Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 19.08.2020, Az.: L 4 KR 161/20

Anspruch auf Versorgung mit dem Nahrungsergänzungsmittel Eleutherococcus; Leistungskatalog des SGB V; Keine Lebensmittel und sonstige Präparate

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
19.08.2020
Aktenzeichen
L 4 KR 161/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 39049
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 06.03.2020 - AZ: S 10 KR 1312/19

Redaktioneller Leitsatz

1. Krankenkassen sind - auch verfassungsrechtlich - nicht verpflichtet, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist.

2. Der Gesetzgeber kann vielmehr Lebensmittel und sonstige Präparate grundsätzlich aus dem Leistungskatalog des SGB V ausnehmen und dem Bereich der Eigenverantwortung der Versicherten zuweisen.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 6. März 2020 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger einen Anspruch auf Versorgung mit den Nahrungsergänzungsmitteln Eleutherococcus (Taiga-/Ginsengwurzel) in Kapselform und Zinkorot-Tabletten sowie auf Kostenerstattung für bereits besorgte Präparate hat.

Der 1967 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert und leidet seit Jahren unter zahlreichen Erkrankungen; zu nennen sind u.a. ein Zustand nach Nierentransplantation, Zustand nach mittelschwerer Abstoßreaktion (Juli 2005), eine chronische Glumerolonephritis, ein infektbedingtes akutes Nierenversagen (2018), pAVK, ein Verdacht auf ein Alport-Syndrom, Hypertonus, Tinnitus, allergisches Asthma, chronisches Erschöpfungssyndrom (Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatique Syndrome (ME/CFS)), Histaminüberempfindlichkeit. Seit dem 16. Januar 2018 besteht ein Pflegegrad I (vgl. Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 17. November 2018).

Am 8. Januar 2019 beantragte er bei der beklagten Krankenkasse (KK) unter Vorlage einer Verordnung des Facharztes für Innere Medizin Prof. Dr. H. die Übernahme der Kosten für das Nahrungsergänzungsmittel Eleutherococcus. Zeitgleich reichte er Kopien von Quittungen über bereits beschaffte Arzneimittel zur Kostenerstattung bei der Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 28. Januar 2019 lehnte die Beklagte die Übernahme bzw. Erstattung der Kosten für Zinkorot Tabletten und Eleutherococcus Kapseln ab. Nicht verschreibungspflichtige, aber apothekenpflichtige Arzneimittel dürften nur in folgenden Ausnahmefällen von den KKen bezahlt werden: für Kinder, die noch nicht zwölf Jahre seien, für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen, die jünger als 18 Jahre seien und bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen, wenn das Arzneimittel regulär zur Therapie dieser Erkrankung vorgesehen sei. Treffe eine dieser Voraussetzungen zu, könnte das Medikament auf einem Kassenrezept verschrieben werden. Die Apotheken rechnen dann die Kosten direkt mit der KK ab. Für Arzneimittel, die nicht apothekenpflichtig seien und außerhalb einer Apotheke gekauft werden könnten, dürften generell keine Kosten übernommen werden.

