Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.05.1996, Az.: 6 L 1093/94

Angelusläuten; Kirchengeläut; Religionsausübung; Lärmbelästigung; Glockenturm; Immissionsschutzrechtliche Anordnung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.05.1996
Aktenzeichen
6 L 1093/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 13208
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1996:0513.6L1093.94.0A

Verfahrensgang

vorgehend
4 A 1049/92

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer - vom 11. Januar 1994 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Kläger wenden sich als Eigentümer des Wohngrundstücks ... 4 in ..., das seit 1970 mit einem Flachdach-Einfamilienhaus bebaut ist, gegen das dreimal täglich zu hörende Angelusläuten aus dem neuen Glockenturm der Beigeladenen auf dem östlich angrenzenden Kapellengrundstück ... 6, der nur ca. 10 m von ihrem Wohnhaus und ca. 5 m von ihrem Grundstück entfernt steht.

2

Ein Bebauungsplan wurde für dieses Gebiet nicht aufgestellt. Im Westen grenzt das Grundstück der Kläger an einen ca. 35 m breiten Acker vor dem Schulgrundstück ... 2. An der gegenüberliegenden Nordseite der Straße liegt eine ca. 120 m breite, unbebaute landwirtschaftlich genutzte Fläche. Im übrigen ist die Straße in diesem Bereich an beiden Seiten mit Wohnhäusern bebaut. Die Kapelle wurde bereits um 1964 ohne Turm errichtet.

3

Mit Bauschein vom 16. Oktober 1991 genehmigte der Beklagte der Beigeladenen die Errichtung des streitigen Glockenturmes, der den vorgeschriebenen Grenzabstand einhält. Mit einem Nachtrag vom 26. Oktober 1992 wurde eine Standortänderung genehmigt, und zwar für einen Platz 3,80 m weiter südlich, auf dem der Turm tatsächlich errichtet wurde. Dieser ist für zwei Glocken vorgesehen, eine große mit 102 kg und 73 Anschlägen pro Minute sowie eine kleine mit 70 kg und 75 Anschlägen pro Minute.

4

Den gegen die erste Genehmigung erhobenen Widerspruch der Kläger wies die Bezirksregierung Weser-Ems mit Bescheid vom 12. Februar 1992 als unbegründet zurück, weil das Angelusläuten als Kulthandlung zur Religionsausübung gehöre und von den Nachbarn hinzunehmen sei. Über den Widerspruch der Kläger gegen die Nachtragsgenehmigung wurde bisher nicht entschieden.

5

Mit ihrer fristgemäß erhobenen Klage haben die Kläger vorgetragen: Gegenstand ihrer Klage sei nicht die gesamte Baugenehmigung. Sie wüßten, daß sie die Errichtung des Glockenturms als Nachbarn hinzunehmen hätten. Auch gegen das liturgische Geläut vor und während der kirchlichen Veranstaltungen hätten sie nichts einzuwenden. Nur das dreimal tägliche Angelusläuten um 7.00 Uhr, 12.00 Uhr und 18.00 Uhr müsse unterbunden werden. Das Angelusläuten dauere jeweils insgesamt 3,45 Minuten. Dabei werde zunächst innerhalb einer Minute die kleine Glocke dreimal angeschlagen. Daran schließe sich ein 2,45 Minuten langes Dauergeläut mit der großen Glocke an. An ihrem Wohnhaus hätten sie eine Lautstärke während des Läutens von 80 bis 82 dB(A) gemessen. Diese Werte seien auf die Dauer gesundheitsschädlich und ihnen nicht zumutbar, da der von der Rechtsprechung festgelegte Geräuschpegel von maximal 52 bzw. 60 dB(A) weit überschritten werde. Das Angelusläuten halte sich auch nicht mehr im Rahmen des Herkömmlichen. Die Kapelle sei nämlich seit Jahrzehnten vorhanden, ohne daß in dieser Zeit das Angelusläuten durchgeführt worden sei. Die Beigeladene nehme auch keinen spezifischen Öffentlichkeitsauftrag wahr, da die evangelische Bevölkerung hier weitaus überwiege.

