Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 22.02.1995, Az.: 2 U 225/94
Unvollkommene Beurkundung formbedürftiger, wesentlicher Vertragsbestandteile; Auslegung eines formbedürftigen Vertrages; Zahlung einer Entschädigung für die Zurverfügungstellung öffentlicher Flächen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 22.02.1995
- Aktenzeichen
- 2 U 225/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 29091
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1995:0222.2U225.94.0A
Rechtsgrundlagen
- § 116 BGB
- § 117 BGB
- § 125 BGB
- § 313 BGB
Amtlicher Leitsatz
Vertragsauslegung und ergänzende Vertragsauslegung, wenn nach § 313 BGB formbedürftige wesentliche Vertragsbestandteile nur unvollkommen beurkundet sind.
Gründe
Dem Kläger stand bereits bei Eintritt der Rechtshängigkeit ein Anspruch auf Zahlung von 66.420,-- DM aus dem Grundstückskaufvertrag vom 11.05.1992 zu. Der Vertrag ist nicht erst durch die Eintragung des Beklagten als Eigentümer am 29.12.1994 gem. § 313 S. 2 BGB durch Heilung nachträglich wirksam geworden. Die Parteien haben den Kaufvertrag entgegen der die angefochtene Entscheidung tragenden Ansicht des Landgerichts bereits am 11.05.1992 wirksam geschlossen.
Der Vertrag war nicht bereits unwirksam, weil es sich bei der "Entschädigung" in Höhe von 13.500,-- DM tatsächlich um einen verschleierten Kaufpreisanteil gehandelt hätte und der Kläger im Hinblick auf die Verpflichtung, die öffentlichen Flächen zur Verfügung zu stellen, keinen Rechtsbindungswillen gehabt hätte.
Der Beklagte behauptet selbst nicht, dass insoweit Übereinstimmung mit dem Kläger bestanden hat. Er will davon erst nachträglich im Rahmen einer Beweisaufnahme in einem anderen Rechtsstreit erfahren haben. Bei dem beurkundeten Vertrag handelt es sich deshalb auch nach dem Vortrag des Beklagten nicht um ein gem. § 117 BGB nichtiges Scheingeschäft und bei dem tatsächlich Gewollten nicht um eine mangels notarieller Beurkundung gem. §§ 313, 125 BGB unwirksame Vereinbarung. Die behauptete lediglich einseitige Vorstellung des Klägers ist gem. § 116 BGB unbeachtlich.
Die Unwirksamkeit des Vertrages kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass sich der Kläger gegenüber dem Beklagten verpflichtet hat, die in seinem Eigentum stehenden "öffentlichen Flächen" auf die Gemeinde zu übertragen. Entgegen der Ansicht des Landgerichts folgt daraus nicht die Nichtigkeit des Vertrages gem. §§ 313, 125 BGB. Das Landgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass die Parteien eine derartige Vereinbarung getroffen haben. Dem steht nicht entgegen, dass sie in der notariellen Urkunde nicht ausdrücklich festgehalten worden ist.
Für die Auslegung formbedürftiger Verträge gelten keine Besonderheiten. Sie ist nicht auf den Wortlaut der Urkunde beschränkt. Es sind vielmehr alle auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände wie z.B. der Zweck der Vereinbarung und der Inhalt der Vorbesprechungen der Beteiligten zu berücksichtigen (BGHZ 86, 41, 47) [BGH 08.12.1982 - IVa ZR 94/81]. Aus den Vorgesprächen der Beteiligten ergibt sich, dass nach dem Willen der Parteien der Kläger verpflichtet sein sollte, die "öffentlichen Flächen" auf die Gemeinde zu übertragen. Zwar ist darüber nach der Aussage des Zeugen W, der den Vertrag notariell beurkundet hat, bei dem Beurkundungstermin nicht gesprochen worden. Die Übertragung der Flächen auf die Gemeinde war jedoch Gegenstand der Vorgespräche der Beteiligten. Das ergibt sich aus der Aussage der Zeugin H, die den Kläger bei den Vertragsverhandlungen vertreten hat. Danach ist bei den Vorgesprächen erklärt worden, die Übertragung der Flächen auf die Gemeinde sei vorgesehen. Es bestand zwischen den Beteiligten Übereinstimmung, dass die Gemeinde wegen des bestehenden Bebauungsplans zur Übernahme der Flächen verpflichtet war. Daran war der Beklagte wegen der Unterhaltung der Wege auch interessiert. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass der Kläger gegenüber dem Beklagten verpflichtet sein sollte, die "öffentlichen Flächen" auf die Gemeinde zu übertragen. dass diese Verpflichtung in dem notariellen Vertrag nicht ausdrücklich aufgeführt worden ist, führt nicht zur Unwirksamkeit des Vertrages gem. § 313, 125 BGB.
Für die Einhaltung des Formerfordernisses reicht es nach ständiger Rechtsprechung (BGHZ 63, 359, 362 [BGH 20.12.1974 - V ZR 132/73]; 80, 242, 244 [BGH 09.04.1981 - IVa ZB 4/80]; 87, 150, 154) [BGH 25.03.1983 - V ZR 268/81]aus, dass der durch Auslegung ermittelte rechtsgeschäftliche Wille der Parteien in der Urkunde einen wenn auch nur unvollkommenen Ausdruck gefunden hat. Das ist hier der Fall. Der notarielle Vertrag sieht die Zahlung einer Entschädigung für die "zur Verfügung gestellten öffentlichen Flächen" vor. Die Verwendung des Begriffs "öffentliche Flächen" deutet bereits darauf hin, dass diese auf die Gemeinde übergehen sollten. Außerdem ist die Gewähr für den Bestand der Anlegeberechtigung am Segelhafen ausgeschlossen worden. Der Segelhafen gehörte nach dem Bebauungsplan zu den "öffentlichen Flächen". Nach der Aussage der Zeugin H ist der Gewährleistungsausschluss im Hinblick auf den Bestand der Segelberechtigung gerade wegen der vorgesehenen Übertragung auf die Gemeinde in den Vertrag aufgenommen worden. Damit hat die Verpflichtung, die "öffentlichen Flächen" auf die Gemeinde zu übertragen, einen für die Einhaltung der Form des § 313 BGB hinreichenden Ausdruck in dem notariellen Vertrag gefunden.
