Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.01.2004, Az.: 16 K 226/03
Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne von § 6a des Umsatzsteuergesetzes (UStG); Nachweis über die Beförderung oder Versendung durch Belege bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung; Vorliegen eines Scheingeschäfts bei einem "missing trader" - Unternehmen; Steuerhinterziehung bei einer Erklärung von Umsätzen gegenüber einer spanischen Behörde; Vorliegen eines "missing trader" bei Fehlen einer Identifikationsnummer für die Umsatzsteuer
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 15.01.2004
- Aktenzeichen
- 16 K 226/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 29389
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2004:0115.16K226.03.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 05.12.2005 - AZ: V B 44/04
Rechtsgrundlagen
- § 6a UStG 1999
- § 18e UStG 1999
Fundstellen
- DStR 2005, VIII Heft 15 (Kurzinformation)
- DStRE 2005, 519-520 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2005, 826-827
- UStB 2005, 228 (Kurzinformation)
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Zu den Voraussetzungen für eine innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a UStG.
- 2.
Bei innergemeinschaftlichen Lieferungen im Geltungsbereich der UStDV muss der Unternehmer durch Belege nachweisen, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat. Das muss sich aus den Belegen eindeutig ergeben.
- 3.
Der bloße Umstand, dass es sich bei einem Unternehmen lt. Auskunft des Bundesamtes für Finanzen um einen "missing trader" handelt, ergibt nicht, dass es sich um ein sog. Scheinunternehmen handelt.
- 4.
Der Hinweis, dass Umsätze gegenüber der spanischen Steuerbehörde nicht erklärt wurden, mag zwar auf eine Steuerhinterziehung hinweisen, stellt aber weder die Unternehmereigenschaft infrage, noch wird dadurch eine Scheinunternehmerschaft begründet.
Tatbestand
Die Klägerin betreibt einen Kfz-Handel. Im Mai und August 2000 lieferte sie je einen Pkw durch Vermittlung der D - GbR aus G an die spanische Firma G Motor S.L. in M (G). Die Beförderung der beiden Pkw nach Spanien erfolgte durch den von G beauftragten Spediteur T - S.L. aus Mu/Spanien. Nach den von T - S.L. für Umsatzsteuerzwecke erteilten Bescheinigungen sind die Fahrzeuge zu G in Spanien befördert worden. Die Fahrzeuge wurden durch Überweisungen von G an T - S.L. und von dieser an die Klägerin bezahlt. Aufgrund einer Anfrage der Klägerin vom 17.05.2000 bestätigte das Bundesamt für Finanzen am 18.5.2000 im Bestätigungsverfahren nach § 18 e UStG die Gültigkeit der von G angegebenen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer einschließlich ihres Namens und ihrer Anschrift.
Die Klägerin behandelte die Lieferungen der Pkw in ihrer Umsatzsteuererklärung als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. Dem folgte der Beklagte nicht, weil er davon ausging, dass es sich bei G um einen Scheinunternehmer handelt. Der Beklagte kürzte die von der Klägerin erklärten innergemeinschaftlichen Lieferungen um DM ... und erhöhte die steuerpflichtigen Umsätze entsprechend. Die Umsatzsteuer setzte er mit Bescheid vom 24.01.2002 fest. Der dagegen eingelegte Einspruch war erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Voraussetzungen für eine innergemeinschaftliche Lieferung lägen vor. G sei zur Zeit der Lieferung der PKW ein in Spanien existentes Unternehmen gewesen. G sei auch Abnehmer der Fahrzeuge gewesen. Sie habe die Fahrzeuge bestellt, bezahlt und entgegengenommen. Dies sei durch entsprechende Unterlagen nachgewiesen. Auch aus dem Schreiben des Bundesamtes für Finanzen vom 11. Oktober 2001 gehe hervor, dass das Unternehmen im Jahr 2000 die innergemeinschaftlichen Lieferungen bezogen habe. Ob G die Fahrzeuge selbst unternehmerisch genutzt oder an Dritte weitergeleitet habe, sei für die Beurteilung der Lieferung an sie nicht von Bedeutung. Im Übrigen seien die Lieferungen der Pkw als innergemeinschaftliche Lieferung anzuerkennen, weil ihr nach § 6a Abs. 4 UStG aufgrund ihrer Überprüfungshandlungen Vertrauensschutz zu gewähren sei. Die Verfügung der OFD Hannover vom 12.02.2002 sei nicht einschlägig, da bei Lieferung der Pkw im Mai und August 2000 nicht bekannt gewesen sei, dass es sich bei G um eine Scheinfirma handele. Lt. Schreiben des Bundesamtes für Finanzen sei die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Abnehmerin auch erst ab dem 07.02.2001 ungültig gewesen. Für sie habe bei Lieferung kein Zweifel an der Unternehmereigenschaft der Abnehmerin bestehen können.