Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 10.03.2015, Az.: 10 B 1268/15

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
10.03.2015
Aktenzeichen
10 B 1268/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 44811
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung Einsicht in Akten des Fachbereichs Jugend, Familie und Soziales der Antragsgegnerin, um sich in einem anhängigen familiengerichtlichen Verfahren gegen die aus seiner Sicht wahrheitswidrigen Anschuldigungen, er fertige von seinen unbekleideten Kindern Ganzkörperfotos bzw. stelle seine Tochter „als Bestrafung“ unter die kalte Dusche, verteidigen zu können.

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Verhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Der Antragsteller hat sowohl die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch das Vorliegen eines entsprechenden Anordnungsanspruchs glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO –).

Ungeachtet der Frage, ob eine Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache vorläge, scheitert sein Antrag jedenfalls daran, dass er einen Anspruch auf Einsicht in die Akten der Antragsgegnerin nicht glaubhaft gemacht hat.

Sofern der Antragsteller seinen Akteneinsichtsanspruch auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) stützen wollte, wonach die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten hat, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist, steht dem entgegen, dass die Tätigkeit, in deren Rahmen die Antragsgegnerin die streitgegenständlichen Vorgänge angelegt hat, schon kein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 8 SGB X und der Antragsteller infolgedessen auch kein am Verfahren Beteiligter ist. Verwaltungsverfahren im Sinne des § 8 SGB X ist ein behördliches Handeln, das auf den Erlass eines Verwaltungsakts oder den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist, nicht jedoch die vermittelnde Tätigkeit des Jugendamts in Sorgerechts- und Umgangssachen (vgl. dazu VG Hannover, Urteil vom 16.01.2012 – 3 A 5821 – unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drs. 8/2034, S. 31; vgl. von Wulffen, SGB X; 8. Aufl. 2014, Rn. 7 zu § 8).

In Frage kommen allerdings ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Akteneinsichtsbegehren in entsprechender Anwendung von § 25 Abs. 1 SGB X (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 14.08.2002 – 4 LC 88/02 –, juris; VG Regensburg, Urteil vom 27.05.2014 – RO 4 K 14.423 –, BeckRS 2014, 59641; VG Augsburg, Urteil vom 27.09.2011 − 3 K 09.1571 –, NJW 2012, 1529 [BVerwG 14.02.2012 - BVerwG 9 B 79/11; 9 PKH 7/11; 9 VR 1.12; 9 PKH 1.12]; LSG Bayern, Urteil vom 16.10.2008 – L 7 AS 261/08 –, BeckRS 2009, 51294; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12.01.2004 – 19 K 4534/03 –, NVwZ-RR 2004, 859), aus § 83 SGB X oder ein mittelbar aus dem aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder dem von Art. 6 Abs. 2 GG geschützten Elternrecht abgeleiteter Anspruch (vgl. VG Hannover, Urteil vom 16.01.2012, a.a.O.).

Die Akteneinsicht außerhalb eines Verwaltungsverfahrens kommt nur zu Gunsten desjenigen in Betracht, der ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme hat; ob (unter dieser Voraussetzung) die Einsicht gewährt wird, entscheidet die zuständige Behörde grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen (BVerwG, Beschluss vom 15.06.1989 – 5 B 63/89 –; NJW 1989, 2960 f. [BVerwG 27.04.1989 - BVerwG 3 C 4/86]). Dafür, ob dieses Interesse besteht, ist ohne Belang, ob der Akteneinsicht Begehrende Beteiligter eines (laufenden) Verwaltungsverfahrens im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist. Denn der Antragsteller ist auch nach dem vorläufigen Entzug des Sorgerechts für seine beiden Kinder ein – von Amts wegen oder auf Antrag – von der Behörde hinzuzuziehender Beteiligter im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 SGB X. Eine Beteiligung nichtsorgeberechtigter Eltern ist zwar in § 36 Sozialgesetzbuch Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe – (SGB VIII) nicht ausdrücklich vorgesehen. Sozialpädagogische Gründe wie die Aufrechterhaltung der Beziehung im Interesse des Kindes und die Beziehungsqualität zwischen Eltern und Kind, aber auch eine mögliche Rückkehroption sowie die Kooperationspflichten nach §  37 Abs. 1 SGB VIII sprechen jedoch für die Einbeziehung von Eltern bzw. Elternteilen, denen Angelegenheiten der elterlichen Sorge entzogen worden sind (VG Ansbach, Beschluss vom 01.03.2010 – AN 14 E 10.00205 –, juris Rn. 28, unter Verweis auf Schmidt-Obkirchner, in: Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, Rn. 20 zu § 36).