6

Die Kläger haben beantragt

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den Beklagten zu verpflichten, die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen vom 16. Oktober 1991/26. Oktober 1992 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 12. Februar 1992 um eine Auflage/Bedingung des Inhalts zu ergänzen, daß der Beigeladenen das sog. Angelusläuten untersagt wird,

8

hilfsweise,

9

den Beklagten zu verpflichten, gegen die Beigeladene eine immissionsschutzrechtliche Anordnung des Inhalts zu erlassen, daß der Beigeladenen das sog. Angelusläuten untersagt wird.

10

Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

12

Er hat vorgetragen: Das Angelusläuten werde durch das Selbstbestimmungsrecht der Kirche geschützt. Seine Untersagung komme daher nur in Betracht, wenn die Beigeladene gleich- oder höherrangige Rechtsgüter wie die Gesundheit oder das Eigentum der Kläger beeinträchtige oder sonst allgemeine Gesetze verletze. Dies sei aber nicht der Fall. Lärmgrenzwerte seien insoweit in der Rechtsprechung nicht festgesetzt. Vielmehr sei darauf abzustellen, ob das Läuten sozialadäquat und weder mißbräuchlich noch gesundheitsschädigend sei. Im übrigen werde der von den Klägern angegebene Lärmwert von 80 bis 82 dB(A) bezweifelt. Deshalb dürfe die Beigeladene ihre Glocken im Rahmen des Herkömmlichen läuten, zumal auch eine kleine Gemeinde in der Diaspora eine durch das Grundgesetz geschützte Kirchengemeinde sei.

13

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

14

Sie hat vorgetragen: In dem vorhandenen unbeplanten allgemeinen Wohngebiet sei das Angelusläuten zulässig. Im Hinblick auf die Lautstärke des Glockengeläuts sei darauf hinzuweisen, daß die katholische Kirche damit lediglich ihren spezifischen öffentlichkeitsauftrag wahrnehme. Um auch die Bewohner der abgelegenen Bereiche des Wohngebiets ansprechen zu können, bedürfe es der Überschreitung eines gewissen Geräuschpegels. Die Gesamtdauer des Angelusläutens betrage jeweils ca. 3 Minuten.

15

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 11. Januar 1994, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, abgewiesen, weil Nachbarrechte der Kläger nicht verletzt seien und das Angelusläuten sich im Rahmen des Zumutbaren halte.

16

Hiergegen richtet sich die fristgemäß eingegangene Berufung der Kläger, mit der sie geltend machen: Es sei von einer unzumutbaren Belästigung durch das Angelusläuten auszugehen. Dazu bedürfe es keiner Gefährdung der Gesundheit. Die Abwägung der betroffenen Interessen müsse zu ihren Gunsten ausfallen. Zwar sei das Angelusläuten grundsätzlich vom verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gedeckt und als Akt freier Religionsausübung geschützt. Dem stünde aber das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gegenüber. Der Beigeladenen sei es ohne weiteres möglich, die Belästigungen durch das Läuten der Glocken zu vermeiden oder auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Das Angelusläuten könne auf die kleinere und leisere der beiden Glocken im Turm beschränkt werden. Sie habe zuvor jahrzehntelang für diesen Zweck an der Pfarrkirche in Flachsmeer ausgereicht. Angesichts der Vermeidbarkeit der Belästigung durch die große Glocke könne das Angelusläuten nur als rücksichtslos eingestuft werden. Die verhärtete Haltung der Beigeladenen beruhe nur auf einem persönlichen Rachegefühl des Gemeindepfarrers aufgrund von jahrzehntelangen Meinungsverschiedenheiten.

