwelt und gibt dem Gefangenen nicht das Recht, unbeschränkt Briefeinlagen zu empfangen (vgl. zu dieser Problematik KG, Beschluss vom 14. 12. 2006 - 5 Ws 480/06 + 605/06 Vollz in NStZ-RR 2007, 125, beck-online). Ob ein solcher - eher naheliegender - Zusammenhang für das selbstgemalte Bild des Sohns des Antragstellers vorliegt und daher für diese Beilage nicht auf § 34 NJVollzG abzustellen ist, vermag der Senat anhand der getroffenen Feststellungen indes nicht zu beurteilen.

Die Regelung des § 29 NJVollzG erfährt durch die §§ 30, 32 NJVollzG Einschränkungen. Diese Vorschriften ermächtigen die Vollzugsanstalt beim Vorliegen ihrer Voraussetzungen den Schriftverkehr zu überwachen (§ 30 NJVollzG) bzw. Schreiben anzuhalten (§ 32 NJVollzG).

Zutreffend ist die Strafvollstreckungskammer davon ausgegangen, dass die Zurückbehaltung des Originalschreibens und Aushändigung einer Kopie nicht durch die §§ 30, 32 NJVollzG gedeckt sein kann. Bei der Fertigung von Ablichtungen zwecks Weitergabe und Verwahrung der Originale in der Habe handelt es sich weder um eine "Überwachung" im Sinne des § 30 NJVollzG, noch um ein "Anhalten" im Sinne von § 32 NJVollzG. § 30 NJVollzG erlaubt es der Vollzugbehörde die Post zu überwachen, d.h. die Vollzugsbehörde wird ermächtigt, Briefe zu öffnen und von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen (Textkontrolle) bzw. ihren Inhalt auf verbotene Gegenstände zu überprüfen (Sichtkontrolle), etwa auf Rauschgift oder verfassungsfeindliche Aufkleber (vgl. BeckOK Strafvollzug Nds/Reichenbach NJVollzG § 30 Rn. 2 mwN). Weitergehende Maßnahmen werden durch § 30 NJVollzG nicht gedeckt. Hieran knüpft § 32 NJVollzG an und ermächtigt die Vollzugsbehörde aufgrund eines abschließenden Katalogs von Gründen, Schreiben anzuhalten. Ein Anhalten kommt gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 1 NJVollzG in Betracht, wenn andernfalls konkrete Gefahren von einigem Gewicht für die Vollzugsziele bzw. die Sicherheit und Ordnung der Anstalt drohen, dies wird u.a. dann bejaht, wenn der Schriftwechsel den Gefangenen in seiner kriminellen Haltung unterstützt, wenn der Inhalt Aufrufe zu gewalttätigen Aktionen, Erörterungen von Ausbruchsplänen oder Ausführungen zur Vorbereitung einer Meuterei enthält (vgl. BeckOK Strafvollzug Nds/Reichenbach NJVollzG § 32 Rn. 3 ff.). Weitere Anhaltegründe sind die Gefahr für Bedienstete der JVA, sich der Strafverfolgung auszusetzen (§ 32 Abs. 1 Nr. 2), unrichtige Darstellungen der Anstaltsverhältnisse (§ 32 Abs. 1 Nr. 3), grobe Beleidigungen (§ 32 Abs. 1 Nr. 4), Gefährdung der Eingliederung anderer Gefangener (§ 32 Abs. 1 Nr. 5) und die Abfassung des Schreibens in unverständlicher Sprache (§ 32 Abs. 1 Nr. 6). Den Fallgruppen ist insoweit gemein, dass sich der Grund aus dem gedanklichen Inhalt des Schreibens ergibt. Gemäß § 32 Abs. 2 NJVollzG sind angehaltene Schreiben an die Absender zurückgegeben oder behördlich zu verwahren, sofern eine Rückgabe unmöglich oder nicht geboten ist. Das Ablichten und Weitergeben der Ablichtungen mit dem Zweck, das "Trägerpapier" und nicht den gedanklichen Inhalt anzuhalten, ist mithin durch die Regelung des § 32 NJVollzG nicht gedeckt. Nach alledem kann die getroffene Verfügung nicht auf § 32 NJVollzG gestützt werden kann.