Ungeachtet seiner Rechtsgrundlage steht einem etwaigen Anspruch jedoch § 65 SGB VIII entgegen. Nach der gesetzgeberischen Wertung des § 65 Abs. 1 SGB VIII unterliegen personenbezogene Daten Dritter – hier Daten der Kinder des Antragstellers und der Kindesmutter – einem besonderen Schutz, da im Jugendhilferecht Diskretion Voraussetzung für den Erfolg persönlicher Hilfen ist (vgl. dazu ausführlich: VG Hannover, Urteil vom 12.01.2012, a.a.O.). Die Gewährung effektiver erzieherischer Hilfen setzt ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Mitarbeiter des Jugendamtes und dem Bürger voraus, das durch den Zwang zur Weitergabe anvertrauter Daten nicht beeinträchtigt werden soll (Kirchhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 65 Rn. 13; Mörsberger, in: Wiesner, a.a.O., § 65 Rn. 1). Sozialdaten, zu denen auch die inhaltlichen Angaben der Beteiligten gehören (vgl. VG Augsburg, Urteil vom 27.09.2012, a.a.O., m.w.N.), dürfen daher, wenn sie dem Mitarbeiter des Jugendamtes zum Zwecke persönlicher oder erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, von Gesetzes wegen nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen weitergegeben werden (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 SGB VIII). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor, insbesondere hat keiner der Beteiligten in die Weitergabe eingewilligt.

Auch aus anderen Rechtsgrundlagen, etwa aus § 16 des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes (NDSG) oder dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG), kann der Antragsteller keinen Akteneinsichts- oder Auskunftsanspruch herleiten. Das IFG ist hinsichtlich seines Anwendungsbereichs auf Bundesbehörden beschränkt; die Vorschriften des NDSG treten schon nach § 2 Abs. 6 NDSG als Regelungen des allgemeinen Datenschutzrechts hinter die bereichsspezifischen Regelungen des SGB X zurück (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.09.2003 – 5 C 48.02 – juris; Nds. OVG, Beschluss vom 06.11.2006 – 4 PA 245/05 –, V.n.b.). Diese Rechtsprechung erfasst auch Ansprüche, die sich aus dem Regelungszusammenhang des jeweiligen Fachrechts herleiten.

Unabhängig von dem nicht glaubhaft gemachten Anordnungsanspruch fehlt es andererseits auch an einer hinreichenden Glaubhaftmachung des erforderlichen Anordnungsgrundes. Zwar hat der Antragsteller vorgetragen, der Abschluss des anhängigen familiengerichtlichen Verfahrens vor dem Amtsgericht Hannover sei „zeitnah zu erwarten“. Dies stellt jedoch eine Behauptung dar, die der Antragsteller weder glaubhaft gemacht hat, noch ist die Richtigkeit dieser Behauptung nach Aktenlage überprüfbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist aufgrund von § 188 S. 2 VwGO gerichtskostenfrei (vgl. VG Hannover, Urteil vom 16.01.2012, a.a.O.; VG Karlsruhe, Beschluss vom 10.10.2012 – 4 K 2344/12 –, juris).