Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.06.1999, Az.: 7 M 1875/99
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 02.06.1999
- Aktenzeichen
- 7 M 1875/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1999, 34705
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1999:0602.7M1875.99.0A
Fundstellen
- FStHe 2000, 467-468
- FStNds 2000, 380-381
- FStNds 2001, 255-256
- NVwZ-RR 1999, 738-739 (Volltext mit amtl. LS)
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 8.000,- DM festgesetzt.
Tatbestand:
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die auf das Gesetz über den Ladenschluss - LadSchlG - gestützte Verordnung der Antragsgegnerin vom 26. Februar 1999, mit der aus Anlass des vom 4. bis 6. Juni 1999 in . veranstalteten "2. Jugendmusikfestivals 'music in town'" am Sonnabend, den 5. Juni 1999, die Öffnung von Verkaufsstellen in einem näher gekennzeichneten Innenstadtbereich bis 20 Uhr gestattet wird.
Die Antragstellerin, die bei . beschäftigt ist, hat gegen die Verordnung Normenkontrollklage - 7 K 1868/99 - erhoben. Zugleich begehrt sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Sie laufe mangels einer ausreichenden Anzahl freiwillig zur Mehrarbeit bereiter Personen Gefahr, an dem betreffenden langen Sonnabend als Verkäuferin eingesetzt zu werden. Dadurch gehe ihr unwiederbringlich wertvolle Freizeit verloren. Demgegenüber könnten potentielle Kunden, ebenso gut während der regulären Öffnungszeiten einkaufen. In der Sache lägen die Voraussetzungen der Verordnungsermächtigung nicht vor.
Die Antragstellerin beantragt,
den Vollzug der Rechtsverordnung durch einstweilige?
Anordnung auszusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt.
den Antrag abzulehnen.
Sie hält ihn mangels potentieller Rechtsverletzung der Antragstellerin für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet. Mit der attraktiven internationalen Besetzung des Festivals und den - wie im Vorjahr - erwarteten 250.000 bis 300.000 Besuchern gehe dieses über normale Wochenendveranstaltungen lokaler Art weit hinaus und erfülle damit alle Kriterien für eine Verordnung nach § 16 Abs. 1 LadSchlG.
Gründe
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
A.
Bereits an seiner Zulässigkeit bestehen Zweifel.
Die erforderliche mögliche Verletzung der Antragstellerin in eigenen Rechten, § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO, ist nur gegeben, wenn ihr Arbeitgeber in Ausnutzung der. Verordnung verbindlich beabsichtigt, sie am 5. Juni 1999 außerhalb der Regelöffnungszeit einzusetzen; nur dann ist die Antragstellerin in der vom Ladenschlussgesetz u.a. zu ihrem Schutz vorgesehenen regulären Beschränkung des Arbeitseinsatzes an den Wochenenden individuell betroffen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.11.1998 - 14 S 2844/98 -, DÖV 1999, S. 260). Nach dem Vermerk der Antragsgegnerin über ein Gespräch mit dem Personalleiter der Firma . vom 21.4.1999 (GA Bl. 30) soll an dem fraglichen Sonnabend aber kein Mitarbeiter "dienstverpflichtet" werden. Demgegenüber ist nicht eindeutig, was im Ergebnis der Vortrag der Antragstellerin bedeutet, ihr sei "nicht bekannt, dass sie am Samstag von ihrem Dienst freigestellt wäre".
Da es im Ergebnis hierauf Jedoch nicht ankommt, geht der Senat diesen Fragen im vorliegenden Verfahren nicht weiter nach und unterstellt im weiteren die Zulässigkeit des Antrags.
B.
Der Antrag ist unbegründet.
Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies "zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist". Das Merkmal des "dringenden Gebotenseins" zeigt, dass hier grundsätzlich ein strengerer Maßstab als bei einstweiligen Anordnungen nach § 123 VwGO anzuwenden ist. Die für das Ergehen einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO sprechenden Gründe müssen so schwer wiegen, dass der Erlass unabweisbar erscheint (Kopp/Schenke, VwGO 11, Rn. 104 m.w.N.; OVG Rhld.-Pf., Beschl. v. 14.10.1994 - 11 B 12552/94 -, GewArch 1995, S. 37).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
1.)