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Die Kläger beantragen,

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unter Änderung des angefochtenen Gerichtsbescheids nach den Klaganträgen zu erkennen,

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weiter hilfsweise,

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den Beklagten zu verpflichten, die Baugenehmigung mit Auflagen zur Geräuschminderung durch das Angelusläuten zu ergänzen.

21

Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

23

Er macht sich die Gründe der angefochtenen Entscheidung zu eigen und geht jetzt von einer Außenbereichslage mit geminderter Schutzwürdigkeit aus.

24

Die Beigeladene stellt keinen Antrag, unterstützt in der Sache aber den Beklagten. Sie trägt vor: In der Gemeinde ... gebe es insgesamt 15 Glockentürme, von denen die meisten mit größeren Glocken läuteten. Hier handele es sich trotz der vorhandenen zwei Glocken um eines der kleinsten Geläute im Gemeindegebiet. Auch in ... hätten jahrzehntelang zwei Glocken dreimal täglich zum Angelus um 7.00 Uhr, 12.00 Uhr und 18.00 Uhr geläutet. Es sei nicht richtig, daß dort nur die kleine Glocke gehangen habe. Von einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem Gemeindepfarrer könne keine Rede sein. Eine Überschreitung des für allgemeine Wohngebiete maßgebenden Beurteilungspegels müsse wegen der Bedeutung des kirchlichen Glockengeläuts hingenommen werden.

25

Wegen des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im einzelnen wird auf deren Schriftsätze in beiden Rechtszügen und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der Berufungsverhandlung war.

26

Der Senat hat Beweis darüber erhoben, welche Lärmimmissionen das Angelusläuten der Beigeladenen vor dem nächsten Fenster eines Aufenthaltsraumes des Wohnhauses der Kläger erreicht, durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Dr.rer.nat. ... in ... als Sachverständigen. Dazu wird auf den Beweisbeschluß vom 21. Dezember 1995 und das Gutachten vom 6. März 1996 verwiesen.

27

II.

Die Berufung der Kläger ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage zu Recht abgewiesen. Sie haben keinen Rechtsanspruch darauf, daß der Beigeladenen das Angelusläuten auf dem benachbarten Kapellengrundstück untersagt oder beschränkt wird.

28

Zur Begründung kann auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheides verwiesen werden, denen der Senat folgt. Voraussetzung für den Klaganspruch wäre, daß das streitige Angelusläuten zu objektiv unzumutbaren Belästigungen der Kläger führte, denen ein solches Gewicht zukäme, daß sie gegenüber dem Läuterecht der Kirchen als einem durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Akt der Religionsausübung zu berücksichtigen wären (vgl. BVerwG, Urt. v. 7. 10. 1983 - VII C 44.81 -, BVerwGE 68, 62 [BVerwG 07.10.1983 - 7 C 44/81]/68).

29

Das ist hier nicht der Fall. Insbesondere können sie sich nicht mit Erfolg auf bestimmte Immissionsrichtwerte berufen. Das ist zwar bei Störungen durch das Zeitschlagen von Kirchturmuhren während der Nachtzeit denkbar (vgl. BVerwG, Urt. v. 30. 4. 1992 - 7 C 25.71 -, BVerwGE 90, 163/166). Dabei handelt es sich jedoch nicht um sakrales Geläut, das wie im vorliegenden Fall den besonderen Verfassungsschutz des Art. 4 Abs. 2 GG genießt. Geräuschimmissionen durch liturgisches Glockengeläut der Kirchen im herkömmlichen Rahmen sind regelmäßig keine erhebliche Belästigung, sondern eine zumutbare, sozialadäquate Einwirkung (vgl. BVerwG, aaO). Auch bei einer Überschreitung der nach Nr. 2.321 der TA-Lärm zulässigen Immissionsrichtwerte ist noch nicht ohne weiteres davon auszugehen, daß das Angelusläuten den üblichen Rahmen einer sozialadäquaten Einwirkung übersteigt oder ein Mißbrauch des Läuterechts vorliegt oder davon ein derart exzessiver Gebrauch gemacht wird, daß für die Kläger die Gefahr eines gesundheitlichen Schadens herbeigeführt und damit deren Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG auf körperliche Unversehrheit beeinträchtigt würde. Der von dem Sachverständigen in seinem Gutachten vom 6. März 1996 (S. 10) ermittelte Beurteilungspegel von 66,6 dB(A) vor dem Wohnhaus der Kläger ist nicht so hoch, daß er die Annahme einer Unzumutbarkeit rechtfertigen könnte. Das gleiche gilt für den vom Sachverständigen gemessenen Wirkpegel von 80,2 dB(A). Das ergibt sich schon daraus, daß kurzzeitige Geräuschspitzen den Immissionsrichtwert am Tage um bis zu 30 dB(A) überschreiten dürfen (Nr. 3.3.1 Abs. 2 der VDI-Richtlinie 2058). Danach werden Kurzzeitgeräusche bis zu 85 dB(A) am Tage in allgemeinen Wohngebieten für unbedenklich gehalten.