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer 2000 um DM ... herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe die Voraussetzungen für eine innergemeinschaftliche Lieferung nicht nachgewiesen. Die spanische Finanzbehörde habe dem Bundesamt für Finanzen mehrfach mitgeteilt, dass das spanische Unternehmen G ein "missing trader" sei, das nicht im VIES System der spanischen Steuerverwaltung registriert sei. Außerdem sei G in der beim Bundesamt für Finanzen geführten zentralen Datenbank zur Erfassung von Umsatzsteuerbetrugsfällen (ZAUBER) als nicht existentes Unternehmen gespeichert. Es fehle die Aufzeichnung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des tatsächlichen Abnehmers; diese sei buchmäßig nicht nachgewiesen (vgl. § 6a Abs. 3 UStG). Die Klägerin könne sich auch nicht auf Vertrauensschutzgesichtspunkte berufen. Der nach § 6a Abs. 4 UStG geschützte gute Glaube beziehe sich nur auf die unrichtigen Angaben des Abnehmers über die in § 6a Abs. 1 UStG bezeichneten Voraussetzungen, nicht aber auch auf die Richtigkeit der in § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. § 17c Abs. 1 UStDV buchmäßig aufzuzeichnenden Umsatzsteuer-Identifikationsnummern. Im Übrigen habe die Klägerin nicht dargelegt, welche Bemühungen sie unternommen habe, um die Angaben des Abnehmers zu prüfen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Finanzgerichtsakte verwiesen. Dem Gericht hat die Umsatzsteuerakte zu Steuer-Nr....vorgelegen.
Gründe
Die Klage ist begründet. Die Voraussetzungen für eine innergemeinschaftliche Lieferung liegen vor.
Nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen die innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 6a UStG) steuerfrei. Eine innergemeinschaftliche Lieferung setzt nach § 6a Abs. 1 UStG u.a. voraus, dass der Unternehmer oder sein Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG) und der Abnehmer ein Unternehmer ist, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat. Im Falle der Lieferung eines neuen Fahrzeugs kann Abnehmer auch jeder andere Erwerber sein. Nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG müssen die Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 vom Unternehmer nachgewiesen sein. Durch die aufgrund der Ermächtigung in § 6a Abs. 3 Satz 2 UStG erlassene Rechtsverordnung ist näher bestimmt, wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hat. Nach § 17a Abs. 1 UStDV muss der Unternehmer bei innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 6a Abs. 1 UStG) im Geltungsbereich dieser Verordnung durch Belege nachweisen, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat (§ 17a Abs. 1 Satz 1 UStDV). Dies muss sich aus den Belegen eindeutig ergeben (§ 17a Abs. 1 Satz 2 UStDV). In den Fällen der Beförderung des Gegenstands durch den Abnehmer soll der Unternehmer den erwähnten Nachweis durch eine Versicherung des Abnehmers oder seines Beauftragten führen, den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet "zu befördern" (§ 17a Abs. 2 Nr. 4 UStDV). Ferner muss der Unternehmer nach § 17 c UStDV die Voraussetzungen der Steuerbefreiung einschließlich Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers buchmäßig nachweisen.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerin hat nachgewiesen, dass G Abnehmer der Fahrzeuge war, die Fahrzeuge zu ihr nach Spanien befördert wurden und dass die von ihr angegebene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zutreffend ist. Diesen Nachweis hat die Klägerin auch buchmäßig erbracht gehabt. G hatte mit der Klägerin einen Kaufvertrag über die Fahrzeuge geschlossen. Die Bestellung der PKW durch G ergibt sich aus den Einkaufsbestätigungen des Vermittlers D - GbR vom 22.05.2000 und 02.08.2000. Aufgrund dieser schuldrechtlichen Vereinbarung sind ihr die Fahrzeuge geliefert worden. Sie sind im Auftrag von G durch T - S.L. zu ihr nach Spanien befördert worden. Dies ist durch die von der Klägerin vorgelegten Bescheinigungen nachgewiesen. Im Gegenzug hat G den Kaufpreis über den Spediteur an die Klägerin gezahlt. Sie hat damit die Fahrzeuge für ihr Unternehmen erworben und erhalten. Anhaltspunkte, wonach G die Fahrzeuge nicht erhalten hat, sind nicht ersichtlich. Ebenso wenig gibt es Hinweise dafür, dass G die Fahrzeuge nicht für ihr Unternehmen erworben hat. Damit ist nachgewiesen, dass G Abnehmer der Fahrzeuge war (vgl. § 6a Abs. 1 Nr. 2a UStG). Der Erwerb der Fahrzeuge unterliegt bei G als Abnehmer in Spanien als einem anderen Mitgliedsstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung.