Gegen den Erlass der Anordnung spricht bereits, dass, wie sich schon übersehen lässt, dem Normenkontrollantrag im Hauptsacheverfahren keine Erfolgsaussicht zukommt (zur maßgeblichen Berücksichtigung dieses Umstands vgl. Kopp/Schenke a.a.O., Rn. 106, S. 671 m.w.N.):
Rechtsgrundlage der streitigen Verordnung ist § 16 Abs. 1 S. 2, S. 1 LadSchlG. Danach kann bestimmt werden, dass abweichend von der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 3 LadSchlG - mögliche reguläre Öffnung samstags von 6 bis 16 Uhr - Verkaufsstellen "aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen an jährlich höchstens sechs Werktagen bis spätestens einundzwanzig Uhr geöffnet sein dürfen". Von dieser Ermächtigung hat die Antragsgegnerin mit § 1 ihrer Verordnung für den 5. Juni 1999 bis 20 Uhr für den dort näher bezeichneten Innenstadtbezirk Gebrauch gemacht. Streitig ist zwischen den Beteiligten lediglich, ob die als Anlass gewählte Veranstaltung "music in town" eine - hier nur in Betracht kommende - "ähnliche Veranstaltung" im gesetzlichen Sinne darstellt. Das ist zu bejahen.
Der Begriff der "ähnlichen Veranstaltung" bezieht sich in § 16 Abs. 1 S. 1 LadSchlG auf die vorangestellten Worte "Märkte" und "Messen". Diese sind Veranstaltungen, die in der Regel wiederkehrend stattfinden und mit einem starken Besucherstrom verbunden sind (vgl. §§ 64 f. GewO). Eine dem "ähnliche" Veranstaltung liegt vor, wenn sie sich, wie diese, von "normalen" Sonn- und Feiertagen abhebt, einen beträchtlichen Besucherstrom anzieht und aus diesem Grunde Anlass bietet, die Offenhaltung abweichend von § 3 Abs. 1 Nr. 3 LadSchlG freizugeben. Der Besucherstrom darf nicht erst durch die Offenhaltung der Verkaufsstellen ausgelöst werden (so zu dem insoweit gleichlautenden § 14 Abs. 1 LadSchlGBVerwG, Beschl. v. 18.12.1989 - 1 B 153.89 -. Buchholz 451.25 Nr. 27 = GewArch 1990, S. 143; VGH Bad.-Württ, Beschl. v. 17.5.1995 - 1 S 1306/95 -, GewArch 95, S. 349, 350 = ZMR 1995, S. 427, 428). Als ähnliche Veranstaltungen können daher solche örtlicher, kultureller, religiöser, sportlicher oder sonstiger "außergewöhnlicher" Art definiert werden, die einen beträchtlichen Besucherstrom bedingen (VGH Bad-Württ, a.a.O.; Stober, Ladenschlussgesetz3, Rn. 7 zu § 16; Rn. 15 zu § 14). Der gesetzliche Zweck besteht darin, die in solchen Situationen entstehenden unterschiedlichen Interessen angemessen zum Ausgleich zu bringen. Durch die Einbeziehung der Verkaufsstellen in die Veranstaltung soll dem Einzelhandel die Möglichkeit gegeben werden, den Besucherandrang geschäftlich zu nutzen. Bei Märkten und Messen kommt die Gleichbehandlung von örtlichen Verkaufsstellen und Veranstaltungsbeschickern hinzu. Darüber hinaus soll dem Versorgungsbedürfnis der auswärtigen Besucher des Veranstaltungsortes Rechnung getragen werden (OVG Rhld.-Pf., a.a.O., S. 37). Die Belange des Schutzes des Verkaufspersonals kommen in der zeitlichen und gegenständlichen Beschränkung und der Höchstzahl der freigabefähigen Werktage zum Ausdruck (ebf. zu § 14 LadSchlG VG Arnsberg. Urt. v. 10.11.1988 - 1 K 1186/88 -, GewArch 1989, S. 389, 390).
Danach ist nicht zweifelhaft, dass "music in town" als großes überregionales Musikfest (vgl. Stober, a.a.O., Rn. 15 zu § 14) eine "ähnliche Veranstaltung" im Sinne von § 16 Abs. 1 S. 1 LadSchlG darstellt, weil es erhebliche Besucherströme nicht nur aus Hannover anziehen wird. Angesichts der bei ersteh Veranstaltung dieser Art geschätzten 250.000 bis 300.000 Besucher spricht angesichts der Breite des Jetzigen Angebots (rd. 1.500 Akteure aus vielen Ländern, Musikrichtungen von Jazz bis Klassik, sechs Bühnen) auch nichts dagegen, dass ähnlich große Zahlen wieder erreicht werden. Die Annahme, dass diese Besucher nicht wegen der Musikdarbietungen, sondern wegen der am Sonnabend länger geöffneten Geschäfte kommen werden, erscheint abwegig.