30

Aus der bloßen Möglichkeit, für das Angelusläuten nur die kleinere der beiden vorhandenen Glocken einzusetzen, folgt noch keine entsprechende Verpflichtung der Beigeladenen. Zweck des Läutens beider Glocken ist es, auch die entfernteren Gläubigen zu erreichen, was bei einer Beschränkung auf die kleine Glocke nicht gewährleistet wäre. Die Beigeladene hat bestritten, in der Pfarrkirche in Flachsmeer nur eine kleine Glocke für das Angelusläuten eingesetzt zu haben. Darauf kommt es aber letztlich nicht an, weil es sich dort um einen Notbehelf gehandelt haben kann und die hier vorliegenden Verhältnisse maßgeblich sind. Dabei ist den Klägern einzuräumen, daß die geringe Entfernung ihres Wohnhauses zum Glockenturm zu Belästigungen führen kann. Diese müssen jedoch in dem Sinne unzumutbar sein, daß sie die Grenzen des Angemessenen überschreiten. Das ist hier nicht erkennbar. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung einer ungestörten Religionsausübung umfaßt auch ein kultisches Glockengeläut, das sich nach Zeit, Dauer und Intensität im Rahmen des Herkömmlichen hält. In diesem Zusammenhang braucht die Beigeladene sich nicht entgegenhalten zu lassen, daß die seit 1964 vorhandene Kapelle bisher ohne das Angelusläuten ausgekommen sei. Denn hierbei handelt es sich um einen jahrhundertealten Ritus der katholischen Kirche, der üblicherweise zu jedem ihrer Gotteshäuser gehört. Deshalb kann der Beigeladenen nicht angesonnen werden, auch für die Zukunft auf das Angelusläuten zu verzichten. Sie bewegt sich damit innerhalb einer ihr zustehenden Rechtsposition. Das schließt die Annahme einer unangemessenen und damit unzumutbaren Störung der Nachbarschaft aus. Hinzu kommt, daß die Kläger mit der Wahl ihres Bauplatzes in unmittelbarer Nähe der vorhandenen Kapelle einkalkulieren mußten, daß eines Tages ein Glockenturm mit entsprechendem Geläut errichtet würde, das auch das tägliche Angelusläuten umfaßte. Wer neben einem solchen Kirchengrundstück wohnt, muß mit einer entsprechenden Lärmbelastung rechnen. Daraus ergibt sich unter dem Gesichtspunkt des Gebotes der gegenseitigen Rücksichtnahme die Anrechenbarkeit einer gewissen Lärmvorbelastung, die die Schutzwürdigkeit ihres Wohngrundstücks mindert.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO iVm den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben (§§ 132 Abs. 2, 137 VwGO).

33

Beschluß

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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 10.000,-- DM (i.W.:

35

zehntausend Deutsche Mark) festgesetzt.

36

Taegen

37

Dr. Sarnighausen

38

Claus