Die vorliegende Maßnahme ist vielmehr an der Generalklausel des § 3 Abs. 1 S. 2 NJVollzG zu messen. Danach können dem Gefangenen, soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält, die Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich sind. Die Anwendung ist vorliegend nicht durch die §§ 29 ff NJVollzG gesperrt. Aus dem aus § 3 Abs. 1 S. 1 NJVollzG folgenden Enumerationsprinzip ergibt sich, dass die Inhaftierten in ihrer Eigenschaft als Gefangene ausschließlich den im NJVollzG ausdrücklich genannten Beschränkungen unterliegen (vgl. BeckOK Strafvollzug Nds/Reichenbach NJVollzG § 3 Rn. 1). Nur soweit das NJVollzG keine speziellen Eingriffsbefugnisse enthält, ist ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 3 Abs. 1 S. 2 NJVollzG möglich. Vorliegend ist mithin zu prüfen, ob die Bestimmungen der §§ 29 ff NJVollzG die Behandlung von Post abschließend regelt, also der Gesetzgeber (bewusst) keine weiteren Eingriffsbefugnisse schaffen wollte, mit der Folge, dass die Anwendbarkeit des subsidiären § 3 NJVollzG gesperrt ist, oder ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt und die Anwendung möglich ist (vgl. zu den entsprechenden Regelungen § 4 StVollzG: Arloth, StVollzG, § 4 Rn 5). Für die Anwendbarkeit der Generalklausel kann beispielsweise sprechen, dass es sich um eine im Gesetzgebungsverfahren noch nicht absehbare oder nicht bedachte Sachlage handelt (vgl. BeckOK Strafvollzug Bund/Anstötz StVollzG § 4 Rn. 16). Stellt man auf den Wortlaut und den Regelungsinhalt der §§ 29 ff NJVollzG ab, zielt dieser, wie bereits ausgeführt, auf den gedanklichen Austausch und damit in erster Linie auf den gedanklichen Inhalt der jeweiligen Schreiben ab. Demgegenüber ist die zu beurteilende Konstellation folgende: Ein Gefahrenstoff, nämlich npS, wird (vermeintlich) vermittelt durch das verwendete Papier in die Anstalt eingebracht, ohne dass dieser Stoff in irgendeinem Zusammenhang mit dem gedanklich vermittelten Austausch steht. Insoweit handelt es sich um ein neues Phänomen, welches bei der Abfassung des Gesetzes weder bekannt noch mitgedacht wurde bzw. werden konnte. Die Schaffung der Generalklausel dient dem Zweck, auf neue vollzugliche Entwicklungen zeitnah reagieren zu können (vgl. NdsLT-Drs. 15/3565, 84 ff.). Ein solcher Fall liegt hier vor. Für diese Konstellation ist bislang keine Regelung getroffen worden, so dass die angefochtene Maßnahme auf § 3 NJVollzG gestützt werden könnte.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 S. 2 NJVollzG unterliegen uneingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung. Es besteht kein Beurteilungsspielraum der Vollzugsbehörde. Auf der Rechtsfolgenseite hingegen obliegt der Antragsgegnerin eine Ermessensentscheidung, bei der sie die Anforderungen an die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt mit den Interessen des Antragstellers abzuwägen hat. Diese Ermessensentscheidung ist im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. nur Arloth/Krä aaO § 115 StVollzG Rn. 16 m.w.N.), namentlich dahingehend, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, die richtigen Wertungsmaßstäbe angewendet hat, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie die Grenzen ihres Ermessen eingehalten hat (vgl. Arloth/Krä aaO § 115 StVollzG Rn. 15 m.w.N.; OLG Celle, Beschluss vom 31. Oktober 2008 - 1 Ws 538/08 (StrVollz); OLG Celle, Beschluss vom 08. Februar 2017 - 3 Ws 82/17 (StrVollz)).

bb) Der Sachverhalt ist mithin von Amts wegen soweit aufzuklären, dass das Gericht in die Lage versetzt wird, diese Voraussetzungen zu prüfen. Im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG gilt der Untersuchungsgrundsatz. In der angefochtenen Entscheidung fehlen Ausführungen zur Tatbestandsseite, anhand deren das Vorliegen einer Gefahr für die Sicherheit der Anstalt geprüft werden kann, darüber hinaus fehlen Feststellungen auf der Rechtsfolgenseite, um die Geeignetheit und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme prüfen zu können.