Dem stehen die Auskünfte des Bundesamtes für Finanzen nicht entgegen. Dieses hat zwar unter Bezugnahme auf die Auskunft der spanischen Behörden ausgeführt, dass es sich bei G um einen "missing trader" handelt, der am 07.05.2001 durch die spanische Steuerbehörde im VIES System deregistriert wurde. Daraus folgt jedoch nicht, dass es sich um ein sogenanntes Scheinunternehmen handelte und G nicht Abnehmer der Fahrzeuge war. Steuerpflichtiger und damit Unternehmer i.S.d. Art. 4 Abs. 1 und 2 der 6. EG-Richtlinie ist u.a., wer die Tätigkeiten eines Händlers oder Dienstleistenden ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis. Entsprechende Tätigkeiten von G liegen vor. Davon gehen sowohl das Bundesamtes für Finanzen wie auch die spanischen Behörden aus, wenn sie darauf hinweisen, dass G Akquisitionen aus Deutschland in einem Volumen von PTA... getätigt und ca. PTA...nach Deutschland transferiert habe. Wenn jemand in einem solchen Umfang Einkäufe tätigt und - wovon auch der Beklagte ausgeht - die eingekauften Gegenstände an Dritte weitergibt, liegt durch die Ausführung von Lieferungen und sonstigen Leistungen eine wirtschaftliche Tätigkeit vor, die die Unternehmereigenschaft begründet. Gegenteiliges ist vom Beklagten weder dargelegt noch nachgewiesen. Der Hinweis, dass diese Umsätze der spanischen Steuerbehörde gegenüber nicht erklärt wurden, mag auf eine Steuerhinterziehung seitens G hinweisen. Dadurch wird die Unternehmereigenschaft von G aber nicht in Frage gestellt. Insbesondere begründet sich damit keine Scheinunternehmerschaft.
Selbst wenn die Voraussetzungen für eine innergemeinschaftliche Lieferung einschließlich der erforderlichen Nachweise nicht vorlägen - wofür keine Anhaltspunkte ersichtlich sind -, wären die Lieferungen gemäß § 6a Abs. 4 UStG als steuerfrei anzusehen. Nach dieser Vorschrift ist eine Lieferung, die der Unternehmer als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung behandelt hat, obwohl die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiungen auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. In diesem Fall schuldet der Abnehmer die entgangene Steuer (§ 6a Abs. 4 Satz 2 UStG). Die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung beruhte im Streitfall ausschließlich auf unrichtigen Angaben von G als Abnehmer. G ließ die Fahrzeuge nach Spanien befördern und besorgte die Bescheinigungen, dass die Fahrzeuge ihr überbracht worden seien. Da G zum Zeitpunkt der Lieferung in Spanien registriert und der Klägerin vom Bundesminister der Finanzen in einem förmlichen Bestätigungsverfahren nach § 18e UStG die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer von G bestätigt worden war, hatte sie i.S.d. Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns alles ihr mögliche und erforderliche getan, ohne die Unrichtigkeit der Angaben erkennen zu können. Die Klägerin konnte daher darauf vertrauen, dass G Abnehmer und in Spanien ein umsatzsteuerlich ordnungsgemäß registriertes und geführtes Unternehmen war.
Die Steuer war daher wie folgt herabzusetzen:
Umsatzsteuer lt. Bescheid vom 24.01.2002 | DM ........... |
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./. Umsatzsteuer betr. innergemeinschaftliche Lieferung | DM ...... |
festzusetzende Umsatzsteuer | DM ........... |
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Finanzgerichtsordnung (FGO), die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 710, 711 Nr. 10 Zivilprozessordnung (ZPO).