Dagegen richtete sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 4. Februar 2019.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel seien gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. § 12 Abs. 1 bis 5 Arzneimittel-Richtlinie wiederhole den zuvor genannten gesetzlich vorgegebenen Leistungsausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneien, definiere den Begriff einer schwerwiegenden Erkrankung und wann ein Arzneimittel als Therapiestandard gelte. Die schwerwiegende Erkrankung und die dafür nicht verschreibungspflichtigen Standardtherapeutika, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (gKV) ausnahmsweise verordnet werden dürften, seien in der Anlage 1 der Richtlinie abschließend gelistet. Für die in der Anlage 1 aufgeführten Indikationsgebiete könne der behandelnde Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt sei. Nach § 16 Abs. 1 bis 3 der Arzneimittel-Richtlinie i.V.m. § 92 Abs.1 Satz 1 Halbsatz 3 und 4 SGB V dürften Arzneimittel von Versicherten nicht beansprucht, von den behandelnden Ärzten nicht verordnet und von den KKen nicht bewilligt werden, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen oder die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sei. Das Arzneimittel Zinkorot unterliege zwar der Apothekenpflicht, es sei aber nicht verschreibungspflichtig. Zinkorot 25 Tabletten seien in Nr. 45 der Anlage 1 der Arzneimittel-Richtlinie zwar genannt, dürften aber zulasten der gKV ausnahmsweise als Monopräparat nur zur Behandlung der enteropathischen Akrodermatitis und des durch Haemodialysebehandlung bedingten nachgewiesenen Zinkmangel sowie zur Hemmung der Kupferaufnahme bei Morbus Wilson verordnet werden. Diese Voraussetzungen seien nach Auffassung des Arztes nicht gegeben; es sei kein Kassenrezept (Muster 16) nach § 11 Abs. 1 Arzneimittel-Richtlinie in Verbindung mit § 87 Abs. 1 SGB V ausgestellt worden.

Der Kläger hat am 5. August 2019 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover mit dem Ziel erhoben, mit den genannten Präparaten versorgt zu werden. Zeitgleich hat er einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Die Medikamente seien fachärztlich verschrieben und würden keine alternative Leistung darstellen; unter Gabe der Medikamente habe sich sein Gesundheitszustand stabilisiert.

Das SG hat mit Beschluss vom 16. August 2019 (S 10 KR 1312/19) den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Hinsichtlich des Antrags auf Kostenerstattung fehle es schon an einem Anordnungsgrund. Die Medikamente seien bereits bezahlt worden. Dem Kläger drohe kein unzumutbarer Nachteil, der ein Abwarten der Hauptsache ausschließe. Im Übrigen fehle es an einem Anordnungsanspruch. Zutreffend habe die Beklagte zu den beiden Mitteln entsprechend der Arzneimittel-Richtlinie dargestellt, dass eine Kostenübernahme nicht in Betracht käme. Der Anspruch der Versicherten erstrecke sich ausschließlich auf die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht durch Gesetz, Rechtsverordnung oder die Arzneimittel-Richtlinie von der Versorgung ausgeschlossen seien. Durchgehend seien von der Versorgung u.a. ausgeschlossen nicht apothekenpflichtige Arzneimittel (§ 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und apothekenpflichtige, aber nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel (§ 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gKV verstoße nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht gegen Verfassungsrecht. Der Leistungskatalog der gKV dürfe auch von finanzwirtschaftlichen Erwägungen mitbestimmt sein. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Normen und der obergerichtlichen Rechtsprechung habe die Beklagte dargelegt, dass Zinkorot 25 Tabletten beim Kläger nicht entsprechend einer in der Anlage 1 der Arzneimittel-Richtlinie genannten Erkrankung eingesetzt würden. Eleutherococcus-Kapseln seien Weichkapseln, die ohne Rezept in der Apotheke zu beziehen seien. Es handele sich um ein pflanzliches Nahrungsergänzungsmittel. Eine Erstattung sei - unabhängig von der Erkrankung des Antragstellers - gemäß § 18 Satz 1 Arzneimittel-Richtlinie ausgeschlossen.