Der Antragsgegnerin ist ferner darin zuzustimmen, dass zu den "ähnlichen Veranstaltungen" nicht nur, wie in der Literatur vereinzelt vertreten, seit Jahren durchgeführte Traditionsveranstaltungen zu rechnen sind. Zwar werden derartige Feste häufig solche Veranstaltungen sein (und wird dies auch bei der vorliegenden Veranstaltung eventuell eines Tages zutreffen). Das Gesetz gibt aber umgekehrt keinen Anhalt dafür, dass es nur derartige "alte" Veranstaltungen meint. Solche können vielmehr durchaus auch neu geschaffen werden oder, wie vorliegend, erst eine kurze Tradition aufweisen (Stober. a.a.O., Rn. 16 zu § 14).
Zu Unrecht verweist die Antragstellerin zur Unterstützung ihrer Auffassung schließlich auf den Beschluss des OVG Magdeburg vom 23.4.1999 - B 1 S 43/99 -. Das Gericht hat darin zwar die Bewertung der Vorinstanz bestätigt, dass die anlässlich der Bundesgartenschau vom 23. April bis 17. Oktober 1999 verfügten längeren Öffnungszeiten der Geschäfte an Samstagen mit dem Gesetz nicht in Einklang stünden. Zu beurteilen war in jenem Fall aber eine Allgemeinverfügung auf der Grundlage von § 23 Abs. 1 S. 1 LadSchlG, wonach eine derartige Regelung "im öffentlichen Interesse dringend nötig" sein muss. Ein solches Interesse vermochte das Gericht nicht zu erkennen. Im vorliegenden Fall spielt diese Frage hingegen keine Rolle, weil § 16 Abs. 1 LadSchlG derartige Voraussetzungen nicht aufstellt.
2.)
Die begehrte einstweilige Anordnung kann außerdem deshalb nicht erlassen werden, weil sie selbst dann nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO "zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten" wäre, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verordnung bestünden. Die dann maßgeblich vorzunehmende Interessenabwägung müsste ebenfalls zum Nachteil der Antragstellerin ausgehen (ähnlich OVG Rhld.-Pf., a.a.O.. S. 38; VGH Bad-Württ., a.a.O., LS und S. 261):
Bei einer möglichen Unwirksamkeit der Verordnung hätte die Antragstellerin ohne öffentlich-rechtliche Grundlage eine vierstündige zusätzliche Arbeitsleistung an einem Junisamstag zu erbringen. Eine derartige Belastung erscheint geringfügig. Zwar könnte dieser "Nachteil" später nicht mehr rückgängig gemacht werden. Immerhin dürfte die geleistete Arbeit durch Freizeitausgleich oder eine entsprechende Bezahlung aber weitestgehend ausgeglichen werden. Die Antragstellerin hat nicht vorgetragen, dass sie gerade am 5. Juni 1999 auf die Freistunden aus zwingenden persönlichen Gründen angewiesen wäre. Ihr diesbezüglicher Vortrag geht über ein allgemeines Beklagen des Freizeitverlustes am frühen Samstagabend, der im übrigen weitgehend erhalten bleibt, nicht hinaus. Demgegenüber würden bei einer Aussetzung der Vollziehung die Kaufhäuser, die auf die Gültigkeit der Rechtsverordnung vertrauen, einen erheblichen Schaden erleiden, der bei einer Erfolglosigkeit des Normenkontrollantrages in der Hauptsache kaum ausgeglichen werden könnte. Denn ihnen würden die entgangenen Einnahmen nicht ersetzt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin könnten sie diese an anderen Werktagen zum größten Teil nicht erzielen, weil die durch das Musikfestival angezogenen zusätzlichen Kaufinteressenten dann ausfallen. Damit überwiegen die Interessen der Verkaufsstelleninhaber sowie das Versorgungsbedürfnis der Besucher an der Ausnutzung der Verordnung das Interesse der Antragstellerin an deren Aussetzung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 S. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.