Auf der Tatbestandsseite könnte eine Gefährdung der inneren Sicherheit der Anstalt in Betracht kommen. Erforderlich ist eine konkrete Gefährdung von einigem Gewicht. Die innere Sicherheit der Anstalt kann sowohl von außen, als auch von innen bedroht sein. Eine entsprechende Gefährdung ist beispielsweise beim Handeltreiben mit nicht erlaubten Substanzen zu bejahen (BVerfG BeckRS 2006, 19576). Gefahren innerhalb der Anstalt betreffen namentlich Leib und Leben der Bediensteten und Gefangenen sowie deren Eigentum (vgl. dazu OLG Karlsruhe BeckRS 2010, 00570). Das Einbringen von npS in konsumfähiger Form in die Anstalt kann eine entsprechende Gefahr darstellen. Aus den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung wird jedoch nicht deutlich, ob das Gericht ein solches Einbringen bzw. die Gefahr des Einbringens in die Anstalt durch Postsendungen festgestellt hat oder insoweit nur einseitig auf das Vorbringen der Antragstellerin abgestellt hat. Auch das Vorbringen der Antragstellerin ist insoweit wenig konkret, es fehlen u.a. ausreichend konkrete, zahlenbasierte Angaben dazu, wie häufig derartige Fälle bislang vorgekommen sind. Ein Mangel der Stellungnahme der sich in dem angefochtenen Beschluss fortsetzt.

Vorliegend wären mithin Feststellungen dazu zu erwarten gewesen, in wie vielen Fällen in der Vergangenheit versucht worden bzw. es gelungen ist, Betäubungsmittel durch getränktes Brief-, Mal- bzw. Fotopapier mittels des Briefverkehrs in die Anstalt einzubringen und auf welchem Wege dies festgestellt wurde. Ebenso fehlen Angaben dazu, welche konkreten Folgen von eingebrachten Sendungen ausgegangen sind, sofern nachträglich entsprechende Feststellungen getroffen werden konnten.

Hinsichtlich der Rechtsfolgenseite dürfte bezüglich der Geeignetheit und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme relevant sein, ob und auf welchem Wege das Einbringen mittels der Überwachung in der Vergangenheit festgestellt werden konnte. Wie ist eine Kontamination sichtbar zu machen bzw. nachweisbar. Sollte diese nicht sichtbar gemacht werden können, dürfte zu klären sein, wie die Anstalt die konkrete Zuordnung zu Briefsendungen vornehmen konnte. Die bloße theoretische Möglichkeit, dass das Briefpapier als Trägermaterial in Betracht kommt, dürfte einen generellen Ausschluss jedenfalls nicht rechtfertigen (vgl. OLG Nürnberg NStZ 1982, 399; OLG München Beschl. v. 4. September 2018, BeckRS 2018, 42159). Zudem sind Ausführungen dazu zu erwarten, auf welchem Wege etwaige Kontrollen möglich sind (beispielsweise Betäubungsmittelschnelltest, Schwarzlicht, Drogenscanner etc.) und mit welchem konkreten Kosten- und Personalaufwand dies erfolgen kann. Die bisherigen Ausführungen durch die Antragsgegnerin sind eher vage, ob die Strafvollstreckungskammer diesen Ausführungen gefolgt ist und wenn ja, aus welchen Gründen, lässt der angefochtene Beschluss zudem offen (zu dem Umfang der erforderlichen Ausführungen insgesamt siehe auch OLG München Beschl. v. 4. September 2018, BeckRS 2018, 42159 zu einem ähnlichen gelagerten Fall btr. Briefeinlagen). Zudem mangelt es an Ausführungen dazu, in welcher Form die Ablichtungen erfolgen sollten und ob es sich um schwarz-weiß oder farbige Kopien handelt. Mithin ist nicht zu erkennen, ob dem Umstand Rechnung getragen wird, dass in erster Linie bei Fotos und gemalten Bildern, aber auch bei handschriftlichen Briefen ggf. auf verziertem Briefpapier auch der Gestaltung ein eigenständiger Wert im Rahmen des gedanklichen Austauschs zukommt. Dieser kann in einer schwarz-weiß Ablichtung nur in einem geringen Umfang transportiert werden. Zudem dürfte bei der Frage der Verhältnismäßigkeit zu klären sein, wie lange die Substanz von dem Trägermaterial verfügbar gemacht werden kann. Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit wird weiter zu berücksichtigen sein, dass der Briefverkehr durch Art. 10 GG als Grundrecht verfassungsrechtlich geschützt ist. Weiterhin ist - wie die Strafvollstreckungskammer insoweit zutreffend ausführt - in den Blick zu nehmen, dass der Briefverkehr eine wichtige Form der Kontakthaltung für den Gefangenen darstellt, welche aufgrund der Inhaftierung nur sehr eingeschränkt möglich ist. Auch für die Resozialisierung ist eine Kontakthaltung von hohem Wert.