Gegen den am 20. August 2019 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 6. September 2019 Beschwerde bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt (L 4 KR 386/19 B ER). Er sei lebensbedrohlich schwer erkrankt und benötige dringend und laufend die von ihm beantragten Medikamente. Das LSG hat die Beschwerde mit Beschluss vom 28. Oktober 2019 zurückgewiesen. Weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund seien zu bejahen. Der Kläger könne von der Beklagten weder zukünftig die Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsprodukten verlangen, noch für die Vergangenheit Erstattung der ihm insoweit entstandenen Kosten nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V beanspruchen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 6. März 2020 die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2019 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger habe weder einen Anspruch auf Kostenübernahme für bereits angeschaffte Präparate noch sei die Beklagte in Zukunft verpflichtet, Kosten für die Präparate zu übernehmen. Das Gericht folge dabei der Begründung im Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2019 und sehe gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Es sei bereits ausführlich dargestellt worden, dass ein Anspruch auf Kostenerstattung nicht gegeben sei und auch dargestellt, wie es sich grundsätzlich mit der Kostenerstattung nicht verschreibungspflichtiger bzw. nicht apothekenpflichtiger Medikamente durch die gKV verhalte. Bereits im Beschluss zum Eilverfahren habe die Kammer dargestellt, dass die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden sei. Das LSG habe die Entscheidung bestätigt. Ausnahmen würden sich aus der sog. OCT-Liste des GBA ergeben. Die vom Kläger beanspruchten Präparate sowie Nahrungsergänzungsmittel gehörten entweder nicht zu den in der OCT-Übersicht genannten Präparaten oder die beim Kläger diagnostizierten Erkrankungen nicht zu den aufgeführten Erkrankungen. Eine Kostenerstattung/Kostenübernahme bei pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln sei unabhängig von der Erkrankung des Klägers gemäß § 18 Abs. 1 Arzneimittel-Richtlinie ausgeschlossen. Hinsichtlich der apothekenpflichtigen, aber nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel regele § 12 der Arzneimittelrichtlinie i.V.m. der Anlage I abschließend, unter welchen Voraussetzungen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zulasten der GKV verordnungsfähig seien. Zutreffend habe die Beklagte darauf hingewiesen, dass für Zinkverbindungen als Monopräparat eine Ausnahme nur zur Behandlung der enteroplastischen Makrodermatitis und durch Hämodialysebehandlung bedingten nachgewiesenen Zinkmangel sowie zur Hemmung der Kupferaufnahme bei Morbus Wilson zulässig sei. Ein Kassenrezept, das dann möglich wäre, sei nicht ausgestellt worden. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gKV verstoße nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch nicht gegen Verfassungsrecht (BSG, Urteil vom 6. November 2008, B 1 KR 6/08).

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger unter Beibehaltung seines Begehrens am 3. April 2020 Berufung bei dem LSG eingelegt. Die Beklagte verweigere ihm weiterhin die Kostenübernahme der fachärztlich verordneten Medikation mit Eleutherococcus und Zinkorot. Eine Medikation mit Naturheilmitteln bzw. sog. Nahrungsergänzungsmittel mit einem hochkonzentrierten Wirkstoffanteil stelle nach derzeitigem Stand der ME/CFS-Forschung eine alternativlose Maßnahme im Rahmen eines individuellen ME-Behandlungskonzeptes dar.

Mit seinem am 26. Juni 2020 eingegangenen Schreiben beantragt der Kläger, die Gutachten aus dem Verfahren S 13 R 9/16 und S 94 P 75/19 sowie die Akten aus dem noch anhängigen Verfahren vor dem SG Hannover, S 40 SB 171/19 dem Verfahren beizuziehen.

Der Kläger beantragt gemäß § 109 Abs. 1 SGG Prof. Dr. I., J., K. L. (bei Kostenübernahme durch ihn) schriftlich zu seiner ME-Erkrankung und deren Behandlungsmöglichkeiten zu befragen. Der Kläger schlägt folgende Fragen vor:

"Ist er an einer somatischen ME/CFS-Erkrankung maßgeblich erkrankt? Liegt darin die Ursache für den Pflegegrad 2?

Welche Möglichkeiten gibt es im Rahmen der GKV zur ärztlichen Behandlung und medikamentösen und physischen Therapie der somatischen ME/CFS?

Sei der gesundheitliche Zustand insbesondere in Verbindung mit anderen Erkrankungen (Nieren-TX, Alport, multiple chronische Entzündung), als lebensbedrohlich, verzehrend anzusehen bzw. dem gleichzustellen?

Inwiefern ist bei mir, bzw. allgemein, insbesondere mit einer hochdosierten Cistus Incanus- Medikation die Einnahme des als Cortisonersatz (auch ohne dessen gravierende Nebenwirkungen) zur Entzündungshemmung dienenden Eleutherococcos, zu empfehlen, bzw. eine medizinisch sinnvolle Maßnahme?".

