Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 20.05.2021, Az.: 3 Ws 143/21
Verweigerung des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes als wichtiger Grund für Entpflichtung des notwendigen Verteidigers; Verweigerung sitzungspolizeilicher Anordnungen als Entpflichtungsgrund
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 20.05.2021
- Aktenzeichen
- 3 Ws 143/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 26030
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2021:0520.3WS143.21.00
Rechtsgrundlage
- § 142 Abs. 6 StPO
Fundstellen
- Jura 2021, 1404
- Rpfleger 2021, 540-541
Amtlicher Leitsatz
Die hartnäckige und unbegründete Weigerung, entgegen der Anordnung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, kann eine Entpflichtung des notwendigen Verteidigers zur Folge haben.
Tenor:
Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Mit Anklageschrift vom 17. Januar 2018 erhob die Staatsanwaltschaft Hildesheim gegen den Beschwerdeführer und zwei Mitangeklagte im Verfahren 21 Js 1192/13 Anklage zur großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Hildesheim. Dem Angeklagten B. werden mit der Anklageschrift 7 Taten des Betruges in einem besonders schweren Fall gem. §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 und 2, 25 Abs. 2, 53 StGB zur Last gelegt.
Mit Beschluss vom 1. August 2019 ließ das Landgericht Hildesheim die Anklage zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren.
Mit dem in der Hauptverhandlung vom selben Tage verkündeten Beschluss vom 10. März 2021 hat die Strafkammer 4 - 1. große Wirtschaftsstrafkammer - das Verfahren gegen den Angeklagten B. abgetrennt, die Hauptverhandlung gegen diesen nach § 145 Abs. 1 StPO wegen eines einem unentschuldigten Ausbleiben gleichzusetzenden Verhaltens seines Verteidigers in der Hauptverhandlung ausgesetzt und dem Verteidiger, Rechtsanwalt K., die durch die Aussetzung verursachten Kosten gemäß § 145 Abs. 4 StPO auferlegt. Hintergrund dieser Entscheidung war, dass der Verteidiger sich wiederholt geweigert hatte, der von der Kammer getroffenen Anordnung, im Gerichtssaal einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, und durch die die Kammer eine von dem Vorsitzenden zuvor getroffene Anordnung bestätigt hatte, zu folgen.
Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde des Angeklagten vom 15. März 2021, hat der Senat durch Beschluss vom 15. April 2021 (Az.: 3 Ws 91/21; BeckRS 2021, 8318) als unbegründet verworfen, da weder die von der Kammer angeordnete Abtrennung des Verfahrens betreffend den Angeklagten B. noch die Aussetzung und die damit verbundene Auferlegung der Kosten auf den Verteidiger zu beanstanden waren. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf die Gründe dieses Beschlusses Bezug genommen.
Mit Verfügung vom 18. März 2021 wies der Vorsitzende der Strafkammer des Landgerichts Hildesheim den Angeklagten B. und seinen Pflichtverteidiger Rechtsanwalt K. sowie die Staatsanwaltschaft Hildesheim darauf hin, dass er beabsichtige, die Bestellung von Rechtsanwalt K. zum Pflichtverteidiger gem. § 143a Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. StPO aufzuheben. Zugleich wurde dem Angeklagten Gelegenheit durch Schreiben vom 18. und 29. März 2021 gegeben, bis zum 8. April 2021 einen neuen Verteidiger seiner Wahl zu benennen. Nachdem der Angeklagte daraufhin wiederholt seinen Willen, weiterhin durch Rechtsanwalt K. verteidigt zu werden, übermittelt hatte, wurde durch Entscheidung des Vorsitzenden vom 19. April 2021, die Bestellung von Rechtsanwalt K., L., aufgehoben und dem Angeklagten Rechtsanwalt S. aus H., der zuvor auf Anfrage erklärt hatte, er habe die notwendigen Kapazitäten, sich in den Verfahrensstoff bis Anfang Juni 2021 einzuarbeiten, so dass die von der Strafkammer avisierten Hauptverhandlungstermine in der Zeit vom 1. Juni bis zum 21. Juli 2021 durchgeführt werden könnten, als Pflichtverteidiger bestellt.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
1.) Die sofortige Beschwerde ist gem. § 143a Abs. 4 StPO statthaft, fristgerecht erhoben und zulässig.
