Amtsgericht Neustadt am Rübenberge
Urt. v. 23.11.2004, Az.: 37/38 F 226/03 Kl

Gerichtliche Feststellung einer Vaterschaft bei Nichtanerkennung; Vermutung der Vaterschaft für den während der Empfängniszeit der Mutter beiwohnenden Mann; Schwerwiegende Zweifel an einer Vaterschaft; Aufklärungspflicht im Abstammungsprozess; Feststellung der Vaterschaft bei Nichtmitwirkung bei der Probenentnahme

Bibliographie

Gericht
AG Neustadt am Rübenberge
Datum
23.11.2004
Aktenzeichen
37/38 F 226/03 Kl
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 45009
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGNEUST:2004:1123.37.38F226.03KL.0A

Fundstelle

  • ZKJ 2007, 82

Verfahrensgegenstand

Feststellung der Vaterschaft

In der Familiensache ...
hat das Amtsgericht Neustadt auf die mündliche Verhandlung
vom 16.11.2004
durch
den Direktor des Amtsgerichts Dr. Giers
fürRecht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Es wird festgestellt, dass der Beklagte der Vater der Klägerin ist.

  2. 2.)

    Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin zu Händen des jeweiligen gesetzlichen Vertreters vom Tage der Geburt, dem 13.3.2003, an zum 1. eines jeden Monats an 100 v.H. des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe nach § 1 Regelbetrag-Verordnung zu zahlen, die rückständigen Beträge sofort. Der für das Kind zu zahlende Unterhalt vermindert sich um das hälftige Kindergeld für ein erstes Kind jedoch nur insoweit, als nach Abzug des anteiligen Kindergeldes noch 135% des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe gemäß § 1 Regelbetrag-Verordnung abzüglich des hälftigen Kindergelds zu zahlen bleiben.

  3. 3.)

    Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Klägerin beantragt festzustellen, daß der Beklagte ihr Vater ist, und nimmt den Beklagten auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch. Zur Begründung trägt sie vor, der Beklagte habe ihrer, der Klägerin, Mutter in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt.

2

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass der Beklagte der Vater der Klägerin ist, und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin zu Händen des jeweiligen gesetzlichen Vertreters vom Tage der Geburt, dem 13.3.2003, an zum 1. eines jeden Monats an 100 v.H. des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe nach § 1 Regelbetrag-Verordnung zu zahlen, die rückständigen Beträge sofort. Der für das Kind zu zahlende Unterhalt vermindert sich um das hälftige Kindergeld für ein erstes Kind jedoch nur insoweit, als nach Abzug des anteiligen Kindergeldes noch 135% des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe gemäß § 1 Regelbetrag-Verordnung abzüglich des hälftigen Kindergeldes zu zahlen bleiben.

3

Der Beklagte hat sich zur Klage nicht geäußert. Er ist zu den mündlichen Verhandlungen unentschuldigt nicht erschienen.

4

Es ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung der Kindesmutter als Zeugin. Die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens war nicht möglich, weil der Beklagte nicht zur Blutentnahme erschienen ist. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom 12.2.2004 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig. Nach § 1600 d Abs. 1 BGB ist die Vaterschaft auf Klage des Kindes gerichtlich festzustellen, wenn sie nicht anerkannt wurde.

6

Die Klage ist auch begründet. Nach § 1600 d Abs. 2 Satz 1 BGB wird vermutet, dass das Kind von dem Manne gezeugt worden ist, welcher der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt hat. Der Aussage der Kindesmutter zufolge hat der Beklagte mit ihr während der Empfängniszeit, die nach § 1600 d Abs. 3 BGB vom 17.5. bis 13.9.2002 dauerte, geschlechtlich verkehrt. Es besteht kein Anlass, dieser Aussage nicht zu glauben.

7

Nach § 1600 d Abs. 2 Satz 2 BGB gilt die Vermutung dann nicht, wenn nach Würdigung aller Umstände schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft verbleiben.