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 6. März 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Kosten für die bereits angeschafften Präparate Eleutherococcus und Zinkorot 25 entsprechend der eingereichten Rechnungen der Apotheke zu erstatten und die Kosten auch zukünftig zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet ihre bisherige Entscheidung weiterhin für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den gesamten Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Beratung und der Entscheidungsfindung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat zutreffend mit Gerichtsbescheid vom 6. März 2020 die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger kann von der Beklagten weder zukünftig die Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsprodukten verlangen, noch für die Vergangenheit Erstattung der ihm insoweit entstandenen Kosten nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V beanspruchen.

Die genannten Ansprüche setzen voraus, dass die selbstbeschaffte und zukünftig zu beschaffende Leistung zu denjenigen gehört, welche die KKen in allgemeiner Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Versicherte haben nach § 27 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung auch die Versorgung der Versicherten mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Der GBA hat in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nr. 1 oder Nr. 2 des Gesetzes über Medizinprodukte (MPG) zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind, ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden. Die mit Wirkung zum 1. Juli 1997 wirksam gewordene Festschreibung der Apothekenpflicht grenzt den Kreis der leistungsfähigen Arzneimittel bereits ein. Seit 2004 gehört zudem die Verschreibungspflichtigkeit zu den grundsätzlichen Anspruchsvoraussetzungen auf Versorgung mit Arzneimitteln. Als Ausnahme von der Ausnahme legt der GBA in der sog. OTC-Liste nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel fest, die im Rahmen der gKV zu erbringen sind. Allerdings gehören die vom Kläger beanspruchten Präparate sowie Nahrungsergänzungsmittel entweder nicht zu den in der OTC-Übersicht genannten Präparaten oder die bei ihm diagnostizierten Erkrankungen nicht zu den in der OTC-Übersicht aufgeführten Erkrankungen. Insofern kann auf die Ausführungen des SG Bezug genommen werden (§ 153 Abs. 2 SGG).

Zudem liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die genannten Präparate als Therapiestandard nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 SGB V verordnet worden sind. Nach dieser Vorschrift kann der Vertragsarzt Arzneimittel, die aufgrund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen. Vorliegend fehlt es bereits an der vertragsärztlichen Verordnung, die eine entsprechende Begründung zur Anwendung als Therapiestandard vorsieht.

Ein Anspruch des Antragstellers lässt sich von Vornherein auch nicht aus § 31 Abs. 5 SGB V (bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung) ableiten. Bei den begehrten Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsprodukten handelt es sich nicht um Präparate im Sinne der zitierten Vorschriften.

Den Ausführungen des SG ist auch dahingehend zuzustimmen, dass die fehlende Einbeziehung der vom Kläger begehrten Präparate in den Leistungskatalog der gKV nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Die KKen sind von Verfassung wegen nicht gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Es ist dem Gesetzgeber unbenommen, Lebensmittel und sonstige Präparate grundsätzlich aus dem Leistungskatalog des SGB V auszuklammern und damit dem Bereich der Eigenverantwortung der Versicherten zuzuweisen, mag hierfür auch krankheitsbedingt ein Mehraufwand anfallen. Ist ein Versicherter wirtschaftlich nicht hinreichend leistungsfähig, sich selbst mit den erforderlichen Präparaten zu versorgen, kommen statt Ansprüchen aus dem SGB V solche nach § 21 Abs. 5 SGB II bzw. § 30 Abs. 5 SGB XII in Betracht.

Ein Leistungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 1a SGB V. Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. "Lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich" beschreibt eine extreme Situation. Gemeint ist eine notstandsähnliche Lage mit einer sehr begrenzten Lebensdauer. Wertungsmäßig damit vergleichbar ist der wahrscheinlich drohende Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen körperlichen Funktion innerhalb eines kürzeren Zeitraums (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KN 3/07 KR R, zitiert nach juris; vgl. auch Plagemann, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 2 SGB V, Stand: 15. Juni 2020, Anm. 55 ff.).