Der Umstand, dass auf dem fristgerecht eingegangenen Schriftsatz ein falsches Aktenzeichen angegeben ist, ist ohne Bedeutung, da der angefochtene Beschluss in dem Schriftsatz, mit dem das Rechtsmittel erhoben wurde, eindeutig bezeichnet ist und die sofortige Beschwerde beim richtigen Gericht eingegangen ist (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 02. Oktober 2008 - 3 StR 415/08 -, juris).
Zwar hat der Verteidiger die Beschwerde nach ihrem Wortlaut im eigenen Namen eingelegt. Zudem steht einem Pflichtverteidiger gegen die Aufhebung seiner Bestellung kein eigenes Beschwerderecht zu (vgl. BGH, Beschluss vom 18. August 2020 - StB 25/20 -, BGHSt 65, 106-110). Aufgrund des mehrfach und unmissverständlich zum Ausdruck gebrachten Willens des Angeklagten, weiterhin von seinem Pflichtverteidiger Rechtsanwalt K. verteidigt zu werden, ist indes nach den Gesamtumständen davon auszugehen, dass die sofortige Beschwerde namens und in Vollmacht für den Angeklagten erhoben wurde.
2.) In der Sache bleibt dem Rechtsmittel ein Erfolg indessen versagt.
Gem. § 143a Abs. 2 Nr. 3 ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist.
Ein wichtiger Grund i.S.v. § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO liegt vor, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung gefährden, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und gleichzeitig die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens zu gewährleisten (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17 -, BGHSt 64, 10-47; BeckOK StPO/Krawczyk, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 143a Rn. 25; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 143a, Rn. 25).
Zwar macht nicht jedes unzweckmäßige oder prozessordnungswidrige Verhalten des Verteidigers einen Verteidigerwechsel erforderlich; die Annahme eines sonstigen Grundes i.S.d. Nr. 3 ist vielmehr auf Ausnahmefälle zu beschränken (OLG Nürnberg Beschl. v. 9.5.1995 - Ws 461/95, BeckRS 1995, 31343915; OLG Hamburg, Beschluss vom 17.11.1997 - 2 Ws 255-97, NStZ 1998, 586; BeckOK StPO/Krawczyk, a.a.O., § 143a, Rn. 29, 30). Mit der Neufassung des § 143a sollte allerdings der Fall ausdrücklich geregelt werden, in dem ein Verteidigerwechsel aus Gründen der Verfahrensfairness geboten ist; damit sollten insbesondere grobe Verstöße des Verteidigers gegen eine ordnungsgemäße Wahrnehmung seiner Aufgaben erfasst werden, die eine angemessene Verteidigung des Mandanten ersichtlich gefährden (vgl. BT-Drucksache 19/13829, S. 48).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist vorliegend ein wichtiger Grund i.S.v. § 143a Abs. 2 Nr. 3, 2. Alt. StPO zu bejahen.
Es steht außer Frage, dass die sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden im Verfahren 21 Js 1192/13 zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung in Form einer Maske im Gerichtssaal von Rechts wegen nicht zu beanstanden war und berechtigte oder auch nur nachvollziehbare Gründe, der Anordnung zum Tragen einer medizinischen Maske nicht nachzukommen und somit das Verhalten des Pflichtverteidigers zu entschuldigen, nicht vorlagen. Der Pflichtverteidiger hat vielmehr durch sein schuldhaftes, rücksichtsloses und unverantwortliches Verhalten die Abtrennung und Aussetzung des Verfahrens 21 Js 1192/13 gegen den Angeklagten zu verantworten (vgl. Senat, Beschluss vom 15. April 2021, Az.: 3 Ws 91/21, a.a.O.).