Vor dem Hintergrund der nicht einzelfallbezogenen Anordnung zum Nachteil aller Gefangenen gilt dies umso mehr. Eine entsprechende Anordnung ohne konkrete Verdachtsmomente gegen einen Gefangenen bzw. eine umgrenzte Gruppe im Rahmen einer Allgemeinverfügung erscheint von Rechts wegen vertretbar. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22. Oktober 2003 zur Überwachung von Schriftwechseln nach § 29 StVollzG ausgeführt, dass Art. 10 GG durch § 29 Abs. 3 StVollzG in verfassungsgemäßerweise eingeschränkt wird und der wirksame Schutz von Sicherheit und Ordnung einer JVA Maßnahmen der Postkontrolle erforderlich machen kann, die sich unabhängig von einer individuell begründeten Missbrauchsbefürchtung auf alle Gefangenen erstrecken. Insbesondere gebiete der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht, dass besondere Gründe in der Person des Gefangenen für eine Überwachung des Schriftverkehrs vorliegen müssen. Hierzu führt das Bundesverfassungsgericht weiter aus, dass dann, wenn zum Schutz gewichtiger Belange, die Eingriffe in ein Grundrechte rechtfertigen können, Einschränkungen auf der Grundlage einer jeweils einzelfallbezogenen Prognose und Abwägung zur Abwehr nicht geeignet sind, auch eine regelhafte Einschränkung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein kann, wobei eine zulässigerweise angeordnete Überwachung im Rahmen der konkreten Durchführung in ihrem eingreifenden Gehalt nicht über das notwendige Maß hinausgehen dürfe. Diese Ausführungen lassen sich vom Grundsatz auf den vorliegenden Fall übertragen. Jedoch ist abweichend von dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall vorliegend kein Rückgriff auf eine spezielle, bereichsspezifische Eingriffsgrundlage, wie sie § 29 StVollzG darstellt, möglich, sondern es ist auf die Generalklausel des § 3 NJVollzG abzustellen. Die erforderliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist hier im Lichte der besonderen Bedeutung des Brief- und Postgeheimnisses nach Art. 10 GG vorzunehmen. Gleichsam ist zu beachten, dass Eingriffe gegenüber Nichtstörern als Adressaten nur ausnahmsweise, als ultima ratio erfolgen dürfen (vgl. OLG Celle, Beschl. vom 9. Februar 2011 - 1 Ws 29/11 - BeckRS 2011, 4500; sowie zu § 4 StVollzG OLG Hamm, Beschl. vom 10. Januar 2013 - 1Vollz (Ws) 695/12 - BeckRS 2013, 3829). Eine Einschränkung im Rahmen einer Allgemeinverfügung erfordert mithin wegen der von ihr ausgehenden, tiefgreifenden Eingriffe in die Rechte aller in der Anstalt untergebrachten Gefangenen eine schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt, der mit milderen, ggf. auch personal- oder kostenintensiven Mitteln, nicht begegnet werden kann und muss in ihrer konkreten Durchführung auf das notwendige Maß beschränkt sein.

III.

Angesichts der aufgezeigten Feststellungsmängel, die im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht geheilt werden können, kann der Senat keine eigene Sachentscheidung treffen, weshalb zwar dem mit der Rechtsbeschwerde gestellten Hauptantrag kein Erfolg beschieden ist, die Sache aber auf den Hilfsantrag zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen ist (§ 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG).

IV.

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 1 Nr. 8, 63 Abs. 3, 65 GKG.