Amtsgericht Neustadt am Rübenberge
Urt. v. 21.12.2004, Az.: 50 C 1593/03
Ausgestaltung der haftungsrechtlichen Regulierung der Schäden aus einem Verkehrsunfall zwischen einem Fahrrad mit Hilfsmotor und einem Kraftfahrzeug (Kfz); Ausgestaltung der straßenverkehrsgesetzlichen Qualifizierung eines Fahrrades mit Hilfsmotor als ein Kraftfahrzeug; Anforderungen an die Substantiierung eines Mitverschuldens eines vorfahrtsberechtigten Verkehrsteilnehmers
Bibliographie
- Gericht
- AG Neustadt am Rübenberge
- Datum
- 21.12.2004
- Aktenzeichen
- 50 C 1593/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 39474
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGNEUST:2004:1221.50C1593.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 7 StVG
- § 8 Nr. 1 StVG
- § 3 PflVG
...
hat das Amtsgericht Neustadt a. Rbge,
auf die mündliche Verhandlung vom 23.11.2004
durch
den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.)
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 504,06 Euro zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.09.2004. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 2.)
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten 31 %, die Klägerin 69 % zu tragen.
- 3.)
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die vollstreckende Partei zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Am 20.02.2002 gegen 15:20 Uhr befuhr die Klägerin mit ihrem Fahrrad mit Hilfsmotor den in beide Richtungen freigegebenen Fuß- und Radweg der Straße Am Hechtkamp in Garbsen in Richtung Neuer Landweg. In die vorfahrtberechtigte Straße Am Hechtkamp mündet - aus Sicht der Klägerin - von rechts die Corinthstraße ein.
Der Beklagte zu 1. befuhr zu derselben Zeit mit seinem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Pkw Audi (amtl. Kennz. H - AD 6238) die Corinthstraße und beabsichtigte, in die Straße Am Hechtkamp einzubiegen. Auf der Fahrbahn im Einmündungsbereich stieß der Pkw gegen das Fahrrad, so daß die Klägerin zu Fall kam. Die Klägerin wurde bei dem Sturz verletzt, das Fahrrad wurde beschädigt.
Die Klägerin erlitt eine Distorsion des linken Kniegelenks mit Kniegelenkerguß; das linke Bein war insgesamt geprellt, so daß sich eine subkutane Hämatomschwellung bildete. Der Erguß mußte punktiert werden. Die Klägerin benötigte zum Gehen Unterarmgehstützen. Am 28.02.2002 war das Bein weitgehend abgeschwollen. Danach erhielt die Klägerin eine krankengymnastische Behandlung, für die sie 16,38 Euro als Eigenanteil aufzuwenden hatte.
Bis zum 28.02.2002 war die Klägerin zu 100 % arbeitsunfähig, bis zum 08.04.2002 zu 20 %. Die medizinische Behandlung war am 09.04.2002 abgeschlossen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Verletzungen und deren Behandlung wird auf das Schreiben des behandelnden Arztes vom 20.04.2002 (Blatt 39 bis 41 der Akten) Bezug genommen.
Für die Reparatur des Fahrrads wandte die Klägerin 84,06 Euro auf.
Der pflegebedürftige Ehemann der Klägerin befand sich seinerzeit in einem Pflegeheim. Die Klägerin hätte dessen Pflege bis zum 07.03.2002 wieder aufnehmen müssen. Für die Zeit vom 21.02.2002 bis zum 16.03.2002 zahlte die Klägerin an das Pflegeheim 397,86 Euro.
Die Klägerin beansprucht mit der Klage Ersatz des Eigenanteils an der Krankengymnastik, der Reparaturkosten und der Pflegeheimkosten sowie eine Kostenpauschale von 25,- Euro; ferner macht sie Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,- Euro geltend. Die Beklagte zu 2. zahlte an die Klägerin vorprozessual 400,- Euro.
Die Klägerin behauptet, wegen ihrer Verletzungen sei sie erst am 17.03.2002 in der Lage gewesen, die Pflege ihres Ehemanns zu übernehmen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie 1.623,30 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie wenden ein, die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden, zumindest eine Betriebsgefahr zurechnen lassen, weil sie ein Fahrrad mit Hilfsmotor mit einer Leistung von 20 KW gefahren habe. Die Pflegeheimkosten seien nicht durch den Unfall verursacht, weil der Ehemann der Klägerin ohnehin fachmännischer Pflege bedurfte.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teilweise begründet.