Der Beklagte kann keine Rechte daraus ableiten, dass die "öffentlichen Flächen" nicht auf die Gemeinde übertragen worden sind und der Kläger dazu wegen der Übereignung der Wegeflächen auf den Verein F auch nicht mehr in der Lage ist. dass die Gemeinde zur Übernahme der Wegeflächen nicht bereit war, hat der Kläger nicht zu vertreten. Der Kläger war nicht verpflichtet, die Wege wie von der Gemeinde erwünscht in Stand zu setzen. Eine derartige Verpflichtung lässt sich dem notariellen Vertrag nicht entnehmen. Nach der Aussage der Zeugen W und H war davon auch bei dem Beurkundungstermin und bei den Vorgesprächen nicht die Rede. In dem notariellen Kaufvertrag vom 22.08.1991 über ein weiteres Grundstück in dem Gebiet hat der Beklagte den Kläger sogar ausdrücklich von der Wegeunterhaltungspflicht freigestellt.
Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger sich verpflichtet hat, die Wege in einem einwandfreien Zustand zu versetzen oder gar mit Platten zu versehen.
Den Fall, dass die Gemeinde aus von dem Kläger nicht zu vertretenden Umständen nicht bereit war, die Wegeflächen zu übernehmen, haben die Parteien bei Abschluss des notariellen Vertrages vom 11.05.1992 offenbar nicht bedacht. Aus der Aussage der Zeugin H ergibt sich, dass die Parteien auf Grund des bestehenden Bebauungsplans davon ausgegangen sind, dass die Gemeinde zur Übernahme der Wege verpflichtet sei. Die Regelungslücke ist durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte und die anderen Anwohner auf die Wegeflächen angewiesen waren und sind, um ihre Grundstücke erreichen zu können. Andererseits war es dem Kläger im Fall der Verweigerung der Gemeinde nicht zuzumuten, die Flächen nunmehr entschädigungslos zur Verfügung zu stellen. Die Entschädigung sollte nach dem Zweck der Vereinbarung gerade eine Gegenleistung dafür sein, dass der Kläger die für die öffentlichen Flächen benötigten Grundstücksteile nicht mehr nutzen und darüber nicht mehr verfügen konnte. Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ist deshalb davon auszugehen, dass der Kläger für den Fall, dass die Gemeinde zur Übernahme der Flächen nicht bereit war, diese an einen zur Übernahme und zur Unterhaltung der Wege bereiten Dritten unentgeltlich übertragen musste. Dafür konnte der Kläger weiter die vereinbarte Entschädigung von dem Beklagten verlangen. dass der Beklagte bei der Übertragung der Wegeflächen an einen Dritten wegen der Kosten der Unterhaltung der Wege möglicherweise schlechter gestellt ist als im Falle der Übernahme der Wegeflächen durch die Gemeinde, rechtfertigt nicht die Herabsetzung der Entschädigung oder gar deren Wegfall. Denn der Kläger verliert auch in diesem Fall sein Eigentum an den für die Wege benötigten Flächen und sollte nach Sinn und Zweck der Vereinbarung vom 11.05.1992 gerade dafür entschädigt werden.
Der ergänzenden Vertragsauslegung steht nicht entgegen, dass der Grundstückskaufvertrag mit sämtlichen Nebenabreden der notariellen Beurkundung bedurfte. Auch bei formbedürftigen Rechtsgeschäften ist eine ergänzende Vertragsauslegung zulässig. Das gilt jedenfalls, wenn die ergänzende Vertragsauslegung an den Text der beurkundeten Erklärung anknüpfen kann, selbst wenn der im Wege der Auslegung ermittelte Inhalt der Vereinbarung mit dem Wortlaut nicht (völlig) übereinstimmt (BGH MDR 1964, 835, 836 [BGH 24.06.1964 - V ZR 85/62]; Soergel-Wolf, BGB, 12. Aufl., § 157 Rdn. 119). Hier findet die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ermittelte Regelung in dem Wortlaut des Vertrages eine hinreichende Grundlage. Denn nach dem Vertrag ist die Zahlung einer Entschädigung für die Zurverfügungstellung der "öffentlichen Flächen" vorgesehen.
Der Kläger hat die Wegeflächen inzwischen auf den Verein F übertragen. Der Beklagte war nicht berechtigt, bis zur Übertragung die Entschädigung in Höhe von 13.500,-- DM zurückzuhalten. Gem. § 5 des Kaufvertrages waren sowohl der Kaufpreis als auch die Entschädigung unabhängig von der Übertragung der "öffentlichen Flächen" binnen 10 Tagen nach Eintragung der Auflassungsvormerkung zu zahlen. Die Auflassungsvormerkung ist am 30.04.1993 in das Grundbuch eingetragen worden. Der Kläger hat sich mit der Übertragung der "öffentlichen Flächen" nicht in Verzug befunden. Wie bereits ausgeführt hat der Kläger es nicht zu vertreten, dass die Gemeinde nicht zur Übernahme der Wegeflächen bereit war.