Kumulativ dazu erfordert die weitere Voraussetzung der "nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf Heilung" eine Wirksamkeitsprüfung am Maßstab der vernünftigen ärztlichen Praxis. Erforderlich ist, dass bereits wissenschaftliche, nicht auf Einzelfälle beschränkte Erkenntnisse vorliegen, die attestieren, dass die Behandlungsmethode zur Heilung der Krankheit oder zur Linderung der Heilungsfolgen geeignet ist und wirksam eingesetzt werden kann. Der Kläger leidet neben weiteren Erkrankung insbesondere unter einem Zustand nach Nierentransplantation, Zustand nach mittelschwere Abstoßungsreaktion (Juli 2005), einem Verdacht auf ein Alport-Syndrom sowie einer ME/CFS-Erkrankung. Die hier begehrte Versorgung mit den Nahrungsergänzungsmitteln und Naturheilmitteln soll nach dem klägerischen Vorbringen der Behandlung der ME/CFS-Erkrankung dienen. Der Kläger verweist diesbezüglich auch auf die Therapieempfehlungen des behandelnden Arztes Prof. Dr. M ... Unabhängig davon, ob diese Erkrankungen als lebensbedrohlich im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V zu bewerten sind, fehlt es bereits an der zwingenden Voraussetzung der Geeignetheit der begehrten Nahrungsergänzungspräparate, die ME/CFS-Erkrankung oder auch das Alport-Syndrom und den Zustand nach Nierentransplantation zu heilen. Entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse in Form von Einzelfallberichten, Assoziationsbeobachtung, Berichte von Expertenkommission, Studien (vgl. dazu BSG, Urteil vom 2. September 2009, B 1 KR 4/13 R, zitiert nach juris) liegen dazu nicht vor. Nicht ausreichend ist, dass der behandelnde Arzt nach dem Vortrag des Klägers von der Wirksamkeit überzeugt ist. Bei Eleutherococcus-Kapseln handelt es sich nach der Herstellerinformation um Taiga-/Ginsengwurzel zur Stärkung des Immunsystems; eine entsprechende Wirkung auf das Immunsystem ergibt sich bei dem zinkhaltigen Präparat. Ein Nachweis, dass über diesen generellen Nutzen hinaus gerade eine Heilungsaussicht bezüglich des beim Kläger bestehenden Krankheitsbildes besteht, ist nicht gegeben. Der erkennende Senat hat sich von Amts wegen zu einer (medizinischen) Beweiserhebung nicht gedrängt gefühlt, da bereits im Ansatz Anhaltspunkte für einen Heilungserfolg nicht gegeben sind. Allein die Behauptung des Klägers reicht für eine Ermittlung "ins Blaue hinein" nicht aus.