Die Klägerin hat gegenüber den Beklagten gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 PflichtVersG Anspruch auf Schadensersatz wegen der ihr bei dem Unfall vom 20.02.2002 entstandenen materiellen Schäden.
Das Fahrrad der Klägerin wurde bei dem Betrieb des Pkw des Beklagten zu 1., der bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist, beschädigt; dabei wurde außerdem die Klägerin verletzt. Damit haften die Beklagten dem Grunde nach.
Ein Mitverschulden (§§ 9 StVG, 254 BGB) der Klägerin ist nicht ersichtlich. Die Klägerin war in der Unfallsituation vorfahrtberechtigt. Wenn der Beklagte zu 1. - wie er vorträgt - nur sehr langsam in den Einmündungsbereich eingefahren ist, hatte die Klägerin auch keinen Anlaß, mit einer Vorfahrtverletzung zu rechnen.
Die Klägerin braucht sich auch keine eigene Betriebsgefahr gemäß § 17 Abs. 2 StVG entgegenhalten zu lassen. Allerdings handelt es sich auch bei einem Fahrrad mit Hilfsmotor um ein Kraftfahrzeug i.S.v. § 7 StVG. Gemäß § 8 Nr. 1 StVG ist zwar keine Haftung aufgrund Betriebsgefahr begründet, wenn ein Unfall bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs verursacht wurde, das nicht schneller als 20 Km/h fahren kann. Ob das Kfz. der Klägerin ein solches ist, hat diese aber nicht dargelegt.
Die Betriebsgefahr auf Seiten der Klägerin ist mit Rücksicht darauf, daß sie lediglich ein Fahrrad mit Hilfsmotor geführt hat, der Beklagte zu 1. hingegen einen Pkw, ohnehin geringer als die Betriebsgefahr auf der Beklagtenseite. Sie tritt gegenüber dem Verschulden des Beklagten zu 1., das aufgrund der eindeutigen Vorfahrtverletzung besonders schwer wiegt, vollständig zurück. Das gilt auch dann, wenn der Beklagte zu 1. besonders langsam gefahren ist, denn dann ist es ganz unverständlich, daß er den Unfall nicht durch rechtzeitiges Anhalten abwenden konnte. Er müßte demnach überhaupt nicht darauf geachtet haben, ob jemand den Radweg befuhr.
Die Klägerin kann somit Ersatz des gesamten materiellen Schadens verlangen, der ihr durch den Unfall entstanden ist, was die Reparaturkosten und den Eigenanteil an den Heilungskosten einschließt. Ferner steht der Klägerin eine Kostenpauschale von 20,- Euro zu.
Die Kosten der Unterbringung ihres Ehemanns in einem Pflegeheim kann die Klägerin nicht ersetzt verlangen, weil diese keinen Schaden darstellen, der ihr unfallbedingt entstanden ist.
Es ist widersprüchlich, wenn die Klägerin angesichts der von ihr selbst dargelegten lediglich zwanzigprozentigen Arbeitsunfähigkeit ab dem 01.03.2002 behauptet, am 07.03.2002 unfähig gewesen zu sein, die ihrem Ehemann gegenüber geschuldete Pflege zu übernehmen.
Für die Zeit vor dem 07.03.2002 kann die Klägerin schon deshalb keinen Ersatz verlangen, weil ihr Ehemann in dieser Zeit ohnehin in dem Heim gewesen wäre. Die darauf entfallenden Kosten wären demnach auch ohne den Unfall entstanden.
Gemäß § 253 Abs. 1 BGB i.V.m. § 11 S. 2 StVG hat die Klägerin Anspruch auf Ersatz des ihr infolge der erlittenen Verletzungen entstandenen immateriellen Schadens in Geld (Schmerzensgeld).
Aufgrund der zweifellos sehr schmerzhaften Distorsion des Knies und der Prellungen, die zu einer über Tage hinweg anhaltenden Schwellung des gesamten linken Beins geführt haben mit hundertprozentiger Arbeitsunfähigkeit über neun Tage, und unter Einbeziehung der Behandlung mit Bandagieren des Beins, Punktierung des Knies und Krankengymnastik erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 800,- Euro angemessen.
Unter Anrechnung der bereits gezahlten 400,- Euro ergibt sich somit ein restlicher Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 504,06 Euro, der gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 BGB zu verzinsen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.