Anhaltspunkte, dass der Pflichtverteidiger dieses Verhalten in der neu durchzuführenden Hauptverhandlung abgelegt hätte, liegen nicht vor. Der Angeklagte und sein Verteidiger wurden durch das Schreiben des Vorsitzenden vom 18. März 2021 explizit darauf hingewiesen, dass das Landgericht Hildesheim angesichts des Verhaltens des Verteidigers im Verfahren 21 Js 1192/13 nachvollziehbar eine hohe Wahrscheinlichkeit annahm, der Verteidiger könne auch in Zukunft eine angemessene Verteidigung des Angeklagten nicht gewährleisten. Gleichwohl hat der Verteidiger hierauf weder ein Attest vorgelegt, welches seine Weigerung, eine Mund-Nase-Bedeckung in Form einer Maske im Gerichtssaal zu tragen, nachvollziehbar erscheinen ließe, noch mitgeteilt, dass er zukünftig bereit sei, der sitzungspolizeilichen Anordnung des Vorsitzenden nachzukommen. Auch mit der sofortigen Beschwerde ist derartiges nicht zum Ausdruck gebracht worden.
Nach alledem geht das Landgericht Hildesheim im angefochtenen Beschluss zutreffend davon aus, dass der Pflichtverteidiger sein schuldhaftes, rücksichtsloses und unverantwortliches Verhalten auch in der neu anzuberaumenden Hauptverhandlung an den Tag gelegt hätte.
Hinzu kommt, dass in diesem Verhalten ein grober Verstoß des Verteidigers gegen eine ordnungsgemäße Wahrnehmung seiner Aufgaben liegt, der ausnahmsweise die Aufhebung der Bestellung des Pflichtverteidigers und die Beiordnung eines neuen Verteidigers erforderlich machte.
Der Umstand, dass bei der Prüfung, ob ein zur Rücknahme der Bestellung rechtfertigender wichtiger Grund vorliegt, der Wunsch des Beschuldigten auf Beibehaltung seines Pflichtverteidigers zu berücksichtigen ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Senat hat zudem in die Bewertung eingestellt, dass dem Grundsatz der Kontinuität der Verteidigung zufolge einem Angeklagten nach Möglichkeit der eingearbeitete und vertraute Verteidiger zu erhalten ist (vgl. Senat a.a.O.). Anders als beim endgültig zerstörten Vertrauensverhältnis soll die Aufhebung der Bestellung gem. § 143a Abs. 2 Nr. 3, 2. Alt. StPO bei groben Verstößen des Verteidigers gegen die ordnungsgemäße Wahrnehmung seiner Aufgaben aber auch gegen den Willen des Beschuldigten vorgenommen werden dürfen (vgl. BT-Drs. 19/13829, S. 48). Eine Möglichkeit, dem Grundsatz der Kontinuität der Verteidigung zufolge dem Angeklagten den eingearbeiteten und vertrauten Verteidiger zu erhalten, bestand nicht. Der Verteidiger hat als selbstständiges, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft gleichgeordnetes Organ der Rechtspflege die Pflicht, dafür zu sorgen, dass das Verfahren sachdienlich und in prozessual geordneten Bahnen durchgeführt wird (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., vor § 137, Rn. 1 m.w.N.). In Zeiten der Corona-Pandemie erscheint indes eine nicht durch ein Attest tragfähig belegte und damit im Ergebnis völlig unbegründete Weigerung, der sitzungspolizeilichen Anordnung des Vorsitzenden zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung in Form einer Maske im Gerichtssaal Folge zu leisten geeignet, die ordnungsgemäße Durchführung eines Strafverfahrens nachhaltig zu gefährden.
Schließlich ist auch gegen die Bestellung von Rechtsanwalt S. als neuem Pflichtverteidiger nichts zu erinnern, da diese unter Beachtung des Auswahlrechts und unter Beachtung von § 142 Abs. 6 StPO erfolgte.
III.
Die Entscheidung über die Kosten für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
IV.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).