8

Schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft bestehen nicht, auch wenn ein Sachverständigengutachten nicht eingeholt wurde. Allerdings ist grundsätzlich im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes die Vaterschaft nicht nur aufgrund einer Zeugenaussage der Mutter sondern darüber hinaus aufgrund eines Sachverständigengutachtens festzustellen. Die Aufklärungspflicht im Abstammungsprozess ist streng, da zwischen Urteilsspruch und wahrer Abstammung größtmögliche Übereinstimmung bestehen muss. Daraus folgt aber nicht, dass das Gericht ohne Sachverständigengutachten nicht entscheiden könnte. Wirkt die Person, deren Beiwohnung während der Empfängniszeit bereits erwiesen ist, ohne rechtfertigenden Grund bei den Untersuchungen nicht mit, so gibt sie durch ihr Verhalten nach der Lebenserfahrung zu erkennen, dass sie das Ergebnis der Untersuchung fürchtet. Sie ist daher nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung so zu behandeln, als wenn die Untersuchung keine schwerwiegenden Zweifel an der Vaterschaft erbracht hätten. Notwendig ist jedoch der vorherige Hinweis auf die mögliche Anwendung der Grundsätze über die Beweisvereitelung (BGHZ 121, 266).

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Danach muss sich der Beklagte hier so behandeln lassen, als ob der Beweis der Vaterschaft durch ein Gutachten erbracht wäre. Ihm ist mehrfach Gelegenheit gegeben worden, an der Begutachtung mitzuwirken. Zunächst sind die Akten aufgrund des Beweisbeschlusses vom 04.03.2004 an den Sachverständigen Prof. Dr. Tröger, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover, gesandt worden. Dieser hat den Beklagten insgesamt drei Mal, nämlich zum 18. und 29.03.2004 sowie zum 13.04.2004, aufgefordert, zur Probenentnahme zu erscheinen. Der Beklagte hat diesen Aufforderungen keine Folge geleistet. Er wurde daher durch das Gericht mit Verfügung vom 01.06.2004 nochmals aufgefordert, am 14.06.2004 nach Hannover zur Probenentnahme zu kommen. Auch dieser Aufforderung hat er keine Folge geleistet, weshalb mit Beschluss vom 17.06.2004 ein Ordnungsgeld in Höhe von 500,00 EUR gegen ihn festgesetzt wurde. Dagegen hat er Rechtsmittel nicht eingelegt. Der Beklagte wurde nunmehr zur Probenentnahme am 12.07.2004 in das für seinen Wohnort zuständige Gesundheitsamt Nienburg geladen. Auch dort ist er nicht erschienen. Er teilte zwar telefonisch mit, er könne die Uhrzeit (8.15 Uhr) nicht einhalten und werde gegen Mittag kommen, hielt diese Zusage aber nicht ein. Es erging daraufhin ein Vorführungsbefehl, den Beklagten am 30.08.2004, 8.15 Uhr, zur Probenentnahme beim Gesundheitsamt Nienburg vorführen zu lassen. Dieser Vorführungsbefehl konnte vom Gerichtsvollzieher nicht vollstreckt werden. Der Gerichtsvollzieher hat angegeben, er habe die Wohnung des Beklagten, der damals bei seiner Mutter wohnte, in den frühen Morgenstunden des 30.08.2004 aufgesucht. Dort habe er nur die Mutter angetroffen, die ihm erklärt habe, ihr Sohn halte sich meistens bei seiner Freundin auf. Dessen Anschrift konnte sie ihm nicht sagen. Auch die Arbeitsstelle ihres Sohnes sei ihr unbekannt.

10

Mit Verfügung vom 03.09.2004 wurde dem Beklagten letztmalig Gelegenheit gegeben, im Gesundheitsamt in Nienburg bis zum 30.09.2004 einen Termin zur Probenentnahme zu vereinbaren. Er wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass seine Vaterschaft auch ohne Gutachten festgestellt werden kann, wenn er bei der Probenentnahme nicht mitwirkt. Zugleich wurde er zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung geladen. Er ist weder im Gesundheitsamt Nienburg zur Probenentnahme noch zur mündlichen Verhandlung erschienen.

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Im Hinblick auf die konstante Weigerung, am Verfahren mitzuwirken, ist daher auch ohne Gutachten festzustellen, dass der Beklagte der Vater der Klägerin ist. Die Verpflichtung zur Zahlung des Unterhalts ergibt sich aus § 1601 BGB. Die Unterhaltsrente wird in Vomhundertsätzen der Regelbeträge nach der Regelbetrag-Verordnung festgesetzt. Die Anrechnung des Kindergeldes gem. § 1612 b Abs. 5 BGB unterbleibt, wenn nicht 135% des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung gezahlt werden. Der Unterhalt ist nach § 1613 Abs. 2 Nr. 2 BGB auch für die Zeit geschuldet, bevor die Vaterschaft rechtskräftig festgestellt war.

12

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO. Gemäߧ 704 Abs. 2 ZPO hatte ein Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit zu unterbleiben.

Dr. Giers