Der Senat lehnt auch den nach § 109 Abs. 1 SGG gestellten Antrag auf gutachterliche Anhörungen des Prof. Dr. M. ab. § 109 Abs. 1 SGG begründet für die in der Norm näher bezeichneten Berechtigten abweichend von § 103 Satz 2 SGG das antragsabhängige Recht darauf, dass das Gericht einen bestimmten Arzt gutachterlich hört, wenn ein erhebliches, medizinischer Beurteilung zugängliches Beweisthema betroffen ist, das Antragsrecht nicht verbraucht ist und kein Fall des § 109 Abs. 2 SGG vorliegt (BSG, Urteil vom 20. April 2010, B1/3 KR 22/08 R = BSGE 106,81-91 = SozR 4 - 1500 § 109 Nr. 3). Die Vorschrift erzwingt lediglich dann zur antragsgemäßen Beweiserhebung, wenn ein erhebliches, medizinischer Beurteilung zugängliches Beweisthema betroffen ist. Rechtssystematisch geht es bei § 109 SGG um eine Sonderregelung für das Recht der Beweiserhebung durch Sachverständige. Grundsätzlich erforscht das Gericht den Sachverhalt im sozialgerichtlichen Verfahren von Amts wegen und ist dabei an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 103 Satz 1 und 2 SGG). Als Ausnahme von der fehlenden Bindung an Beweisanträge regelt § 109 SGG die Pflicht des Gerichts, unter den dort genannten Voraussetzungen dennoch einen "bestimmten" Arzt gutachterlich zu hören. Die Ausnahmeregelung soll aber nicht von dem allgemein prozessrechtlichen Grundsatz entbinden, dass nur über solche Tatsachen Beweis zu erheben ist, die für die Entscheidung erheblich sind (BSG, Urteil vom 20. April 2010, a.a.O., unter Hinweis auf BSGE 2, 255, 256). Ob es um medizinische Tatsachen geht, die für die Entscheidung erheblich sind, bemisst sich nach der materiellen Rechtsauffassung der Tatsacheninstanz (vgl. BSG, Urteil vom 20. April 2010, a.a.O.). Insbesondere im Rahmen des § 2 Abs. 1a SGB V wird - neben weiteren Voraussetzungen - zwingend für einen Behandlungsanspruch nach den Grundsätzen der grundrechtsorientierten Auslegung vorausgesetzt, dass dem begehrten Nahrungsergänzungsprodukt eine "nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung" im oben beschriebenen Sinne zukommt. Erschwerend kommt hinzu, dass die hinreichend begründete Verordnung eines Vertragsarztes nicht vorliegt. Insofern kommt es insbesondere auf die vom Kläger mitgeteilten Fragen "Bin ich an einer somatischen ME/CFS maßgeblich erkrankt? Liegt darin also die Ursache für z.B. den Pflegegrad 2?" und "Ist mein gesundheitlicher Zustand, insbesondere in Verbindung mit anderen Erkrankungen (Nieren-TX, Alport, multiple-chronische Entzündungen) als lebensbedrohlich, verzehrend anzusehen bzw. dem gleichzustellen? nicht an. Das vom Kläger definierte Beweisthema ist so gesehen nicht entscheidungserheblich. Zudem ist bereits zweifelhaft, ob der Kläger einen Anspruch auf gutachterliche Feststellung einer bestimmten Erkrankung, hier der ME/CFS-Erkrankung hat. Die vom Kläger formulierte Frage "Welche Möglichkeiten gibt es im Rahmen der gKV zur ärztlichen Behandlung und medikamentösen und physischen Therapie der somatischen ME/CFS? muss vorrangig nach den Vorschriften des SGB V beantwortet werden und ist sonach einer medizinischen Beurteilung nicht zugänglich. Hinzu kommt, dass sie für den konkreten Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich ist. Im Übrigen geht der erkennende Senat seit Jahren auf der Grundlage der ärztlichen Berichte davon aus, dass der Kläger unter einer ME/CFS-Erkrankung leidet. Die Erkrankung ist demnach bereits aufgrund der ärztlichen Berichte bewiesen. Die ME/CFS-Erkrankung hat bereits bei sämtlichen Entscheidungen in der Berufungsinstanz Berücksichtigung gefunden. Soweit der Kläger geklärt wissen möchte, "warum das zur Entzündungshemmung dienende Eleutherococcus zu empfehlen bzw. eine medizinisch sinnvolle Maßnahme sei?", ist diese Frage vor dem Hintergrund der o.a. Ausführungen nicht als entscheidungserheblich anzusehen. Der Nachweis einer Heilungsaussicht ist nicht durch die einzelne Meinung eines Arztes zu belegen, sondern bedarf des ausdrücklichen Nachweises in wissenschaftlichen Erkenntnissen, die nicht auf den Einzelfall beschränkt sind. Diese liegen vorliegend bezogen auf das Krankheitsbild des Klägers nicht vor (s.o.).

Auch die Beiziehung von Gutachten aus den Verfahren Az. S 13 R 9/16 und S 94 P 75/19 sowie die Beiziehung von Akten aus anhängigen Verfahren war wegen mangelnder Entscheidungserheblichkeit nicht erforderlich. Die Berufung kann insgesamt keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.